Staatsrechtler Hans Markus Heimann

"Ein säkularer Staat kann religiöse Normen nicht verbindlich machen"

Ein Kreuz an der Wand im Landgericht im bayerischen Traunstein
Ein Kreuz an der Wand im Landgericht im bayerischen Traunstein © dpa
Moderation: Susanne Führer · 26.05.2018
Ja zum Kreuz in der Behörde, Nein zum Kopftuch in der Schule? Der Staat habe gegenüber Religionen neutral zu sein, sagt der Staatsrechtler Hans Markus Heimann. Doch es ergeben sich neue Fragen, da das religiöse Feld heterogener geworden sei.
Deutschlandfunk Kultur: Heute geht es in Tacheles um Gott und nicht die Welt, aber um Gott und den Staat, also immerhin um die halbe Welt, könnte man sagen. Ich bin ja als religionsferner Mensch zunehmend verwirrt durch die Debatte um Kreuz, Kopftuch, Kippa und Co. Daher habe ich einen Menschen eingeladen, der mich aus dieser Verwirrung befreien möge, nämlich den Juristen Hans Markus Heimann. Er ist Professor für öffentliches Recht und Staatstheorie an der Hochschule der Bundesrepublik Deutschland für öffentliche Verwaltung. – Herzlich willkommen, Herr Heimann.
Hans Markus Heimann: Guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: Offenbar gilt ja, wenn man die jetzige Situation betrachtet: Je mehr die Menschen sich in Deutschland von der Religion entfernen, das werden ja jedes Jahr immer mehr, desto lauter wird die Diskussion über das Verhältnis von Religion und Staat. – Warum, Herr Heimann, meinen Sie, ist das so?
Hans Markus Heimann: Na ja, wir haben einfach neue Fragestellungen, die wir vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren in dieser Form nicht hatten. Es gibt nicht mehr eine weitgehend homogene Religionszugehörigkeit, wo die Hälfte vielleicht katholisch und die andere Hälfte vielleicht evangelisch ist, wie das in der alten Bundesrepublik sicherlich so bis in die 80er Jahre noch der Fall war, sondern wir haben mit der Wiedervereinigung eben einen ganz signifikanten Anteil an religionslosen oder zumindest keiner Religion angehörigen Menschen in den neuen Bundesländern hinzu bekommen. Knapp achtzig Prozent in den neuen Bundesländern gehören keiner Religionsgemeinschaft an. Und es wird natürlich deutlicher, dass eben auch neue Religionen in Deutschland aufgetreten sind, die sich auch stärker bemerkbar machen, insbesondere natürlich Muslime, der Islam also.
Man weiß nicht so hundertprozentig, wie viele Muslime in Deutschland leben, vielleicht fünf bis sechs Millionen. Das ist auch schwer zu bestimmen. Aber auf einmal ist eben das religiöse Feld heterogener.
Deutschlandfunk Kultur: Wie hat denn das Verhältnis des deutschen Staates zur Religion grundsätzlich auszusehen? Wenn man die deutsche Verfassung aufschlägt, das Grundgesetz, dann begegnet er einem ja sofort, der liebe Gott, nämlich in der Präambel. Die beginnt mit den Worten: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…". Ist Deutschland ein religiöser Staat?

