Kopenhagen, 12. Juni 2021. Vorrundenspiel der Fußball-Europameisterschaft: Dänemark gegen Finnland. In der 43. Spielminute bricht der dänische Stürmer Christian Eriksen ohne Einwirkung eines Gegenspielers bewusstlos zusammen. Der Kölner Notarzt Jens Kleinefeld ist im Stadion: "Bei mir gingen alle Alarmglocken an. Ich saß auf der Tribüne und auch ziemlich weit weg. Ich habe ihn kollabieren sehen und in dem Moment gedacht: Häh? Das war doch ein Kollaps ohne Körperkontakt?"
Jede Minute zählt
Jens Kleinefeld ist von der UEFA als Medical Officer eingeteilt. Vor dem Spiel hat er die Ersthelfer noch mal geschult, was sie tun müssen, wenn im Stadion ein medizinischer Notfall eintritt. Zum Glück. Christian Eriksen ist ein solcher Notfall. Sein Herz steht still. Schnell eilen die Ersthelfer auf den Platz und beginnen mit der Reanimation. Wenig später kommt auch Kleinefeld dazu.
"Wir konnten ihn dann auch relativ schnell mit Erfolg defibrillieren. Das ist natürlich schön. Man sagt ja immer bei Defibrillation: Je Minute Zeitverlust zehn Prozent weniger Überlebenswahrscheinlichkeit. Ich glaube, ich habe ihm nach ungefähr zweieinhalb Minuten den Schock gegeben. Das heißt, rein statistisch hatte er eine Überlebenschance von 75 Prozent."
Dänische Fußball-Nationalspieler schirmen Christian Eriksen nach seinem Herzstillstand bei der Europameisterschaft 2021 in Kopenhagen ab.© dpa / picture alliance / Stuart Franklin
30 Sekunden nach dem Elektroschock ist Christian Eriksen wieder ansprechbar. Er überlebt. Bald danach bekommt er einen Defibrillator implantiert. Einen elektronischen Schutzengel, der ihn vor zukünftigen lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen schützen wird. Im Januar 2022, ein halbes Jahr nach seinem Herzstillstand, gibt Christian Eriksen bekannt, dass er wieder professionell Fußball spielen will.
Eriksens Comeback im Februar 2022
Die Ärzte hätten ihm grünes Licht gegeben. Er vertraue ihnen, seinem Herz und seinem "Defi". Natürlich werde er die Geschichte seines Zusammenbruchs immer in sich tragen, aber nun sei es an der Zeit, neue Erinnerungen zu sammeln.
Am 26. Februar 2022, exakt 259 Tage nach Kopenhagen, feiert Eriksen in der englischen Premier League sein Comeback. Die Medien jubeln: ein Wunder!
Der Berliner Kardiologe Martin Just-Teetzmann betrachtet den Fall nüchterner: „Sicher, erst mal wünscht man es ihm natürlich. Und es kann auch eine gewisse Signalwirkung haben, dass die Akzeptanz für solche Geräte erhöht wird, dass man sagt: Damit kann man ja auch Sport machen, damit kann man so ziemlich alles machen.“
Katharina Bauers Herzrhythmusstörungen
Mai 2014, Stabhochsprung-Meeting in der baden-württembergischen Kleinstadt Bönnigheim. Katharina Bauer überspringt 4,55 Meter. Es ist der Beginn einer vielversprechenden Stabhochsprungkarriere. Drei Jahre später der erste Schock: Eine kardiologische Untersuchung ergibt, ihr Herz schlägt 18.000 mal häufiger am Tag als ein gesundes Herz. Katharina Bauer wird operiert und kämpft sich zurück in die Leistungsspitze.
2018 wird sie mit 4,51 Metern deutsche Meisterin in der Halle. Dann der nächste Schock: Die Herzrhythmusstörungen melden sich zurück. Die Ärzte machen der Athletin unmissverständlich klar: Sie ist hochgradig gefährdet, einen plötzlichen Herztod zu erleiden.
Dieser Moment, als mir das gesagt wurde, habe ich gedacht, das wäre ja wirklich grauenhaft. Mein Leben ist jetzt vorbei.
Stabhochspringerin Katharina Bauer
Bauer macht auf eigenes Risiko weiter
Die Ärzte raten ihr, sich einen ICD einsetzen zu lassen, einen „Implantable Cardioverter Defibrillator“, kurz Defi. Als Schutz vor lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen, dem sogenannten Kammerflimmern.
