„Staat will vorsätzlich über das Leben unschuldiger Menschen verfügen“
Der FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch hat seine Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz verteidigt. Der Staat dürfe nicht Leben gegen Leben abwägen und vorsätzlich unschuldige Menschen abschießen, sagte Hirsch, der einer von sechs Beschwerdeführern ist, anlässlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.
Hatting: Hat der Staat das Recht, über das Leben Unschuldiger zu entscheiden? Darf er die Menschenwürde des Einzelnen gegen die der Mehrheit aufrechnen? Ja, meint der deutsche Gesetzgeber und duldet seit dem vergangenen Jahr, dass Passagierflugzeuge abgeschossen werden, wenn so ein Attentat mit noch mehr Toten verhindert werden kann. Weil von diesem Tod durch Arithmetik das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben betroffen ist, entscheidet morgen das Bundesverfassungsgericht über dieses Luftsicherheitsgesetz. Am Telefon ist nun Burkhard Hirsch. Burkhard Hirsch war jahrelang innenpolitischer Experte der FDP-Fraktion im Bundestag.
Hatting: Guten Tag, Burkhard Hirsch.
Hirsch: Schönen guten Morgen.
Hatting: Herr Hirsch, Sie waren 1977 als Innenminister Nordrhein-Westfalens mittendrin im Entführungsfall Hans-Martin Schleyer. Trotz einer Verfassungsbeschwerde damals setzte die Bundesregierung das Leben des von der Roten Armee Fraktion entführten Arbeitgeberpräsidenten aufs Spiel. War das ein Opfer?
Hirsch: Wir haben das Leben nicht aufs Spiel gesetzt, um Gottes Willen. Wir haben alles getan, um zu versuchen, Schleyer zu retten, also davon kann keine Rede sein.
Hatting: Aber es war doch klar, dass die Rote Armee Fraktion damit gedroht hat, Hans-Martin Schleyer umzubringen, wenn die Bedingungen der Terroristen nicht erfüllt würden.
Hirsch: Richtig, natürlich haben sie gedroht, das haben sie dann auch gemacht. Aber wir haben doch nicht etwa aus irgendwelchen Gründen Herrn Schleyer erschossen, wie das nach dem Luftsicherheitsgesetz der Fall sein könnte. Wir haben nicht das Opfer einer Straftat von Staatswegen getötet, sondern wir haben alles unternommen, um sowohl Schleyer wie dann später die Passagiere der Landshut zu retten. Der Staat hat das Recht, alle möglichen Alternativen sich zu überlegen und wahrzunehmen, aber immer, um Leben zu retten und nicht dabei aus wohlmeinender Absicht oder welchen Vermutungen auch immer das Leben unschuldiger Menschen vorsätzlich zu töten. Das ist der große Unterschied. Übrigens zu der Anmoderation einen Satz noch: Ich bin nicht der einzige Beschwerdeführer, sondern wir sind sechs insgesamt, die diese Verfassungsbeschwerde erhoben haben, und die Länder Bayern und Hessen haben Normenkontrollklage erhoben, die ebenfalls noch anhängig ist.
Hatting: Bleiben wir noch mal ganz kurz bei dem Beispiel 1977. Das Bundesverfassungsgericht hat damals so argumentiert, dass terroristisches Handeln nicht kalkulierbar sein darf, also übersetzt, der Staat darf nicht erpressbar sein. Wenn der Staat ein entführtes Flugzeug abschießt, um Tausende von Menschenleben zu retten, wehrt er sich da nicht auch gegen Terroristen, die mit einem Massenmord drohen?
