Staatsekretär mahnt realistischen Blick auf Afghanistan an

Christian Schmidt im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Wenige Tage vor dem NATO-Gipfel in Straßburg hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt, einen realistischen Blick auf die Situation in Afghanistan gefordert. Schmidt sagte, der Westen müsse sich von dem Gedanken verabschieden, er könne dort "alles nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit so organisieren, dass wir mal gezeigt haben, was eine Harke ist".
Jörg Degenhardt: Beifall reihum. Selbst aus Kabul kam Lob für Obamas neue Afghanistan-Strategie. Sie sei besser als erwartet, meinte Präsident Karsai. Er lobte vor allem, dass Polizei und Streitkräfte des Landes gestärkt und die zivile Wiederaufbauhilfe erhöht werden sollen. Das scheint auch dringend geboten. Bei neuen Kämpfen und Anschlägen in der Krisenregion starben am Wochenende mehr als 60 Menschen. Soldaten eines Bundeswehrkonvois kamen bei einem Bombenangriff im Norden Afghanistans mit dem Schrecken davon. Berlin hat – und das dürfte der amerikanische Präsident auch so erwartet haben – ein stärkeres Engagement bei besagter Ausbildung von Soldaten und Polizisten in Afghanistan angekündigt. Ein wichtiges Signal vor dem NATO-Gipfel, der am Freitag beginnt. Da wird Obama übrigens erstmals als US-Präsident nach Deutschland kommen. Am Telefon begrüße ich Christian Schmidt. Der CSU-Politiker ist Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Schmidt!

Christian Schmidt: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Die Bundesregierung hat schon in der Vergangenheit einiges getan, um die afghanischen Sicherheitskräfte stark zu machen. Sind Sie denn zufrieden mit dem, was da bisher gelaufen ist, denn stabiler scheint die Lage in Afghanistan ja nicht geworden zu sein?

Schmidt: Also wir sind mit unseren Ausbildungsmaßnahmen eigentlich doch recht zufrieden. Sie sind notwendig, sie sind von der Zahl her noch nicht hinreichend, aber wir haben gerade in unserem Zuständigkeitsbereich im Norden durchaus Erfolge erzielt und Effekte erhalten, die zeigen, dass man mit Ausbildung vernünftig stabilisieren kann.

Degenhardt: Trotzdem hat man den Eindruck, der Prozess hin zu mehr Sicherheit im Lande, der geht zu langsam voran.

Schmidt: Ja, wir müssen da noch zulegen, das ist richtig. Wir haben in der Stabilisierung, in den ersten Jahren insbesondere, zu wenig Aufmerksamkeit auf die Ausbildung und auf die Unterstützung der afghanischen Kräfte selbst gerichtet. Es ist eben nicht so, dass ISAF eine selbstständig agierende Truppe ist, die so quasi nach Besatzungsvorstellungen unterwegs ist, nein, sie ist eine assistierende unterstützende Struktur, die dazu helfen soll, dass Afghanistan selbst in der Lage ist, die Terrorabwehr zu übernehmen und Stabilität im Land zu organisieren.

Degenhardt: Dennoch, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der amerikanische Präsident auch mehr deutsche Soldaten in Afghanistan erwartet? Seine neue Strategie verzichtet ja nicht auf militärische Aufrüstung?

Schmidt: Sie verzichtet nicht auf militärische Ausdehnung, da wo es notwendig ist. Ich sehe nicht, dass das in unserem Zuständigkeitsbereich notwendig ist. Die kurzfristige Erhöhung, beispielsweise jetzt zur Absicherung der Präsidentschaftswahlen, die im August stattfinden werden, die wird ja von uns auch vorgenommen. Und insofern sind auch die Überlegungen, die der neue Sicherheitsberater Jones dieser Tage geäußert hat, der amerikanische Sicherheitsberater, treffen bei uns bereits auf Umsetzung. Wir haben für die nächsten Monate unsere Präsenz da, wo es notwendig ist, erhöht. Wir setzen aber nach wie vor darauf, dass dies eine unterstützende Assistenz ist und dass die wesentliche Arbeit von den Afghanen selbst geleistet werden muss.