„‘Mit dem Defi‘, haben sie auch gesagt, ‚damit kann man keinen Leistungssport machen, das ist auch gar nicht machbar, das hat auch noch keiner gemacht‘. Aber dadurch, dass sie mich kannten, mussten sie lachen und haben gesagt: ‚Gut, probiere es halt einfach aus‘.“
Auf eigenes Risiko macht Katharina Bauer weiter mit dem Leistungssport. Ihr subkutaner Defibrillator sitzt unter der Haut seitlich am Brustkorb, unter dem Latissimus-Muskel, dem großen Rückenmuskel, dort, wo er sie beim Stabhochsprung am wenigsten stört und Herz und Gefäße unberührt bleiben.
Ein 130 Gramm leichter Lebensretter
"Die Elektrode führt in U-Form am Herzen vorbei und ist mit dem Herzen nicht integriert. Es gibt auch Defibrillatoren, die liegen weiter oben, da ist die Elektrode aber im Herzen integriert. Damit hätte ich auf gar keinen Fall mehr Leistungssport machen können.“
Seitdem fliegt ihr 130 Gramm leichter Lebensretter mit, wenn sie stabhochspringt. Inzwischen spüre sie den Defi gar nicht mehr, sagt sie. Ein Stück Restunsicherheit jedoch bleibt. Davor, dass der Defi einen falschen Alarm auslöse, beispielsweise aufgrund einer defekten Elektrode.
Bundesweit bekommen jährlich mehr als 20.000 Menschen so einen elektronischen Schutzengel eingesetzt. Mehrere Hunderttausend Defi-Träger gibt es in Deutschland. Patienten, die eine stark eingeschränkte Herzleistung haben - oder solche, die wie Christian Eriksen nach schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen wiederbelebt werden mussten.
Martin Just-Teetzmann ist Oberarzt in der Klinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie, in den DRK Kliniken Berlin Westend. Es ist sein Kerngeschäft, Defibrillatoren zu implantieren.
Der Defibrillator schützt den Patienten vor akut auftretenden, lebensbedrohlichen, in der Regel schnellen Rhythmusstörungen. Landläufig spricht man da eher von Flattern oder Flimmern des Herzens. Das kommt oft plötzlich wie der Blitz aus der Gewitterwolke und unvorhergesehen. Im Zweifelsfall wäre man da auf den Rettungsdienst angewiesen, der aber nicht immer zweifelsfrei schnell genug erscheinen kann. Deshalb kam man auf die Idee, dass man dem Patienten so ein Gerät unter die Haut setzen kann.
Mediziner Martin Just-Teetzmann
Streichholzschachtelgroß sind die kleinen Lebensretter. Es gibt implantierbare Defibrillatoren mit und ohne Schrittmacherfunktion. Sie werden nahe dem Herz unter die Haut gepflanzt und geben, wenn nötig, lebensrettende Elektroschocks ab.
Sportler mit Defi sind genauso leistungsfähig
Kaum vorstellbar, dass mit einem solchen Gerät unter der Haut Leistungssport möglich ist. Tatsächlich hatten die Ärzte lange Zeit konsequent abgeraten, mit implantierten Defibrillatoren Leistungssport zu betreiben.
Doch mittlerweile gibt es genug Datenmaterial, das zeigt: Athletinnen und Athleten mit Defi sind genauso leistungsfähig wie diejenigen ohne und haben keine höheren Komplikations- oder gar Todesraten.
Vor allem hänge es von der Sportart ab, sagt der Kardiologe. Wenn der Schultergürtel stark beansprucht werde, wie beispielsweise beim Volleyball oder Schwimmen, müssten Athlet oder Athletin vorsichtiger sein, "weil wir da ein erhöhtes Risiko für mechanische Komplikationen an der Elektrode und am Gerät haben. Wenn jemand Fußball spielt oder läuft, sind die Probleme in dem Bereich nicht so gravierend. Wenn dann das Gerät auf die Belastungsfrequenzen des Sportlers angepasst wird, gibt es im Prinzip gar keinen Einwand gegen Leistungssport.“
Heftige Reaktionen der Defi-Träger sind möglich
Martin Just-Teetzmann bestätigt, dass die Kabel der implantierten Defibrillatoren auch mal kaputtgehen und dadurch Fehlschocks auslösen können. Aber das komme nur sehr selten vor. Die Reaktionen der Defi-Träger können hingegen heftig ausfallen, so der Mediziner.
Manche Patienten spüren so einen Schock kaum, zucken mit den Achseln und fragen: War da irgendwas? Und manche Patienten sind danach regelrecht traumatisiert, sodass dann auch eine Traumatherapie, psychologische Betreuung und Teilnahme an Selbsthilfegruppen notwendig sind. Da gibt es die gesamte Bandbreite.
