Staatsleistungen an die Kirchen

Schwierige Ablösung

52:38 Minuten
Eine Hand steckt einen Euro in einen schwarzen Schlitz in Kreuzform (Symbolbild).
Die Ablösung der Staatsleistungen lässt seit 100 Jahren auf sich warten – dabei sollten sie eigentlich nur eine Übergangslösung nach dem Ende des "landesherrlichen Kirchenregiments" sein, wie Wilhelm II. es noch innehatte. © Getty / iStockphoto
Von Matthias Bertsch und Christoph Fleischmann · 25.10.2020
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Schon in der Weimarer Verfassung stand der Auftrag: Die Zahlungen, die der Staat an die Kirchen leistet, sollen abgelöst werden. Doch bis heute überweisen die Bundesländer eine halbe Milliarde Euro jährlich an die großen Kirchen. Die Kritik nimmt zu.
Der Landtagspräsident von Sachsen-Anhalt: "Wir kommen nun zu dem Tagesordnungspunkt 31, Verfassungsauftrag wahrnehmen – Staatskirchenleistungen ablösen. Es ist ein Antrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 7/4774, Einbringer ist der Abgeordnete Herr Gallert."
Magdeburg, Ende August 2019. Im Landtag von Sachsen-Anhalt tritt der religionspolitische Sprecher der Linken, Wulf Gallert, ans Rednerpult: "Also liebe Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte schon ein ziemlich einmaliger Vorgang sein, dass anlässlich des 100. Jahrestages des Bestehens eines Verfassungsauftrags im Parlament darüber diskutiert wird, wie wir jetzt vielleicht beginnen können, diesen umzusetzen."

Staatsleistungen sind frei verfügbare Subventionen

Gallert erklärt zunächst, worum es nicht geht: die Kirchensteuer abzuschaffen oder die staatlichen Gelder für die kirchliche Wohlfahrts- oder Bildungsarbeit einzuschränken. Der Antrag der Linken beziehe sich ausschließlich auf die Staatsleistungen, die die beiden großen Kirchen als frei verfügbare Subvention von den Bundesländern bekommen – und deren Ablösung im Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gefordert wird. Ein Artikel, der ins Grundgesetz übernommen wurde:
"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
Und doch geschehe nichts, so Linken-Politiker Gallert, weil sich Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung für die Umsetzung des Verfassungsauftrages zuschöben.

Die Berechnung der Ablösesumme ist umstritten

Dabei geht es um viel Geld. Im Jahr 2019 zahlt das Land Sachsen-Anhalt als Staatsleistungen insgesamt rund 35 Millionen Euro an die evangelische und die katholische Kirche. Um diese Zahlungen zu beenden, schlägt Gallert eine Ablösesumme in Höhe von 700 Millionen Euro vor, das Zwanzigfache der derzeitigen jährlichen Staatsleistungen.
Ein Mann mit Schnurrbart steht an einem Rednerpult und blickt zur Seite.
Der religionspolitische Sprecher der LINKEN in Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert.© Katja Müller/Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt
In der anschließenden Debatte muss sich Gallert viel Kritik gefallen lassen – unter anderem von Bildungsminister Marco Tullner: "Hängengeblieben ist bei mir, dass Sie sich sehr großzügig bei der Höhe der wie auch immer abzulösenden Zahlungen gezeigt haben."

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte Wiederholung des Features vom 3. Mai 2020.

CDU-Mann Tullner verweist auf die Zuständigkeit des Bundes – der müsse die Grundsätze für die Ablösung der Staatsleistungen aufstellen, die finanziellen Belastungen aber müsse das Land tragen: "Die jährlichen Staatsleistungen müssten kapitalisiert werden. Da kann man jetzt nicht so schätzen, zehn-, zwanzigfach. Damit geht die grundsätzliche Frage einher, ob wir das angesichts unserer Landesfinanzen wirklich leisten können. Der Bund hat das jedenfalls noch nicht zustande gebracht, die Höhe würde sicherlich nicht nur den Finanzminister in Wallungen bringen, würde ich mal sagen."
Das will der Linken-Politiker Gallert nicht auf sich sitzen lassen: "So, Herr Tullner, wir setzen uns mal zusammen. Dann nehmen wir mal einen Zettel vor: Was ist teurer – es so zu belassen, wie es jetzt ist, mit jährlich zwei Prozent Steigerung, oder mit einer Ablösesumme von 700 Millionen Euro? Dann gucken wir uns mal an, wer von uns beiden großzügig ist."
Nach einer knappen Stunde Debatte wird der Antrag an den Ausschuss für Bildung und Kultur überwiesen.

Ein neuer Vertrag nach dem Ende der DDR

Doch warum zahlt Sachsen-Anhalt überhaupt jedes Jahr so viel Geld an die Kirchen, obwohl das Grundgesetz seit seinem Bestehen die Ablösung von Staatsleistungen fordert?
Die Antwort ist: Weil sich das Land vertraglich dazu verpflichtet hat. Im Wittenberger Vertrag von 1993, den Sachsen-Anhalt mit den evangelischen Landeskirchen auf seinem Gebiet geschlossen hat. Dort heißt es:
"Das Land zahlt an die Kirchen im Land Sachsen-Anhalt anstelle früher gewährter Dotationen für kirchenregimentliche Zwecke und Zuschüsse für Zwecke der Pfarrbesoldung und -Versorgung sowie anderer auf älteren Rechtstiteln beruhenden Zahlungen einen Gesamtzuschuss. […] Die Staatsleistung beträgt: [für das Jahr] 1992
25.750.000 Deutsche Mark."
Diesen Vertrag hat aufseiten von Sachsen-Anhalt Axel Vulpius verhandelt: Er arbeitete ab 1991 für das Kultusministerium in Magdeburg und war damals ein frisch pensionierter Ministerialdirigent aus dem Bundesforschungsministerium. Er half beim Aufbau Ost und wurde beauftragt, mit den beiden großen Kirchen Verträge zu verhandeln, wie es sie auch in den meisten westlichen Bundesländern gab. Die Kirchenvertreter erinnerten an alte Forderungen, an die – wie es im Vertragstext heißt – "früher gewährten Dotationen" und "andere auf älteren Rechtstiteln beruhenden Zahlungen".
"Wir haben uns das mal angeguckt: die Frage der Gehälter, die Frage der Bauleistungen", erzählt Axel Vulpius. "Keiner wollte bei uns eine genaue Aufstellung der Bauleistungen für die ganzen kirchlichen Gebäude, die wir in Sachsen-Anhalt haben. Man hat mal angefangen bei uns im Rahmen der Vertragsverhandlungen, [aber] sehr bald aufgegeben, weil es unzählige Sachen sind. Es sind ja nicht nur die Kirchen, sondern auch andere Gebäude, und da hat man gesagt: Nee, also das hat keinen Sinn. Und wir sind dann auf eine Schätzung rausgekommen."
Einen Schätzwert für die alten Rechtstitel zu nehmen, sei kein Problem gewesen. Die so ermittelten Staatsleistungen, erinnert sich Vulpius, "wurden im Landtag ohne Weiteres akzeptiert. Es war eine kirchenfreundliche Haltung, weil man wusste, was die Kirchen dort zu leiden hatten, gerade auch im Kirchenbau, dass man also kirchenfreundlich war."

