Sprache im Wahlkampf

Von Anke Petermann · 10.09.2005
"Bürgerversicherung" oder "Kopfpauschale" - der Kampf um Wählerstimmen ist immer auch ein Kampf um Begriffe. Sprach-, Kommunikations- und Politikwissenschaftler nahmen das Kampfwerkzeug während eines Symposiums an der Universität Koblenz-Landau genauer unter die Lupe.
" Jeder wird gleich besteuert, und wenn es ganz gut gelingt, gibt es keine Ausweichmöglichkeiten mehr. "

Vielleicht hören ihm viele noch aufmerksam zu, aber seinen Namen können viele nicht mehr hören.

" ... von Frau Merkel und Herrn Kirchhof - ... Paul Kirchhof - ... Herr Kirchhof hat ja vor ... "

Paul Kirchhof, Finanz- und Steuerexperte im "Kompetenz-Team" der CDU, auf allen Kanälen, doch ausgerechnet durch seinen Namen und den Begriff "Kompetenz" fühlen sich Bürger im Wahlkampf sprachlich am stärksten belästigt. Das ist das Ergebnis einer Stichprobe des Germanistischen Instituts der Universität Koblenz-Landau – nicht repräsentativ – dennoch wohl eine Schlappe für die Wahlkampf-Strategen der Union.

Kein Grund zur Häme seitens der Sozialdemokraten. Auch sie haben Probleme "beim Navigieren ihrer verbalen Heißluftballons", so formuliert die Koblenzer Sprachwissenschaftlerin Iris Meißner das Ergebnis ihrer Umfrage mit 40 Teilnehmern. Mag sein, dass das SPD-Modell der "Bürgerversicherung" erst mal anheimelnder klingt als das CDU-Konzept der "Kopfpauschale" – ein Begriff, der vor dem geistigen Auge unwillkürlich ein Fahndungsplakat samt Angabe der Höhe des Kopfgeldes heraufbeschwört. Doch viele Bürger wollen mit der nach ihnen benannten Versicherung nichts zu tun haben:

" Diejenigen, die ich befragt habe, glauben, es gibt eine neue Institution wie das Arbeitsamt und alle Bürger diese Landes werden Mitglied in dieser allumfassenden Krankenkasse. Und das ist die Vorstellung von einem sehr zentralistischen System, wovor viele angst haben, was negativ konnotiert ist. Vor einigen Wochen habe ich mit einem Hauptseminar gemeinsam versucht rauszubekommen, was die SPD will zur Bürgerversicherung. Wir haben sehr viele Texte unterschiedlicher Schwierigkeits- und Komplexitätsstufen untersucht und hatten große Probleme, das Konzept nachzubauen."

Dass selbst akademisch Gebildete die Bürgerversicherung kaum verstehen – liegt es vielleicht daran, dass vieles absichtlich im Unklaren gelassen wird? Haben die Linguisten dank ihrer Entschlüsselungskünste die Frage beantworten können, ob die Sozialdemokraten die privaten Krankenkassen abschaffen wollen oder nicht?

" Linguistisch kann man sich erarbeiten, dass die privaten Krankenkassen nicht abgeschafft werden sollen. Was dann passiert, wenn alle Krankenkassen geöffnet werden, kann der Linguist nicht überblicken, aber als zeitungslesender Normalbürger kann ich mir vorstellen, dass die Privaten zumachen."

Vertrauen – auch so ein Begriff, den die Leute nicht mehr hören können, obwohl oder gerade weil so intensiv darum geworben wird. Was aber meint die SPD mit dem Slogan "Vertrauen in Deutschland", der jedes Kanzler-Plakat schmückt? Da ist selbst ein Politikwissenschaftler überfragt:

" Vertrauen der Partei? Oder in die Partei? Vertrauen des Kanzlers oder in den Kanzler? Vertrauen der Deutschen in Deutschland, Vertrauen des Auslands in Deutschland?"

… fragt Ulrich Sarcinelli und demonstriert damit die ganze Assoziationsbreite. Warum die Leute dieses schöne gefühlvolle Wort so satt haben? Der Landauer Wissenschaftler erinnert an den kafkaesken Auftakt zur vorgezogenen Neuwahl, an die Vertrauensfrage als Ruf nach Misstrauen, daran, dass die Loyalen ihr Vertrauen durch inszenierte Illoyalität unter Beweis stellen mussten.

"Vertrauen" - das klang von da an nicht mehr so recht vertrauenswürdig. Dass die Wahlkampfsprache der Parteien so schwer verständlich und unscharf ist, hinterlässt auch politisch Interessierte desorientiert, hat Iris Meißner herausgefunden ...

" ... und auch, dass es sie frustriert, dass es nicht unbedingt eine Politikverdrossenheit gibt, sondern eine Politiksprachenverdrossenheit."

... so Meißner, die dem Wahlvolk auf der Straße durchaus "sprachkritisches Gefühl" bescheinigt. In den Interviews machten Bürger sogar Vorschläge, wie man Worthülsen übersetzen könne, zum Beispiel das Merkel-Motto von der "privilegierten Partnerschaft" mit der Türkei. "Risikolose Ausnutzung" lautete eine Version dazu. Dass sich die Wahlkampfstrategen der Parteien für diese Art von Tacheles begeistern lassen, ist allerdings eher zweifelhaft.

Service:

Die Tagung "Sprache im Wahlkampf" fand an der Universität Koblenz am 9. und 10. September 2005 statt.