Spitzensport unter Trümmern

Von Martin Polansky |
Zweieinhalb Jahre nach der Erdbebenkatastrophe nimmt auch Haiti mit einem kleinen Team an den Olympischen Spielen in London teil. Die Bedingungen sind für den Leistungssport im Inselstaates denkbar schwierig. Weil es kaum Anlagen gibt, trainieren viele Sportler in den USA oder in Frankreich.
Es ist einfacher Trainingsraum in Port-au-Prince. Judo-Matten sind ausgelegt, ein bisschen Krafttraining kann man hier machen. Schon am frühen Morgen ist Linouse Desravine normalerweise hier, wenn sie nicht in ihrem Heimatort Cape Haitienne im Norden des Landes trainiert.

Linouse ist 21, gerade mal 1,60 Meter groß, aber ein echtes Kraftpaket. Als Judokämpferin wird sie für Haiti in London antreten. Sie ist stolz, dass sie das geschafft hat – trotz der schwierigen Voraussetzungen:

"Nach dem Erdbeben vor zweieinhalb Jahren war es natürlich sehr schwer als Sportlerin weiterzumachen. In Port-au-Prince war viel zerstört und jeder hatte erst mal andere Sorgen als den Sport."

Neben der Judoka Linouse starten bei Olympia vier Leichtathleten für Haiti. Das Team ist damit noch kleiner als vor vier Jahren in Peking als sieben Sportler antraten. Ambitionierte Athleten haben es schwer in dem bitterarmen Land, sagt Alain Jean Pierre, der Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees:

"Es gibt viele Probleme. Wenn ein Sportler ein bestimmtes Niveau erreicht hat, ist es schwer, Trainingspartner für ihn zu finden. Auch das Ausbildungssystem ist natürlich nicht gut. Deshalb gehen viele Spitzenathleten von hier auch ins Ausland, um ihre Ziele zu erreichen."

Das gilt auch für Linouse. In Spanien konnte sie sechs Monate an einer Sportschule trainieren. Für sie war das ein echter Sprung nach vorne:

"Eigentlich ist Haiti kein schlechtes Land für Judo. Wir sind schon seit längerem ziemlich gut darin. Ich bin zum Beispiel über meinen Bruder auf den Sport gekommen. Er war nationaler Meister.

Aber in Spanien gab es einfach sehr gute Trainer. Das fehlt hier. Unsere Trainer müssten einfach besser ausgebildet werden. Sonst kommst Du auch als Sportlerin von hier nicht weiter."

Aber es fehlt am Geld, um mehr Sportlern wie Linouse eine gute Ausbildung in den USA oder Europa zu ermöglichen, beklagt Alain Jean Pierre vom NOK Haitis. Ohne Hilfe aus dem Ausland würde nicht viel gehen:

"Die Regierung ignoriert uns praktisch. Sie hat andere Prioritäten bei den ganzen Problemen im Land. Da bleibt kein Geld für den Sport übrig. Und private Sponsoren gibt es praktisch nur für den Fußball. 90 Prozent unseres Geldes kommen vom Internationalen Olympischen Komitee."

Mit großer Hoffnung schauen jetzt alle auf Linouse. So wie im letzten Jahr bei den Panamerikanischen Spielen im mexikanischen Guadalajara.

Dort holte sie die Bronzemedaille. Ein Riesenerfolg. Die letzte olympische Medaille gewann Haiti im Jahr 1928 in Amsterdam. Silber im Weitsprung. Das will Judoka Linouse Desravine nun toppen. Und damit Sportgeschichte machen:

"Mein Ziel in London ist, Gold zu holen in meiner Gewichtsklasse. Das ist meine Motivation. Und ich will nicht für mich siegen sondern für mein Land Haiti das Beste erreichen."