Als Grund gelten alte Forderungen

Axel Vulpius verhandelte mit den evangelischen Landeskirchen und mit der katholischen Kirche je einen Staatsvertrag. Beide Verträge enthielten eine sogenannte Gleitklausel, mit der die Staatsleistungen analog zur Erhöhung der Beamtenbesoldung ansteigen. So zahlt Sachsen-Anhalt statt umgerechnet knapp 16 Millionen Euro im Jahr 1992 an die beiden großen Kirchen im Jahr 2020 rund 36,5 Millionen Euro.
Dass sich das Land auf den Vertrag eingelassen hat, lag nicht nur an der wohlwollenden Haltung gegenüber den Kirchen. Es ging um alte Rechtsforderungen, betont Axel Vulpius, sehr alte Forderungen: "Der Reichsdeputationshauptschluss. Man wusste, dass damals das gesamte kirchliche Vermögen an den Staat ging, der Staat sich aber verpflichtete, seinerseits Entschädigungen zu zahlen. Daraus sind diese Staatsleistungen entstanden."
Die Bundesrepublik Deutschland zahlt also immer noch Entschädigungen für Enteignungen der Kirchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts – als mit dem Reichsdeputationshauptschluss das Deutsche Reich neu geordnet wurde?
"Wenn 1803 ein großes Vermögen säkularisiert worden ist", sagt Axel Vulpius, "dann muss man ja wissen, wie sich ein solches Vermögen weiterentwickelt hätte, auch bei Privatpersonen. Wir wissen ja, dass Vermögen sich vervielfältigt haben."
In der Tat haben die Juristen, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, lange Zeit einen engen Zusammenhang zwischen dem Reichsdeputationshauptschluss und den Staatsleistungen betont. So entstand die Vorstellung einer großen finanziellen Schuld, die bei den Kirchen noch zu begleichen sei.

Fürstbischöfe abgeschafft, Kirchenvermögen enteignet

Im lichten Büro des katholischen Kirchenhistorikers Andreas Holzem im Theologicum der Universität Tübingen lassen wir uns nochmal genau erklären, wie das war mit Kirche und Staat und dem Einschnitt zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Vor 1803 gab es noch geistliche Fürstentümer. "Man muss sich das etwa so vorstellen, als sei der Fürstbischof von Münster gleichzeitig Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen", sagt Andreas Holzem. "Aus diesem Grund wird häufig in der Zeit des Alten Reiches bis 1803 zwischen Kirchenvermögen und staatlichem Vermögen gar nicht groß unterschieden. Dazu kommt, dass Finanzierung von kirchlichen und staatlichen Aufgaben nicht wie heute aus Kirchensteuermitteln, also umlagefinanziert wird, sondern in der Regel aus liegenden Gütern dotiert ist."
Landbesitz und feudale Pflichten waren die Grundlage der kirchlichen Einnahmen. Die geistlichen Fürstentümer aber wurden 1803 aufgehoben. Die katholischen Fürstbischöfe verloren Herrschaft und Vermögen. Daraus wurden die weltlichen Fürsten entschädigt, die Gebiete östlich des Rheins an Napoleon verloren hatten. Außerdem durften die weltlichen Herren auch Kirchenvermögen in ihren weltlichen Territorien enteignen, zum Beispiel Stifte und Klöster.
Dies traf die katholischen Bistümer hart, sagt Holzem: "Vermögenssäkularisation bedeutet in diesem Fall, dass die Kirche in Deutschland in ihren vielen unterschiedlichen Körperschaften quasi ohne ihre alten Einkunftsmöglichkeiten verbleibt und deswegen auf staatlicher Grundlage neu finanziert werden muss."

Der Staat versprach die Finanzierung der Kirchen

Genau das wurde den Kirchen im Paragraph 35 des Reichsdeputationshauptschlusses zugesagt: Der Staat übernimmt die Finanzierung der Kirchen.
"Alle Güter der fundirten Stifter, Abteyen und Klöster, in den alten sowohl als in den neuen Besitzungen, Katholischer sowohl als Augsburger Confession, […], werden der freien und vollen Disposition der respectiven Landesherrn, sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen überlassen."
Das heißt, von einer Entschädigung ist nicht die Rede. Die Landesherren übernahmen das Kirchenvermögen und versprachen als Gegenleistung, für den Betrieb der Religion Sorge zu tragen, erklärt Andreas Holzem: "Der Kultminister Wangenheim hat das für die südwestdeutschen Territorien mal eine ‚umfassende Sakristanerie der Ministerien‘ genannt. Das bedeutet, dass der Staat sich selbst große polizeiliche Überwachungs- und Regelungsaufgaben für alle kirchlichen Verhältnisse zuschreibt. Unser moderner wissenschaftlicher Begriff dafür ist Staatskirchentum."

Die Kirchen wurden zum Gegenüber

Die Protestanten kannten das schon seit Jahrhunderten als landesherrliches Kirchenregiment, bei dem der Landesherr zugleich die Kirche in seinem Gebiet leitete. Für sie änderte sich 1803 gar nicht so viel. Mit der katholischen Kirche wurden nun Aufsicht und Finanzierung in Konkordaten und anderen Einigungen mit dem Vatikan geregelt. Aber auch die evangelischen Kirchen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gegenüber für den Staat:
"Immer noch gab es das landesherrliche Kirchenregiment, und zugleich traten die staatliche Religionsverwaltung und die innere Kirchenverwaltung auseinander. Das ist ja ein Prozess, der schon im 19. Jahrhundert angelegt ist, und in dem Zuge sind dann auch neue Rechtstitel entstanden", erklärt Hans Michael Heinig, Direktor des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland und Juraprofessor an der Universität Göttingen.
Ein bebrillter Mann im blauen Anzug lächelt in die Kamera.
Hans Michael Heinig, Direktor des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland.© Daniel Moeller
Die Kirchen wurden im 19. Jahrhundert nicht mehr aus Ländereien, sondern zunehmend durch Kirchensteuern finanziert – aber die eigenständig werdenden Kirchen bekamen noch weitere Zahlungen vom Staat. Welche das genau waren, das fällt selbst dem Fachmann Heinig nicht auf Anhieb ein:
"Also aus dem Stand könnte ich Ihnen das jetzt auch nicht beantworten, da würde ich jetzt anfangen nachzulesen."
Okay, lesen wir mal nach:
"Preußisches Staatsgesetz betreffend die Pfarrbesoldung, das Ruhegehaltswesen und die Hinterbliebenenfürsorge für die Geistlichen der evangelischen Landeskirchen vom 26. Mai 1909
Preußisches Staatsgesetz, betreffend das Diensteinkommen der katholischen Pfarrer vom 26. Mai 1909
Vom 1. April 1908 ab seitens des Staates wird eine dauernde Rente überwiesen: a. für die Alterszulagekasse in Höhe von 8 050 000 Mark…
Behufs Gewährung von widerruflichen Beihilfen an leistungsunfähige katholische Pfarrgemeinden zur Aufbesserung des Diensteinkommens ihrer Pfarrer wird ein Betrag von 5 618 400 Mark…
…ein Betrag von 1 200 000 Mark jährlich aus Staatsmitteln bereitgestellt."

