"Staaten brauchen eine solide Besteuerungsgrundlage"

Wolfgang Schön im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 22.04.2013
Gute Chancen für eine Harmonisierung der europäischen Steuerpolitik sieht Wolfgang Schön, Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Die Staaten müssten Kompromisse schließen, um sich gegenseitig zu stabilisieren.
Jan-Christoph Kitzler: Uli Hoeneß war vermutlich kein Thema beim Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten am Wochenende in Washington, aber der Fall des mutmaßlichen Steuersünders und Präsidenten des FC Bayern zeigt: Der Kampf gegen die Steuerflucht ist noch lange nicht gewonnen. Dabei geht es aber nicht nur um Privatleute. Ein Problem beim Thema Steuern sind auch internationale Konzerne, die – rein zufällig natürlich – ihre großen Gewinne ausgerechnet da machen, wo die niedrigsten Steuern anfallen.

Die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt aber wollen nun ernst machen im Kampf für eine internationale Steuerpolitik. Im Herbst soll es Beschlüsse geben. Auch die EU-Kommission will morgen noch ein eigenes Expertengremium zum Thema einsetzen. Seit dem Offshore-Leak-Skandal nimmt die Sache wieder Fahrt auf, andererseits aber beschäftigt dieses Thema Politik und Experten schon seit einer gefühlten Ewigkeit.

Darüber habe ich mit Professor Wolfgang Schön gesprochen, er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen in München. Und zuerst wollte ich von ihm wissen, ob das Thema nicht vielleicht so komplex ist, dass eine Einigung der Staatengemeinschaft am Ende unmöglich ist.

Wolfgang Schön: Also, ich habe den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit hier zwei Debatten geführt werden, die man sehr genau unterscheiden muss. Da ist einmal die Debatte über die Rolle der Steueroasen, wenn es um Hinterziehung geht, wenn es um Schwarzkonten geht, wenn es um Daten-CDs geht, wenn es um das Verschweigen von Einkünften vermögender Privatpersonen geht. Da sind wir schon sehr weit. Da haben sich in den letzten Jahren die Staaten weltweit zusammengetan, um den Informationsaustausch zu fördern. Da gibt es multilaterale Abkommen, da tut sich schon sehr viel. Viel schwieriger ist die Behandlung der internationalen Steuerplanung von Unternehmen, also Google, Amazon, Starbucks, denen es gelingt, in Steueroasen große Gewinne zu parken. Die machen Gebrauch von ganz legalen Möglichkeiten. Die nutzen Steuervergünstigungen, die die Staaten ihnen freiwillig anbieten. Und da eine Einigung zu finden, da werden wir noch viel länger brauchen.

Kitzler: Aber wenn ich das mal so laienhaft fragen darf: Woran scheitert denn eine Einigung im Kampf gegen diese beiden Phänomene? Einfach nur daran, dass es immer noch Staaten gibt, die Steuerflucht, oder ich sag mal, Steuervergünstigungen als Geschäftsmodell betreiben, und dass sie keiner daran hindern kann? Oder laufen die Konfliktlinien ganz anders?

Schön: Die Konfliktlinien laufen zum Teil zwischen diesen Steueroasen und den großen Industriestaaten, aber sie laufen eben auch zum Teil zwischen den Industriestaaten selbst. Wenn Sie etwa die Angebote großer Digitalunternehmen sehen, da sind die Interessen in den USA einerseits und Europa andererseits ganz verschieden. Also, der Steuerwettbewerb wird zwischen allen Staaten ausgefochten. Und da zu einer einheitlichen Regel zu kommen, das ist wirklich schwer.

Kitzler: Das andere Thema sind eben die Unternehmen. Die betreiben ein sogenanntes "Profit Shifting", also lagern Gewinne so viel wie möglich dorthin aus, wo weniger Steuern dafür anfallen. Wie lässt sich das Problem denn in den Griff bekommen? Kann man eigentlich bei den internationalen Verflechtungen vieler Konzerne immer so ganz eindeutig feststellen, wo die Gewinne anfallen?

Schön: Das wird eben immer schwieriger. In den früheren Zeiten, in denen man wirklich noch mit physischen Waren handelte, in denen man die Verarbeitungsprozesse sehr genau benennen konnte, war es einfacher, einzelnen Staaten einen bestimmten Gewinn und damit auch Besteuerungsrechte zuzuordnen. Heute, im Zeitalter der digitalen Ökonomie, ist es möglich, mithilfe von Finanzierungsregeln, aber zum Beispiel auch durch die Verlagerung von Patenten und Markenrechten in Steueroasen, mit sehr wenig Aufwand sehr großes Gewinnsubstrat zu verschieben. Und darauf haben die Staaten noch keine Antwort gefunden, aber genau auf diese Fälle richten sich jetzt die neuen Initiativen der OECD, aber auch der G20 oder der Europäischen Union.

