Sprach-Jury entscheidet

"Volksverräter" ist das Unwort des Jahres

Eine Frau steht mit einem Schild "Volksverräterin" am 26.08.2015 vor einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau (Sachsen) und wartet auf Bundeskanzlerin Merkel. Die Kanzlerin besucht die Flüchtlingsunterkunft.
Unterstützer der Pegida-Bewegung und andere Gegner der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel verwenden das neue Unwort des Jahres auch gerne mal in der weiblichen Variante. © dpa / picture alliance / Jan Woitas
10.01.2017
Wieder hat ein Begriff aus dem Umfeld von AfD und Pegida den Titel "Unwort des Jahres" erhalten. Das Wort "Volksverräter" würge notwendige Diskussionen ab, urteilte die Jury.
Die Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, teilte am Dienstag in Darmstadt mit, das Wort "Volksverräter" sei ein "Erbe von Diktaturen". Auch die Nationalsozialisten hätten es genutzt. In der Jury-Erklärung heißt es:
"Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt."
Es ist nicht das erste Mal, dass die "Unwort des Jahres"-Jury einen Begriff wählt, der aktuell vor allem von der AfD und der Pegida-Bewegung geprägt wird. Vor zwei Jahren war "Lügenpresse" das Unwort des Jahres.
Die Jury habe diesmal lange diskutiert, ob das neue Wort "wirklich aus dem plakativen und polemischen Sprachgebrauch stammen sollte, den Angehörige und AnhängerInnen von Pegida, AfD oder ähnlichen Initiativen verwenden", hieß es. Bei der Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden im vergangenen Jahr waren Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck laut als "Volksverräter" beschimpft worden.

"Anknüpfungspunkte an den nationalsozialistischen Gebrauch des Wortes"

Das Wort "Volksverräter" war ein zentraler Begriff der Ideologie Nationalsozialisten. Nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 war der so genannte Volksverrat ein Straftatbestand in Deutschland.
In Interview mit Deutschlandradio Kultur sagte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch zur Historie des Begriffs:
"Man sieht schon im Ersten Weltkrieg einen gewissen Anstieg in der Häufigkeit, dann wird es wieder etwas weniger, und dann mit der Machtergreifung gibt es eine sehr sprunghaften und nachhaltigen Anstieg in der Häufigkeit dieses Wortes. (…)
Das liegt auch an der Denkweise, aus dem sich der Straftatbestand dann ergeben hat, nämlich der Vorstellung, dass es hier ein Volk gibt, das quasi auch als Volk verraten werden kann, (…)
Insofern hat die Jury in diesem Jahr ein Wort gewählt, das wirklich ganz eindeutig im Nationalsozialismus mit dieser Bedeutung belegt worden ist. Jeder, der dieses Wort heute verwendet, muss sich sagen lassen, das er ganz klar an diesen Sprachgebrauch andockt."

Die meisten Vorschläge für "postfaktisch"

Die Jury für das "Unwort des Jahres" setzt sich zusammen aus aus Sprachwissenschaftlern und einem Publizisten, die in diesem Jahr zwischen 594 verschiedenen Vorschlägen zu entscheiden hatte, von denen rund 60 den Unwort-Kriterien entsprachen. Ein Großteil der Vorschläge habe sich gegen einen diffamierenden Sprachgebrauch im Themenfeld Migration und Flüchtlinge gerichtet, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich. Erstaunlich dabei: Ausgerechnet "postfaktisch", das bereits zum "Wort des Jahres" gewählt wurde, wurde wieder am häufigsten vorgeschlagen, nämlich 48 mal.

"Unwörter" der vergangenen Jahre

2015: "Gutmensch"
2014: "Lügenpresse"
2013: "Sozialtourismus"
2012: "Opfer-Abo"
2011: "Döner-Morde"
2010: "alternativlos"
2009: "betriebsratsverseucht"
2008: "notleidende Banken"
2007: "Herdprämie"
2006: "Freiwillige Ausreise"
(mau / huc)
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