Spurensuche im Sudetenland

Die Kamera als Erinnerungswerkzeug

09:35 Minuten
Rückansicht von drei alten Frauen in traditioneller Tracht, mit roten Hauben, weißen Spitzkragen und schwarzen oder blauen Röcken.
Bei ihrer Recherche im heutigen Tschechien traf die Fotografin Yvonne Most auf viele ältere Menschen, die die Vertreibung noch selbst miterlebt haben. © Yvonne Most
Yvonne Most im Gespräch mit Shanli Anwar · 23.04.2019
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Verortung, Heimat, Identität: Diesen Themen spürt die Fotografin Yvonne Most in ihrem Buch "Die Erinnerungen der Anderen" nach. Sie erzählt dabei mehr als nur die Geschichte ihrer sudetendeutschen Großmutter. Ihre Bilder zeigen Mensch und Landschaft mit verwachsenen Narben.
Für ihren Fotoband "Die Erinnerungen der Anderen" recherchiert die Fotografin Yvonne Most die Geschichte ihrer Familie, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem heutigen Tschechien vertrieben wurde.
Lange Zeit war die sudetendeutsche Herkunft ihrer Großmutter in ihrer Familie kein Thema: "Es wurde einfach nicht darüber gesprochen", sagt Most. "Die Aufarbeitung der ersten Generation findet in meinen Augen und nach meiner Erfahrung noch nicht wirklich statt." Erst die Enkelgeneration fange an zu fragen - oft erst nach dem Tod der Großeltern: "Ja, wo kommt Oma eigentlich her? Wo sind die aufgewachsen? Was bedeutet eigentlich 'sudetendeutsch'?"

"Es geht um identitätsstiftende Motive"

Mit ihrer Kamera hat sich die Fotografin jetzt der Heimat ihrer Großmutter genähert und sie sich dadurch angeeignet. "Die Kamera ist quasi mein Werkzeug, um die Umgebung für mich sinnvoll und auch sichtbar zu machen", begründet sie den Ansatz. "Durch die Kamera komme ich an Orte und Menschen, an die ich ohne diese Kulturtechnik gar nicht gelangen könnte."
Dabei herausgekommen sind zahlreiche Naturaufnahmen und viele Porträts von oft älteren Menschen, die im Buch einander gegenübergestellt werden. "Es geht um identitätsstiftende Motive", sagt Most.
Fußballtore auf einem braunen, trockenen ehemaligen Fußballplatz.
Eine Landschaft voller Fehlstellen: Yvonne Most hat mit ihrer Kamera die alte Heimat ihrer Großmutter besucht.© Yvonne Most
Dabei sei es ihr nicht nur darum gegangen, die Geschichte ihrer Familie zu erzählen, sondern diese wird in einem größeren Kontext betrachtet. "Es geht für mich auch generell um das Thema Verortung, Orientierung, Identität", sagt Most.
"Das Thema Flucht ist allgegenwärtig und ist für mich auch ein Thema, mit dem sich jeder beschäftigen sollte, unabhängig von der eigenen Herkunft, dass man anderen Menschen, die auf der Suche sind, dass man denen auch Halt gibt."
(uko)

Yvonne Most: "Die Erinnerungen der Anderen"
Kehrer-Verlag, 128 Seiten mit 73 Farbabbildungen, ca. 35 Euro. In Vorbereitung

Yvonne Most (*1981) studierte Fotografie an der Kunsthochschule Halle und an der Ostkreuzschule in Berlin und arbeitet als freischaffende Fotografin für zahlreiche Magazine, außerdem als Dozentin, unter anderem bei C/O Berlin.
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