Sprachwissenschaftler zur Debatte um "Nazis raus"

Den Nazi in uns austreiben

Leerstehende Bushaltestelle mit Graffiti Nazis Raus in Hoyerswerda Neustadt. 2009.
"Nazis raus!" als Grafitti auf einer Bushaltestelle in Hoyerswerda. © imago/IPON
Anatol Stefanowitsch im Gespräch mit Vladimir Balzer · 08.01.2019
Nachdem sie wegen eines "Nazis raus"-Tweets bedroht wurde, solidarisierten sich Anfang der Woche viele Twitter-Nutzer mit der Journalistin Nicole Diekmann. Linguist Anatol Stefanowitsch hält das für richtig, sieht den Slogan aber auch kritisch.
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch sagt, er würde den Slogan "Nazis raus" jederzeit benutzen und er stimme dem zu, was in vielen Solidaritätsbekundungen an die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann schon geäußert worden sei.
"Das ist so eine Selbstverständlichkeit, dass es interessant ist, dass überhaupt eine Kontroverse entstanden ist. Man könnte sich auch fragen, ob hier nicht eher eine Kontroverse konstruiert wird, ob nicht vielmehr eine kleine, aber sehr laute Minderheit sich auf den Schwanz getreten fühlt."

Öffnung des öffentlichen Diskurses nach rechts

Der Deutsche Fußball-Bund habe sich mit Diekmann solidarisch erklärt, und "wenn der Deutsche Fußball-Bund etwas twittert, dann kann man davon ausgehen, dass das gesellschaftlicher Konsens ist." Stefanowitsch sagt, dass es sich bei dieser Minderheit wohl tatsächlich um Nazis handele, die aber nicht so genannt werden wollten. Die sähen sich jetzt im Aufwind, da der öffentliche Diskurs sich in den letzten Jahren nach rechts geöffnet habe.
Der historische Kontext in den 60er-Jahren, in dem der Slogan "Nazis raus" entstanden ist, als man ehemalige Nationalsozialisten aus der Zeit des Dritten Reichs damit meinte, sei zwar nicht mehr vorhanden, konstatiert Stefanowitsch auf Einwurf.
"Es gibt hier aber eine klare Kontinuität. Die fällt vielleicht nicht sofort auf, weil die Menschen, die völkisch-rassistische und menschenfeindliche Meinungen vertreten haben, sich lange nicht getraut haben, diese öffentlich kundzutun. Aber diese Leute waren ja die ganze Zeit da. Ich würde nicht sagen, dass man hier groß unterscheiden kann zwischen den heutigen und damaligen Nazis."

Vokabular aus der Nazi-Zeit

AfD-Politiker benutzten Worte wie "den politischen Gegner jagen" oder "Geschwür am deutschen Volkskörper" und das sei ganz klar Vokabular aus der Nazi-Zeit, so Stefanowitsch.
Es gebe aber dennoch ein Problem mit dem Slogan: "Das, wofür die Nazis stehen, der Rassismus, der Antisemitismus, der Sexismus, die Homosexuellen-Feindlichkeit, das sind ja Tendenzen, die sich durch die gesamte Gesellschaft ziehen. Und indem wir 'Nazis raus' rufen oder twittern, externalisieren wir das. Da tun wir so, als ob die Nazis das Andere sind, das mit uns nichts zu tun hat. Eigentlich müssten wir aber sagen: Was ist der Nazi in uns? Den müssen wir auch austreiben. Mit diesem Slogan tun wir aber so, als ob das schon geschehen wäre."
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch spricht am 06.05.2014 bei einer Keynote auf der Internetkonferenz Republica in Berlin. Auf der Veranstaltung werden vom 06.05.2014-08.05.2014 Vorträge über Themen rund um das Internet gehalten. Foto: Britta Pedersen/dpa | Verwendung weltweit
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch auf der Internetkonferenz re:publica. Stefanowitsch hat Verständnis für den Slogan "Nazis raus". © dpa-Zentralbild
So betrachtet sei der Slogan zu vereinfachend und getwittert könne er den Anklang einer wohlfeilen Selbstvergewisserung haben.
Zum Einwurf des Moderators, bestimmte gesellschaftliche Gruppen aus dem Land zu schmeißen (gemäß des Slogans "Nazis raus") sei doch eine Nazi-Methode, sagt Stefanowitsch, dass man dies so verstehen könne, wenn man den Slogan wortwörtlich nehme. "Man muss aber daran denken, dass man Toleranz nicht so weit überdrehen darf, dass man Leute toleriert, die die Toleranz abschaffen wollen." Natürlich könne man diese Leute aber nicht aus dem Land schmeißen. "Wer sich aber in der intellektuellen Tradition von Menschen bewegt, die sechs Millionen Juden umgebracht haben, der kann sich eigentlich nicht über einen Tweet aufregen."

Nicht auf soziale Netzwerke beschränken

Deswegen seien die Solidaritätsbekundungen gegenüber Nicole Diekmann angebracht gewesen und das sei etwas Positives, so Stefanowitsch. Es müsse doch selbstverständlich sein, dass man keine Nazis in der Gesellschaft haben will. Allerdings dürfe man sich nicht auf soziale Netzwerke beschränken, sondern man müsse sich den Nazis auch in den Parlamenten und auf der Straße entgegenstellen. Es gebe ein gesellschaftliches Problem, dass sich seit einigen Jahren institutionalisiere. "Da müssen wir die Befürchtung haben, dass da eine Eigendynamik entsteht und dass die ganze Gesellschaft sich nach rechts ziehen lässt."
Außerdem bezweifle er, dass sich eine ursächliche Linie vom Slogan "Nazis raus" zu dem Angriff auf den AfD-Politiker Frank Magnitz ziehen lasse, so Stefanowitsch. Er wundere sich auch über die Verhältnismäßigkeit der Diskussion. "Wir haben jeden Tag Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime. Wir haben uns daran gewöhnt und das sind keine Nachrichten mehr. Und wenn es dann einen AfD-Abgeordneten trifft, dann ist es plötzlich eine Nachricht. Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen, aber dass die Diskussion immer dann aufflammt, wenn die Leute, die Hass säen, mal selber Hass erfahren, das ist schon erstaunlich."
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