Verträge erneuerten die alten Forderungen

Zahlungen dieser Art aus der Zeit vor 1919 sind gemeint, wenn es wie schon zitiert in der Weimarer Reichsverfassung heißt:
"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
Zwar geht es dem Grundsatz nach um diese alten Forderungen, aber die sind längst noviert, wie die Juristen das nennen, also erneuert worden – und zwar in Gestalt von Verträgen zwischen Staat und Kirchen, die nach der Verkündung der Weimarer Reichsverfassung geschlossen wurden. In ihnen wurden statt vieler einzelner Zahlungen pauschale Summen als Staatsleistungen vereinbart.
"Die Pointe des Staatskirchenvertrages ist, dass genau diese Rechtsstreitigkeiten darüber, was vor 1919 war, juristisch irrelevant gemacht werden sollten", erklärt Hans Michael Heinig. "Das ist die Pointe von Novationen, dass man eben nicht mehr darüber streiten will, was war, um aus den Einzeladditionen heraus die Summe zu bestimmen, sondern in einem Geben und Nehmen, in einem wechselseitigen Kompromiss, eine Summe zu fixieren, die dann auf vertraglicher Grundlage von beiden akzeptiert wird als das, was vom Staat als Staatsleistung geschuldet wird: Der Vertrag soll Rechtsfrieden herstellen."

Vertragliche Festschreibung statt Ablösung

Johann-Albrecht Haupt sieht das anders. Haupt ist Mitglied der Humanistischen Union. Seit Jahren trägt er die Summen zusammen, die die Kirchen von den Bundesländern als Staatsleistungen überwiesen bekommen. Der pensionierte Verwaltungsjurist, der früher im Kultusministerium in Niedersachsen gearbeitet hat, sagt: Mit der vertraglichen Vereinbarung der Staatsleistungen sei der Verfassungsauftrag zur Ablösung in sein Gegenteil verkehrt worden – mit jedem Vertrag oder Konkordat neu: "Bayern und Preußen und Baden haben ja in den 20er-Jahren eigene Konkordate schon geschlossen, wo das auch drinsteht, das will ich ja gar nicht bestreiten."
Aus dem Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924:
"Der Bayerische Staat wird seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche in Bayern stets nachkommen. Die vermögensrechtlichen Verpflichtungen, die im Konkordate von 1817 festgelegt sind, werden durch folgende Vereinbarung ersetzt:
Der Staat wird die erzbischöflichen und bischöflichen Stühle, die Metropolitan- und Domkapitel mit einer Dotation in Gütern und ständigen Fonds ausstatten, deren jährliche Reineinkünfte sich bemessen auf der Grundlage jener, die im erwähnten Konkordate festgesetzt sind, wobei dem Geldwerte vom Jahre 1817 Rechnung zu tragen ist."
Johann-Albrecht Haupt sagt: "Das ist damals schon gegen die Verfassung geschehen, wo ablösen steht und nicht festschreiben. Und all die Konkordate, die nach 1945, beginnend mit dem Loccumer Vertrag, geschlossen worden sind, sind erst recht contra constitutionem, gegen die Verfassung, geschlossen worden. Denn es ist nirgends gesagt worden: ist abgelöst worden, sondern ist immer gesagt worden, ist festgeschrieben. Und solche Gesetze, die die Konkordate jeweils in Landesrecht übergeleitet haben, sind schlicht und ergreifend mit dem Grundgesetz nicht vereinbar."

Von der Weimarer in die Bonner Republik

Das Bonner Grundgesetz hatte die Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Darunter Artikel 137, dessen erster Satz lautet: Es besteht keine Staatskirche.
Auch die Forderung nach einer Ablösung der Staatsleistungen ist Bestandteil des Grundgesetzes geworden. Aber die Kirchen haben wieder so reagiert wie in der Weimarer Republik: Sie haben neuerliche Verträge mit den Bundesländern geschlossen, mit neuerlichen Vereinbarungen über Staatsleistungen. Dasselbe wiederholte sich nach der Wiedervereinigung, da es in der DDR keine Staatskirchenverträge gab. Dort hatte der Staat nur unregelmäßig die Kirchen subventioniert.
"Die Verträge sind ja Anfang, Mitte der 90er-Jahre geschlossen worden", erklärt Haupt, "damals war die Sachkunde in den ostdeutschen Bürokratien gerade in diesem Bereich noch nicht so sehr weit entwickelt, während umgekehrt die Berater auf Seiten der Kirchen rege tätig waren. Die haben sie einfach überfahren, die Parlamente: Die Parlamente haben‘s nicht gewusst, die Bürokratien im Osten waren überfordert – und die Kirchen waren gut vorbereitet."

Ein Überrest des Staatskirchentums

Der Historiker Andreas Holzem urteilt nüchtern: "Die Staatsleistungen an die Kirchen, die sind im Grund so etwas wie ein Überbleibsel, ein finanzielles Überbleibsel des Staatskirchentums, so würde ich es eigentlich formulieren."
Die Staatsleistungen stammen aus der Zeit vor der Trennung von Staat und Kirche. Sie stehen den Kirchen zur freien Verfügung und tragen zur Finanzierung des kirchlichen Kerngeschäftes bei. Im Jahr 2020 summieren sie sich auf knapp 570 Millionen Euro bundesweit. Die Staatsleistungen sind keine staatliche Refinanzierung, die an die Erfüllung bestimmter Leistungen etwa in der Sozial- oder Bildungsarbeit gebunden sind.
Hans Michael Heinig sagt: "Das Ablösegebot ist Teil des Weimarer und des Bonner Verfassungskompromisses. Es ist Ausdruck gerade des Trennungsmodells des Grundgesetzes, nämlich zu sagen: Staat und Kirche haben unterschiedliche Sphären, haben unterschiedliche Aufgaben, sind unterschiedliche Institutionen – zugleich ist aber das Trennungsgebot nicht selber mit einer atheistischen Weltanschauung versehen."
Aber der Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig weiß auch, dass der Artikel 138 der Weimarer Verfassung lange nicht als Aufforderung zur Ablösung gelesen wurde, sondern als Bestandsgarantie der Staatsleistungen: "Die Wahrnehmung dieses Verfassungsauftrags hat eine eigene, interessante Geschichte, das würde ich auch sagen: In der Weimarer Republik gab es erste Versuche, dem gerecht zu werden – es gab immerhin einen Referentenentwurf zu einem Ablösegrundsätzegesetz des Reiches. Die Weimarer Republik bestand zu kurz und war zu unruhig, um diesem Verfassungsauftrag gerecht zu werden, die Nationalsozialisten haben eine ganz eigene Form von Kirchenpolitik betrieben, und die Bonner Republik hat sich aus verschiedensten Gründen dieses Verfassungsauftrags nicht angenommen: Es galt tatsächlich eine ganze Zeit lang als etwas Kirchenfeindliches, was sehr eigenwillig ist und aus dem Rückblick nur mühsam zu verstehen."

