Sport

Der siebte Mann

Von Wolf-Sören Treusch · 14.03.2014
Musik, Pyroeffekte, Gewinnspiele: Die Zuschauer wollen auch bei Sportveranstaltungen unterhalten werden. Der reine Sport ist ihnen zu wenig. Der deutsche Volleyball-Meister, die BR Volleys aus Berlin, setzt etwa auf seinen Hallensprecher. Er ist der Einpeitscher, sozusagen der siebte Mann. Er macht aus der Randsportart ein Erlebnis.
"Liebe Berliner Volleyballfans in der Max-Schmeling-Halle, bitte erhebt euch von Euren Plätzen …"
Die Halle ist dunkel. Hunderte orangefarbener Leuchtstäbe fliegen aufs Spielfeld. Ein Verfolgerspot ist auf eine Ecke der Halle gerichtet. Die Cheerleader bewegen Po und Puschel, die Zuschauer ihre Klatschpappen. Es gibt einen lauten Knall, zwei Stichflammen steigen in die Höhe. Und dann kommen sie: die Spieler des aktuellen deutschen Volleyballmeisters, der Berlin Recycling Volleys.
Wie ein Entertainer steht Karsten Holland am Spielfeldrand. Kurze blonde Haare, weißes Hemd über der Hose, schwarzes Sakko: Er sieht nicht aus wie eine typische Rampensau. Aber er ist weit mehr als einfach nur Hallensprecher. Er mischt auch konzeptionell kräftig mit. Musikeinspieler, Pyro- und Licht-Effekte, Maskottchen und Cheerleader: viele Ideen sind von ihm. Karsten Holland ist Teil des Event-Teams der BR Volleys. Sport ist seine Leidenschaft, von Beruf ist er Arzt.
Entertainment beim Volleyball? Das war früher undenkbar. Dann hatten Karsten Holland und sein Team ein Schlüsselerlebnis. Vor fünf Jahren zogen sie, damals noch als SCC Berlin, für ein Spiel gegen Spitzenreiter Friedrichshafen in die Max-Schmeling-Halle um.
Karsten Holland: "Wir haben es gemeinsam geschafft, dort knapp 8.000 Zuschauer hinzukriegen, das war damals bahnbrechend für den Volleyballsport, es war eine fantastische Stimmung, mit einem 3:2-Sieg für den SCC, wir waren unglaublich euphorisch und hatten eine knappe Woche später das nächste Highlightspiel, nämlich dann wir als Erster gegen den Zweiten, damals war das Unterhaching gewesen."
Aber das Spiel fand wieder in der alten Halle statt, ohne viel Trara. Und es kamen nur 800 Zuschauer.
Der Zweite gegen den Ersten
Karsten Holland: "Da ist für mich so dieser Groschen gefallen: ‚okay, Entertainment ist nicht alles, aber doch ein relativ großer Part in diesem Konstrukt: Volleyball und Show’."
Es ist Sonntagnachmittag, Spitzenspiel in der Volleyball-Bundesliga: wieder gegen den VfB Friedrichshafen. Der Zweite gegen den Ersten.
"Und die Gegengerade wird richtig laut, macht mal noch eine schnelle Runde, klasse, und jeder gibt seinem Nachbarn einen riesigen Applaus, das sieht klasse aus, haltet die Welle durch. Durchhalten, weitermachen, nicht nachlassen! Eine Runde schafft ihr noch."
Karsten Holland: "Der Mensch, der ich da bin, mit Mikrofon in der Hand, möchte ja was von dem Publikum. Nämlich, dass es im Idealfall zweieinhalb Stunden durchklatscht. Wenn so ein Spiel fünf Sätze geht, ja. Und dazu gehört aus meiner Sicht, dass man ein bisschen spielt, dass man variiert, dass man sich einfallen lässt, immer wieder was anderes zu bringen."
"… haltet die Welle durch. Durchhalten, weitermachen, nicht nachlassen! Eine Runde schafft ihr noch."