Kitzler: Aber das heißt mit anderen Worten, nur mit etwas gutem politischen Willen und ein paar Gesetzesänderungen kriegt man das nicht hin?

Schön: Das ist halt die Schwierigkeit, denn man muss sich dann auch wirklich über die Zuordnung der Besteuerungsrechte Gedanken machen. Ich will das mal an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn man in Europa es als problematisch empfindet, dass eine Firma wie Amazon in großem Umfang Buchlieferungen durchführen kann, ohne dafür im Land der Kunden Steuern zu bezahlen – dann wird das kritisiert. Aber dieselben Regeln, die dahinter stehen, ermöglichen es auch westlichen Unternehmen, nach Indien und China zu exportieren und dort nicht in Anspruch genommen zu werden. Und das mit Regeln angemessen abzufedern, das gelingt schwer und da ist die Koordination bisher weitgehend noch nicht gelungen.

Kitzler: Die OECD will jetzt bis zum Sommer Vorschläge vorlegen. In welche Richtung müssten die den Ihrer Meinung nach gehen?

Schön: Die OECD steht da vor einer großen Schwierigkeit. Die Papiere, die bisher vorgelegt worden sind, richten sich gezielt gegen aggressive Steuerplanung, gegen Steueroasen, gegen spezielle Tatsachen der doppelten Nichtbesteuerung, bei denen letztlich nirgendwo eine Steuer bezahlt wird. Aber die dahinterstehenden Regeln, wer soll denn nun besteuern, wer soll denn besteuern, wenn ein amerikanisches Unternehmen über eine Steueroase Gewinne in Deutschland erzielt? Das ist eben einer einheitlichen Lösung noch nicht zugeführt, und es bleibt sehr abzuwarten, ob in den Fällen eine Einigung zu erzielen ist. Ich habe den Eindruck, dass gerade zwischen den USA einerseits und den europäischen Industriestaaten andererseits noch keine Einigkeit besteht, und die USA halten sich zurzeit auch sehr zurück, politische Verpflichtungen einzugehen.

Kitzler: Das heißt also, die Kunst bestünde darin, eine Balance hinzukriegen zwischen einerseits dem Wettbewerb, den man ja will, und andererseits den Absprachen, die offenbar nötig sind?

Schön: Das ist genau richtig. Es hat schon in den 90er-Jahren eine Bewegung gegeben in Europa, aber auch auf Ebene der OECD, den fairen Steuerwettbewerb, das attraktive Angebot von Investitionsbedingungen abzutrennen von dem unfairen Steuerwettbewerb, bei dem einseitige Vergünstigungen angeboten oder gar die völlige Nichtbesteuerung eingeräumt wird. Diese Grenze ist bis heute nicht gezogen. Auch in der Wissenschaft besteht da übrigens keine Einigkeit.

Kitzler: Auf der anderen Seite gibt es ja immer noch viele Staaten, wie Panama oder die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch die Schweiz, die die Vorgaben zum weltweiten Austausch von Informationen, die ja ganz wichtig sind, immer noch nicht vollständig einhalten. Kann man die denn dazu zwingen?

Schön: Also der Informationsaustausch ist ein Gebiet, bei dem es enorme Durchbrüche gegeben hat. Die Experten sind immer wieder erstaunt, was in den letzten fünf Jahren möglich geworden ist. Das war zum ganz erheblichen Teil Druck aus den USA, das war aber auch die innereuropäische Entwicklung, etwa durch den Ankauf der Daten-CDs, die hier eine Beschleunigung mit sich gebracht hat. Ich glaube nicht, dass die Staaten, die jetzt noch draußen stehen, sich lange werden wehren können.

Kitzler: Es gibt ja immer für bestimmte Themen bestimmte Zeitfenster – ist die Lage Ihrer Meinung nach gerade günstig für eine Internationalisierung der Steuerpolitik? Oder was passiert, wenn wir die Chance jetzt verpassen?

Schön: Ich glaube, dass die Chance in Europa günstig ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die Staaten sehen, im Gefolge der europäischen Schuldenkrise, dass ihre Fähigkeit, sich über die Kreditmärkte zu finanzieren, nicht unbegrenzt ist. Das heißt, die europäischen Staaten brauchen eine solide Besteuerungsgrundlage im eigenen Land. Und dafür wird man auch bestimmte Kompromisse mit anderen Staaten machen müssen, wenn es darum geht, sich gegenseitig zu stabilisieren. Ob man weltweit zu einer Einigung kommt, da bin ich sehr viel pessimistischer.

Kitzler: Professor Wolfgang Schön, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen. Vielen Dank für das Gespräch!

Schön: Ich danke Ihnen!

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