Mediziner Martin Just-Teetzmann
Defi rettete Ex-Fußballer Engelbrecht das Leben
Der ehemalige Profifußballer Daniel Engelbrecht nahm 2013 und 2014 psychologische Hilfe in Anspruch. Bei ihm hatte der Defi allerdings keinen Fehlschock ausgelöst. Er hatte dem damals 22-Jährigen tatsächlich das Leben gerettet: „Auf der einen Seite ist es das, wovor ich mich am meisten fürchte, auf der anderen Seite ist es aber auch mein Lebensretter. Der Defi ist im Endeffekt für mich ein Schutzengel.“
Die Geschichte ist rasch erzählt: Am 20. Juli 2013 bricht Daniel Engelbrecht in einem Spiel der dritten Liga ohne Einwirkung eines Gegenspielers bewusstlos zusammen. Schnell kommt er wieder zu sich, die Ärzte diagnostizieren einen Hitzschlag.
Drei Wochen später verlassen ihn wieder die Kräfte. Dieses Mal wird er gründlich untersucht. Diagnose: Myokarditis – eine Herzmuskelentzündung, die bedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen kann.
„Nun ist ja bekannt, dass Fußballer nicht immer unbedingt die schlauesten Fragen stellen, und meine war nach den Zusammenbrüchen: Wann kann ich wieder spielen? Dann gab es die Option: Wenn ich wieder spielen wollen würde, ist ein Defibrillator die absolute Voraussetzung. Da habe ich nicht zwei Mal überlegt und gesagt: Gut, dann setzt mir den ein.“
Herzrhythmusstörungen trotz Defis
Trotz Defis halten die Herzrhythmusstörungen an. Daniel Engelbrecht trifft einen radikalen Entschluss: Er provoziert sie im Krankenhaus, damit die Ärzte die elektrischen Störfelder im Herz sogleich orten und mit Hilfe einer Katheterablation beseitigen können.
"Ich bin im Treppenhaus vom zehnten Stock in den Ersten runtergerannt und vom Ersten wieder hoch in den Zehnten. Auf einmal habe ich bemerkt: Die Herz-Rhythmusstörungen kommen, schlimmer als jemals zuvor. Meine Knie haben angefangen zu zittern, schlimmer als jemals zuvor. Ich habe keine Luft mehr bekommen, die Wände waren am Wackeln. Ich habe die Leute um mich herum nicht mehr gesehen, nicht mehr gehört, und auf einmal wurde mir glasklar: Du stirbst jetzt. Jetzt ist es vorbei. In dem Moment bin ich gerade runter zu Boden, und dann hat es geknallt. Der Defi hat mich geschockt, ich war wieder da.“
Engelbrecht leidet unter Panikattacken
Doch der Profifußballer spürt den schlimmsten Schmerz seines noch jungen Lebens.
Falls jemand mal in eine Steckdose gefasst hat: Die Steckdose hat 220 Volt, der Defibrillator 830. Am lebendigen Leib fühlt sich das an, als wenn man von innen verbrennt, als wenn von außen drei, vier Leute immer und immer wieder gegen den Brustkorb treten. Das sind die Schmerzen vom Defi, die ich nicht mal meinen allerschlimmsten Feinden wünschen würde.
Ex-Profifußballer Daniel Engelbrecht
Daniel Engelbrecht kann eine Zeit lang nicht mehr schlafen, leidet unter Panikattacken, nimmt psychologische Hilfe in Anspruch. „Um jeden Preis wollte ich zurück auf den Fußballplatz. Ich hatte ja auch gesagt, dass ich bereit war, jedes Risiko dafür einzugehen. Das habe ich getan.“
Es braucht vier Operationen, bis die Ärzte die chronischen Herzrhythmusstörungen endlich beseitigen können. Im November 2014, fast eineinhalb Jahre nach dem ersten Zusammenbruch, feiert er sein Comeback. Drei Jahre spielt er noch in der dritten und vierten Liga, im Oktober 2017 beendet er seine Karriere. In dieser Zeit holt ihn der Defi zwei weitere Male ins Leben zurück.
Ex-Spieler gibt Erfahrungen als Coach weiter
Bis jetzt ist Daniel Engelbrecht der einzige Profifußballer in Deutschland, der mit Defi gespielt hat. Heute geht er mehrmals die Woche ins Fitness-Studio, spielt Tennis und Tischtennis. Er sagt, die Herzgeschichte habe ihn 30 bis 35 Prozent seiner Power gekostet. Er sei deshalb vorsichtiger geworden.
