Sprachassistentinnen

Die digitalen "Dienstmägde"

Ein Roboter
Auch die Zukunft der Roboter hat oft weibliche Züge. © imago/Panthermedia/sarah5
Überlegungen von Holger Schulze · 24.01.2019
"Siri" und "Alexa" sollen uns das Leben erleichtern. Von Charlie oder Alex, die einem die Milch im Internet bestellen, hat man allerdings noch nichts gehört. Die digitale Dienerschaft klingt sehr weiblich. Wieso eigentlich, fragt sich Klangforscher Holger Schulze?
Ich fahre Auto. Den Weg durch diese fremde Stadt weist mir ein kleiner, vierfarbiger Bildschirm sowie eine Stimme, die mir Distanzen, Spurwechsel und bevorstehendes Einbiegen ansagt. Die Stimme ist eindeutig weiblich, wie so viele künstliche Stimmen dieser Tage. Sprachassistentinnen sind die digitalen Dienstmägde unserer Zeit.

Fast alle Sprachausgaben sind "weiblich"

Sie erledigen ihre Aufgaben in Fahrzeugen, großen öffentlichen Gebäuden, Fabrikhallen, auf Messen, in avancierten Entertainmentparks und Einkaufszentren –
und nicht zuletzt in unseren Wohnungen. Die kleinen Lautsprecher gelten als "smart", was heißt, sie sind softwaretechnisch vernetzt, aktiv eingreifend, unterstützend und hochreaktiv.
In Wirklichkeit sind sie vor allem Aufzeichnungs- und Abtastapparaturen. Sie scannen ihre Umgebung, sie zeichnen auf und leiten diese Signale weiter: an eine teils lokal, teils auf weit entfernten Rechnern gelagerte Software, die von ihren Datenbanken befähigt wird, Entscheidungen zu fällen, Bestellungen durchzuführen, Antwortsätze korrekt zu formen und auszusprechen – vor allem aber Schnittstellen zur Durchführung von Bestellungen. Über zwei Dutzend Sprachassistentinnen sind weltweit auf dem Markt – und ihre Sprachausgaben beherrschen nahezu ausschließlich die weibliche Stimme und tragen weibliche Namen: Siri; Alexa; Cortana. Warum eigentlich?

Am Anfang wurden weibliche Stimmen abgelehnt

In den kommerziellen Anfängen solcher Assistenzsysteme, den 1990er-Jahren, schienen weibliche Stimmen keineswegs die selbstverständliche Wahl. Als die BMW-5er-Reihe damals Verkehrshinweise von einer künstlich generierten weiblichen Stimme darbieten ließ, stieß dies auf deutliche Ablehnung. Die Käufer hielten diese Stimmfärbung für unangemessen, befremdlich und wenig vertrauenserweckend: eine weibliche Stimme sollte sich solche Bevormundung offenbar nicht anmaßen.
Diese Ablehnung hat sich nun gewandelt. Vor allem aus zwei Gründen: einerseits aufgrund der Einordnung und Funktionalisierung weiblicher Assistenzsystemstimmen in Science-Fiction, Computerspielen und anderen Künsten; und andererseits aufgrund der technischen Mittel zur sogenannten "Sprachsynthese". Die künstliche weibliche Stimme bedroht die Patriarchen am Steuer offenbar nicht mehr. Was hat sich also verändert: Klingen die Stimmen selbst anders – oder erwarten wir anderes von diesen Stimmen?
Die künstlichen Sprechapparate seit dem 19. Jahrhundert markierten Geschlechter zunächst allein durch Tonhöhen: sei es mechanisch durch Blasebalg, Pfeife und Gummimund oder elektrisch durch Filtern und Modulieren von Klangsignalen. Im Alltag aber gelten tiefe Frauenstimmen und hohe Männerstimmen als besonders markant; sie sind nicht nur geschlechtlich zugeordnet, sondern gelten oft als besonders attraktiv.
In den künstlichen Stimmen der Gegenwart wird das Geschlecht nun nicht mehr nur qua Tonhöhe markiert, sondern auch durch Sprechtempo, Anhauch, Pausensetzung und Frequenzmixtur. Auch Weiblichkeit wird detaillierter und differenzierter in Klang abgebildet und erscheint weniger bedrohlich, kein Golem in Frauengestalt.

Warum kein apparatisches Geschlecht?

Doch warum müssen künstliche Apparaturen überhaupt ein Geschlecht haben? Weder Fortpflanzung noch Balzrituale werden ihnen ja abverlangt (zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest)? Wären neutrale oder androgyne Stimmlagen nicht zur Erledigung der Aufgaben von künstlichen Assistenten viel angemessener? Sozusagen die Einführung und stimmliche Darstellung eines sächlichen oder apparatischen Geschlechts?
Die digitale Dienstmagd der Gegenwart drängt aber die weibliche Stimme in die Rolle einer Assistentin zurück. Eine Welt, die sich einredet, Sklaverei und Ständekultur doch hinter sich gelassen zu haben, diese unsere Welt baut sich damit gegenwärtig eine neue Ständekultur der digitalen Dienstboten auf.
Die weibliche Stimme soll wieder dienen und bedürfnislos sein, ganz entindividualisiert. Einer demokratischen Kultur, die auf Gleichstellung bedacht ist, ist dies aber nur wenig zuträglich. Die digitalen Dienstmägde der Gegenwart verfestigen und verewigen Geschlechterhierarchien, Ungleichbehandlung und Ausbeutung.

Holger Schulze ist Professor für Musikwissenschaft an der Universität Kopenhagen und leitet dort das Sound Studies Lab. Er schreibt für den Merkur, die Neue Zeitschrift für Musik und ist als Kurator für das Haus der Kulturen der Welt Berlin tätig. Dieser Tage erscheint von ihm: "Sound Works: A Cultural Theory of Sound Design" (Bloomsbury 2019)

Holger Schulze, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Kopenhagen 
© Viktor Richardsson
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