Splatter trifft auf Homer

Ein Meister des Splatterpunk: Der US-amerikanische Autor Joe R. Lansdale
Ein Meister des Splatterpunk: Der US-amerikanische Autor Joe R. Lansdale © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
12.04.2013
Im neuen Roman von Joe R. Lansdale machen ein Monster und ein korrupter She­riff Jagd auf drei jugendliche Außenseiter. Herausgekommen ist ein herzerfrischend verrückter Road Trip voller Gewaltexzesse, literarischer Bezüge und warmherzig gezeichneter Figuren.
Vor diesem Buch muss man warnen, bevor man es empfehlen kann. Das gilt naturgemäß nicht für die vielen Fans von Joe R. Lansdale, die aus Büchern wie "Der Teufelskiller", "Der Gott der Klinge" oder "Kahlschlag" wissen, wie düster es werden kann, wenn der Träger des American Horror Award "Dunkle Gewässer" ankündigt, aber auch: wie witzig. Lansdale, Jahrgang 1951, gilt als Meister des Splatterpunk.

Diesem Ruf wird er auch dann noch gerecht, wenn er große literarische Vorbilder zitiert, wie William Faulkner, Mark Twain, die Brüder Grimm oder Homer. Die schimmern hier deutlich erkennbar zwischen abgetrennten Gliedmaßen, herausgeschnittenen Zungen, durchbohrten Brüsten, verfaulendem Fleisch und mordenden Monstern durch.

Texas in den Dreißigern. Die 16-jährige Sue Ellen lebt mit ihrer alkoholkranken Mutter und ihrem prügelnden Vater am Ufer des Sabine Rivers. Ihre Freunde sind allesamt Außenseiter in dieser dumpfen, gewalttätigen Welt: Der hübsche Terry steht im Ruch, "eine Schwuchtel" zu sein, die kluge Jinx ist "ein Nigger", und Mary Lynn ist zwar weiß und schön, aber tot. Sie wird aus dem Fluss gezogen, eine Nähmaschine an den Knöchel gebunden. Nach dem Motto "Wir haben nicht so viele Freunde, dass uns eine gleichgültig sein könnte, nur weil sie tot ist" beschließen die drei, Mary Lynn posthum ihren Lebenstraum zu erfüllen: Hollywood.

Sie verbrennen die Leiche und machen sich per Floß auf gen Süden, um die Asche in Hollywood zu verstreuen. Dabei soll ein Geldschatz helfen, den Mary Lynn hinterlassen hat. Allerdings sind der korrupte Sheriff und noch ein paar andere, nicht minder skrupellose Typen hinter dem Geld her, und die kleine Truppe wird von einem bestialisch mordenden Ungeheuer namens Skunk verfolgt. Wenn es gar zu arg kommt, kotzen sich die Beteiligten die Seele aus dem Leib. Dann geht es besser, irgendwie auch dem Leser. Sue Ellen lernt eine Menge unterwegs – über sich selbst, über ihre Herkunft, den Glauben, die Menschen an sich. Ihr Fazit: "Unwissenheit hat eine Menge für sich."

So herzerfrischend durchgeknallt die Handlung, so schonungslos die Horror- und Gewaltexzesse, so warmherzig und liebevoll sind die Hauptfiguren gezeichnet. Zusammengehalten wird all das von einem engmaschigen Netz aus äußerst witzigen Dialogen. Das Einzige, was einen zur Weißglut bringen kann, ist die fast schon manische Sucht nach Vergleichen. Da wird verglichen, was das Zeug hält: "Die Gedanken trampelten mir durch den Kopf, als würden sie Armeestiefel tragen." Oder: "In meiner Welt auf einen Menschen zu stoßen, der noch alle Zähne hatte, beide Ohren und eine gerade Nase, war ungefähr so selten wie eine Wassermelone in einem Hühnernest."

Die Kritik zerstäubt allerdings, wenn man sich bewusst macht, dass die Geschichte mit all ihren Ab- und Hintergründen als Rollenprosa in der Ich-Form aus der Sicht der 16-jährigen Sue Ellen erzählt wird. Das ist die eigentliche literarische Leistung, die aus einem Feuerwerk aus Abenteuer, Splatter und Dialogwitz ein erzählerisches Kabinettstück macht.

Besprochen von Hans von Trotha

Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer
Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel
Tropen Verlag, Stuttgart 2013
320 Seiten, 19,95 Euro