Daniel Engelbrecht gibt seine Erfahrungen weiter. Er arbeitet als Speaker und Motivationscoach – wie übrigens auch die Stabhochspringerin Katharina Bauer – und hält Vorträge zu den Themen Achtsamkeit und Resilienz. Lässt andere an seiner Lebens- und Leidensgeschichte als Profifußballer mit implantiertem Defibrillator teilhaben.
Thema durch den Fall Eriksen im Blickpunkt
Der Fall Christian Eriksen hat vor allem eines geschafft: Er hat das Thema plötzlicher Herztod in den Blickpunkt gerückt. Laut Schätzungen sterben 300 Fußballer im Jahr daran – weltweit. Warum genau, weiß keiner. Wie man die Zahl reduzieren kann, hingegen schon.
Ein Schulungsraum in der Fußball-Akademie von Hertha BSC: Acht Männer und Frauen aus dem Physio-Team für den Nachwuchsbereich des Berliner Bundesligisten beugen sich über drei Dummy-Puppen und üben den Notfall: Reanimation bei einem plötzlichen Herztod.
Jens Kleinefeld, der Notarzt, der mit Hilfe eines Defibrillators Christian Eriksen das Leben rettete, erklärt dem Team den richtigen Umgang mit dem Gerät.
Notarzt Jens Kleinefeldt rettete mit Hilfe eines Defibrillators Christian Eriksen das Leben.© Wolf-Sören Treusch
Kollaps ohne Körperkontakt: Wenn ein Spieler aus heiterem Himmel auf dem Feld zusammenbrechen würde, müssten sofort alle Alarmglocken schrillen, betont der Notfallmediziner immer wieder.
„Ich muss dann relativ zügig die Entscheidung fällen: Ist er ansprechbar? Wenn er nicht ansprechbar ist, sofort anfangen mit der Herz-Druck-Massage, bis dann eben der Defibrillator angeschlossen ist. Der Defibrillator macht seine Analyse, sagt dann eben ‚Schock abgeben‘, ‚Schock abgeben‘, ‚Weitermachen mit der Herz-Druck-Massage‘. Ich kann so viele Beispiele nennen, bei denen diese Ersthelfermaßnahmen viel zu spät durchgeführt wurden, weshalb die Spieler nicht überlebt haben.“
25 Defibrillatoren in der Hertha-BSC-Akademie
In der Fußball-Akademie verfügt Hertha BSC über 25 Defibrillatoren – vorbildlich. Jens Kleinefeld ist überzeugt: Etliche Fußballer wären noch am Leben, wenn sie rechtzeitig Hilfe bekommen hätten. Er bietet die Notfallschulungen schon seit vielen Jahren an. Nun hat sie der Deutsche Fußball-Bund für alle Profiklubs verbindlich gemacht.
„Dieses Jahr ist es für die Vereine erstmals verpflichtend. Deshalb schule ich momentan alle 36 Vereine, Erst- und Zweitliga-Vereine, bei diesen Notfallmaßnahmen.“
Nikolaus Hillmann hat seinem implantierten Defi einen Namen gegeben: „Otto der Erste ist das, denn ich gehe davon aus, noch mehrere zu kriegen, und das ist jetzt eben der Erste."
Auch Journalist Hillmann trägt Defibrillator
Im Oktober 2019 erleidet der Hörfunkjournalist vom Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB zunächst einen Herzinfarkt, noch am selben Tag muss er zwei Mal wegen Kammerflimmerns wiederbelebt werden.
Die Ärzte empfehlen ihm einen transvenösen Defibrillator. Dabei wird die Elektrode über eine Armvene im Bereich des Schlüsselbeins in das rechte Herz eingeführt. Dieser Defi fungiert als Lebensretter bei Rhythmusstörungen, dient aber auch als Schrittmacher, falls das Herz mal zu langsam schlägt – so, wie bei Nikolaus Hillmann:
„Mein Puls war viel zu niedrig war, unter 50, und das Herz lief unregelmäßig lief. Da sagte der Arzt im Krankenhaus: ‚Ja, das ist doch wunderbar, im Defi ist auch eine Schrittmacherfunktion, und dann können wir den Schrittmacher so einstellen, dass der Puls immer über 50 bleibt. Dann bist du da auch auf der sicheren Seite, und fühlst dich damit wohler.‘ Das war dann für mich der letzte Anstoß, zu sagen: Ich lasse das machen. Ich muss aber dazu sagen, dass es für mich im ersten Moment eine unglaublich große Niederlage war.“
Nikolaus Hillmann beim Sport© Wolf-Sören Treusch
Denn mit 58, so alt ist er damals, fühlt er sich eigentlich viel zu jung für einen Defi. „Ich habe wirklich drei, vier Monate heftigst mit mir gerungen. Ich dachte nach meinem Herzinfarkt, ich kriege alles wieder hin, alles wird wieder gut und fast so wie vorher. Bis ich dann begriffen habe, dass dem nicht so ist, und bis ich dann begriffen habe, dass ich so ein Hilfsmittel brauche."
