Sprachunterricht in neuer Form

Von Nikolaus German |
Altertümliche Sprachen wie Griechisch und Latein werden an immer weniger Schulen gelehrt. Statt den Sprachunterricht aufgrund seines üblichen Umfangs und voller Stundenpläne zu streichen, sollte er sich auf die Vermittlung von elementaren Kenntnissen konzentrieren.
Dem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog lag viel am Thema Bildung. Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte er zum öffentlichen Diskurs über Bildungsziele und -inhalte aufgerufen, die im 21. Jahrhundert von besonderer Wichtigkeit sein werden. Nicht zuletzt die Inhalte unserer Schulbildung müssten überprüft werden, meinte der damalige Bundespräsident.

Dieser öffentliche Diskurs ist nie recht in Gang gekommen, denn natürlich haben nicht alle daran ein Interesse. Die Zunft der Altphilologen etwa befürchtet, aus einer solchen bildungs- und schulpolitischen Debatte als Verlierer hervorzugehen. Latein und Griechisch könnten noch mehr als bisher unter Rechtfertigungsdruck geraten und vielleicht ganz aus den schulischen Lehrplänen verschwinden.

Dass diese Befürchtung berechtigt ist, zeigt der dramatische Rückgang der alten Sprachen an unseren höheren Schulen seit gut 50 Jahren. Während jahrhundertelang Latein und Griechisch im Zentrum der gymnasialen Bildung standen, gibt es heute Lateinunterricht nur noch an 30 Prozent der deutschen Gymnasien, Griechisch nur noch an sieben Prozent. Der Deutsche Altphilologenverband versucht mit viel Werbung – auch im Internet – diesen Abwärtstrend zu stoppen, vor allem mit Hinweis auf den Nutzen von Latein und Griechisch fürs spätere Studium. Das Latinum, so wird betont, benötigt man für Studiengänge wie Sprachen, Geschichte oder Kunstgeschichte. Wer Theologie oder Archäologie studieren will, muss zusätzlich das Graecum nachweisen. Auch fürs Philosophie- und Medizinstudium sind Latein- und Griechischkenntnisse nötig. Warum also diese Sprachen nicht gleich in der Schule lernen? – fragen die Altphilologen und haben mit ihrem Werben wohl einen gewissen Erfolg, denn erstmals seit sehr langer Zeit ist jetzt die Nachfrage nach Latein und Griechisch an den Schulen leicht gestiegen.

Aber man täusche sich nicht. Am weiteren Bedeutungsverlust der beiden altehrwürdigen Schulfächer ändert das nichts. Wegen der fortschreitenden Modernisierung der schulischen Bildung, bei der ständig neues Wissen aufgenommen und veraltetes, unwichtig gewordenes ausgeschieden wird, können sich altertümliche Disziplinen wie Latein und Griechisch langfristig nicht halten – zumindest nicht in der Form und in dem Umfang wie bisher. Denn ein zeitraubendes Lernen der gesamten griechischen und lateinischen Grammatik, nur um so halbwegs Homer und Ovid übersetzen zu können, lässt sich angesichts eines Stundenplans, der mit modernen Fremdsprachen, Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften und Nebenfächern vollgepackt ist, nicht mehr rechtfertigen. Auch in der Schulbildung kann man nicht alles haben, man muss sich entscheiden. Das Latinum und Graecum samt ihren Göttern und Helden sind für eine zeitgemäße Bildung jedenfalls nicht mehr unverzichtbar, die Kenntnis von Darwins Evolutionstheorie und der Quantenphysik hingegen schon.

Und dennoch: Das griechisch-lateinische Erbe sollte man an unseren Schulen nicht ganz aufgeben. Im Gegenteil sollten elementare Kenntnisse der alten Sprachen an allen allgemeinbildenden Schulen vermittelt werden; mit Terminologiekursen zum Verständnis der zigtausend griechisch-lateinischen Fremdwörter in der deutschen gebildeten Sprache und in den juristischen, medizinischen und philosophischen Fachsprachen. An Schlüsselbegriffen wie „logos“ oder „ratio“, an Sentenzen wie Heraklits „panta rhei“ oder Descartes „Cogito ergo sum“ könnte man die Bedeutung der alten Sprachen für die abendländische Geistesgeschichte aufzeigen und ihr Fortleben bis heute in Kunst und Kultur, in der intellektuellen Welt und in den Feuilletons der Medien. Das wäre ein sinnvolles Weitergeben elementarer griechisch-lateinischer Sprachfähigkeiten, ein Beitrag zur lebenspraktischen kulturellen Allgemeinbildung. Schließlich sollte ja gelten: „Non scholae, sed vitae discimus.” Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben.

Nikolaus German, Autor und freier Journalist, M.A., geb. 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lebt als Autor und freier Journalist in München, schreibt v. a. für „Süddeutsche Zeitung",“ Rheinischer Merkur“, „Das Parlament“; zahlreiche Beiträge für Rundfunk und Fernsehen sowie mehrere Dokumentarfilme, darunter „Botschafter der Hoffnung – Sergiu Celibidache in Rumänien“, „München unterm Hakenkreuz – Hitlers Hauptstadt der Bewegung“, „Max Mannheimer – ein Überlebender aus Dachau“.