Deutschland ist kein Gottesstaat

Hans Markus Heimann: Nein, das Grundgesetz gibt mit diesem Bezug auf Gott in der Präambel sicherlich nicht zu erkennen, dass es sich um einen Gottesstaat handelt, sondern die ganz herrschende Auffassung ist, dass das keinerlei – wie man als Jurist sagt – normative rechtliche Bedeutung hat, dass das dort steht.
Deutschlandfunk Kultur: Das steht da nur so?
Hans Markus Heimann: Das steht da ... Na ja, auch eine Verfassung ist immer Ausdruck eines politischen Kompromisses. Und wenn man eben in der Entstehungsphase des Grundgesetzes diese Kompromisse gesucht hat, dann ist auf diese Art und Weise ein Teil der Mitglieder des Parlamentarischen Rates eben befriedigt worden.
Tatsächlich und viel bedeutsamer ist aber, dass ausdrücklich in den schon aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Normen das Trennungsgebot und damit das Neutralitätsgebot des Staates, also die Säkularität des Staates übernommen wurde – und das in Kombination mit der Religionsfreiheit, der negativen Religionsfreiheit, eben dazu führt, dass man ganz überwiegend davon spricht, dass der deutsche Staat ein religiös und weltanschaulich neutraler Staat ist. Das ist ganz wichtig.
Deutschlandfunk Kultur: Aber was heißt denn "neutral"? Dass er alle Religionen gleichermaßen toleriert?
Hans Markus Heimann: Ja, im Grundsatz ja. Also, tolerieren tut er sie natürlich nicht, weil er ja eben neutral ist. Wenn ich toleriere, würde ich ja als Staat eine eigene Meinung der richtigen Religion haben. Das ist aber gerade nicht der Fall, sondern ich habe keine religiöse Vorstellung im Grundgesetz oder im Staat. Und ich behandle die Religionen im Grundsatz gleich; vielleicht abgestuft nach ihrer zahlenmäßigen Relevanz in der Gesellschaft, das ist ganz klar. Und es gibt bestimmte Regelungen, die diese Neutralität auch dann wieder gleichberechtigt ein wenig durchbrechen. Also, nehmen wir nur diesen Körperschaftsstatus oder auch den Religionsunterricht vielleicht – aber im Grundsatz eben Neutralität.
Und Neutralität bedeutet, der Staat macht sich keine Religiosität, keine religiösen Symbole und keine Inhalte zu eigen, sondern steht allen diesen religiösen Vorstellungen distanziert, gleichberechtigt, vielleicht auch freundlich - gar kein Problem, was die Bundesrepublik ja seit 1949 durchaus getan hat -, aber eben neutral gegenüber.
Deutschlandfunk Kultur: Aber was heißt dann, dass der Staat alle Religionen gleich behandelt? Wenn wir jetzt an den öffentlichen Dienst denken, die Diskussionen, die es ja gibt in den Schulen, in den Behörden. Da werden wir im Einzelnen noch dazu kommen. Heißt es dann: Neutralität bedeutet, der Staat sagt, okay, dürft ihr alle, alle Glaubenssymbole sind erlaubt, jeder Ausdruck – Beten, Fasten, was auch immer. Oder heißt das gerade eben: Nein, ich behandle euch alle gleich und das habt ihr hier rauszuhalten aus staatlichen Institutionen.

Die aktuellen Kreuzfragen sind problematisch

Hans Markus Heimann: Das kommt darauf an.
Deutschlandfunk Kultur: Ach.
Hans Markus Heimann: Denn es ist eben zunächst einmal zu trennen zwischen den Fragen: Wo agiert der Staat selbst, wo wird der Staat selbst tätig? Und darf er dort Religiosität, religiöse Symbole für sich zu eigen machen oder nicht? – Darf er nicht!
Also, die aktuellen Kreuzfragen, die es da so gibt in Bayern beispielsweise, sind unter diesem Gesichtspunkt sehr problematisch. Denn wenn das Kreuz als religiöses Symbol in einem staatlichen Amtszimmer, einem Schulzimmer, vielleicht in einem Gerichtssaal hängt, dann ist das natürlich ein Zu-eigen-machen eines solchen religiösen Symbols. Und das ist problematisch.
Das hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Entscheidungen zum Kreuz im Schulzimmer, aber eben auch im Gerichtssal bereits verneint, dass dies erlaubt ist. Nichtsdestotrotz wird es in Bayern beispielsweise bis heute ja so praktiziert. Und jetzt mit den neuen Amtsstuben umso mehr.
Davon zu unterscheiden ist die Frage grundsätzlich: Was draußen auf der Straße oder sonst irgendwo vorgeht, das betrifft den Staat eigentlich nicht. Da kann jeder im Rahmen der gesetzlichen Zulässigkeiten – das ist natürlich klar – religiös machen, was er möchte.
Und dann gibt es eben so Zwischenbereiche, wo es schwierig wird, wenn nämlich beispielsweise individuelle Religiosität im Rahmen beispielsweise einer staatlichen Tätigkeit stattfindet, also Kopftuch in der Schule beispielsweise.
Bayerns Ministerpräsident Söder bringt nach dem Beschluss des Landeskabinetts zur Aufhängung von Kreuzen ein erstes Exemplar in der Staatskanzlei an.
Bayerns Ministerpräsident Söder bringt ein Kreuz in der Staatskanzlei in München an. © dpa / Peter Kneffel
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben vorhin das Stichwort "negative Glaubensfreiheit" genannt, Herr Heimann. Um das vielleicht zu illustrieren, falls ich es richtig verstanden habe, stellen wir uns mal vor: Im Lehrerkollegium meines Kindes an der Schule arbeiten Lehrer mit Kippa und Lehrerinnen mit Kopftuch, andere haben ein Kreuz um den Hals. Und wenn ich dann in einem Bürgeramt, ich bin gerade in Bayern, meinen Personalausweis verlängern muss, dann hängt dort eben ein Kreuz an der Wand. Dann sagen wir: Gut, Glaubensfreiheit für alle. Neutralität ist in dem Sinne gewahrt, indem der Staat sich nicht ein Symbol zu eigen macht, sondern alle zulässt.
Aber was ist denn dann mit meiner Freiheit, die ich nicht religiös bin? Habe ich nicht auch ein Recht darauf, sozusagen verschont zu werden von all diesen Glaubensbekundungen der anderen?
Hans Markus Heimann: Ja, grundsätzlich schon. Aber bei einer negativen oder auch positiven Religionsfreiheit muss man ja immer mit bedenken, dass die nicht absolut oder total gewährt werden kann, sondern letzten Endes immer im Ausgleich mit gegenläufigen Rechten, gegebenenfalls Grundrechten eben auszutarieren ist.
Genauso sieht es ja bei einem Kopftuch auch aus. Wenn ein Schüler in der Schule aufgrund seiner negativen Religionsfreiheit nicht mit religiösen Symbolen konfrontiert werden möchte, dann ist die Position der Abwägung die, dass die Lehrerin in ihrer positiven Religionsfreiheit das Kopftuch trägt und der Schüler mit seiner negativen Religionsfreiheit dagegen steht, und dann eben diese Abwägung zwischen den beiden gegenläufigen Grundrechtspositionen zu treffen ist – aber nur unter der Voraussetzung, dass der Staat hier – vielleicht im Rahmen eines sogenannten Neutralitätsgesetzes, wie es das ja auch in Berlin gibt –, beispielsweise schon ein Verbot ausgesprochen hat. Dann würde dieses Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer solchen Abwägungsprüfung dahingehend überprüft werden, ob nun eben die negative oder die positive Religionsfreiheit ein höheres Gewicht erhält.

