Sport und Militär

Ein historischer Rückblick

07:05 Minuten
Soldaten erhalten Briefe vom Briefträger in der zerstörten Stadt Ypern in Flandern, Erster Weltkrieg, Belgien
Im Ersten Weltkrieg versehrte Soldaten erhielten oft Unterstützung durch jüdische Ärzte. © dpa / picture alliance / Arterra
Von Dieter Wulf · 03.09.2023
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Historisch gesehen ist Sport ohne Krieg nicht denkbar. Ein Aspekt, der jahrzehntelang bei Sportwissenschaftlern und Militärhistorikern kaum Beachtung fand. Nun hat sich ein Workshop in Potsdam mit dem Wechselverhältnis beschäftigt.
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, hieß es schon bei dem um circa 500 vor Christus lebenden griechischen Philosophen Heraklit. „Die einen“, schrieb er, „macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen“. Aus dem Krieg entstand ergo der Sport, auch wenn es diesen Begriff damals noch gar nicht gab.
Das erläutert Manfred Lämmer, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln: „Von Sport spricht man erst seit Ende des 18. Jahrhunderts. Das Wort kommt aus England - und das hat unsere heutige Vorstellung geprägt. In der griechischen Antike sprach man von Agon. Agon heißt auf der einen Seite Krieg, Schlacht – und auf der anderen Seite Wettkampf.“

Jeder Krieger war auch ein Athlet

Jeder Krieger war also auch gleichzeitig Athlet: „Solange sie Bürger einer griechischen Polis waren und diese Ausbildung genossen hatten, waren sie beides – und als Allerestes waren sie Krieger, denn die Stadt musste sich verteidigen. Die griechische Welt war durchzogen von pausenlosen Kriegen.“
Dieser Kriegeradel wurde im Gymnasium ausgebildet: „Das Gymnasium war ein Truppenübungsplatz und keine akademische Anstalt, das kam erst später. Und im Gymnasium wurden echte Wehrübungen durchgeführt.“

Als der Wettkampf eine eigene Bedeutung erhielt

Irgendwann aber bekam der Wettkampf eine eigene Bedeutung, erklärt Lämmer: „Der Waffenlauf, der zuerst in voller Rüstung durchgeführt wurde, wurde am Ende nur noch mit dem Schild durchgeführt. Deshalb hieß er Schildlauf. Der Lanzenwurf wurde zum Speerwurf mit einem verkleinerten Sportspeer. Also diese Versportlichung, die erfolgte etwa im 6. Jahrhundert vor Christus.“
Statt mit dem zweispännigen Streitwagen trat man jetzt in Olympia mit einem für den Krieg völlig unbrauchbaren Viergespann an. Aus Schild und Lanze entwickelten sich Sprunggewichte, die nur noch abstrakt an Waffen erinnerten. Und doch waren die Wettbewerbe in Olympia nicht das, was wir uns heute unter den antiken Wettkämpfen vorstellen: „Da wurde erbittert gekämpft mit einer gleichen Mentalität wie der, mit der man in die Schlacht zog und es gab keine Spur von Fair Play. Es gab Regeln, die hielt man ein und nichts darüber hinaus.“
Die Vorstellung einer sportlichen Gemeinschaft, wo allein die Teilnahme zählt – nach dem Motto „dabei sein ist alles“ –, das sei ein Mythos, der von Pierre de Coubertin, dem Begründer der modernen olympischen Spiele geschickt aufgebaut worden sei, meint der Althistoriker: „Der zweite Platz war Schande. Ein Grieche hätte es nicht verstanden, wenn jemand sich gerühmt hätte, Vizeeuropameister zu werden. Das ist ja etwas, aber da hätte ein Grieche verständnislos den Kopf geschüttelt.“

Grundsatz "Kranz oder Tod" bei antiken Athleten

Bei den antiken Athleten galt in Olympia, wie Berichte und Inschriften belegen, der Grundsatz „Kranz oder Tod“. Und auch als Soldat konnte man damals nicht mit besonderer Aufmerksamkeit oder Unterstützung rechnen, wenn man auf dem Schlachtfeld verletzt überlebte.
Das sei eigentlich erst ein Phänomen der Neuzeit, meint Frank Reichherzer, Historiker am Militärhistorischen Forschungsamt in Potsdam: „Der versehrte Soldat, der stellt sich erst als Phänomen oder dann auch als Problem erst mit den Kriegen des 19. Jahrhunderts dar. Davor sterben tatsächlich viele verwundete Soldaten. Die Verwundungen sind oft so stark, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit gering ist.“
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts starben neun von zehn Patienten nach Amputationen infolge von Infektionen.