Hirsch: Stellen Sie sich mal vor, die Offiziere oder die Piloten der Bundeswehr sollten diese, ich sage mal, diese 250 Passagiere in einem entführten Flugzeug nicht per Knopfdruck in ihrer Kanzel mit einer Rakete abschießen, sondern sie sollten die Menschen, diese 250 Menschen einzeln erschießen, was würden Sie dann sagen? Oder stellen Sie sich vor, die Amerikaner hätten in New York im September 2001 eine Maschine oder zwei Maschinen abgeschossen, bevor sie ins World Trade Center geflogen sind, und die Maschinen wären auf den Times Square und in das Waldorf-Astoria geknallt, und dann wären auf diese Weise zwar die beiden Türme stehen geblieben, aber tausend andere Menschen ums Leben gekommen. Dann soll der Verteidigungsminister sagen, ich weiß es zwar nicht, ich hatte ja angenommen, die fliegen in das World Trade Center rein, gewusst haben wir es nicht, wir haben es vermutet, und leider sind nun eben tausend andere Menschen ums Leben gekommen, wie viel sonst, weiß ich nicht. Das ist doch die Sachlage. Es ist doch nicht so, dass sie wissen, wie das Leben weitergeht, sondern der Staat will sich das Recht nehmen, auf die Annahme hin, dass sonst noch größerer Schaden entsteht, auf die Annahme hin ein paar Hundert Menschen, die völlig unschuldig, die selber Opfer einer Straftat sind, mitsamt den Tätern erschießen, und dabei geht es übrigens nicht nur um Terroristen nach dem Luftsicherheitsgesetz, sondern es geht auch um ganz normale Straftäter oder auch um einen Irren, der ein Flugzeug entführt hat. Also das Leben ist kein Klausurenfall, wo sie genau wissen, wie es weitergeht, sondern auf Vermutungen hin will der Staat vorsätzlich über das Leben unschuldiger Menschen verfügen und sie aus guter Absicht erschießen.
Hatting: Ist das, Herr Hirsch, Ihr zentraler Punkt, dass Sie sagen, der Staat reagiert oder der Verteidigungsminister in diesem Fall reagiert auf eine Vermutung hin, oder ist für Sie nicht auch zentral, dass man das Grundrecht auf Leben, nämlich das der Passagiere, gegenüber denen am Boden nicht abwägen kann?
Hirsch: Das ist genau der Punkt. Der Staat darf nicht Leben gegen Leben abwägen und sagen, die einen sind mir wichtiger als die anderen oder die einen sind mehr als die anderen, die einen haben sowieso nicht mehr lange zu leben, also töte ich sie lieber gleich selber. Das ist rechtlich nach unserer Überzeugung völlig ausgeschlossen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass, wenn ich die Bundeswehr im Inland mit militärischen Mitteln einsetze, dann bedarf das darüber einer ausdrücklichen Regelung in der Verfassung, und das ist nicht der Fall.
Hatting: Jetzt muss ich noch mal zurückkommen zu dem Fall 1977. Sie waren ja damals im Krisenstab der Bundesregierung. Hatte die Regierung Schmidt damals die Entscheidung, den Forderungen der RAF-Terroristen nicht nachzugeben, hatte sie diese Entscheidung im vollen Bewusststein der Folgen getroffen, also wusste die Bundesregierung, dass, wenn wir nicht nachgeben, muss Hans-Martin Schleyer sterben?
Hirsch: Also nein, natürlich nicht. Ich sage ja, wir haben alles getan, vom ersten bis zum letzten Tag, was nach unseren Möglichkeiten und Kenntnissen denkbar war, um Schleyer und die Passagiere der Landshut zu retten, selbstverständlich alles. Es hat niemals jemand gedacht, jetzt machen wir das und opfern den anderen, völlig ausgeschlossen.
Hatting: Welche Chancen hat das Luftsicherheitsgesetz, morgen vor dem Bundesverfassungsgericht zu bestehen Ihrer Meinung nach? Sie sind ja auch Jurist.
Hirsch: Also da muss ich sagen aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, hier kann ich, will ich gar keine Prognose treffen. Ich hoffe, dass die angefochtenen Vorschriften des Gesetzeskern Bestand haben, dass sie also aufgehoben werden, sonst hätten wir die Verfassungsbeschwerde nicht erhoben. Wir halten sie für verfassungswidrig, aber das Wort und die Entscheidung liegt beim Verfassungsgericht, und ich will ganz bewusst da vorher keine Prognose abgeben.
Hatting: Das Szenario, dass ein Flugzeug als Waffe benutzt wird, um damit möglichst viele Menschen zu töten, das ist ja seit dem 11. September 2001 leider durchaus vorstellbar. Wie könnte denn eine juristisch saubere Lösung aussehen?
Hirsch: Der Staat muss handeln, solange er das verfassungsmäßig kann. Das heißt, man muss sich überlegen, ob man technische Einrichtungen an den Flugzeugen treffen kann, die Entführungen überhaupt verhindern oder so erschweren, dass sie praktisch ausgeschlossen werden. Man muss sich überlegen, ob der Einsatz bewaffneter Flugbegleiter, den es ja heute schon gibt, ob man ihn verstärken muss. Man muss überlegen, was man an den Kontrollen an den Flughäfen selber tun kann. Sie sehen, in Amerika haben ja diese Entführer Messer mit an Bord bringen können, mit denen sie dann auch den Zugang in das Cockpit erzwungen haben, und acht von diesen 19 Tätern in Amerika waren in einem besonderen Alarmprogramm enthalten, die hatte man auch erkannt, bloß hat gesagt, also, wenn das Gepäck dieser Leute an Bord ist, dann lassen wir sie auch an Bord. Also verstehen Sie, man muss überlegen und prüfen, was man tun kann, solange das verfassungsmäßig möglich ist, aber wenn es zu spät ist, dann ist es eben so.
Hatting: Jetzt haben Sie aber gesagt, das, was Sie vorschlagen, was verfassungsmäßig möglich ist, sind alles Präventivmaßnahmen, vorbeugen, dass so ein Entführungsfall gar nicht passiert. Nun kann es aber trotzdem immer mal wieder – Terroristen können durchaus erfinderisch sein – durchaus dazu kommen, dass ein Flugzeug entführt wird und dass so ein Szenario passieren kann. Was macht man dann, was macht der Bundesverteidigungsminister?
Hirsch: Wir sind wieder bei der ersten Frage. Sie stellen sich vor, man weiß genau, dass die Maschine, ich sage mal, in irgendein besetztes Stadion gestürzt werden soll. Genau das wissen Sie eben doch nie. Auch in Amerika war es so, dass die Täter alles versucht haben – und mit Erfolg –, sowohl die Passagiere wie andere, wie die Behörden über ihre wirklichen Absichten zu täuschen. Also das, diese Alternative stellt sich in dieser Form in der Wirklichkeit gar nicht. Es muss dabei bleiben, es tut mir wirklich, man muss das oft genug sagen, es muss dabei bleiben, dass der Staat nicht das Recht hat, das Leben unschuldiger Menschen vorsätzlich, vorsätzlich zu töten, irgendwie auszulöschen und Leute am Boden, auf die das Flugzeug dann runterknallt, weil er meint, er könnte damit, weil er hofft und glaubt, er könnte damit etwas Schlimmeres verhüten. Das geht nicht.
Hatting: Kritiker sagen auch, das Problem bestehe darin, für diesen höchst seltenen Notfall überhaupt ein Gesetz schaffen zu wollen, denn, wenn so ein übergesetzlicher Notstand stattfindet, also passiert, dann könnten Bund und Länder sowieso handeln. Stimmt das?
Hirsch: Da kommen wir auf rechtlich sehr dünnes Eis, ob der Staat überhaupt das Recht hat, sich auf einen übergesetzlichen Notstand zu berufen. Wenn ein Minister meint, er müsste einen Abschussbefehl außerhalb der Rechtsordnung geben, und wenn ein Pilot das dann aus eigener Gewissensentscheidung eben befolgt, obwohl er das nicht muss, dann müssen sich beide auch den Folgen stellen. Natürlich gibt es im Leben immer Fälle, wo einer sagt, was immer im Gesetz steht, ich folge nur noch meinem Gewissen. Das kann durchaus ehrenwert sein, aber dann muss man auch bereit sein, die Folgen auf sich zu nehmen, die sich daraus ergeben. (…) Aber noch einmal: Wir sind hier bei der Frage, ob wir wegen Straftäter, die es gibt, unsere eigene Rechtsordnung demolieren, das, was über Jahrhunderte an Rechtswissen und rechtlicher Überzeugung, ethischer Überzeugung aufgebaut worden ist, das einfach zu zerstören und das Leben von Menschen zur Verfügungsmasse des Staates zu machen aus irgendwelchen opportunistischen Gründen, weil der Minister meint, es ist eben so, oder weil er meint, na ja, also die paar Hansels in der Maschine, die opfere ich jetzt. Wenn der Staat das Recht bekommt, über das Leben seiner Bürger wie über eine Verfügungsmasse zu verfügen, dann verkennen wir, dass jeder Einzelne unersetzbar ist und nicht aufgewogen werden darf wie eine Ware. Ich bin nicht bereit – und wir sollten nicht bereit sein –, das, nämlich unsere rechtlichen, ethischen und moralischen Überzeugungen, das aufzugeben, das, was wir eigentlich verteidigen wollen, wegen Verbrechern aufzugeben und zu demolieren. Das darf ein Staat nicht machen.