Problemfälle leben vor sich hin – bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet

Deutschlandfunk Kultur: Der Professor für jüdische Kultur und Geschichte Michael Brenner hat vor kurzem in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung geschrieben, dass er sich als Jude in seiner bayerischen Schule durch das Kruzifix an der Wand natürlich ausgegrenzt gefühlt hat. Aber da hat offenbar keiner dagegen geklagt.
Hans Markus Heimann: Die Frage der Staatspraxis und die Frage der rechtlichen Bewertung sind ja noch mal zwei verschiedene Dinge. Auch eine grundsätzlich erst einmal verfassungswidrige Handlung des Staates, die es ja in Bayern in diesem Falle mit dem Kreuz an der Wand durchaus gegeben hat – das Bundesverfassungsgericht hat es ja so bezeichnet –, die gab es natürlich erst einmal über viele Jahre und Jahrzehnte und auch, als Michael Brenner in die Schule ging. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist das dann eben einmal zum Bundesverfassungsgericht gekommen und wurde dann dort entschieden.
So sieht es mit den heutigen Problemfällen ja auch aus. Die leben sozusagen erst einmal so vor sich hin. Also, die Frage, ob das Berliner Neutralitätsgesetz, was nun anhand auch der zweiten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die ja nur in Nordrhein-Westfalen galt, ob das nun hier genauso ist oder ob man das anders sehen kann, das würde erst wieder das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.
Deutschlandfunk Kultur: Ich versuche das mal ein bisschen zu sortieren. Sie haben jetzt schon öfter diesen Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erwähnt. Der datiert von 1995. Ich war wirklich überrascht, das ist über zwanzig Jahre her und wir diskutieren wieder so, als wäre der gerade erst oder noch gar nicht gefallen. Da wurde eben geklagt dagegen, dass in Bayern diese Kruzifixe in den Klassenzimmern hängen. Da hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, nee, darf nicht. Die hängen jetzt weiterhin - was in Berlin undenkbar ist. Da gilt eben, wie Sie gerade sagten, dieses Neutralitätsgesetz. Das heißt, sichtbare religiöse Symbole, welcher Art auch immer, sind nicht nur in den Schulen, sondern für alle Beamte verboten.
Man könnte jetzt noch ganz viele andere – Nordrhein-Westfalen haben Sie gerade erwähnt – verschiedene Regelungen in den verschiedensten Bundesländern erwähnen, was mich ja zu dieser grundsätzlichen Frage führt: Mir als Nichtjuristin ist nicht klar, warum ist die Rechtsprechung immer so verschieden. Warum kann das jedes Bundesland verschieden regeln?
Hans Markus Heimann: Also, die Rechtsprechung ist ja vielleicht gar nicht unterschiedlich, sondern am Ende kann immer das Bundesverfassungsgericht anhand der Religionsfreiheit in der Regel hier entscheiden.
Es gibt natürlich vorher Instanzentscheidungen. Man kann ja nicht sofort zum Bundesverfassungsgericht gehen. Sondern wenn man in der Schule irgendetwas hat, was man gerichtlich überprüfen lassen will, dann fängt der Rechtsweg eben erst einmal im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit an. Und dann muss man das zum Bundesverfassungsgericht hoch bringen.
Entscheidend ist aber, dass natürlich die jeweiligen Regelungen für diese Rechtsgebiete, die Kompetenzen sich in der Regel auf Landesebene befinden, also die Länder selbst entscheiden können, wie sie mit ihren Landesbeamten in diesen Fragen umgehen oder wie sie die Schulgesetze ausgestalten. Also, das heißt, die 16 Bundesländer in Deutschland machen eigene schulgesetzliche Regelungen. In denen steht dann eben beispielsweise drin, dass man religiöse Symbole als Lehrerin tragen darf oder eben nicht.
Wenn es keine solche Regelung gibt, dann ist es erst einmal auch erlaubt und dann wird das Ganze überprüft.