Auch seelische Verletzungen im Ersten Weltkrieg

Dank medizinischer Fortschritte änderte sich das im Ersten Weltkrieg mit am Ende etwa 20 Millionen versehrten Soldaten, so Frank Reichherzer: „Das ist fast die Hälfte aller mobilisierten Truppen. Die Wahrscheinlichkeit, verletzt zu werden, ist sehr hoch, aber auch die Wahrscheinlichkeit, zu überleben, ist gestiegen. Damit stellt sich die Frage nach der Versorgung kriegsversehrter Soldaten.“
Und diese trugen nicht nur körperliche Schäden davon. In Deutschland sprach man von „Kriegszitterern“. Heute wäre der medizinische Begriff dafür wohl PTBS: posttraumatische Belastungsstörung.

Unterstützung oft durch jüdische Ärzte

Mit der Hilfe vieler oft jüdischer, fortschrittlicher Ärzte bekamen diese Soldaten in vielerlei Hinsicht Unterstützung – bis die Nazis an die Macht kamen.
Merith Niehuss, bis letztes Jahr Präsidentin der Universität der Bundeswehr in München: „Die haben wieder alle Gutachten umgeschrieben. Die Leute bekamen ihre Renten entzogen. Es gibt sehr, sehr wechselhafte Geschichten von Versehrten.“

9/11 veränderte Umgang mit versehrten Soldaten

Aber auch international gab es über viele Jahre keine aktive Integration versehrter Soldaten, meint Niehuss mit Verweis auf den 1982 geführten Falklandkrieg der Engländer: „Am Ende gab es eine Siegesparade in London. Meiner Erinnerung nach ist es den Versehrten verboten worden, dort mit zu marschieren. Die hatten einen Antrag darauf gestellt, der abgelehnt worden ist.“

Der Umgang mit Kriegsversehrten änderte sich erst nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Historiker Reichherzer erklärt: „So richtig Schwung bekommt diese Bewegung mit dem War on terror, mit der Intervention in Afghanistan und dem Irak wurden wirklich viele Versehrte in die USA und dann auch in andere beteiligte Nationen zurückkehren. Da nimmt dann diese Integration über den Sport über solche Spiele wie Warrior Games oder auch die Invictus Games dann auch so an Fahrt auf.“
Ukrainer trainieren für die Invictus Games.
Die Invictus Games wollen versehrten Soldaten helfen, sich ins Leben zurückzukämpfen.© dpa / picture alliance / Mykhaylo Palinchak

Lange gab es keine versehrten deutschen Soldaten

In Deutschland gab es jahrelang keine versehrten Soldaten oder Soldatinnen – einfach, weil es keine Auslandseinsätze gab. Das änderte sich erst mit den Balkankriegen, besonders im Kosovo und dann wirklich massiv in Afghanistan.
Als besonders hilfreich habe sich im Zuge dessen der Sport herausgestellt, meint Martin Elbe, Professor für Sozialpsychologie am Militärhistorischen Forschungszentrum in Potsdam. Denn Sport helfe bei der Genesung, aber eben auch, um aus der Isolation herauszukommen:
"Eigentlich liegt es in der grundlegenden Bedeutung des Sportes an sich. Jetzt haben wir zwei Effekte. Das hilft, die Belastung zu reduzieren für den Einzelnen. Der zweite Effekt: Es führt dazu, in der Gesellschaft wieder etwas mehr Anerkennung zu erfahren. Beides kommt durch den Sport zum Tragen. Deswegen hat sich hier der Sport auch finden lassen, quasi als Vermittler."

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