Bundesländer mit wenigen Christen zahlen relativ viel

Die Höhe der Staatsleistungen in den einzelnen Bundesländern variiert erheblich. Baden-Württemberg greift mit mehr als 130 Millionen Euro pro Jahr am tiefsten in die Landeskasse, Bremen und Hamburg zahlen gar keine Staatsleistungen.
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die Staatsleistungen auf die Einwohnerzahl umlegt. Dann führt auf einmal Sachsen-Anhalt die Liste an: Das Land, das nur einen Christenanteil von gut 15 Prozent an der Gesamtbevölkerung hat, zahlt gut 16 Euro pro Einwohner. In Nordrhein-Westfalen hingegen, wo immerhin noch über 60 Prozent zu einer der beiden großen Kirchen gehören, ist es nur gut 1 Euro.
Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man die Staatsleistungen nicht auf die Einwohner, sondern auf die Kirchenmitglieder umlegt: Dann sind alle fünf östlichen Bundesländer an der Spitze des Ländervergleichs, angeführt von Sachsen-Anhalt, das 108 Euro pro Kirchenmitglied im Jahr zahlt.
"Gemessen an der Zahl der Gläubigen sind die staatskirchenrechtlichen Regelungen teilweise sehr komfortabel", gibt der Leiter des kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Hans Michael Heinig zu. Aber die Zahlungen der Staatsleistungen bezögen sich nun mal auf alte Rechtstitel und nicht auf die aktuelle Mitgliederzahl.
Heinig kennt allerdings selbst ein Gegenargument: "Da hat mich eine Brandenburger Politikerin, Klara Geywitz nämlich, vor langer Zeit mal, als sie noch Vorsitzende des Haushaltsausschusses war, gefragt; sehr kluge Frage: Also, wenn der preußische König noch Herr der Kirche wäre und er hätte früher 3 Millionen Landeskinder in der Kirche gehabt und zukünftig deutlich weniger und auch die Zahl der Landesbewohner insgesamt würde radikal zurückgehen, hätte das nicht irgendwie auch Folgen auf die Leistung, die er seiner Kirche gebracht hätte? Und die Antwort kann natürlich nur heißen: Ja, natürlich."

Für die Kirchen unterschiedlich wichtig

Weil aber die Vereinbarung der Staatsleistungen in den meisten Staatskirchenverträgen die Mitgliederzahl nicht berücksichtigt, zahlen nicht nur die Bundesländer unterschiedlich viel. Auch die Kirchen sind unterschiedlich stark abhängig von den Staatsleistungen. In Nordrhein-Westfalen machen die Staatsleistungen bei allen katholischen Bistümern weniger als ein Prozent der gesamten Einnahmen aus. Bei den evangelischen Landeskirchen im Bundesland liegen sie zwischen ein und zwei Prozent der Einnahmen. Entsprechend ist man hier auch bereit, über eine Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln.
Burkhard Kämper, Justiziar und stellvertretender Leiter des Katholischen Büros in Nordrhein-Westfalen, der Vertretung der katholischen Kirche bei der Landesregierung, erklärt: "Die fünf Bistümer und Erzbistümer sind auch aufgrund der relativ geringen Relevanz, die speziell in Nordrhein-Westfalen die Staatsleistungen für die Bistumshaushalte haben, aber nicht nur deswegen, schon seit längerer Zeit unbedingt der Auffassung, dass die Staatsleistungen abgelöst werden sollen, weil wir schon längere Zeit für uns das Gefühl haben, dass das negative Image in der Öffentlichkeit, gegen das wir uns bei kritischen Anfragen zur Wehr setzen müssen, bei weitem den Ertrag, den wir haben, überwiegt."
Anders sieht das in den östlichen Bundesländern aus: Die Kirchen, die ausschließlich oder zu einem großen Teil auf dem Gebiet von Sachsen-Anhalt liegen, also die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, die Evangelische Landeskirche Anhalts und das katholische Bistum Magdeburg, beziehen rund 20 Prozent ihrer Gesamteinnahmen aus Staatsleistungen. Bei den anderen Kirchen in den neuen Bundesländern sind es zwischen knapp zwei und gut zehn Prozent der Einnahmen. Entsprechend lautet dort die Position zu den staatlichen Zuschüssen. So erklärt Stefan Rether, der Leiter des Katholischen Büros in Magdeburg:
"Wenn aus dem Raum der Politik die Wünsche wach werden, noch einmal über die Staatsleistungen in der Art und Weise, wie sie jetzt gelten, zu reden, die abzulösen, dann muss ich sagen, dass das Bistum Magdeburg als Zahlungsbegünstigter dieser Dotationen eigentlich kein Interesse hat, von diesem aus unserer Sicht völlig berechtigten Anspruch irgendwie Abstand zu nehmen. Also unsere Position lässt sich in einer gewissen Ruppigkeit auch durchaus zusammenfassen in dem altbewährten Grundsatz: pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten."

Die Plausibilität der Staatsleistungen

Rethers evangelischer Kollege, Albrecht Steinhäuser, Beauftragter der evangelischen Kirchen bei der Landesregierung, kann den Unmut über die Staatsleistungen verstehen: "In Sachsen-Anhalt haben wir eine Kirchlichkeit von unter 20 Prozent. Das heißt, die überwiegende Anzahl der Menschen dürften wenig Verständnis dafür haben, dass der Staat Jahr für Jahr den Kirchen erhebliche Beträge zahlt. Dass das historische Ursachen hat, das Wissen darum wird auch immer geringer. Also die Plausibilität für die Staatsleistungen wird eigentlich von Jahr zu Jahr geringer."
Doch es sind nicht nur die Kirchenfernen, die die Zahlungen mittlerweile in Frage stellen. "Die Frage ist ja immer, was ist meine Ratgeberin", sagt Christiane Thiel. "Also die Angst, die Einnahmen gehen zurück und wenn wir dann noch die Staatsleistungen verlieren, haben wir noch weniger Geld. Also ich versteh das – und bin auch in meinem Herzen froh, dass ich es nicht entscheiden muss, dass ich nur ne Meinung dazu haben darf."
Eine Frau im Halbprofil und mit kurzen Haaren liest in einem Buch.
Die Hallenser Studierendenpfarrerin Christiane Thiel.© privat
Thiel, Studierendenpfarrerin in Halle an der Saale, ist in einem christlichen Haushalt in der der DDR groß geworden und hat eine dezidierte Meinung zu den Staatsleistungen: Sie schadeten den Kirchen mehr als dass sie helfen würden, gerade in Ostdeutschland: "Wir lassen uns diese Kraft der Träume völlig nehmen durch diese abrechenbaren Fakten. Und wie wir uns da auch verkaufen! Ich meine, wir haben hier im Osten so viel Präsenz seit 1989, die in keinem Verhältnis zu unserer Mitgliederzahl steht, und es macht uns unglaubwürdig bei unseren Leuten seit 1990, wie wir mitschwimmen können ganz oben."