"Neutralität ist immer Ausdruck von Interpretation"

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt, was Sie eingangs gesagt haben, eigentlich ist die Sache ganz klar, der Staat hat sich neutral gegenüber den Religionen zu verhalten, lässt offenbar einen sehr, sehr weiten Spielraum, was dieses neutral heißt.
Hans Markus Heimann: Natürlich. Neutralität ist immer Ausdruck von Interpretation. Grundrechtsverwirklichung ist auch Ausdruck von Interpretation. Und wenn ich eben gegenläufige Grundrechte habe und eine Abwägung erforderlich ist, dann ist natürlich diese Abwägung eine Wertung oder eine, wenn man so möchte, politische Entscheidung zweiter Art. Eine solche Entscheidung ist nicht statisch. Die ist nicht von vornherein absehbar. Die muss auch nicht für alle Zeiten Bestand haben.
Deutschlandfunk Kultur: Genau. Verstößt die Strafbarkeit der Homosexualität gegen die Menschenwürde oder nicht, haben ja deutsche Gerichte sehr verschieden beurteilt im Laufe der Jahre.
Hans Markus Heimann: Genau. Das ist dann eben auch zeitabhängig.
Deutschlandfunk Kultur: Oder ob es Vergewaltigung in der Ehe überhaupt geben kann oder nicht. – Also, jetzt kommen wir aber nochmal zu diesem Neutralitätsgesetz, was in dem kleinen Bundesland Berlin gilt. Aber ich finde die Auseinandersetzung darum so interessant, weil sie nicht nur innerhalb der rot-rot-grünen Regierungskoalition geführt wird, sondern auch innerhalb der Par´tei Die Linke. Das ist ja nun eine Partei, die man nicht gerade mit Religion in Verbindung bringt und die sich selbst auch als neutral gegenüber den Religionen sieht.
Da haben wir eben diese beiden Argumentationslinien innerhalb ein und derselben Partei. Die einen sagen, das Neutralitätsgesetz, also Verbot aller religiösen Symbole, schützt die Religionsfreiheit und schützt auch die Freiheit derjenigen, die nicht glauben. Und die andere Seite sagt: Nein, es ist genau andersrum. Natürlich, auch Staatsbedienstete haben das Recht oder die Freiheit, sich zu ihrer Religion zu bekennen. – Welchen Ausweg kann man da finden?
Fereshta Ludin, muslimische Lehrerin und Beschwerdeführerin im Kopftuch-Streit, sitzt am 24.9.2003 nach der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor den Richtern (l-r) Rudolf Mellinghoff, Lerke Osterloh und Hans-Joachim Jentsch. Die Bundesländer dürfen muslimischen Lehrerinnen das Kopftuchtragen im Unterricht verbieten. Dazu müssen sie jedoch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine "hinreichend bestimmte" gesetzliche Grundlage schaffen. Diese fehlt derzeit in Baden-Württemberg. Das Land habe deshalb mit seiner Ablehnung, Ludin in den Schuldienst zu übernehmen, ihre Religionsfreiheit verletzt, entschieden die Richter.
Muslimische Lehrerin 2003 nach der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, © picture alliance / dpa / Uli Deck
Hans Markus Heimann: Na ja, am Ende muss man eine Entscheidung treffen. Und das Bundesverfassungsgericht hat ja beispielsweise anhand dieses nordrhein-westfälischen Falles mit zwei muslimischen Frauen, die dort eben mit einer Kopfbedeckung unterrichtet haben in der staatlichen Schule, diese Entscheidung getroffen. Und diese Entscheidung lautete, dass hier eben das Grundrecht auf positive Religionsfreiheit dieser beiden Lehrerinnen insgesamt ein höheres Gewicht bekam als die negative Religionsfreiheit von Schülern oder auch die insgesamt Neutralität des Staates. Das heißt, weil hier eben der Beruf der Lehrerin für jemanden, der als gläubige Muslimin mit Kopftuch unbedingt auf die Straße gehen muss, dass dann hier dieser Eingriff schwerer wiegt als dass ein Kind in einer vielleicht sowieso heutzutage multireligiösen Gesellschaft mit dem Anblick eines Kopftuches konfrontiert wird. Wobei natürlich immer im Hinterkopf zu berücksichtigen ist: Selbstverständlich muss eine Lehrerin, die ein religiöses Symbol trägt, einen neutralen Unterricht machen.
Deutschlandfunk Kultur: Das Berliner Arbeitsgericht hat gerade gegenteilig entschieden. -
Die Religion und ihre Symbole, also ein Kreuz oder ein Kopftuch an sich, das sagt ja erstmal noch gar nichts aus. Es muss ja eine allgemeine Verständigung über deren Bedeutung geben. Ich finde, hier wird es richtig interessant. Sie haben das gerade mit dem Kopftuch angefangen. Ich möchte erstmal nochmal wieder zum Kreuz zurückkommen und Bayerns jüngsten Kreuzerlass. Der CSU-Politiker Thomas Goppel hat hier in unserem Programm das Kreuz kurzerhand zu einem "Symbol der Freiheit erklärt". Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat ja gesagt, das Kreuz sei kein "Zeichen einer Religion", sondern entspräche, "dem Vergewisserungswunsch der Menschen nach ihrer Identität", was nun wiederum ein Kollege von Ihnen, der Staatsrechtler Horst Dreier ganz anders sieht. – Wer entscheidet denn so etwas?
Hans Markus Heimann: Der erste Zugriff liegt beim Gesetzgeber. Der Gesetzgeber ist hier gar nicht involviert, sondern es ist ja eben nur eine Verwaltungsvorschrift erlassen worden durch die bayerische Staatsregierung, so dass man sich schon von der Form her fragen kann, ob das eigentlich den Anforderungen genügt.
Am Ende, wenn denn jemand gegen ein solches Kreuz sich wehren würde, wegen der negativen Religionsfreiheit, am Ende würde es durch die verschiedenen Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht kommen. Und am Ende entscheidet es dann das Bundesverfassungsgericht in diesen Fällen verbindlich.

