SSW-Politiker und Bundestagsabgeordneter Stefan Seidler

Der Mann mit dem Finger in der Erde

33:12 Minuten
Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) steht im Paul-Löbe-Haus.
"Wir machen Politik für alle": Stefan Seidler vom SSW im Paul-Löbe-Haus. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Moderation: Ulrike Timm · 12.11.2021
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Dänen, Friesen, Sorben, Sinti & Roma – das sind die vier nationalen Minderheiten Deutschlands. Für sie will sich Stefan Seidler künftig im Bundestag einsetzen: Der Politiker errang für den Südschleswigschen Wählerverband das erste Mandat seit 68 Jahren.
"Das ist eine ganz gute Ecke", sagt Stefan Seidler über seinen Sitzplatz im Deutschen Bundestag: Oben zwischen Grünen und SPD, etwas abseits, "wo alle hoch huschen, um noch ein bisschen zu flüstern".
Dem Politiker des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) ist der Sitzplatz aber auch aus anderen Gründen recht: "Da kann ich mich ein klein bisschen absondern." Denn der Abgeordnete ist fraktionslos und sitzt als einziger seiner Partei im neuen Bundestag.

Minderheitenrechte im Bundestag

68 Jahre ist es her, dass der SSW schon einmal im Deutschen Bundestag vertreten war. Mit gut 55.000 Zweitstimmen bei der vergangenen Bundestagswahl schaffte der SSW mit Stefan Seidler nun erneut den Einzug ins Parlament – dank einer Sonderreglung: Parteien nationaler Minderheiten sind nicht an die Fünf-Prozent-Hürde gebunden.
Als Partei der dänischen Minderheit setzt sich der SSW in Schleswig-Holstein für die Belange der Region ein, für den Ausbau der Infrastruktur und für die Rechte der Dänen und Friesen.
Auch die Rechte von Sinti & Roma und Sorben, zwei weitere nationale Minderheiten, hat der SSW im Blick. Doch als reine Minderheiten-Lobby versteht sich die Partei nicht: "Wir machen Politik für alle", sagt Stefan Seidler. Nun auch in Berlin.

Von den Dänen lernen

Als einzelner und fraktionsloser Abgeordneter muss der Flensburger im Bundestag Abstriche machen. So hat er etwa kein Stimmrecht in Ausschüssen und kann keine Gesetzesvorlagen einbringen. Außerdem steht ihm weniger Redezeit zu. Das allerdings sieht Seidler gelassen: Als Norddeutscher möge er es ohnehin "kurz und knapp".
Seidler will nun die "Minderheitenrechte auf die Tagesordnung" setzen und den "Fokus mehr in den Norden richten".
Als Angehöriger der dänischen Minderheit mit deutscher und dänischer Staatsbürgerschaft, der bis zum Abitur dänische Schulen besucht und später in Aarhus Politikwissenschaften studiert hat, empfiehlt Seidler auch den Blick zum nördlichen Nachbarn. In der Digitalisierung sei Dänemark Deutschland "um Lichtjahre voraus" und auch in Hinblick auf flache Hierarchien, Bürgerbeteiligung und Verwaltung könne man von den Dänen lernen.

"Wir sprechen Kauderwelsch"

Mit dänischer Mutter und deutschem Vater ist Stefan Seidler mehrsprachig aufgewachsen – wie viele in der Region: neben Dänisch und Deutsch auch mit Plattdeutsch. Gern werde das Ganze auch in einem Satz verwendet: "Wir sprechen Kauderwelsch, völlig durcheinander."
Heute herrscht an der deutsch-dänischen Grenze zumeist ein freundliches Miteinander. Die wenigen bis heute bestehenden Animositäten sind aus Seidlers Sicht nicht so sehr auf die NS-Zeit zurückzuführen, als vielmehr auf die Nachwirkungen des deutsch-dänischen Krieges 1864. Zahlreiche junge Dänen, die aber in der Folge von 1864 auf dem Papier als deutsch galten, mussten später in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs für das Deutsche Reich ihr Leben lassen, so auch Seidlers Urgroßonkel: "Der Stachel sitzt tief."

"Es ist wirklich ein Knochenjob"

Seinem neuen Job sieht der 41-Jährige mit Freude entgegen, auch wenn er schon nach wenigen Wochen merkt: "Es ist wirklich ein Knochenjob." Es gebe nicht viel Schlaf und nicht viel Zeit, um Freundschaften zu pflegen oder für die Familie da zu sein.
In den sitzungsfreien Wochen will der Politiker aber auch Zeit in seinem Wahlkreis in Flensburg verbringen, um die Anliegen der Region im Blick zu behalten. Er hält es dabei mit einem dänischen Sprichwort: Es sei als Abgeordneter immer gut, "den Finger in der Erde" zu haben.
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