Staatsballett-Uraufführung in Berlin

Der Einzelne in der Masse

Das Berliner Staatsballett in einer Szene aus der Chreographie "Distant Matter" von Anouk van Dijk an der Komischen Oper
Das Berliner Staatsballett in einer Szene aus der Uraufführung "Distant Matter" von Anouk van Dijk an der Komischen Oper © Jubal Battisti
Elisabeth Nehring im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 15.02.2019
Das Berliner Staatsballett stellte an einem Abend die Tanz-Choreographien "Half Life" und die Uraufführung "Distant Matter" gegenüber. Für Kritikerin Elisabeth Nehring hatte die Darbietung von "Half Life" die stärkere Aussagekraft.
Die Regisseurinnen Anouk van Dijk und Sharon Eyal gelten mit ihren Werken als Protagonistinnen der zeitgenössischen Tanzszene. Mit der Gegenüberstellung von Eyals "Half Life" und van Dijks Uraufführung "Distant Matter" habe das Staatsballett an der Komischen Oper in Berlin einen Abend mit zwei Formen von modernem Tanztheater mit sehr unterschiedlicher Wirkung dargeboten, findet Kritikerin Elisabeth Nehring im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Choreographie von "Distant Matter" basiere auf der Grundlage von Anouk van Dijks Erfindung Bewegungen auszuführen, der "Counter-Technik".
"Simpel gesprochen basiert diese Technik darauf, dass jede Bewegung – die ja immer eine bestimmte Richtung einschlägt – mit einer anderen Bewegung auszubalancieren ist. Wenn die Schulter nach vorne geht, geht die Hüfte nach hinten oder Arme und Beine balancieren sich in der Gegenrichtung aus."

Eine schöne, leere Hülle

Diesen Grundsatz der Technik bei "Distant Matter" habe man bei den sieben Tänzern gut nachvollziehen können. Sie erzeuge einen nahtlosen Fluss aus Bewegungen ohne Brüche und Reibungen. "Es ist ein einziger eleganter Strom aus Bewegungen und Dynamik."
Zudem führe dies zu einer starken Präsenz der Tänzer auf der Bühne geführt. Allerdings merke man, dass durch diese Form der Bewegungen nichts Neues entstehe und die Bewegungen nur dekorativ blieben. "Das hat vor allem damit zu tun, dass aus dieser Technik nicht wirklich etwas geschaffen wird, wo wir sagen können, ja, da haben wir jetzt Assoziationen. Das bleibt eine schöne, leere Hülle."

"Half Life" favorisiert

Viel mehr Aussagekraft habe dagegen der zweite Teil des Abends mit der Choreographie "Half Life" von Sharon Eyal. "Eyal kombiniert nicht nur musikalisch Techno und bewegungssprachlich Ballett und die eigene Technik, sondern sie macht auch aus den dreizehn Tänzern so geschlechtslose Androide, die in der Masse zusammen sind und dann immer wieder einzeln hervortreten."
Szene aus der Tanz-Choreographie "Half Life" von Sharon Eyal mit dem Berliner Staatsballett an der Komischen Oper 
Szene aus der Tanz-Choreographie "Half Life" von Sharon Eyal mit dem Berliner Staatsballet© JUBAL BATTISTI
Dabei arbeite die Choreographin mit Wiederholungen, Variationen und Verfremdungen. Erneut sei Nehring beeindruckt gewesen, wie vielfältig die von Eyal geschaffenen Bewegungsvariationen aus einem eigentlich schlichten Grundmuster sind.
"Es ist ein triumphaler, toller Abend und es funktioniert eben. Und das ist der große Unterschied. Auch wunderbar als Parabel auf Themen wie 'Masse' und 'Macht' und die Manipulation des Einzelnen in der Masse. Und das wurde auch heute wieder vom Publikum frenetisch gefeiert."
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