Staatsbesuch des türkischen Präsidenten

Erdogans Diplomatie-Zug ins Nirgendwo

Der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Testfahrt der U-Bahn von Istanbul
Recep Tayyip Erdogan am Steuerpult: Züge spielen in den deutsch-türkischen Beziehungen eine besondere Rolle, erklärt uns Memet Kilic. © picture alliance / AA / Kayhan Ozer
Ein Kommentar von Memet Kilic · 26.09.2018
Erdogan kommt nach Deutschland: Der Besuch des türkischen Präsidenten ist in vielerlei Hinsicht schwierig, auch weil er als offizieller Staatsbesuch angesetzt wurde. Zuviel des Entgegenkommens, kritisiert der türkeistämmige Anwalt Memet Kiliç.
"Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind", sagte der jetzige Präsident der Türkei Recep Tayyip Erdogan im Jahr 1999. Inzwischen ist er längst von diesem Zug abgesprungen. Er ist angekommen. Und die deutsche Kanzlerin hat ihm dabei geholfen, indem sie ihn vor entscheidenden Wahlen besuchte und zuletzt fürs Pressefoto gar auf goldenen Thronen mit posierte.
Er ist tatsächlich am "Ziel": Die Opposition und kritischen Medien hat er zerschlagen, die Gewaltenteilung abgeschafft und die Institutionen so auf seine Linie gebracht, dass man ihn getrost als neuen Sultan vom Bosporus bezeichnen kann. Daher wird er morgen standesgemäß mit militärischen Ehren, Defilée und Staatsbankett empfangen.

Schnellzüge statt Demokatie-Züge

Jetzt will er von Deutschland noch einen Zug haben. Er will keinen Demokratie-Zug mehr. Sondern einen Schnellzug. Der Bau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes inklusive Zügen würde einen Auftragswert von 35 Milliarden Euro haben.
Deutschland hat dem "kranken Mann vom Bosporus" schon einmal mit einem Eisenbahn-Projekt geholfen - nämlich mit der berühmten Bagdad-Bahn. Jener Bahn für deren Fertigstellung zahlreiche armenische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden und die auch bei der Deportation der Armenier während des Völkermordes eine große Rolle spielte. Ein Völkermord den die Türkei bis heute leugnet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am 18.10.2015 im Yildiz Palast in Istanbul
Auf goldenen Sesseln: Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Yildiz Palast in Istanbul© picture alliance / AA / Metin Pala
Die Bagdad-Bahn wurde 1918, exakt vor 100 Jahren, größtenteils fertig gestellt. Die Bauherren hatten allerdings wenig davon: Kaiserreich und Osmanisches Reich gingen unter.

Kurzfristiger Aufschub des wirtschaftlichen Kollapses

Erdogan tanzt schon lange zwischen IS, Russland und Nato herum. Aber seine Tanzfläche ist in letzter Zeit ziemlich klein geworden. Er muss kurzfristig – wenigstens bis zu den landesweiten Kommunalwahlen am 31. März 2019 – den wirtschaftlichen Kollaps der Türkei aufschieben. Deutsche wirtschaftliche Unterstützung wäre da sicher hilfreich. Bestimmt wird er auch noch mehr Waffen kaufen. Waffen braucht er immer.
Erdogan zitierte Ende 1997 ein Gedicht des nationalistischen Dichter Ziya Gökalp, wofür er wegen Volksverhetzung im Jahr 1998 zu zehn Monaten Haft verurteilt wurde. Ein Zeile lautet: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Moscheekuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten." Vielleicht will er deshalb die schon längst in Betrieb genommene Kölner Zentral Moschee am Samstag eröffnen. Was soll diese Geste bedeuten?
Erdogan würde die Kölner Moschee, die wegen Spionage-Tätigkeiten ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten ist, am liebsten gemeinsam mit Angela Merkel eröffnen. Und die Kanzlerin würde dies mit Sicherheit auch sehr gerne tun, wenn nicht der Bundesverfassungsschutz die Beobachtung der DITIB-Moscheen prüfen würde.

Appeasement oder Realpolitik?

Die Bundesregierung verkauft ihre Appeasement- Diplomatie als "Realpolitik", aber dahinter steht weder ein Konzept noch eine Haltung. Wenn man jemandem wie Erdogan den roten Teppich ausrollt, obwohl er die Deutschen als "Nazis" beschimpft, wird dies von seinen Anhängern als Schwäche ausgelegt. Daher muss man endlich klare Worte finden und Taten folgen lassen. Dies muss nicht in der Art von Trump sein. Europa hat mit Europarat, Zollunion, Visa-Erleichterungen, Beitrittsverhandlungen, Investitionshilfen und Tourismus viele Hebel in der Hand. Nur der Mut dazu fehlt.

Memet Kilic, Bündnis 90/Die Grünen, 51 Jahre alt, stellvertretender Vorsitzender des Bundeszuwanderungsrates, kam 1990 nach Deutschland und arbeitet als Jurist in Heidelberg. Er ist Mitglied der Anwaltskammern Ankara und Karlsruhe. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter – mit Sitz im Innenausschusses sowie Integrationspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion (2009-2013), ferner Mitglied des Rundfunkrates des Südwestrundfunks (1998-2008) sowie des "Beirates für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr" (2002-2010).

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