Kopftuch – religiöses Symbol oder religiöses Gebot?

Deutschlandfunk Kultur: Wenn man jetzt noch mal das nämliche beim Kopftuch betrachten, über das ja übrigens erst so erbittert gestritten wird, seitdem Akademikerinnen es tragen oder tragen wollen. Die Arbeiterin früher oder die Putzfrau mit Kopftuch hat ja niemanden gestört, aber eine Lehrerin oder eine angehende Richterin schon. Also, gucken wir nochmal auf das Kopftuch: Die einen sehen es als religiöses Symbol, als Zeichen der Liebe zu Gott, andere wiederum als Symbol der Unterdrückung der Frau, wieder andere als eine Art – ja, wie soll ich mal sagen – islamistisches Zeichen schon, das per se unserer Gesellschaftsordnung widerspricht und damit als ein politisches Symbol.
Nun wird’s ja noch interessanter, finde ich, weil es dann eben wiederum andere gibt, die sagen, es handelt sich hier überhaupt nicht um ein Symbol, sondern um ein religiöses Gebot. Und das heißt dann ja, was Sie gerade sagten, dass ein Kopftuchverbot, wie das Gericht in Nordrhein-Westfalen entschieden hat, im öffentlichen Dienst käme einem Berufsverbot gleich.
Hans Markus Heimann: Am Ende wird es ja so sein. Wenn jemand aus religiöser Motivation zwingend ein Kopftuch tragen möchte und ansonsten nicht vor die Tür geht, dann wird es dazu führen, dass er oder sie in diesem Falle den Beruf nicht ausüben kann. Das ist also nicht falsch. Aber letzten Endes kommt es darauf an, was man – so sagt es ja auch das Bundesverfassungsgericht immer – aus der subjektiven Sicht des Betroffenen als religiös motivierte Handlung sieht. Und wenn ich also aus irgendeiner religiösen Vorstellung zunächst einmal ein Kopftuch tragen möchte oder eben muss, dann fällt das in den Schutzbereich der Religionsfreiheit. Das heißt ja nicht, dass der Staat es nicht gegebenenfalls untersagen kann, aber es fällt in den Schutzbereich der Religionsfreiheit und ist dann in diesem Abwägungsmechanismus drin, in dem ich dann mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen oder gegenläufigen Grundrechten diese Abwägung durchführe.
Deutschlandfunk Kultur: Also, das reicht, wenn ich jetzt behaupte, mein Glaube gebietet es mir, ein Kopftuch zu tragen. Dann muss mir jedes deutsche Gericht darin folgen und darf mir nicht verbieten, mit Kopftuch zu unterrichten?
Hans Markus Heimann: Nein. Es reicht nur, damit das in den Schutzbereich der Religionsfreiheit fällt, was aber ja noch nicht bedeutet, dass es damit auch erlaubt ist. Denn ich kann natürlich – es gibt keine totale Religionsfreiheit – als Gesetzgeber religiöses Verhalten, religiöse Handlungen verbieten, wenn ich dafür eben einen sozusagen verfassungsrechtlich haltbaren wichtigeren Grund habe.
Deutschlandfunk Kultur: Herr Heimann, leider entwirren Sie meine Verwirrung überhaupt nicht, sondern die wird immer größer. Also, das Kopftuch. Es gibt ja Feministinnen, Alice Schwarzer zum Beispiel zählt dazu. Die sagt, das ist doch ganz klar ein Zeichen der Unterdrückung der Frau. Warum soll sich die Frau verhüllen? Und nun gibt es andere, die sagen: Da es ein religiöses Gebot ist, ist es ein Berufsverbot, wenn du einer Lehrerin verbietest, ein Kopftuch zu tragen. – Und damit ist es im Grunde genommen sogar frauenfeindlich, das Kopftuch zu verbieten. Alice Schwarzer sagt, es ist frauenfeindlich, das Kopftuch zu erlauben. – Wer soll sich denn da noch auskennen? Kann das überhaupt ein Gericht entscheiden?

