Srebrenica-Urteil des Internationalen Gerichtshofs

Von Jochen Thies |
Der Internationale Gerichtshof in den Haag kann mit seinen Urteilen begangene Verbrechen nicht ungeschehen machen oder adäquat sühnen. Aber seine Verfahren und seine Schuldsprüche haben in den letzten Jahren unzweifelhaft dazu beigetragen, dass unter den Diktatoren dieser Welt Unruhe entstanden ist, Sorge, dass man eines Tages den Palast mit dem Untersuchungsgefängnis im zugigen Den Haag eintauschen müsse.
So erging es Slobodan Milosevic, und so könnte es eines Tages auch noch dem ehemaligen Serben-General Mladic ergehen, dem Hauptverantwortlichen von Srebrenica, in dessen Umgebung auch mehr ein Jahrzehnt nach der unfassbaren Tat immer wieder Massengräber entdeckt werden.

Vielleicht hat das Gericht in Den Haag die instabile Lage in der Region mitbedacht, als es heute eine salomonische Entscheidung fällte: auf der einen Seite wurde Serbien vom Vorwurf, den Bosnien-Herzegowina erhoben hatte, freigesprochen, nämlich eine direkte Verantwortung für den Völkermord vom Sommer 1995 zu haben. Auf der anderen Seite kamen die Richter des Tribunals zu dem Schluss, dass Serbien die Konvention zur Ächtung des Völkermordes verletzt habe, weil Belgrad nicht genügend dazu tat, das schreckliche Massaker zu verhindern.

Die rasche Reaktion des serbischen Präsidenten Tadic, der das Parlament seines Landes dazu aufforderte, mittels einer Resolution das Verbrechen von Srebrenica zu verurteilen, zeigt, dass das Gericht und die internationale Staatengemeinschaft Serbien jenes Manoeuverspielraum belassen haben, den das gebeutelte, gedemütigte, aber auch stolze Land benötigt, um sich zum faktischen Verzicht auf den Kosovo durchzuringen und sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die am Ende den westlichen Balkan nach Europa bringt.

Die heutige Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag ist darüber hinaus aber auch ein Schwarzer Tag für die Westeuropäer. Sie sahen – aus anderer Perspektive – das Massaker ebenfalls kommen und taten nichts, obwohl ihre Politiker und damit auch die deutschen Politiker beschworen hatten, dass man die Lektionen des Zweiten Weltkriegs begriffen habe. So gesehen, bleibt Srebrenica immer auch eine Stunde des Versagens der Europäer. Und in einer schweren Zeit für die USA im Irak sei daran erinnert, dass es die Amerikaner waren, die den Balkan-Konflikt mit mehreren hunderttausenden von Toten schließlich eindämmten.