Da lege ich großen Wert darauf, dass man nicht genervt wird durch den Hallensprecher, sondern dass man eigentlich eher am Ende rausgeht und sagt: ‚Mensch, das war ja ne klasse Stimmung’, aber keiner richtig wahrgenommen hat: wodurch kam die eigentlich zustande.
"Die BR Volleys sind stolz, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass heute 7.219 Fans den Weg in die Max-Schmeling-Halle gefunden haben, und die machen jetzt aber auch so richtig Alarm: auf geht’s!"
Seit 2011 tragen die BR Volleys ihre Heimspiele nur noch in der großen Sporthalle aus. Mutig. In einer Randsportart. Doch wer in der Hauptstadt mit ihren vielen sportlichen und kulturellen Alternativangeboten überleben will, muss unverwechselbar sein.
Symbolbild Volleyball
Symbolbild Volleyball© picture alliance / dpa / Roman Kruchinin/RIA Novosti
"So ist es still in der Max-Schmeling-Halle, schschsch, und so drücken über 7.200 Fans noch mal die Daumen, dass das jetzt ein Ende nimmt mit Satz Nummer drei."
Schnell liegen die Gastgeber mit 2:0 in Führung. Doch trotz aller Beschwörungen ihres Stimmungsmachers verlieren sie Satz Nummer drei und vier. Die Partie geht in den Tie-Break.
"Auf geht’s liebe Volleyballfreunde, Halbzeit in Satz Nummer fünf."
Karsten Holland sitzt drei Meter hinter dem Kampfgericht. Am liebsten würde er jetzt direkt zu den Zuschauern gehen und ihnen einheizen. Kann er aber nicht. Er muss nebenbei die Regler bedienen.
"Attacke!"
Die Arbeit am DJ-Pult teilt er sich mit einem Kollegen. Anders ginge es gar nicht mehr. Zu vielfältig sind die Musikeinspieler über die Jahre geworden. Ein kurzer Blickkontakt nach jedem Ballwechsel: mehr brauchen die beiden nicht, um sich abzustimmen und den richtigen Clip abzufahren.
"13:12, Führung für die BR Volleys, liebe Volleyballfreunde, es herrscht keine Sitzplatzpflicht in der Max-Schmeling-Halle, erhebt euch von euren Plätzen! Zwei Punkte noch! Kommt! …"
Fan: "Das ist mehr als wichtig. Wenn das nicht wäre, wenn keiner wäre, der das mit anheizt, dann würde das Publikum auch nicht mitgehen. Also: du brauchst einen Anheizer."
Die Fans sind begeistert. Und auch Manager Kaweh Niroomand, der immer an derselben Stelle einen Meter neben Karsten Holland steht, ist überzeugt: sein Hallensprecher ist ein bedeutender Baustein auf dem Weg nach ganz oben.
Kaweh Niroomand: "Ja, der ist enorm wichtig. Es hat Spiele gegeben, wo ich sage: sein Anteil war nicht unwesentlich, dass es am Ende, wo es knapp war, dass wir auch das Spiel dann gewonnen haben."
Volleyball in Berlin ist cool
"… Matchball Berlin! …"
Karsten Holland: "Aber wenn die BR Volleys mit sechs Punkten zurück liegen, dann werde ich keine künstliche Stimmung erzeugen können, dann kann ich nichts machen. Wenn die dann mit ein, zwei Punkten rankommen, dann kannst du die Stimmung aufnehmen und dann kannst du auch pushen, und dann kannst du es möglicherweise schaffen, dass der dritte und vierte Punkt auch noch hinterher kommen, weil die Halle kocht. Aber spielen und gewinnen müssen die Jungs von ganz alleine."
So wie das Spitzenspiel gegen Friedrichshafen. Und neue Fans gewinnen sie damit möglicherweise auch. Es spricht sich herum, dass Volleyball gucken in Berlin cool ist.
"… Es ist vollbracht, 15:13 in Satz Nummer fünf, die BR Volleys bleiben ungeschlagen in der Bundesliga in der Saison 2013/2014."