Vorbild könnten die Regelungen bei Baulasten sein

Der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen ist nun schon über hundert Jahre alt, ohne dass er erfüllt wurde. Dabei hat es bereits erfolgreiche Ablösungen gegeben, die als Vorbild dienen können; nämlich bei Baulasten, einer bestimmten Form von Staatsleistungen.
Wenn der Staat für den Unterhalt von Kirchgebäuden zahlt, spricht man von staatlichen Kirchenbaulasten: Dies kann der Fall sein, weil ein Bundesland oder eine Kommune Eigentümer von Kirchen oder Pfarrhäusern sind, die die Kirchen nutzen können, bei denen aber die Eigentümer für den Unterhalt aufkommen müssen. Oder: Land oder Kommune sind nicht Eigentümer, aber aufgrund alter Rechtstitel zum Unterhalt der Gebäude verpflichtet.
Die Baulastverpflichtungen der Kommunen sind dabei sehr vielfältig, so Hans Michael Heinig vom Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland: "Für Hessen hab ich das mal im Detail verfolgt, dass da doch sehr skrupulös Gemeinde für Gemeinde nachgewiesen wurde, wo welche Leistungspflicht besteht."
Volker Knöppel, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, erklärt: "Wir haben während der ganzen Zeit vor der Trennung von Staat und Kirche, also vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein, eine Identität vor Ort, da wird zwischen kirchlichen und kommunalen Belangen nicht entschieden: Wenn in einer Gemeinde am Rathaus ein Bauschaden entstanden ist oder an der Stadtmauer oder an der Kirche, dann hat das Gemeinwesen sich in der Pflicht gesehen, diese Gebäudeteile wieder instand zu setzen."

Kirchen und Kommunen streiten um Baulasten

Solche Verpflichtungen erkannten die Kommunen auch noch lange nach 1919 an, sagt Knöppel. Doch in den vergangenen 30 Jahren wurden diese Baulasten zum Streitpunkt: "Wir konnten zu Anfang der 90er-Jahre feststellen, dass die Baulasten in der Kirche und auch im Bistum noch erfüllt worden sind, weil in den 70er- und 80er-Jahren Musterprozesse geführt worden sind, auf die man sich berufen konnte", so Knöppel. "Diese Situation kippte allerdings im Laufe der 90er-Jahre – das hat auch was mit der Finanzknappheit bei den Kommunen zu tun. Und wir stellten doch immer wieder fest: Wenn wir ein obsiegendes Urteil beim Verwaltungsgericht erreicht hatten, konnte es sein, dass schon der Nachbarbürgermeister sich durch dieses Urteil überhaupt nicht beeindrucken ließ und dann seinerzeit die örtliche Baulast neu in Frage stellte."
Ein bebrillter Mann im grauen Anzug spricht in ein Mikrofon.
Volker Knöppel, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, hat dort ein Rahmenabkommen zur Ablösung der Baulastverpflichtungen ausgehandelt.© Christian Schauderna/medio.tv
Deswegen hat der evangelische Kirchenmann Knöppel zusammen mit einem Kollegen beim Bistum Fulda die Initiative ergriffen. Sie haben mit dem Land Hessen, den anderen Kirchen und den kommunalen Spitzenverbänden ein Rahmenabkommen ausgehandelt zur Ablösung der alten Baulastverpflichtungen. Ende 2003 war es unterschriftsreif.
Zwar hat man für jede Kommune aufgelistet, wie hoch der Wert der Baulastverpflichtung sei, aber so skrupulös, wie der Jurist Hans Michael Heinig es andeutet, ging es vielleicht doch nicht zu: "Wir haben ja bei der Ablösung der gemeindlichen Baulast so was wie ein Massengeschäft betrieben, das sind ja hunderte Fälle gewesen", sagt Knöppel. "Wenn wir jeden Fall einzeln gutachterlich beurteilen lassen müssen, in welchem Umfang die Baulast besteht, dann wär das ein sehr aufwändiges Verfahren gewesen, was man zeitnah gar nicht hätte zum Abschluss bringen können."

Gesamtfinanzierung statt Einzelfälle

Eberhard Fennel war 36 Jahre lang Bürgermeister der Kleinstadt Hünfeld, die 16 Kilometer nördlich von Fulda liegt und überwiegend katholisch geprägt ist. "Wir haben in einem Fall in Rudolphshan nie eine Baulast an der Kirche anerkannt, haben wir auch nie was für gezahlt", erzählt er. "Das Generalvikariat hat sie dann in die Liste der baulastpflichtigen Kirchen aufgenommen. Ich war sicher, wir haben keine Baulast gehabt. Aber für diese gute Finanzierung galt es auch der Kirchengemeinde nochmal was Gutes zu tun; das heißt, wir haben sie dann akzeptiert, die Baulast, weil sie uns praktisch kaum noch was gekostet hat in der Ablöse."
Jede Kirche habe ja eine eigene Geschichte, die er über die Jahrzehnte auch begleitet habe: "Und von daher gesehen: Bei manchen haben wir sicherlich zu viel gezahlt, und bei anderen war‘s angemessen und bei anderen vielleicht auch weniger als rausgekommen wäre. Aber das war nicht entscheidend, weil die Gesamtfinanzierung so günstig war, da hat man nicht nach den letzten Beträgen gefragt."
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Eberhard Fennel, ehemaliger Bürgermeister von Hünfeld, ist mit der Ablösung der Baulastverpflichtungen zufrieden.© Helmut Käsmann/Archiv der Stadt Hünfeld
Die Kirchen haben ihre Ansprüche also wohl großzügig berechnet für eine Ablösung. Dann haben sie aber auf 50 Prozent der Ansprüche verzichtet. Von den verbliebenen 50 Prozent mussten die Kommunen nur wiederum die Hälfte zahlen, die andere Hälfte war ein Zuschuss vom Land beziehungsweise aus dem kommunalen Finanzausgleich. Ein attraktives Angebot für kleine und mittelgroße Städte wie Hünfeld, die zudem noch die Ablösesumme über zehn Jahre strecken konnten.

Renovierung ohne kommunale Gelder

Ein Geschäft, das auch für die Kirchgemeinden verkraftbar war, wie Bernd Ebert erklärt. Er ist Kurator der katholischen Pfarrei Sankt Jakobus in Hünfeld, also ehrenamtlicher Verwaltungsleiter.
In der alten Stadtpfarrkirche Sankt Jakobus erzählt er von der letzten Renovierung – ohne die Unterstützung der Kommune: "Wir hatten es jetzt nur mit einem Geldgeber zu tun, dem Bistum, um die Sache zu finanzieren. Es war ein Projekt von 1,1 Millionen: Das Bistum hat jetzt einen Fonds, ein Sondervermögen gebildet mit den Geldern von den Kommunen und vom Land, aus dem jetzt Dinge bezuschusst werden. Es waren an die 50 Prozent, die das Bistum für die Baumaßnahme bezahlt hat. Wir hatten noch einen anderen Pott, das war die Denkmalpflege, an die wir Anträge gestellt haben von 155.000 Euro. Und der Rest, runde 400.000 Euro war Eigenanteil der Kirchengemeinde. Das mussten wir dann stemmen."
Aber das sei auch gut möglich gewesen, so Bernd Ebert: "Die Spendenfreudigkeit haben wir da etwas kitzeln und beleben können."
Aufseiten der Kirchen wie der hessischen Kommunen ist man über den Rechtsfrieden froh, den der Ablösevertrag gebracht hat: Jetzt muss man sich nicht mehr um die Zahlungen streiten.
Ex-Bürgermeister Fennel hat da schlechte Erinnerungen: "Es war natürlich sehr unangenehm, denn die im Rathaus waren ja auch – ich sag manchmal spaßhaft – Berufskatholiken, stark engagierte Katholiken, und wir mussten dann immer Abwehrhaltung einnehmen und mussten uns bös Blut machen. Wir standen oft als die Bösen da gegenüber den Kirchengemeinden. Das haben nicht alle verstanden unter den Kirchenvorständen, dass man nicht zu allem Ja und Amen sagen kann, sondern dass man da ein bisschen auf die Bremse treten muss."

