Sprache der Juden

Von Ralf bei der Kellen · 04.02.2011
Mit "Jiddisch" bezeichnet man in erster Linie jene Sprache, die von Juden in Mittel- und vor allen Dingen in Osteuropa gesprochen wurde. Nun hat die Plattenfirma Bear Family eine Anthologie herausgegeben, die sich mit der Jiddischen Musik in Deutschland und deren Einflüsse nach 1945 beschäftigt.
So unterschiedlich diese drei Musikstücke auch sein mögen - eines verbindet sie: Alle drei sind enthalten auf der Anthologie: "Sol Sajn. Jiddische Musik in Deutschland und ihre Einflüsse 1953 - 2009". Auf zwölf CDs werden das Wiederaufleben und die Entwicklung der Jiddischen Musik in Deutschland nach 1945 dokumentiert. Die früheste Aufnahme stammt aus dem Jahr 1953.

Heiko Lehmann: "Cipé Lincovsky ist eine Jüdin gewesen, die nach Argentinien emigriert ist, dort im jiddischen Theater gespielt hat, aber ihre Drähte noch nach Berlin hatte und zwar über Helene Weigel zum Berliner Ensemble."

Sagt der Autor und Musiker Heiko Lehmann, einer der Redakteure der Anthologie. Bei einem Gastspiel in den Fünfzigerjahren in Ost-Berlin begegnete Hanns Eisler der Lincovsky. Er organisierte eine Aufnahme für die staatseigene Plattenfirma der DDR Eterna.

Allerdings und daran sieht man, dass die auf der Anthologie versammelte Musik auch ein Stück Zeitgeschichte ist – konnte die Aufnahme erst zwölf Jahre später auf Platte erscheinen. Heiko Lehmann erklärt, warum:

Heiko Lehmann: "Es traf natürlich politisch auch auf jene Zeit, in der, nachdem die Sowjetunion zuerst in der UNO durchgedrückt hat, dass der Staat Israel existieren konnte, wurde dann eine anti-israelische Haltung bezogen, die die DDR natürlich mit vollzogen hat, also, die Menschen waren ja auch nicht sehr intelligent, die das Land regiert haben, alles, was irgendwie jüdisch war, war zionistisch. Und ‚jiddisch’ hat damit nicht allzu viel zu tun. Und so was führte dann immer dazu, dass die Aufnahmen entweder gar nicht oder erst viel, viel später herauskamen."

1963 setzte dann in Westdeutschland eine Beschäftigung mit dem jiddischen Lied ein - angestoßen durch den Sänger und Mitbegründer des Chanson-Festivals auf der Burg Waldeck Peter Rohland.

Diese Beschäftigung wurde nach dem plötzlichen Tode Rohlands 1966 von so unterschiedlichen Künstlern wie Hein & Oss, den City Preachers oder der Gruppe Espe fortgeführt, die allesamt auf der ersten CD der Anthologie vertreten sind.

Daneben tauchte in den Sechzigern eine Reihe von Interpreten auf, die selbst unter den Nazis gelitten hatten. Zum Beispiel Lin Jadalti.

Heiko Lehmann: "Also Lin Jaldati ist und gilt fürderhin und wird es wahrscheinlich auch immer sein, als die große Dame des Jiddischen Liedes in der DDR."

Jadalti war bei ihrer Arbeit im niederländischen Untergrund gefasst worden und in die Lager Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen verschleppt worden. Ihre Version des Liedes von Mordechai Gebirtig "Es brennt" ist eines der bewegendsten Zeugnisse auf dieser Anthologie.

Andere Interpretennamen lösen dagegen zunächst Verwunderung aus. So ist zum Beispiel auch Karel Gott, die "goldene Stimme aus Prag" auf der Anthologie vertreten.

Heiko Lehmann: "Äääh, das ist eine Aufnahme glaube ich von 1967 oder 1968 - also in der Zeit, als in der Tschechoslowakei einiges möglich war."

Noch 1952 hatten in Prag die Slánský-Prozesse stattgefunden, in denen Kommunisten die in der Mehrzahl jüdischer Abstammung waren als zionistische Agenten verurteilt und hingerichtet wurden. Die tschechischen Kommunisten waren der sowjetischen Parteilinie gefolgt.

Heiko Lehmann: "Und dann 1967 sich hinzusetzen und ‚Eli Eli’ aufzunehmen ... das halte ich für äußerst relevant, was den ehemaligen Ostblock betrifft. Deswegen ist das Stück auch mit drauf – ganz davon abgesehen, dass es eine wunderbare Fassung ist."