Religionsfreiheit der Lehrerin steht gegen die negative Religionsfreiheit der Schüler

Hans Markus Heimann: Na ja, ich glaube schon, dass das Bundesverfassungsgericht das eigentlich ganz geschickt macht. Man kann es so sehen, dass das ein frauenfeindliches Verhalten ist, wenn man als Frau ein Kopftuch trägt. Aber das ist vielleicht nicht das Entscheidende für die rechtliche Beurteilung. Es kommt bei der rechtlichen Beurteilung darauf an, dass ich, wenn ich als Staat ein solches Verbot ausspreche, dieses Verbot gerechtfertigt ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Und das kann es eben dadurch sein, dass es beispielsweise auf ein Grundrecht eines Dritten sich stützen kann.
Also: Religionsfreiheit der Lehrerin steht gegen die negative Religionsfreiheit der Schüler, die aufgrund der Schulpflicht ja gezwungen sind, in die Schule zu gehen und mit diesem religiösen Symbol konfrontiert werden.
Und jetzt sagt das Bundesverfassungsgericht eben: In dieser Konstellation wiegt die negative Religionsfreiheit der Schüler nicht ganz so schwer wie die positive Religionsfreiheit der Lehrerin. Vielleicht wäre es in einem Gerichtssaal anders. Da wird das Bundesverfassungsgericht in Kürze drüber entscheiden. Bei einem Richter mit einer Robe und einer ganz starken äußeren Neutralitätsausstrahlung kann die Religionsfreiheit ein weniger schweres Gewicht haben und die Neutralität des Staates, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und auch die negative Religionsfreiheit der Betroffenen, die in einem solchen Gerichtssaal sind, ein höheres Gewicht erhalten, also die Entscheidung auch anders herum ausfallen.
Das ist das Geschäft des Bundesverfassungsgerichts, solche Fragen zu entscheiden, bei allen Grundrechtsfragen im Grunde genommen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das Verrückte ist doch, dass sich alle Gerichte auf das Bundesverfassungsgericht, auf das Grundgesetz berufen. In Nordrhein-Westfalen wird gesagt, die Lehrerin darf Kopftuch tragen. In Berlin ist gerade entschieden worden vom Arbeitsgericht, es ist keine Diskriminierung, wenn sie das Kopftuch nicht tragen darf.
Hans Markus Heimann: Na ja, die verschiedenen Instanzgerichte entscheiden da ja durchaus unterschiedlich. Auch in den nordrhein-westfälischen Fällen haben ja die Instanzgerichte – ich glaube, drei Stück – durchaus gegensätzlich entschieden. Das ist nicht einheitlich, natürlich nicht. Die Spielregel bei uns ist nur die, dass es eben am Ende eine Entscheidung gibt, die das Bundesverfassungsgericht trifft. Und deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in allen diesen Fragen ja durchaus eine große Macht. Das muss man einfach sehen.

"Wir haben ein System, in dem man unglaublich toll streiten kann"