Ohne gute Regelung geht es vor Gericht

Ablösung ist machbar, könnte man sagen. Aber die Kirchen erwarten eine gute finanzielle Regelung. Wo die nicht gegeben ist, ziehen sie doch vor Gericht: Das ist im Nachbarbundesland der Fall, in Thüringen.
Rolf Janson steht in der evangelischen St. Nikolauskirche in Hochheim bei Gotha: "So, jetzt befinden wir uns in der Winterkirche. Die Winterkirche ist eigentlich das Objekt der Begierde. Wegen dieser Sanierung 'Schwammbefall Winterkirche' wurde dieser Kirchenstreit veranlasst. Es geht hier eigentlich um eine geringe Bausumme von 4.500 Euro. Die Wände mussten geputzt werden, mussten fachmännisch saniert werden, weil Salpeterbefall war, der Schwammbefall. Alles wurde entfernt, der Fußboden wurde entfernt, es wurde ein neuer eingebaut, und in der Winterkirche gibt es Elektroheizung."
Ein Mann stützt sich auf ein Taufbecken, dahinter ein farbiges Kirchenfenster.
Rolf Janson, ehemals Bürgermeister von Hochheim, hat sich immer um Gelder für die Dorfkirche bemüht.© privat
Der 59-Jährige zeigt auf den kleinen abgetrennten Raum unter der Empore, in dem bis zu 20 Personen Platz haben. "Wir wollen hoffen, dass dieser Kirchenstreit irgendwann eigentlich das Ziel bringt, was gewünscht ist: 50:50. Politische Gemeinde, Kirche – jeder trägt seine Kosten. Diese Winterkirche in Hochheim soll zu diesem Gelingen beitragen."
Janson war 15 Jahre Bürgermeister in Hochheim, und obwohl er nicht besonders gläubig ist, zeigt er "seine Kirche" doch mit Stolz. Vor allem das Schmuckstück, das sechs Meter hohe Meister-Eckhart-Fenster im Chorraum, das in intensiven blauen und roten Farben Szenen aus dem Leben des Mystikers zeigt.
Das Geld dafür hat Janson bei Unternehmen in der Umgebung eingetrieben, wie für so vieles andere an und in der Kirche. "Kirchturm, Turmhaube, wurde neu gemacht, es wurde die Giebelseite neu gemacht vom Chorraum, so viele Kleinigkeiten, wo eigentlich immer nur Spendengelder geflossen sind, weil die politische Gemeinde durfte ja nicht in das fremde Haus investieren, das ist ja das Problem", erklärt Janson. "Aber trotzdem war es auch möglich, immer mal paar Gelder locker zu machen und die in die Erhaltung unserer Kirche zu stecken."
Ein weißes Krichengebäude aus der Frosch-Perspektive.
Die Nikolauskirche in Hochheim.© privat

Kommunen wollen Klarheit

Pünktlich um zwölf Uhr ist auch Eva-Marie Schuchardt zur St. Nikolauskirche gekommen. Schuchardt ist Bürgermeisterin der Gemeinde Nessetal, zu der Hochheim seit Januar 2019 gehört. Auch ihr liegt am Erhalt der Dorfkirchen in der Region, aber den Kommunen seien die Hände gebunden, sagt sie: "Das ist vorm Gesetz im Moment so, als würden wir zum Beispiel einen Verein unterstützen. Und das ist schon was anderes, wenn man ne Kirche unterstützt. Und dafür wollen wir einfach eine klare Aussage haben, wie wir uns da positionieren sollen."
Um diese Aussage zu bekommen, unterstützen Schuchardt und Janson die Klage, die die EKM, die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, gegen die Gemeinde Hochheim wegen verweigerter Baulastzahlung eingereicht hat. Natürlich hätten Kirche wie Gemeinde die 4.500 € für die Sanierung aufbringen können – aber in diesem Fall gehe es ums Prinzip, das heißt um die Frage, wer für den Erhalt von Kirchengebäuden zahlen müsse.
Im Jahr 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Kirchengemeinden in Ostdeutschland keine Ansprüche gegenüber den Kommunen geltend machen könnten, weil die Kommunen keine Rechtsnachfolgerinnen der Kommunen aus der Zeit vor der DDR seien, die irgendwann ja mal Baulastverpflichtungen übernommen hätten, so das Gericht.
Doch dieses Urteil ist nicht im Sinne der Kirchen. So durchläuft die EKM nun mit dem Fall der Hochheimer St. Nikolauskirche den Instanzenweg noch einmal. "Allein für unsere Landeskirche geht es ja um Ansprüche, je nachdem wie man es rechnet, die in einem Bereich zwischen 120 und 150 Millionen Euro liegen", sagt Stefan Große. "Und da lohnt sich, glaube ich, der Schweiß der Edlen, es zumindest noch mal zu probieren."
Als Finanzdezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hat Stefan Große ein starkes Interesse am Geld – vor allem weil seine Kirche, wie er sagt, "steinreich" sei: "Die EKM ist deshalb steinreich, weil 20 Prozent aller Kirchengebäude, die es in Deutschland gibt, sich auf dem Kirchengebiet der EKM befinden. Wir haben aber lediglich drei Prozent der Gemeindeglieder, und da liegt es auf der Hand, dass die drei Prozent der Gemeindeglieder nicht in der Lage sind, 20 Prozent der Kirchen Deutschlands alleine zu unterhalten. Dieses 'steinreich' ist einerseits wunderbar, aber es ist natürlich auch eine Last. Mehr muss ich, glaube ich, dazu nicht sagen."

Das Bundesverfassungsgericht könnte entscheiden

Die Hoffnung von Große ist, dass sich am Ende des Klageweges das Bundesverfassungsgericht mit der Sache beschäftigen und die Ansprüche der Kirche bestätigen wird: "Ich hab das Gefühl, dass bei der Abfassung des Einigungsvertrages in der Kürze der Zeit einfach diese Ansprüche unter den Tisch gefallen sind", sagt der Finanzdezernent. "Da hat keiner dran gedacht, also ist eine Regelungslücke da, und vielleicht traut sich jemand, diese noch mal zu füllen, und sei es durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts."
Sollte sich die Kirche durchsetzen, so hofft er, könne man in Verhandlungen mit der Politik treten – wie in Hessen. "Die haben auch in Hessen nicht 100 Prozent ihrer Ursprungsforderung erlösen können", weiß Große, "aber man hat sich aufeinander zubewegt und ist zu einer vernünftigen Lösung gekommen, wo beide Seiten sagen konnten: Super, damit können wir gut leben. So was könnte ich mir auch hierfür vorstellen. Und was die Akzeptanz betrifft, dieses 'die Kirche muss im Dorf bleiben' zeigt ja schon, wie die Meinung zum konkreten Bauwerk ist. Da haben alle Bewohner, und nicht nur die Gemeindemitglieder im Ort ein Interesse daran, dass die Kirche als ortsbildprägendes Bauwerk Bestand hat."

