Sprachrohr der jüdischen liberalen Gemeinden

Von Igal Avidan |
Das jüdische Leben in Deutschland ist wesentlich vielfältiger als es in den deutschen Medien dargestellt wird. Genau diese Pluralität will die neue deutschsprachige "Jüdische Zeitung" präsentieren. Das Blatt wird zunächst monatlich und später zweiwöchentlich über Juden in Deutschland berichten. Die Erstauflage von 40.000 Exemplaren richtet sich auch an Nichtjuden.
Im Werner Media Verlag, der bereits erfolgreich zwei russischsprachige Zeitungen herausgibt, ist von Anzeigenflaute keine Spur. Und so kommt drei Jahre nach der russischsprachigen jüdischen Zeitung "Jewrejskaja Gaseta" nun die "Jüdische Zeitung" auf dem Markt: zunächst als Monatsheft, später soll sie alle zwei Wochen erscheinen. Zu den potentiellen Lesern gehören sowohl jüngere jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion als auch Deutsche, die sich für jüdische Kultur und Religion interessieren, sagt Chefredakteur Mikhail Goldberg:

"Es ist eine unsere Aufgaben auch junge Leser zu treffen, weil... die junge Generation von russischsprachigen Juden, die liest keine russischen Zeitungen mehr. Sie haben trotzdem Interesse sowohl am Judentum als auch an ost-europäischem Geschehen, seine Wurzel. Deswegen glauben wir, dass so eine Zeitung auch für solche Leute interessant sein sollte und könnte."

Besonders viel Raum widmet die "Jüdische Zeitung" kleinen liberalen jüdischen Gemeinden, die im Zentralrat der Juden in Deutschland nicht vertreten sind und in der von ihm herausgegebenen "Jüdischen Allgemeinen Zeitung" zu kurz kommen. Als Konkurrenz zu dieser Wochenzeitung sieht man sich offiziell nicht: Dennoch zielt die "Jüdische Zeitung" auf Seite Eins gegen den Alleinvertretungsanspruch des Zentralrats:

"Steht die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nun doch vor der Spaltung? Wenn sich der Zentralrat für Liberale öffne und anerkenne, dass man nach Prinzipien des Pluralismus in Vielfalt existiere, sehe die Weltunion der Progressiven Juden keine Notwendigkeit zu Alternativen. Doch solange die Bundesregierung ausschließlich die Orthodoxen und nicht die Unions-Gemeinden fördere, könne eine Spaltung nicht ausgeschlossen werden."

Platzmangel herrscht in der neuen Zeitung nicht. Der Vorsitzende einer Gemeinde mit 130 Mitgliedern wird auf rund 350 Zeilen interviewt. Auch nichtjüdische Themen finden hier Platz – analysiert werden die "Anatomie des Terrors", die Grundlinien der russischen Außenpolitik, die Polenreise von Angela Merkel und die Produktion eines preiswerten Aids-Medikaments im Ost-Kongo.

Wer gerne Interviews liest, wird gut bedient: Die Palette reicht von Politikern wie Lech Walesa, Gregor Gysi und Cornelia Pieper bis hin zum ehemaligen Vorsitzenden der japanischen Makuya-Bewegung. 13 Menschen kommen zu Wort.

Aber viele Interviews bedeuten noch lange nicht viele kritischen Fragen. Wohlwollend werden nicht nur liberale jüdische Persönlichkeiten wie Walter Homolka behandelt, sondern auch orthodoxe Rabbiner wie Joshua Spinner aus Berlin und Schneor Havlin aus Dresden. Von einer Selbstzensur will Chefredakteur Mikhail Goldberg jedoch nichts wissen:

"Das würde ich nicht als unkritisch bezeichnen, sondern wir versuchen in erster Linie die Zustände darzustellen. Das ist erste Aufgabe. Das ist nicht immer die Aufgabe der Zeitung, die Sachen zu bewerten. Das ist eher die Aufgabe der Leser, würde ich sagen.... Andererseits wir richten uns nicht nur an Juden, sondern an allen, die an das jüdische Leben interessiert sind. Deswegen ist es nicht immer gut, schmutzige Wäsche zu waschen."

Für Chefredakteur Goldberg ist die erste Ausgabe ein kleiner persönlicher Erfolg. Als er 1994 aus Kiew nach Berlin kam, hätte der gelernte Bauingenieur niemals zu träumen gewagt, dass er Chefredakteur einer deutschsprachigen Zeitung sein würde. Seinem Blatt kann man eine ebensolche reibungslose Integration im deutschen Zeitungsmarkt wünschen.