Einmal pro Woche zum Herzsport
Natürlich musste er sich an den implantierten Rettungssanitäter erst gewöhnen. Heute nimmt er ihn nur noch beim Duschen wahr - als Beule oben an der Schulter. Nikolaus Hillmann arbeitet als Sportredakteur, treibt selbst gern Sport. Sein Arzt sagt ihm, er könne alles machen, extreme Armbewegungen allerdings solle er vermeiden.
„Ich gehe ja schwimmen, extremes Kraulen mit voll Durchziehen auf der linken Seite. Das geht nicht, da muss ich mich schon ein bisschen zurückhalten. Aber auch daran kann man sich gewöhnen. Jedes Mal, bevor ich schwimmen gehe, gehe ich zum Bademeister und sage: ‚Bitte, habe ein Auge auf mich‘. Denn ich habe ja diesen Apparat und es kann sein, dass der mal losgeht.“
Einmal in der Woche geht Nikolaus Hillmann auch zum Herzsport. Mit einem Gymnastikball zwischen und unter den Beinen kräftigt er seine Bauchmuskulatur. Auf dem Programm stehen zudem Dehn- und Koordinationsübungen, leichtes Krafttraining, sowie Atem- und Entspannungsübungen. Sieben Männer und eine Frau besuchen diese Herzsportgruppe regelmäßig.
Viele würden denken, sie seien immer noch herzkrank, sagt Physiotherapeut Alexander Niere. Dabei seien sie austherapiert und belastungsfähig. Aber: „Sie haben Angst, weil sie zum Beispiel kurzatmig sind. Das ist ein typisches Symptom einer Angina Pectoris. Dann erkläre ich ihnen: ‚Nee, das ist nicht dein Herz, sondern deine Muskeln, die zu schwach sind‘. Und das ist auch ein wenig die Aufgabe der Nachsorge, sie da herauszuführen. Indem sie ihren Körper wieder wahrnehmen und merken, dass sie leistungsfähiger werden.“
An die Grenzen gehen
Nach der einstündigen Gymnastikeinheit geht es für eine weitere halbe Stunde aufs Ergometer. Die Herzsportgruppe schnallt sich die Pulsmesser an, alle beginnen zu treten. Der Übungsleiter sitzt vor zwei großen Bildschirmen und behält die Wattzahlen im Blick. Nikolaus Hillmann tritt 110 Watt und 60 Watt, immer im Wechsel, jeweils eine Minute. Radprofis schaffen 600 Watt in der Spitze.
Die Leistungsfähigkeit des Herzens positiv zu verändern, langsam und stetig, das ist das Ziel des Trainingsprogramms. Das Herz ist ein Muskel und kann deshalb durch regelmäßige Forderung trainiert werden. Das eignet sich gerade für Patientinnen und Patienten mit implantiertem Defi, erklärt Physiotherapeut Alexander Niere:
„Tatsächlich ist der defibrillatorpflichtige Patient je nach Vorerkrankung des Herzmuskels trainingsfähig, und Training heißt: an die Grenzen gehen. Das ist der psychische Aspekt: Dass der nicht an seine Grenzen gehen will, um sich zu schonen. Wer sich aber schont, baut ab. Die Methode des Intervalltrainings ist eine gute Methode, kurzfristig in eine Leistungssituation reinzugehen, um langfristig die Kapazitäten zu verbessern - denn darum geht es."
Herzerkrannkungen als Haupttodesursache
In Deutschland sind Erkrankungen des Herzens und seiner Gefäße nach wie vor Todesursache Nummer eins. Die moderne Herzmedizin will das ändern, unter anderem mit Hilfe von Defibrillatoren. Jedes Jahr werden mehr als 20.000 von ihnen implantiert – Tendenz steigend.
Christian Eriksen, Katharina Bauer, Daniel Engelbrecht und Nikolaus Hillmann haben sich einen Defi einsetzen lassen. Für sie eine Entscheidung fürs Leben. Und bei aller Risikoabwägung und Vorsicht: auch eine für den Sport.
Eine Wiederholung vom 30. Oktober 2022