Degenhardt: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Sind da überhaupt weitere Soldaten für das Krisengebiet zu vermitteln?

Schmidt: Es liegt an uns, nicht nur an den Verteidigungspolitikern, insgesamt an der politischen Szenerie und auch an der öffentlichen Diskussion deutlich zu machen, dass wir nicht in Afghanistan sind, um sozusagen den Zustand einer westlichen Demokratie im Sozialstaat zu organisieren, das können wir nicht, sondern wir sind da, um zu verhindern, dass aus diesem Land Reperkussionengefahren für die ganze Welt herauskommen, insbesondere auch – und das lassen Sie mich sagen – deswegen, weil Afghanistan allein nicht betrachtet werden kann. Der Nachbar Pakistan, ein leidlich stabiler – wenn man das Wort überhaupt verwenden will – Nachbar, der über Atomwaffen verfügt, das sind mögliche Risiken, die da entstehen könnten, die sehr wohl angeraten sein lassen, dass wir Europäer, Amerikaner, andere Mitglieder der Weltgemeinschaft sagen, wir möchten helfen, dass nicht aus da ein neuer Brandherd für die Welt entsteht.

Degenhardt: Die Einbeziehung Pakistans, das ist ja auch ein neuer Punkt in der Strategie von Obama zur Befriedung Afghanistans, ein weiterer, mehr zivile Hilfe. Das klingt gut, aber geht das, Herr Schmidt, aus Ihrer Sicht mit einer Regierung in Kabul, der selbst der amerikanische Präsident vorwirft, sie tue zu wenig gegen eine ausufernde Korruption? Ist da das Geld, was man dort hintransferiert, nicht schlecht angelegt?

Schmidt: Das Geld ist im Grundsatz gut angelegt. Man muss deutlich Korruptionsbekämpfung und einige andere Fragen noch steigern, aber wir müssen uns auch von dem Gedanken verabschieden, wir könnten da alles nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit so organisieren, dass wir mal gezeigt haben, was ‛ne Harke ist. Das müssen die Leute in Afghanistan selbst wissen. Und die Tradition in Afghanistan war eben nie, dass es einen ganz starken Zentralstaat gegeben hat. Da muss man mit den Regionen, mit den regional Regierenden und den Macht ausübenden Herrschern, mit den gewählten Gouverneuren, aber auch mit den Familien rechnen. …

Degenhardt: Auch mit den gemäßigten Taliban reden?

Schmidt: … zu Beginn viel zu wenig beachtet worden ist. Und da sind wir sehr froh, dass die amerikanische sich jetzt auch auf unsere Vorstellungen, wenn ich das mit Verlaub mal sagen darf, auch sehr hingenähert hat.

Degenhardt: Gehört dazu auch, dass man gemäßigten Talibanen spricht?

Schmidt: Was heißt gemäßigte Taliban? Wenn ich Taliban definiere als Gruppierung von Kämpfern, die Gewalt anwenden, dann kann man mit denen nicht reden. Gewalt kann keine Grundlage von Gesprächen sein, der muss abgeschworen werden, dann kann man reden. Ob es nicht sehr viele gibt, die eben durch das Raster der rechtsstaatlichen Überprüfung durchfallen würden, nach unseren Maßstäben, und mit denen man doch reden muss, weil sie mäßigenden Einfluss ausüben können, das ist eine andere Frage. Deswegen will ich nicht Begrifflichkeiten verwenden, sondern sagen, mit denen, die bereit sind, den Terror zu bekämpfen und einzudämmen, das sind natürlich potenzielle Kooperationspartner.

Degenhardt: Christian Schmidt, der CSU-Politiker, ist Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Vielen Dank für das Gespräch!

Schmidt: Danke, auf Wiederhören!

Das Interview mit Christian Schmidt können Sie mindestens bis zum 30. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio