"Staat hat Schutzpflicht für Leben und Gesundheit"

Moderation: Jörg Degenhardt |
Der Gesundheitsexperte Helge Sodan hat das Rauchverbot verteidigt. Der Staat habe eine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit, sagte der Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht. Er dürfe nicht untätig bleiben. Die Klage eines Diskothekenbetreibers gegen das Verbot hält Sodan allerdings für berechtigt.
Jörg Degenhardt: Der Streit um den blauen Dunst erreicht heute gewissermaßen die höchste juristische Ebene. In Karlsruhe wird darüber verhandelt, was schwerer wiegt: Dass das Rauchen in Kneipen die Gesundheit der Gäste gefährdet oder dass das Rauchverbot die Existenz der Betreiber bedroht. Drei klagende Wirte aus Baden-Württemberg und Berlin hoffen stellvertretend für weitere unzufriedene Kollegen auf eine Lösung wie in Spanien. Dort nämlich können Inhaber kleiner Kneipen, und um die geht es hier, selbst entscheiden, ob geraucht werden darf oder nicht. Mein Gesprächspartner ist Professor Helge Sodan. Er ist Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht. Guten Morgen, Herr Sodan. Können Sie sich das spanische Modell für Deutschland vorstellen, also Ausnahmeregelungen für Einraumkneipen und Diskotheken?

Helge Sodan: Guten Morgen, Herr Degenhardt! Vorstellen kann ich mir das schon. Letztlich geht es ja darum, dass sehr unterschiedliche Positionen einander widerstreiten. Wir haben auf der einen Seite den Nichtraucherschutz, der insbesondere deshalb ja verfolgt wird, weil etwa 120.000 Deutsche an den Folgen des Rauchens jährlich sterben. Das ist eine schlimme und alarmierende Zahl, und die Volkswirtschaft kostet das nach Berechnungen fast 20 Milliarden Euro.

Und auf der anderen Seite haben wir die Grundrechtspositionen der Betreiber der Gaststätten, die sich auf die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie berufen. Beide Positionen müssen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in einen schonenden Ausgleich gebracht werden. Und bisher haben sich die deutschen Gesetzgeber für den Nichtraucherschutz entschieden.

Degenhardt: Ist das überhaupt vereinbar mit dem Gebot der Gleichbehandlung?

Sodan: Ja, ich sehe ein Problem im Hinblick auf einen der drei Fälle, die heute vom Bundesverfassungsgericht verhandelt werden. Und zwar geht es da um eine Großraumdiskothek in Baden-Württemberg. Die Betreiberin macht geltend, dass ihr im Gegensatz zu den Gaststätten keine Möglichkeit eingeräumt wird von Gesetzes wegen, einen separaten Raucherraum einzurichten. Und das muss natürlich dann auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sein. Ich sehe hier schwerlich eine Rechtfertigung, warum nun Diskothekenbetreiber anders als Gaststättenbetreiber in Baden-Württemberg behandelt werden.

Degenhardt: Warum kann man das Rauchverbot in Einraumkneipen wohlgemerkt auch ohne weitere Angestellte nicht ein wenig lockern?

Sodan: Ja, man könnte es natürlich lockern. Das ist nun zu bedenken, ob hier der Schutz der Nichtraucher dann vorgeht. Die Kritiker wenden natürlich ein, dass man nun nicht überall das Recht haben kann als Nichtraucher, auch vor den Folgen von Rauchen geschützt zu werden. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom Februar diesen Jahres, als es um einen Eilantrag ging, gesagt, dass doch hier Nichtraucher auch ein Recht hätten, am sozialen Leben teilzunehmen, und zwar ohne Gefährdung ihrer Gesundheit, also würde man den Nichtrauchern in solchen Einraumgaststätten schlechterdings verweigern, an diesem Leben teilzunehmen. Und ob das dann rechtfertigungsfähig ist, ist eine Abwägungsfrage, die in Karlsruhe nun entschieden werden muss.

Wir bewegen uns hier in einem Bereich, wo es sehr viel um Wertungen geht, wo man schwer auch prognostizieren kann, wie diese Wertungen konkret vorgenommen werden. Da spielen natürlich subjektive Einschätzungen eine Rolle. Und das Bundesverfassungsgericht hat gerade in diesem Bereich für sich stets einen großen Spielraum in Anspruch genommen.

Degenhardt: Kann denn nicht auf andere Weise etwas für den Nichtraucherschutz getan werden, etwa mit einer Kennzeichnungspflicht für Gaststätten, in denen geraucht werden darf. Dann könnten ja Nichtraucher selbst entscheiden, ob sie sich dem Tabakrauch aussetzen wollen oder eben nicht.

Sodan: Ja, das wird immer als milderes Mittel eingewandt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert ja, dass es keine milderen Mittel geben darf, die in gleicher Weise auch den Zweck erreichen. Ob eine Kennzeichnungspflicht nun diesem gesetzgeberischen Zweck in gleicher Weise entspricht, ist die Frage. Wie gesagt, es geht eben auch darum, dass doch die Nichtraucher geschützt werden müssen, die an diesem sozialen Leben, ich greife noch mal die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts auf, teilhaben wollen. Und wenn ich dann draußen lese, dass hier geraucht werden darf, dann werde ich möglicherweise als Nichtraucher diese Gaststätte erst gar nicht aufsuchen. Das ist eben jene Abwägung, um die es geht, was wiegt schwerer. Und da gibt es für beide Positionen natürlich gute Argumente.

Ein Argument möchte ich allerdings noch hinzufügen, das ist der Schutz der Beschäftigten vor den Folgen von Passivrauchen. Das spielt ja auch eine große Rolle in dem ganzen Zusammenhang. Und insofern wird man wohl nur für solche Einraum-Gaststätten eine Ausnahme überhaupt erwägen können, in denen der Betreiber selber sozusagen ausschließlich die Gäste bedient und keine Beschäftigten hat. Nach der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts kann ich das allerdings hier nicht entnehmen in den Fällen. Dort ist nicht zum Ausdruck gebracht, dass diese Einraumgaststätten ausschließlich inhabergeführt sind.

Degenhardt: Ein bisschen kurz gekommen ist mir bis jetzt das Schicksal der klagenden Wirte und überhaupt der Wirte, die Sie vertreten, die ja auf Umsatzeinbußen verweisen von teilweise bis zu 30 Prozent, wenn sie Stammgäste haben, die Raucher sind und die dann möglicherweise ja auch riskieren, dass sie ihr Geschäft aufgeben müssen. Spielt das eine so untergeordnete Rolle?
Sodan: Nein, keine untergeordnete Rolle. Letztlich geht es um eine Abwägung zwischen diesen hochrangigen Rechtsgütern. Denn Leben und Gesundheit, dafür hat ja der Staat sogar eine Schutzpflicht. Das heißt, er darf gar nicht untätig bleiben. Er muss sozusagen ein Mindestmaß an Schutz gewährleisten, wie das Bundesverfassungsgericht immer betont hat. Und von dieser Sicht aus meine ich, dass der Gesundheitsschutz letztlich auch Geschäftsinteressen vorgehen muss.

Im Übrigen bleibt es ja den Einraumgaststättenbetreibern unbenommen, sich auch andere Räume anzumieten. Ich weiß, dass das mit Aufwand verbunden ist, und dass man möglicherweise dadurch einen Teil der Gäste verliert. Aber so ohne Weiteres auf die Umsatzeinbußen zu pochen, scheint mir dann eben auch nicht ganz richtig zu sein.

Degenhardt: Ein Urteil wird der erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes vermutlich erst im Sommer verkünden. Rechnen Sie denn mit einer grundlegenden Entscheidung, die dann ja vielleicht auch zu einer Vereinheitlichung der zum Teil ja sehr unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern führt. Wenn ich daran denke, dass es zum Beispiel in Bayern extra Raucherclubs mittlerweile gibt.

Sodan: Wünschenswert ist eine grundlegende und grundsätzliche Entscheidung. Es ist ja auch bemerkenswert, wie schnell das Bundesverfassungsgericht hier eine mündliche Verhandlung anberaumt hat. Zwei Fälle sind überhaupt erst in diesem Jahr anhängig gemacht worden. Und dass das Bundesverfassungsgericht so schnell darüber verhandelt, ist eher ungewöhnlich. Ich darf auch sagen, dass überhaupt nur wenige Fälle des Bundesverfassungsgerichts mündlich verhandelt werden. Das sind im Schnitt etwa so 15 Sachen im Jahr von insgesamt über 6000 Eingängen. Man muss die Relation sehen. Das heißt, das Gericht nimmt die Sache sehr ernst. Ich könnte mir dann vorstellen, dass es auch die Gelegenheit wahrnimmt, diesen sehr grundsätzlichen Streit, der ja auch sehr die Öffentlichkeit beschäftigt, dann auch mal eine Erklärung zuzuführen.

Degenhardt: Drei Wirte erheben in Karlsruhe Verfassungsklage gegen das Rauchverbot. Heute befassen sich die Richter in mündlicher Verhandlung mit der beispielhaft ausgewählten Klage. Am Telefon war Helge Sodan, Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht. Vielen Dank für das Gespräch!

Sodan: Bitte schön, gerne!