Sportsfreunde der Sperrtechnik

Von Ralph Gerstenberg · 31.03.2005
Wenn sich Leute abends im Keller treffen, um gemeinsam Schlösser zu öffnen, dann sollte man meinen, dass das ein Fall ist, für den sich die Polizei interessieren sollte. Doch die Sportsfreunde der Sperrtechnik kommen nur zusammen, um ein bisschen zu trainieren. Logpicking heißt die Sportart, die der Verein ganz offiziell betreibt. Dafür benötigt man keine Muskelkraft, sondern viel Geduld und einen Sinn für Skurrilitäten.
Eine Eisentreppe führt in den Veranstaltungskeller des ehemals besetzten Hauses in der Kastanienallee 85 hinab. Hier treffen sich Antifa-Gruppen und finden politische Diskussionen statt. Doch alle vierzehn Tage dienstags trainiert ein völlig unpolitischer Sportverein in den schummrigen Kellerräumen: die Sportsfreunde der Sperrtechnik.

Thomas Kleditzsch schüttet aus Blechbüchsen Schlösser auf einen Holztisch, um den herum sich sieben Vereinsmitglieder versammelt haben.

Kleditzsch: "So, das sind jetzt hier die, die … Was sind das eigentlich? Sportgeräte sind’s ja nicht. Das sind die Schließzylinder. "

Thomas Kleditzsch ist Sportgruppenleiter der Sportsfreunde der Sperrtechnik, die regelmäßig das Öffnen von Sicherheitsschlössern trainieren. Lockpicking heißt das in der Fachsprache. Was wie die Vorbereitung einer Straftat klingt, ist eine Sportart, die rund 400 aktive Hobbysperrtechniker bundesweit betreiben. Der sportliche Aspekt ist Thomas Kleditzsch wichtig. Hier werden keine Schlösser geknackt, sondern durch Geschick - und nicht durch Gewalt - geöffnet. Doch was reizt eigentlich jemanden daran, in Schlössern herumzustochern, bis diese aufspringen?

Kleditzsch: " Das Wort "offen"! - (Lachen) - Also wirklich! - Ist knapp, aber richtig. - Es ist ein total geniales Erlebnis, wenn man stunden-, tage- oder wochenlang an so einem Schließzylinder sitzt und auf einmal "Peng!" springt er auf. Das ist ein gewisses Erfolgserlebnis - Richtig geiles Gefühl! - (…) Lockpicking ist nicht die Kunst der schnellen Ergebnisse. Man muss wirklich sich so einen Schließzylinder vornehmen und jeden Tag `ne halbe Stunde daran üben. Und das Schöne ist: irgendwann geht er auf. Über sich hinauswachsen und Grenzen durchstoßen, das ist Lockpicking, und das reizt mich wirklich. "

Lockpicking ist eine Konzentrationsübung. Nur wenig wird dabei gesprochen. Und wenn, dann ist es meist ein Gespräch unter Fachleuten.

Sportsfreunde: " Die Seitenrippe kriegste nur linksrum. - Okay! - Die Seitenrippe krieg ich nur linksrum? - Ja. - Komisches Klackerschloss hier! - Und dann rastet sie auf elf Uhr nochmal ein. "

Die Werkzeuge der Sperrtechniker erinnern an Zahnarztinstrumente. Ein brauchbares Lockpicking-set kostet zirka 50 Euro. Dann heißt es: üben, üben, üben.

Sportsfreunde: "Offen! - Da wurde eben ein Schloss entsperrt. "

Die Übungsschlösser beziehen die Vereinsmitglieder größtenteils vom Flohmarkt. Auch der Schlüsseldienst spendet ihnen hin und wieder abgebrochene Schließzylinder.

Kleditzsch: "Was für andere Leute bloß Schrott ist, ist für uns praktisch Goldstaub. "

Mit dem Gesetz sind die Logpicker bislang noch nicht in Konflikt geraten. Im Verein gibt es eine Sportordnung, die es verbietet, fremde Schlösser ohne Erlaubnis zu öffnen. Jeder angehende Sportsfreund wird genau unter die Lupe genommen. Und Torsten Quast, dem amtierenden Meister im Vorhangschlossöffnen, kann man so schnell nichts vormachen.

Quast: "Der Lackmustest ist immer: Ich gebe dir ein Zahnschloss, was vielleicht sogar verklemmt ist und gar nicht aufgeht. Und wenn du dich trotzdem mit Begeisterung eine Stunde damit befasst und möchtest was spüren, dann bist du ein echter Lockpicker. Wenn du nach drei Minuten sagst: Das geht ja gar nicht auf!, dann fehlt schon mal was, nämlich die Geduld. Und wenn du als nächstes fragst, wie gehen denn Schlösser vom Typ sowieso auf, dann kommen die Leute meistens auch nicht wieder, weil sie dann auch merken, so schnell geht es eben nicht. "

Das Aufbrechen von Schlössern geht in der Regel schneller als das kunstvolle Öffnen mit dem Besteck der Sperrtechniker. Insofern sind deren Methoden weniger für Einbrecher interessant als für Geheimdienste oder Privatdetektive. Ob sich ein Vertreter dieser Berufsgruppen schon mal inkognito bei den Sportsfreunden eingeschlichen hat, ist naturgemäß nicht bekannt. Aber mit dem Berliner Landeskriminalamt hat der Verein schon zusammen gearbeitet.

Kleditzsch: "Es gab mal ne Anfrage vom LKA Berlin an den Verein, ob sie denn Lust hätten, ein paar Schlösser zu entsperren. Hat der Verein gesagt: Ja, okay, machen wir. Dann haben die ABUS-Schlösser zugeschickt. Die ABUS-Schlösser wurden entsperrt und an das LKA zurückgeschickt. Und die Forensik hat sich die Dinger unterm Mikroskop angeguckt. Das Faszinierende an Logpicking ist ja, dass es zerstörungsfrei ist, man sieht nicht, ob dieses Schloss entsperrt wurde oder nicht, weil es ja danach genauso aus wie vorher. Unterm Mikroskop haben sie aber festgestellt, dass Logpicking eindeutig zu identifizierende Spuren hinterlässt. "

Neben Geduld und gewissen feinmotorischen Fähigkeiten zählt beim Lockpicking vor allem das Wissen um die Beschaffenheit von Schlössern. Mit der Schlossindustrie kooperieren die Sperrtechniker auf ihre eigene, sportliche Weise.

Quast: "Wir sind auf Messen und machen deren Schlösser auf, das mögen die natürlich nicht, wenn wir das in der Öffentlichkeit tun, dann entwickeln sie bessere Schlösser, dann entwickeln wir neue Öffnungsmethoden, und so ist das ein sportlicher Wettkampf. "

Höhepunkt für jeden Sportsfreund der Sperrtechnik sind die deutschlandweiten Meisterschaften, die einmal jährlich stattfinden. Dafür werden die täglichen Trainingseinheiten auf mindestens anderthalb Stunden aufgestockt. Denn unter Wettkampfbedingungen zählt jede Sekunde, bis es heißt:

Sperrtechniker: "Offen! - Na also! "