Deutschlandfunk Kultur: Ich habe gerade mit Interesse bemerkt, Herr Heimann, dass bei den Worten "das ist nicht einheitlich" ihre Augen geradezu vor Begeisterung blitzten. Also, der Jurist freut sich, wenn das wild durcheinander geht.
Hans Markus Heimann: Nein, das kann man gar nicht so sagen. Aber was für mich vielleicht wichtig ist: Wir haben eine ganze Vielzahl von Fragestellungen dieser Art. Das Kopftuch ist das eine. Man kann das ja auch auf das Schächten beziehen oder auf die Beschneidung oder auf verschiedene andere Fragestellungen religiöser Art. Entscheidend ist etwas anderes: Wir haben dadurch, dass wir dieses grundrechtliche System haben, das die Entscheidung des Gesetzgebers vor dem Bundesverfassungsgericht noch einmal einer Überprüfung unterzieht, ein System, wo wir mit diesen Fragestellungen eigentlich sehr gut umgehen können. Das heißt, wir haben ein System, in dem man unglaublich toll streiten kann – deshalb vielleicht mein Augenverdrehen, das Sie hier angesprochen haben –, wo die Gerichte unterschiedlich entscheiden und wo am Ende eine Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht getroffen wird, die aber vielleicht auch vorläufig ist, weil sie in zwanzig Jahren wieder anders getroffen wird. Aber es ist ein System, was diese Möglichkeit schafft.
Wichtig ist dann, dass man diese Entscheidungen akzeptiert, also, dass es eine Spielregel gibt, die darauf hinaus läuft, dass man sich dann auch daran hält. Das ist eben das, was gerade beispielsweise in Bayern ein bisschen daneben geht. Das ging schon bei der Kruzifix-Entscheidung so, weil man die Kruzifixe dann mit einem etwas modifizierten Schulgesetz trotzdem weiterhin in Bayern in den Klassenräumen aufgehangen hat. In den Gerichtssälen ist es ja ohnehin schon immer der Fall. Also, man sollte sich dann auch daran halten. Und das ist eben das System, in dem diese Konflikte aus meiner Sicht relativ gut gelöst werden können.

Darf der Staat einen Tannenbaum aufstellen?

Deutschlandfunk Kultur: Eins ist auf jeden Fall klar, nicht nur, was das Bundesverfassungsgericht denkt und meint, ändert sich im Laufe der Zeit, auch die Bedeutung von Symbolen, also die Bedeutung, die wir, die Gesellschaft, Symbolen zuschreiben. Das gilt nicht nur fürs Kopftuch, sondern für ganz alte, angeblich ja zu Deutschland gehörende Feiern wie zum Beispiel Weihnachten. Also, wenn man sich mal fragt, was heißt denn heute in Deutschland Weihnachten, dann wissen wir, dass sehr, sehr viele Menschen Weihnachten feiern, die keine Christen sind, die kaum oder vielleicht auch gar nicht die Weihnachtsgeschichte kennen. Und die feiern das einfach als ein Familienfest.
Nun gibt es ja wiederum Menschen, die sagen: Also, aufgrund des Neutralitätsgebots des Staates dürfen wir auch keinen Weihnachtsmarkt abhalten. Macht stattdessen lieber einen Wintermarkt oder einen Lichtermarkt oder was auch immer. – Ich finde ja umgekehrt eigentlich, gerade diese Säkularisierung des Weihnachtsfestes rechtfertigt es erst recht, es weiterhin Weihnachten zu nennen, weil das eben gar nicht mehr als ein religiöses Fest wahrgenommen wird, sondern als eine Reihe von freien Tagen, an denen man viel isst.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht neben einem Weihnachtsbaum
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schmückt in Berlin im Schloss Bellevue einen Tannenbaum.© picture alliance / Michael Kappeler / dpa
Hans Markus Heimann: Ja, aber bei Weihnachten stellt sich das Problem gar nicht, auch nicht bei Ostern.
Deutschlandfunk Kultur: Na, das sagen Sie so.
Hans Markus Heimann: Der Staat macht sich ja Weihnachten nicht so zu eigen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber in Berlin und in den Bezirksversammlungen gibt es da erbitterten Streit darum.
Hans Markus Heimann: Ja, das weiß ich, aber das muss ja vielleicht nicht so ganz in jeder Hinsicht nachvollziehbar sein.
Also, Weihnachten ist ein Fest, das jeder feiern kann, wie er das möchte. Und wenn eine Gemeinde einen Platz zur Verfügung stellt, wo ein Weihnachtsmarkt stattfindet, ja, dann kann man das doch tun. Wo ist denn da das Problem? Es ist doch kein Verstoß gegen Neutralität oder Religionsfreiheit. Der Staat kann sogar einen Tannenbaum aufstellen, wenn er das als beinahe schon verweltlichtes Symbol irgendwo in einer Schule oder in einem sonstigen Amtszimmer haben möchte.
Deutschlandfunk Kultur: Und dürfen die Kinder in der Schule die Weihnachtsgeschichte spielen und Weihnachtssterne basteln oder ist das dann…
Hans Markus Heimann: Da wird es dann natürlich schon ein bisschen schwieriger. Da müsste man genauer drüber nachdenken. Aber wenn man das als Ausdruck von Kultur, die sich das Ganze nicht zu eigen macht in dem Sinne, dass es jetzt eben der staatliche Glaube ist, der hier vermittelt wird - das wäre nur im Religionsunterricht für religiösen Glauben möglich -, sondern dass es eben als kulturelle Begleiterscheinung bestimmter Feste, die wir im Jahr so haben, passiert, dann würde ich das nicht so eng und problematisch sehen. Das wäre ein Maß an Reinheit, das mit dem eigentlichen Gedanken, dass der Staat sich Religion nicht zu eigen machen soll, gar nicht vereinbar wäre.
Deutschlandfunk Kultur: Im "Spiegel" stand ja neulich zu lesen: Kippa, Kreuz und Kopftuch seien die Symbole eines Kulturkampfes, der gerade in Deutschland ausgetragen werde.
Mal angenommen, das stimmt, sollte der Staat sich dann heraushalten? Oder ist er ganz im Gegenteil dann zum Einmischen verpflichtet?