Eine neue Initiative zur Ablösung

Berlin, Mitte März 2020. Während die Coronakrise Schritt für Schritt das öffentliche Leben in Deutschland lahm legt, wendet sich in der Bundespressekonferenz Stefan Ruppert an rund ein Dutzend Journalisten. "Ja, herzlich willkommen, vielen Dank für die Einladung! Anlässlich von 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung haben wir uns erneut die Frage gestellt, warum der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen nach wie vor nicht erfüllt ist."
Gemeinsam mit seinen Kollegen von Grünen und Linken hat der damalige religionspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion über ein Jahr lang vertrauliche Gespräche mit Experten und Vertretern der Kirche geführt. Nun wird das Ergebnis vorgestellt: Der Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen. Dieser Gesetzentwurf "will die vor 1919 angefallenen Staatsleistungen ablösen und zwar orientiert er sich an dem Äquivalenzprinzip", erklärt Ruppert. "Wir haben den in der Literatur regelmäßig auftauchenden Satz des 18,6-Fachen bei der Zahlung vorgesehen."
Vier Menschen mit Namensschildern hinter einem breiten Konferenztisch. Darüber die Aufschrift: "Bundespressekonferenz".
Stefan Ruppert und seine Kollegen von Grünen und Linken stellen ihren Entwurf für ein Grundsätzegesetz vor.© Viktoria Venus
Da nirgends die Ablösemodalitäten für Staatsleistungen rechtlich geregelt sind, hilft man sich mit einer Analogie: Das Bewertungsgesetz regelt die steuerliche Bewertung von Vermögen; danach sollen immerwährende Leistungen mit dem 18,6-fachen Jahreswert berechnet werden. Der Entwurf für ein Grundsätzegesetz soll die Bundesländer verpflichten, innerhalb von fünf Jahren Ablösegesetze zu erlassen. Die Ablösesumme kann in Raten abbezahlt werden; nach höchstens 20 Jahren muss die Ablösung abgeschlossen sein – und mit ihr dann auch die Zahlung der Staatsleistungen.

Wer schneller zahlt, soll weniger zahlen

Wie teuer es für das jeweilige Land wird, hängt auch davon ab, wie schnell die Ablösesumme bezahlt wird. Denn im Gesetzentwurf heißt es nur, die Staatsleistungen seien bis zur vollständigen Ablösung weiter zu zahlen. Wer die Gesamtsumme der 18,6-fachen Staatsleistungen schnell abbezahlt, muss danach auch keine Staatsleistungen mehr zahlen; wer dafür 20 Jahre braucht, zahlt deutlich mehr.
Die Zahlungsmodalitäten müssten noch geklärt werden, räumt der religionspolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, ein: "Das liegt vollkommen in der Hand der Verhandlungspartner auf Landesebene. Und das ist auch wichtig: Das entscheidet nicht ein Land, sondern das muss kooperativ ausgehandelt werden zwischen den Kirchen und den Ländern und die müssen zueinander finden. Damit ein Vertragsschluss zustande kommt, braucht es zwei Seiten."
Wieso zwei Seiten? Die Landesparlamente sollen doch Gesetze erlassen, warum muss da mit den Kirchen verhandelt werden?

Die Kirchen dürfen mitreden

Die Antwort liegt unter anderem im Reichskonkordat von 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan, das immer noch in Geltung ist; dort heißt es in Artikel 18:
"Falls die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholische Kirche abgelöst werden sollten, wird vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden."
Diese vertragliche Absicherung der Mitsprache beruhigt Katharina Jestedt. Sie war bis Ende Mai stellvertretende Leiterin des katholischen Büros in Berlin, der Vertretung der katholischen Kirche bei der Bundespolitik: "Die wissen, dass das Einvernehmen herzustellen ist. Bis zum Ende eines Gesetzgebungsverfahrens ist das herzustellen, das heißt, man hätte noch viel Zeit. Also, das ist sicher noch nachzuholen und nach unseren Erfahrungen, die wir mit Ablösungen in Bundesländern gemacht haben, in denen auch zum Teil das Einvernehmen nach dem Konkordat herzustellen war, ist es dort nie gescheitert an dem Einvernehmen des Heiligen Stuhls."
Auch Landesverfassungen oder Staatskirchenverträge auf Landesebene sehen ein Einvernehmen mit den Kirchen vor der Ablösung der Staatsleistungen vor. Doch die Kirchen sind bei der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits berücksichtigt worden und von daher nicht unzufrieden:
"Für uns ist entscheidend, dass in dem Gesetzentwurf das Äquivalenzprinzip festgehalten ist," erklärt der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland, Martin Dutzmann.
Unter Äquivalenz, also Wertgleichheit, versteht Dutzmann, dass die Kirchen keinen Einnahme-Ausfall durch die Ablösung erleiden: "Auch wenn wir die Jahre über Staatsleistungen erhalten haben, so geht es doch jetzt darum, das Kapital, das uns vor 200 Jahren entzogen worden ist, wieder so zusammen zu sammeln und aufzustocken, dass wir aus den Erträgen wiederum Arbeit finanzieren können. Und diese Erträge müssen ungefähr so hoch sein wie die Staatsleistungen, die jetzt gezahlt werden."

Einheitliche oder regionale Regelung?

Anders als bei der Ablösung der hessischen Baulasten, als die Kirchen auf die Hälfte ihrer Ansprüche verzichteten, will Dutzmann einen vollständigen Ersatz für die Staatsleistungen. Wie viel das konkret ist, soll nach seiner Meinung in jedem Bundesland ermittelt und nicht durch einen festen Faktor 18,6 vorgegeben werden. Dieser Faktor geht von einer Verzinsung von 5,5 Prozent für die Einmalzahlung aus; es ist aber fraglich, ob dieser Zinssatz in den nächsten 20 Jahren erzielt werden kann.
Doch FDP-Mann Ruppert macht klar, dass mit dem Faktor bewusst eine Obergrenze eingezogen wurde: "Wir haben jetzt einen Aufschlag gemacht, ich finde, der ist fair. Er berücksichtigt beide Interessen angemessen, er bietet auch den Ländern ausreichend Spielraum, und insofern ist es halt ein guter Kompromiss. Und ein guter Kompromiss berücksichtigt eben nicht nur kirchliche, sondern Länder- und auch staatliche Interessen."
Portrait eines lächelnden, bebrillten Mannes mit Anzug und Krawatte.
Martin Dutzmann, der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland, plädiert für ein Äquivalenzprinzip bei der Ablösung.© Andreas Schoelzel
Martin Dutzmann von der EKD sagt: "Die Länder müssen am Ende natürlich gucken, die werden hohe Beträge zahlen müssen. Das ist ja der Grund, weshalb es bisher zu einer Ablösung der Staatsleistungen nicht gekommen ist. Das war ja nicht so, dass wir uns dem versperrt hätten, sondern wir haben immer gesagt, wir sind für eine faire Lösung offen. Klar war aber auf allen Seiten: Eine faire Lösung kostet viel Geld, weil da am Ende Rechtsansprüche dahinter stehen, auf die wir auch nicht leichtfertig verzichten wollen und dürfen."