Hatting: Vielen Dank. Das war der FDP-Politiker und Rechtsexperte Burkhard Hirsch im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Danke für das Gespräch. Schönen Tag noch.
Hatting: Guten Tag, Burkhard Hirsch.
Hirsch: Schönen guten Morgen.
Hatting: Herr Hirsch, Sie waren 1977 als Innenminister Nordrhein-Westfalens mittendrin im Entführungsfall Hans-Martin Schleyer. Trotz einer Verfassungsbeschwerde damals setzte die Bundesregierung das Leben des von der Roten Armee Fraktion entführten Arbeitgeberpräsidenten aufs Spiel. War das ein Opfer?
Hirsch: Wir haben das Leben nicht aufs Spiel gesetzt, um Gottes Willen. Wir haben alles getan, um zu versuchen, Schleyer zu retten, also davon kann keine Rede sein.
Hatting: Aber es war doch klar, dass die Rote Armee Fraktion damit gedroht hat, Hans-Martin Schleyer umzubringen, wenn die Bedingungen der Terroristen nicht erfüllt würden.
Hirsch: Richtig, natürlich haben sie gedroht, das haben sie dann auch gemacht. Aber wir haben doch nicht etwa aus irgendwelchen Gründen Herrn Schleyer erschossen, wie das nach dem Luftsicherheitsgesetz der Fall sein könnte. Wir haben nicht das Opfer einer Straftat von Staatswegen getötet, sondern wir haben alles unternommen, um sowohl Schleyer wie dann später die Passagiere der Landshut zu retten. Der Staat hat das Recht, alle möglichen Alternativen sich zu überlegen und wahrzunehmen, aber immer, um Leben zu retten und nicht dabei aus wohlmeinender Absicht oder welchen Vermutungen auch immer das Leben unschuldiger Menschen vorsätzlich zu töten. Das ist der große Unterschied. Übrigens zu der Anmoderation einen Satz noch: Ich bin nicht der einzige Beschwerdeführer, sondern wir sind sechs insgesamt, die diese Verfassungsbeschwerde erhoben haben, und die Länder Bayern und Hessen haben Normenkontrollklage erhoben, die ebenfalls noch anhängig ist.
Hatting: Bleiben wir noch mal ganz kurz bei dem Beispiel 1977. Das Bundesverfassungsgericht hat damals so argumentiert, dass terroristisches Handeln nicht kalkulierbar sein darf, also übersetzt, der Staat darf nicht erpressbar sein. Wenn der Staat ein entführtes Flugzeug abschießt, um Tausende von Menschenleben zu retten, wehrt er sich da nicht auch gegen Terroristen, die mit einem Massenmord drohen?
Hirsch: Stellen Sie sich mal vor, die Offiziere oder die Piloten der Bundeswehr sollten diese, ich sage mal, diese 250 Passagiere in einem entführten Flugzeug nicht per Knopfdruck in ihrer Kanzel mit einer Rakete abschießen, sondern sie sollten die Menschen, diese 250 Menschen einzeln erschießen, was würden Sie dann sagen? Oder stellen Sie sich vor, die Amerikaner hätten in New York im September 2001 eine Maschine oder zwei Maschinen abgeschossen, bevor sie ins World Trade Center geflogen sind, und die Maschinen wären auf den Times Square und in das Waldorf-Astoria geknallt, und dann wären auf diese Weise zwar die beiden Türme stehen geblieben, aber tausend andere Menschen ums Leben gekommen. Dann soll der Verteidigungsminister sagen, ich weiß es zwar nicht, ich hatte ja angenommen, die fliegen in das World Trade Center rein, gewusst haben wir es nicht, wir haben es vermutet, und leider sind nun eben tausend andere Menschen ums Leben gekommen, wie viel sonst, weiß ich nicht. Das ist doch die Sachlage. Es ist doch nicht so, dass sie wissen, wie das Leben weitergeht, sondern der Staat will sich das Recht nehmen, auf die Annahme hin, dass sonst noch größerer Schaden entsteht, auf die Annahme hin ein paar Hundert Menschen, die völlig unschuldig, die selber Opfer einer Straftat sind, mitsamt den Tätern erschießen, und dabei geht es übrigens nicht nur um Terroristen nach dem Luftsicherheitsgesetz, sondern es geht auch um ganz normale Straftäter oder auch um einen Irren, der ein Flugzeug entführt hat. Also das Leben ist kein Klausurenfall, wo sie genau wissen, wie es weitergeht, sondern auf Vermutungen hin will der Staat vorsätzlich über das Leben unschuldiger Menschen verfügen und sie aus guter Absicht erschießen.