Religiöse Normen sind nicht der Maßstab

Hans Markus Heimann: Ich glaube, da sind wir beim Kern des Problems. Das Problem, das wir haben, ist, dass wir in so einer Verunsicherung leben in Deutschland und irgendwie nicht klar ist, wie wir uns eigentlich das Verhältnis von Staat und Religion so vorstellen, auch für die Zukunft. Ich glaube, Kulturkampf ist genau der falsche Weg oder ein rückwärts gewandter Weg, der hier zu einer Lösung führt. Ich glaube, dass wir uns klarmachen müssen, dass wir diesen säkularen neutralen Staat, wie wir ihn haben, bewahren müssen, so wie er heute sich ja präsentiert, und dass eben wichtig ist, dass jede Religion versteht, dass nicht ihre religiösen Normen Maßstab für den gesamten Staat, für das Handeln aller werden dürfen. Das ist der entscheidende Punkt. Das muss der Maßstab sein, an dem wir uns zu orientieren haben.
Und vor diesem Maßstab ist dann nicht jede einzelne kleine Frage, ob da nun eben ein Kopftuch getragen wird oder nicht, wenn es erlaubt wird, gleich der Untergang des Abendlandes, der hier droht. Sondern dann ist das eben im Rahmen dieser grundsätzlichen Ausrichtung eine kleine Frage, über die man sich, wie gesagt, streiten kann, aber die nicht dazu führen muss, dass dieser Grundkonsens, den man haben sollte, aufgegeben wird.
Deutschlandfunk Kultur: Was meinen Sie, Herr Heimann, wie wird sich die Rechtsprechung entwickeln? Wagen Sie da eine Prognose, was die Religion angeht? Wird es in zwanzig Jahren an deutschen Schulen und Gerichten viele Frauen mit Kopftuch geben oder eher gar keine mehr?
Hans Markus Heimann: Ich bin mir nicht sicher. Es hängt auch von den Erfahrungen ab, die wahrscheinlich in den nächsten Jahren hier mit Religion gemacht werden. Und dann weiß man ja, dass politische Entscheidungen relativ schnell beeinflussbar – sowohl in die eine wie in die andere Richtung – sind.
An sich könnte ich mir vorstellen: Wenn Kopftuch tragende muslimische Lehrerinnen in der Schule völlig unauffällig oder unproblematisch unterrichten, ohne dass jetzt beispielsweise die Neutralität im konkreten Unterricht verletzt wird, dass das Ganze dann als Erfahrungswert dazu führen wird, dass man wahrscheinlich in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren keine Schwierigkeiten mehr mit dem Kopftuch in der Schule hat und vielleicht in anderen Bereichen auch.
Im Gericht - weiß ich nicht. Wenn eben diese gesteigerte Neutralitätsanforderung dort eine höhere Sensibilität diesen Fragen gegenüber zum Ausdruck bringt, dann ist es vielleicht so, dass wir nach der deutschen Tradition hier dann keine religiösen Symbole haben. Stellen Sie sich den Richter in Robe mit großem Kreuz vor dem Bauch vor. Dann ist er kaum noch von einem Pfarrer zu unterscheiden. Ich wäre da vorsichtig.
Für mich ist viel entscheidender wirklich, dass wir versuchen, diesen grundsätzlichen Rahmen in der Gesellschaft zu verankern. Das wäre vielleicht die große Integrationsaufgabe, zu akzeptieren, dass ein säkularer Staat nicht religiöse Normen für alle verbindlich machen kann. Das ist das, glaube ich, Wichtige. Und da müsste man in diese Richtung in der Politik, glaube ich, mehr tun.
Deutschlandfunk Kultur: Also, ich bin jetzt nicht genauso, sondern anders verwirrt als eingangs - wenigstens besser informiert.
Hans Markus Heimann: Ziel leicht verfehlt. (Lachen). Dankeschön.
Deutschlandfunk Kultur: Danke für das Gespräch, Herr Heimann.

Hans Markus Heimann, geboren 1968 in Köln, Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Lausanne, seit 2008 Professor für Öffentliches Recht und Staatstheorie an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Zahlreiche Publikationen, u.a. Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung, S. Fischer Verlag, 2016.

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