Die Übergangslösung dauert seit über 100 Jahren

Aber haben die Kirchen tatsächlich einen Rechtsanspruch auf vollen Wertersatz für wann auch immer enteignete Güter?
Im Reichsdeputationshauptschluss ist davon nicht die Rede. Auch nicht in der Weimarer Reichsverfassung, wie Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union betont: "Die Kirchen haben ja gut verhandelt mit den Staatskirchenverträgen, das will ich gerne zugeben und kann verstehen, dass sie darauf beharren und sagen: Gut, das muss abgelöst werden. Bloß das ist nicht das, was sich die Verfassungsmütter und -väter von 1918 gedacht haben. Die haben doch gedacht: Wir müssen einen Übergang schaffen von der Staatsfinanzierung der Kirchen zur Trennung von Staat und Kirche. Und damit ein Übergang gewährleistet wird und die Kirchen diesen Übergang auch schaffen, müssen wir jetzt ein paar Jahre lang die bisherigen Leistungen weiter zahlen. Da habe ich Verständnis für. Aber das ist doch nun 101 Jahre her. Da kann man doch nicht immer noch sagen: Ja, jetzt müssen wir entschädigt werden für das, was uns vor inzwischen über 217 Jahren weggenommen worden ist."
Mit dem Äquivalenzprinzip im Gesetzentwurf, also der wertgleichen Entschädigung, seien die drei Oppositionsparteien den Kirchen schon weiter als notwendig entgegengekommen, sagt Haupt: "Wir sollten uns nicht am Gesetzestext, sondern am Verfassungstext orientieren: Da steht nichts von Wertäquivalenz drin. Auch im Reichskonkordat von 1933, was ja alles andere als kirchenfeindlich ist in diesem Punkt, steht auch nichts von Wertäquivalenz drin, sondern nur was von angemessenem Ausgleich. Das ist was ganz anderes als eine wertgleiche Entschädigung."
"Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren." (Reichskonkordat von 1933)
Ob und wenn ja zu welchem Ablösegesetz es kommen wird, ist offen: FDP, Linke und Grüne haben zwar mit den Kirchen Kontakt aufgenommen, aber die Regierungskoalition konnte für den Gesetzentwurf nicht mit ins Boot geholt werden. Die AfD hat Anfang Juni einen eigenen Entwurf vorgelegt, in dem die ersatzlose Streichung der Staatsleistungen bis Ende 2026 gefordert wird.

Verlust an Glaubwürdigkeit für die Kirchen

Wulf Gallert, der religionspolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Landtag in Magdeburg, ist froh, dass es nun immerhin diese Drei-Parteien-Initiative gibt, die es den Ländern ermöglichen könnte, rechtssicher über Ablösungen zu verhandeln.
Auch wenn er die Staatsleistungen ablösen will, ist er kein Kirchenfeind: "Es ist schon so, auch in Sachsen-Anhalt, im Osten insgesamt, haben die Kirchen eine moralische Funktion in dieser Gesellschaft weit über ihre Mitgliedschaft hinaus. Auch sozusagen ein moralisches Kapital, was aus der Wendezeit mit übernommen wird. Und die zentrale Frage, die sich natürlich alle stellen müssen, ist: Wie stark legitimiert oder delegitimiert sich eine solche Kirche, wenn sie sich hinstellt und sagt: Also die Gründe können wir selber nicht mehr so richtig erklären, aber wir brauchen das Geld, und Steuerzahler gib es uns!"
Auch die Hallenser Studierendenpfarrerin Christiane Thiel sieht die Frage nach Staatsleistungen nicht als rechtliches Problem, sondern als Frage an die Glaubwürdigkeit der Kirchen: "Der Altar gehört auf die Straße, zu den Arbeitslosen und ich würde heute sagen, angesichts der Globalisierung: Die Kirche gehört auf die Seite der Armen, vor allem des globalen Südens. Und wir müssen uns um den Klimawandel kümmern usw. Wenn wir immer weiter Besitzstandswahrung betreiben, werden wir diese Erde zugrunde richten, davon bin ich überzeugt. Also so viel prophetisches Denken und Verstehen habe ich. Und deswegen sind mir diese Bezüge, ich höre das ja auch immer: ja, das sind alte Rechtstitel – um Gottes willen, was bedeutet denn das?"

Das Geld kann auch gegen Armut helfen

EKD-Vertreter Martin Dutzmann sieht das anders: "Wie ist das mit der armen Kirche? Das ist in der Tat eine Grundsatzfrage. Nur: Eine arme Kirche kann natürlich Armen nur noch schwerlich helfen. Das heißt, die Mittel, die wir haben, setzen wir ja ein, unter anderem zur Armutsbekämpfung, für die Diakonie, aber auch für kulturelle Zwecke, und insofern kann man das natürlich auch ganz anders wollen, aber das wäre dann ein Systemwechsel."
Katharina Jestedt vom Katholischen Büro betont dagegen die Chancen für die Kirchen, wenn über die Ablösung der Staatsleistungen verhandelt wird: "In den letzten Jahren haben wir mit Glaubwürdigkeitskrisen massiven Ausmaßes zu tun gehabt. Das eine war der sexuelle Missbrauch in unserer Kirche, und das andere waren die finanziellen Geschichten. Und insofern kann man sicher in beiden Kirchen eine gewisse Dynamik auch in dieser Frage erkennen mittlerweile, dass wir eben aufgeschlossener sind auch dem Gespräch gegenüber und durchaus eben einen solchen Gesetzentwurf, wie er vorliegt, auch dankbar als Diskussionsgrundlage entgegennehmen und sagen: Auf dieser Basis können wir doch mal ins Gespräch kommen."

Zeit für offene Diskussionen

Gespräche, die endlich auch einmal öffentlich geführt werden müssten, findet Johann-Albrecht Haupt: "Was mich wundert: Diese drei Fraktionen, die das Gesetz vorgelegt haben, haben ja offenbar Kontakte mit den Kirchen gehabt, dass darüber in dieser Vorbereitungsphase nichts in die Öffentlichkeit gelangt ist. Das waren wirklich Geheimgespräche, das kann man guten Gewissens sagen. Und jetzt muss eine Phase der öffentlichen Diskussion sich anschließen, die hat ja noch nicht stattgefunden. Vielleicht fängt sie jetzt gerade an, aber sie hat jedenfalls noch nicht stattgefunden."
Zwar sind die Staatsleistungen immer mal wieder ein Aufregerthema, aber eine weiterführende öffentliche Diskussion, unter welchen Bedingungen man sie ablösen kann, hat es bisher nicht gegeben.
Doch nach einem Jahrhundert sehr kirchenfreundlicher Praxis ist es an der Zeit, den Verfassungsauftrag ernst zu nehmen. Zumal sich immer weniger Menschen in Deutschland den Kirchen zugehörig fühlen. Die Trennung von Staat und Kirche ist lange her, nun müssen endlich auch die Güter vollständig getrennt werden – so aufwendig und schmerzhaft das sein mag.
FDP, Grüne und Linke wollen ihren Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen in den nächsten Wochen zur ersten Lesung im Bundestag einbringen. Mit einer Zustimmung seitens der Regierungskoalition rechnet zwar kaum jemand, aber in der Debatte müssten sich alle positionieren, wie sie zum überfälligen Verfassungsauftrag stehen.
Vielleicht setzt damit auch eine gesellschaftliche Debatte zum Thema ein, die coronabedingt bisher ausgefallen ist. Nötig wäre das, denn die Verfassung sieht seit über hundert Jahren nicht nur die Trennung von Staat und Kirche vor, sie fordert auch eine endgültige Trennung ihrer Finanzen.
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