Unter dem Einfluss des in Buenos Aires geborenen Klarinettisten Giora Feidman einerseits und des amerikanischen Klezmer-Revivals andererseits entstanden in Deutschland ab Mitte der 80er-Jahre erste Ensembles, die nun vor allem die jiddische Instrumentalmusik spielten, die man als "Klezmer" bezeichnet, die allerdings nur einen Teil der jiddischen Musik ausmacht. Der Musiker und Komponist Alan Bern war mit seiner Band Brave Old World eine wichtige Figur im amerikanischen Klezmer-Revival.

1987 zog Bern nach Berlin und wurde zu einem maßgeblichen Einfluss für die hiesige Szene. Er weist auf die wichtige Rolle Deutschlands für die Renaissance Jiddischer Musik hin:

"Es ist nicht nur, dass es diese Musik schon gab in Amerika und man hat sie nur präsentiert hier in Deutschland, sondern spätestens seit Mitte der Achtziger hat das deutsche Publikum auch einen starken Einfluss auf die Weiterentwicklung in Amerika ausgeübt."

Das lag vor allem daran, dass das deutsche Publikum dieser Musik genau zuhörte. Bands wie die Klezmatics oder Kapelye wussten das zu schätzen. In den USA wurde dagegen kaum zwischen den einzelnen Bands differenziert, wie Bern erklärt:

"Ich kann mich sehr gut dran erinnern, wie viele Male ich für Brave Old World Jüdische Kulturzentren angerufen habe und gehört habe: ‘Wir haben die Klezmers schon gehabt in diesem Jahr!’"

Hinzu kam, dass Konzerte hierzulande mit staatlicher Unterstützung stattfinden konnten. Dadurch konnten die amerikanischen Musiker hier freier experimentieren. Insofern war Deutschland als Szene für Jiddische Musik eine Zeit lang extrem wichtig. Aber:

"Das ist eine sehr spezielle Zeit, wo viele Faktoren zusammengekommen sind. Und diese Zeit ist vorbei! Ich hab’ Phasen durchgelebt jetzt in Deutschland ... am Anfang, wo jeder gefragt hat: ‘Was ist überhaupt Klezmer-Musik?’ ... und dann so acht bis zehn Jahre später war das ein Mode. Und wie jede Modeerscheinung, da passiert sehr viel Mittelmäßigkeit. Und dann ist es nicht mehr interessant."

Was allerdings nicht bedeutet, dass es nun kaum noch innovative Jiddische Musik in Deutschland gäbe. Im Gegenteil: CD Nummer elf der Anthologie dokumentiert die Arbeit des Yiddish Summer Weimar. Seit dem Jahr 2000 findet das Festival statt, das international Akzente setzt. Alan Bern ist der künstlerischer Leiter.

Die Anthologie schließt mit einem Ausblick auf die aktuellsten Entwicklungen der Jiddischen Musik, die in den letzten zehn Jahren in Deutschland stattfand – zum Beispiel Solomon & Socalled.

Alan Bern: "Ich liebe die CD12, weil es so unglaublich bunt ist. Und man hört, wie frei die neuen jiddischen Künstler mit der jiddischen Herkunft umgehen."

Vom jiddischen HipHop über jiddischen Punk bis zum jiddischen Reggae ist hier alles vertreten. Besonders passend findet Bern den Titel, den sich die beiden Gastredakteure und Musiker Fabian Schnedler und Daniel Kahn für ihre Zusammenstellung ausgesucht haben: "Klezmer ist tot – Lang lebe Klezmer!"

Alan Bern: "Das ist eigentlich in einem Satz eigentlich der zeigt den ganzen Widerspruch, eine Musik zu machen, deren Kultur nicht mehr wirklich in dem Form gibt."

"Sol Sajn" bietet dem Hörer eine faszinierende Entdeckungsreise durch fünfeinhalb Jahrzehnte Jiddischer Musik. Gemeinsam mit dem dritten Zusammensteller Bertram Nickolay haben Heiko Lehman und Alan Bern viele unbekannte Musikstücke dem Vergessen entrissen und viele unveröffentlichte Stücke erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ganz nebenbei ist es ihnen gelungen, das hierzulande vorherrschende Missverständnis zu korrigieren, dass Jiddische Musik gleich Klezmer sei. Für Heiko Lehmann ist diese Anthologie aber nur ein erster Schritt.

Heiko Lehmann: "Es sind natürlich auch bei solchen Geschichten immer Zweifel dabei. Und deswegen hält sich der Stolz vielleicht auch in Grenzen, weil man weiß, man hat einen gewissen Beitrag geleistet, aber das Endgültige ist das noch nicht, da müssen andere kommen, die das weitermachen. Wenn es denn noch ein Publikum bzw. eine Industrie gibt, die damit überhaupt noch was anfangen kann."


Sol Sajn: Eine Anthologie Jiddischer Musik in Deutschland und ihre Einflüsse 1953 - 2009