Hatting: Ist das, Herr Hirsch, Ihr zentraler Punkt, dass Sie sagen, der Staat reagiert oder der Verteidigungsminister in diesem Fall reagiert auf eine Vermutung hin, oder ist für Sie nicht auch zentral, dass man das Grundrecht auf Leben, nämlich das der Passagiere, gegenüber denen am Boden nicht abwägen kann?
Hirsch: Das ist genau der Punkt. Der Staat darf nicht Leben gegen Leben abwägen und sagen, die einen sind mir wichtiger als die anderen oder die einen sind mehr als die anderen, die einen haben sowieso nicht mehr lange zu leben, also töte ich sie lieber gleich selber. Das ist rechtlich nach unserer Überzeugung völlig ausgeschlossen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass, wenn ich die Bundeswehr im Inland mit militärischen Mitteln einsetze, dann bedarf das darüber einer ausdrücklichen Regelung in der Verfassung, und das ist nicht der Fall.
Hatting: Jetzt muss ich noch mal zurückkommen zu dem Fall 1977. Sie waren ja damals im Krisenstab der Bundesregierung. Hatte die Regierung Schmidt damals die Entscheidung, den Forderungen der RAF-Terroristen nicht nachzugeben, hatte sie diese Entscheidung im vollen Bewusststein der Folgen getroffen, also wusste die Bundesregierung, dass, wenn wir nicht nachgeben, muss Hans-Martin Schleyer sterben?
Hirsch: Also nein, natürlich nicht. Ich sage ja, wir haben alles getan, vom ersten bis zum letzten Tag, was nach unseren Möglichkeiten und Kenntnissen denkbar war, um Schleyer und die Passagiere der Landshut zu retten, selbstverständlich alles. Es hat niemals jemand gedacht, jetzt machen wir das und opfern den anderen, völlig ausgeschlossen.
Hatting: Welche Chancen hat das Luftsicherheitsgesetz, morgen vor dem Bundesverfassungsgericht zu bestehen Ihrer Meinung nach? Sie sind ja auch Jurist.
Hirsch: Also da muss ich sagen aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, hier kann ich, will ich gar keine Prognose treffen. Ich hoffe, dass die angefochtenen Vorschriften des Gesetzeskern Bestand haben, dass sie also aufgehoben werden, sonst hätten wir die Verfassungsbeschwerde nicht erhoben. Wir halten sie für verfassungswidrig, aber das Wort und die Entscheidung liegt beim Verfassungsgericht, und ich will ganz bewusst da vorher keine Prognose abgeben.
Hatting: Das Szenario, dass ein Flugzeug als Waffe benutzt wird, um damit möglichst viele Menschen zu töten, das ist ja seit dem 11. September 2001 leider durchaus vorstellbar. Wie könnte denn eine juristisch saubere Lösung aussehen?
Hirsch: Der Staat muss handeln, solange er das verfassungsmäßig kann. Das heißt, man muss sich überlegen, ob man technische Einrichtungen an den Flugzeugen treffen kann, die Entführungen überhaupt verhindern oder so erschweren, dass sie praktisch ausgeschlossen werden. Man muss sich überlegen, ob der Einsatz bewaffneter Flugbegleiter, den es ja heute schon gibt, ob man ihn verstärken muss. Man muss überlegen, was man an den Kontrollen an den Flughäfen selber tun kann. Sie sehen, in Amerika haben ja diese Entführer Messer mit an Bord bringen können, mit denen sie dann auch den Zugang in das Cockpit erzwungen haben, und acht von diesen 19 Tätern in Amerika waren in einem besonderen Alarmprogramm enthalten, die hatte man auch erkannt, bloß hat gesagt, also, wenn das Gepäck dieser Leute an Bord ist, dann lassen wir sie auch an Bord. Also verstehen Sie, man muss überlegen und prüfen, was man tun kann, solange das verfassungsmäßig möglich ist, aber wenn es zu spät ist, dann ist es eben so.
