Spitzenwettbewerb der Dramatik mit Refombedarf

Von Ulrich Fischer · 05.03.2013
Autoren wie Elfriede Jelinek, Franz Xaver Kroetz und Moritz Rinke sind für den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Katja Brunners, Kroetz' und Jelineks Stücke haben das gleiche Sujet: Missbrauch. Doch das Festival sollte mal auf den Prüfstand, - der erste Lack ist ab.
Die wichtigsten Wettbewerbe für das deutsche Schauspiel gehen traditionsgemäß über die Bühne, wenn sich die Saison dem Ende zuneigt: In Berlin das Theatertreffen - Ensembles werden ausgezeichnet, Regisseure, Schöpfer zweiter Klasse.

In Mülheim dreht sich alles um die Kreativen der ersten Ordnung, die Dramatikerinnen und Dramatiker, von deren geistiger Substanz die anderen Theaterleute zehren.

Am Dienstag gab der Dramatikerwettbewerb in Mülheim bekannt, wer eingeladen wird. Ganz genau hundert Theatertexte, die in der letzten Saison uraufgeführt worden sind, hat das Auswahlgremium gesichtet, acht werden eingeladen. Höchst erfreulich, im Durchschnitt schaffen nur sieben diese hohe Hürde.

Katja Brunners "Von den Beinen zu kurz", Elfriede Jelineks "FaustIn and out" und Franz Xaver Kroetz‘ "Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind" haben das gleiche Sujet: Missbrauch. Elfried Jelinek bezieht sich auf "Faust", sie nennt ihr Stück ein Sekundärdrama. Sie möchte, dass "FaustIn and out" nur aufgeführt wird, wenn gleichzeitig der "Faust" spielt, und problematisiert das Verhältnis von Faust und Gretchen, die ja "blutjung" war/ist. Im Licht aktueller Verbrechen in Österreich, in der Männer Mädchen in Verließen gefangen hielten, sieht "Faust" ganz anders aus, die berühmte Liebesgeschichte wird zumindest problematisch.

Bei der Uraufführung in Zürich spielte "Faust" im Großen Haus und "FaustIn and out" in einem nahe gelegenen Keller - wichtige Szenen wurden per Videoaufnahme ins Große Haus übertragen. Der Kunstfreund bekam ein schlechtes Gewissen: Während er sich am Klassiker delektiert, lässt er das Opfer der Verbrecher gewissermaßen im Stich. - Franz-Xaver Kroetz erinnert an eine wahre Geschichte im Saarland, bei der ein kleiner Junge nicht nur verkauft, missbraucht, sondern sogar auch noch ermordet worden sein soll.

Moritz Rinke - Schriftsteller und Dramaturg ist gleichzeitig Kapitän der Autorennationalmannschaft (Autonamas) des DFB.
Moritz Rinke - Schriftsteller und Dramaturg© picture alliance / dpa /Harlheinz Schindler
Moritz Rinke mit besten Chancen
Neben den beiden Alten Meistern, Jelinek und Kroetz, stehen viele Junge: Azar Mortazavi erzählt in "Ich wünsch mir eins" von den Schwierigkeiten einer jungen Frau, die gern ein Kind haben möchte; "Muttersprache Mameloschn" von Marianna Salzmann berichtet über drei Generationen jüdischer Frauen in Europa; Nis-Momme Stockmann hat ein umfassendes Bild von der Krise in Zeiten der Globalisierung entworfen, der Titel ist so barock wie die Collage: "Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir" und Felicia Zeller, in Mülheim keine Unbekannte, kommt mit "X-Freunde", eine Farce über Selbstausbeutung.

Moritz Rinke, ein Dramatiker der mittleren Generation mit hohem Renommee, dürfte beste Chancen haben, in diesem Jahr den Lorbeer zu erringen: er warnt in "Wir lieben und wissen nichts" vor den Deformationen der Arbeitslosigkeit.

Die Mülheimer Theatertage beginnen am 11. und enden am 31. Mai. Alle Stücke werden in Mülheim aufgeführt, nach der letzten Vorstellung setzt sich die Jury zusammen und sucht in öffentlicher Diskussion die Dramatikerin oder den Dramatiker des Jahres 2013 - dieser Abend wird immer zum spannenden Höhepunkt der Dramatikertage

Eine Stärke der "Stücke" ist die Auswahl - zwei voneinander unabhängige Gremien, das erste, das die Stücke sichtet und einlädt, und ein zweites, das aus den Eingeladenen die Preisträgerin oder den Preisträger kürt - eine andere Stärke ist die Transparenz. Die Jury tagt nicht hinter verschlossenen Türen, Absprachen sind schwer möglich - das bessere Argument gibt, im glücklichen Fall, den Ausschlag.

Aber das Festival sollte mal zum TÜV, nach 38 Jahren ist der erste Lack ab. Seit Jahren ist die Preissumme, 15.000 Euro, nicht angehoben worden. Angesichts des enormen Anstiegs der Gehälter von Wirtschaftsleuten sind 15.000 Euro zu wenig. Ein Stückeschreiber liegt im Vergleich der Honorierung, die in unseren materiell gestimmten Zeiten auch den Wert bestimmt, viel zu weit hinter Kaufleuten und Managern. Das Schauspiel ist die Königin der Künste - Dramatiker sind Spitzenkünstler. Doch bei uns sitzen sie (auch innerhalb des Theaters) am Katzentisch - eine Erhöhung des Preisgeldes ist an der Zeit.

In diesem Jahr gab es in Berlin die Uraufführung von Yasmina Rezas neuem Stück "Ihre Version des Spiels" - auf Deutsch. Dennoch konnte das Stück nicht in den Wettbewerb kommen, weil Yasmina Reza Französin ist.

Sind solche Uralt-Regeln noch zeitgemäß? Sollte Europa im Kulturfeld nicht Vorrang haben, gerade angesichts rückwärtsgewandter Euroskeptiker? Auch Dramatisierungen von Romanen werden ausgegrenzt - und wenn eine geglückt ist? Sollte das Auswahlgremium nicht von Mal zu Mal entscheiden? So viel Konzentration wie nötig, so wenig Ausgrenzung wie möglich.

Rigide Regeln von anno dunnemals gehören auf den Prüfstand. Aber eine wirkliche Diskussion will nicht in Gang kommen. Teure Werbestrategen versuchen, Nordrhein-Westfalen als Land der Innovationen darzustellen.

Tatsächlich ist NRW schwerfällig, als Haupttugend gilt heimlich Beharrungsvermögen.

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