Spurensicherung in Nordhausen

Von Kathrin Messerschmidt |
1943 wurde bei Nordhausen eine Außenstelle des KZ Buchenwald eingerichtet: das Lager "Dora". Jetzt gibt es ein neues Museum in der KZ Gedenkstätte Mittelbau Dora mit angeschlossenem Lern- und Dokumentationszentrum. Im Mittelpunkt des neuen Konzeptes steht das Vermächtnis der Häftlinge.
"Die Schulungsräume sind besser ausgestattet, erst mal von der Technik, zweitens können wir mehrere Schulklassen auf einmal in diese Schulungsräume bringen, was vorher nicht möglich war, wir haben die Möglichkeit, Filmmaterial anzubieten, wir haben 'ne bessere Bibliothek bekommen, um die ganzen Archivmaterialien zugänglich zu machen. Dieses Wissen weiterzuvermitteln ist eigentlich das Ziel, damit solche Sachen, die hier passiert sind, nicht wieder auftreten."

Das neue Museum der KZ Gedenkstätte Mittelbau Dora in Nordhausen im Südharz liegt ein wenig abseits. Es hat große Fenster, von denen aus der Blick nach allen Seiten in die hügelige Landschaft fällt. Es ist ein Ort, an dem Spuren sichergestellt werden.

Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner: "Im Grunde gehen wir vor, ja, wie Kriminalisten. Wir nähern uns als Historiker wie Kriminalisten der Geschichte des Lagers an, indem wir, ja, man könnte fast sagen, die Schmauchspuren des Verbrechens an den Orten suchen. Wir suchen die baulichen Relikte, was ist noch da, was erzählen uns die baulichen Relikte. Das Konzept der Spurensicherung ist im Grunde zeitgeschichtliche Archäologie, die wir betreiben."

Die überlebenden ehemaligen Häftlinge sind alt. Bald werden sie nicht mehr von ihren Erfahrungen im Lager berichten können. Was bleibt, sind Grundmauern von Baracken, Essbestecke, Schuhe, schriftliche Zeugnisse.

In Mittelbau Dora will man das Vermächtnis der Häftlinge bewahren und fortführen. Zur Neukonzeption gehört auch die Neubewertung des Lagergeländes.

Dr. Wagner: "Man weiß eigentlich gar nicht genau, wo beginnt eigentlich die Gedenkstätte, wo begann das ehemalige Häftlingslager, wo hat die Zwangsarbeit stattgefunden, wo war der Bahnhof, wo waren die Zuwege in das Lager? Bestimmte Bereiche des ehemaligen Lagergeländes werden vom Baumbewuchs weitgehend freigehalten, so dass wir eine Raumkante haben zwischen dem SS-Lager und dem Häftlingslager. Auf diese Weise gelingt es uns, den Übergang vom Ort der Täter zum Ort der Opfer zu kennzeichnen."

Manche Zonen des Lagergeländes sind noch nicht in ihrer Bedeutung erschlossen worden. Auch heute, 60 Jahre nach Kriegsende, finden sich neue, bislang unerkannte Spuren der Verbrechen.

Dr. Wagner: "Im Hof des Lagerbunkers gab es eine Hinrichtungsstätte, eine Vertiefung, mit einem Galgen, der da drin gestanden hat und einer Ziegelmauer, die das Ganze umrandete, in der Häftlinge erhängt und erschossen wurden. Diese Stätte wurde den Besuchern bis vor wenigen Jahren als eine Art Auffahrtrampe im Bunkerhof erzählt, einfach weil man nicht wusste, was es damit auf sich hatte, nämlich dass es ein Erschießungsort ist."

In Mittelbau Dora wurde seit August 1943 in den unterirdischen Stollen des Kohnsteins die V2-Waffe produziert. Die Zwangsarbeiter arbeiteten, schliefen und - starben - in den Stollen.

Durch den jahrzehntelangen Anhydrit-Abbau auf der anderen Seite des Berges ist ein Teil der historischen Stollenanlage eingestürzt. Eine Zeitlang wurde sie als Gemüselager benutzt.

Dr. Wagner: "Es gab erhebliche Schwierigkeiten mit der Verlagerung eines Hundesportplatzes, der sich auf der Rampe des ehemaligen Bahnhofes angesiedelt hatte. Das haben wir nach zehn Jahren hartem Kampf erst regeln können vor einem guten Jahr, mittlerweile ist die Bahnhofsrampe wieder freigelegt, und es ändert nichts mehr daran, dass dort 20 Jahre lang ein Hundesportplatz existierte und dass die dort trainiert wurden, die Polizei dort sogar ihre Hunde schussfest gemacht hat auf der ehemaligen Rampe des ehemaligen Bahnhofes."
Von der Bahnhofsrampe ist nicht mehr viel übrig. Auf den Fundamenten nicht mehr vorhandener Baracken wachsen Bäume. Sie werden bis zur Traufhöhe weiß gekalkt als Zeichen dafür, dass an diesem Ort Häftlinge untergebracht waren. Metallplatten markieren die Eingänge. Der Ort, an dem das historische Zeugnis verloren gegangen ist, kann nur in abstrakter Form gekennzeichnet werden. Dr. Wagner:

Dr. Wagner: "Insgesamt haben wir uns verabschiedet von einem Konzept der Rekonstruktion. Ein Lagerwaggon in der Gedenkstätte, von dem man genau weiß, dass er nie ein Waggon gewesen ist, mit dem Häftlinge transportiert wurden, oder Nachbauten von Baracken, von denen wir genau wissen, dass dort nie Häftlinge untergebracht wurden, letztendlich wird mit einer solchen Form von Rekonstruktion den Besuchern einer Gedenkstätte eine vermeintliche Authentizität vorgegaukelt, die keine ist und letztlich die Imaginationsfähigkeit des Besuchers eingeschränkt."

Spurensicherung, das ist nicht nur die Aufgabe der Fachleute, sondern all derer, die das Gelände des ehemaligen Lagers betreten. Betrachten, Fragen und Antworten, Sprechen und Schweigen, Lernen, all das hilft, die Spuren der Menschen zu erkennen, die durch Arbeit vernichtet werden sollten.

Besucherbetreuer Florian Schäfer: "Ich sehe es auch nicht so, dass ich jetzt den Leuten irgendwas erzähle und sie jetzt nicken müssen die ganze Zeit und das hinnehmen müssen. Man kann nicht geschichtliche Ereignisse als eine Sache darstellen. Es sind einfach Geschichten. Ich bin dafür da, ihnen den Ort zu zeigen, aber sie haben natürlich auch selbst Augen, sie können das sehen, aber ich bin einfach dafür da, mit ihnen zusammen auch ein Gespür für den Ort zu entwickeln."