Hatting: Jetzt haben Sie aber gesagt, das, was Sie vorschlagen, was verfassungsmäßig möglich ist, sind alles Präventivmaßnahmen, vorbeugen, dass so ein Entführungsfall gar nicht passiert. Nun kann es aber trotzdem immer mal wieder – Terroristen können durchaus erfinderisch sein – durchaus dazu kommen, dass ein Flugzeug entführt wird und dass so ein Szenario passieren kann. Was macht man dann, was macht der Bundesverteidigungsminister?
Hirsch: Wir sind wieder bei der ersten Frage. Sie stellen sich vor, man weiß genau, dass die Maschine, ich sage mal, in irgendein besetztes Stadion gestürzt werden soll. Genau das wissen Sie eben doch nie. Auch in Amerika war es so, dass die Täter alles versucht haben – und mit Erfolg –, sowohl die Passagiere wie andere, wie die Behörden über ihre wirklichen Absichten zu täuschen. Also das, diese Alternative stellt sich in dieser Form in der Wirklichkeit gar nicht. Es muss dabei bleiben, es tut mir wirklich, man muss das oft genug sagen, es muss dabei bleiben, dass der Staat nicht das Recht hat, das Leben unschuldiger Menschen vorsätzlich, vorsätzlich zu töten, irgendwie auszulöschen und Leute am Boden, auf die das Flugzeug dann runterknallt, weil er meint, er könnte damit, weil er hofft und glaubt, er könnte damit etwas Schlimmeres verhüten. Das geht nicht.
Hatting: Kritiker sagen auch, das Problem bestehe darin, für diesen höchst seltenen Notfall überhaupt ein Gesetz schaffen zu wollen, denn, wenn so ein übergesetzlicher Notstand stattfindet, also passiert, dann könnten Bund und Länder sowieso handeln. Stimmt das?
Hirsch: Da kommen wir auf rechtlich sehr dünnes Eis, ob der Staat überhaupt das Recht hat, sich auf einen übergesetzlichen Notstand zu berufen. Wenn ein Minister meint, er müsste einen Abschussbefehl außerhalb der Rechtsordnung geben, und wenn ein Pilot das dann aus eigener Gewissensentscheidung eben befolgt, obwohl er das nicht muss, dann müssen sich beide auch den Folgen stellen. Natürlich gibt es im Leben immer Fälle, wo einer sagt, was immer im Gesetz steht, ich folge nur noch meinem Gewissen. Das kann durchaus ehrenwert sein, aber dann muss man auch bereit sein, die Folgen auf sich zu nehmen, die sich daraus ergeben. (…) Aber noch einmal: Wir sind hier bei der Frage, ob wir wegen Straftäter, die es gibt, unsere eigene Rechtsordnung demolieren, das, was über Jahrhunderte an Rechtswissen und rechtlicher Überzeugung, ethischer Überzeugung aufgebaut worden ist, das einfach zu zerstören und das Leben von Menschen zur Verfügungsmasse des Staates zu machen aus irgendwelchen opportunistischen Gründen, weil der Minister meint, es ist eben so, oder weil er meint, na ja, also die paar Hansels in der Maschine, die opfere ich jetzt. Wenn der Staat das Recht bekommt, über das Leben seiner Bürger wie über eine Verfügungsmasse zu verfügen, dann verkennen wir, dass jeder Einzelne unersetzbar ist und nicht aufgewogen werden darf wie eine Ware. Ich bin nicht bereit – und wir sollten nicht bereit sein –, das, nämlich unsere rechtlichen, ethischen und moralischen Überzeugungen, das aufzugeben, das, was wir eigentlich verteidigen wollen, wegen Verbrechern aufzugeben und zu demolieren. Das darf ein Staat nicht machen.
Hatting: Vielen Dank. Das war der FDP-Politiker und Rechtsexperte Burkhard Hirsch im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Danke für das Gespräch. Schönen Tag noch.