Spitzengastronomie

Frauen an den Herd!

Die israelische Spitzenköchin Haya Molcho (l.)
In der Sterneküche sind Frauen eine Seltenheit - das wollen sie ändern. © Tina Hüttl
Von Tina Hüttl · 25.03.2018
Militärischer Umgangston, sexuelle Belästigungen, familienunfreundliche Arbeitszeiten - die Bedingungen in der Spitzengastronomie schrecken Frauen offenbar ab. Unter 300 gekürten Sterneköchen sind nur neun weiblich. Das wollen viele nicht mehr hinnehmen.
Der "Michelin". Die Verleihung der Sterne. Das ist das Top-Event in der Gastroszene. Es gibt keinen wichtigeren Restaurantführer als den Michelin. Die Sterne stehen für Qualität und Erfolg eines Restaurants - weltweit. Es gibt Köche, die Selbstmord begangen haben, nachdem sie ihren Stern verloren haben.
Die Luxemburgische Sterneköchin Lea Linster (ein Michelin-Stern) gewann bisher als einzige Frau den Bocuse d'Or, eine der höchsten Auszeichnungen für Köche.
Die Luxemburgische Sterneköchin Lea Linster (ein Michelin-Stern) gewann bisher als einzige Frau den Bocuse d'Or, eine der höchsten Auszeichnungen für Köche.© dpa / picture-alliance / Xamax
Dieses Jahr hat der Reifenkonzern Michelin, der den Gastroführer herausgibt, die Metropolis-Halle gemietet, eine filmreife Kulisse: 600 Gäste in Abendgarderobe, eine riesige Bühne mit Showküche, davor eingedeckte Tische für alle Gäste, die ein 6-Gang Menü serviert bekommen – gekocht von acht Sterneköchen. Darunter nicht eine Frau.
Der Moderator interviewt gerade den internationalen Direktor des Restaurantführers, Michael Ellis, der extra aus Großbritannien eingeflogen ist. Noch zwei Männer in der Show.
"Also 300 Sterneadressen im neuen Guide, erhältlich im Buchhandel, how many of these 300 are new? That is also exiting over 10 percent!"
Ein Rekordjahr für den Konzern und für Deutschland, so hören wir. 300 Sterneadressen - soviel wie noch nie- listet der Michelin-Führer 2018, darunter 34 neue Sterne, was eine riesige Anerkennung für all die neuen Talente in diesem Land bedeutet. Das sagt der Brite und spricht ausschließlich von "Chefs" - obwohl es im Englischen auch die Unterscheidung zu "Female Chef", also Köchin, gibt.

Von 34 Sternen gehen nur zwei an Köchinnen

Geladen sind Köche, Gourmets, Menschen aus der Food Branche und natürlich viele Journalisten, die wie ich über Essen und Trinken schreiben. Es ist für uns der wichtigste Termin im Jahr. Ich bin gespannt.
34 neue Sterne werden gleich vergeben. Michael Ellis liest Namen von einer langen Liste ab, um die Ausgezeichneten auf die Bühne zu holen. Das Ganze dauert eine knappe halbe Stunde. Nur zwei weibliche Namen fallen.
Es gibt nur sieben Frauen in Deutschland, die mit einem Michelin-Stern dekoriert sind – ab heute sind es zwei mehr, also neun. Neun von 300.
Der Frauenanteil bei den Ausgezeichneten liegt demnach bei drei Prozent. Und: je mehr Sterne, desto weniger Frauen. In der Kategorie "zwei Sterne" gibt es eine einzige Frau. In der höchsten Kategorie – drei Sterne – gar keine. Auch nicht nach dem heutigen Abend.
Die Bühne ist nun voll von Köchen. Sie bekommen weiße Kochjacken überreicht, bestickt mit dem Michelin-Stern – in der Einheitsuniform, die sich alle überziehen, sind die zwei ausgezeichneten Frauen kaum zu erkennen.
zwischen 30 weiß gekleideten Köchen stehen eine Frau in der Mitte, eine weitere am Rand
Die Sterneköche: Gruppenbild mit Dame© Tina Hüttl
Bei der anschließenden Fotosession stürzt sich die Presse aber auf sie – auf die Essener Spitzenköchin Erika Bergheim und Sarah Henke aus der Nähe von Koblenz. Sie dürfen - ja sie sollen - jetzt in der ersten Reihe stehen. Verstanden die Männer es, sich auf der Bühne und in der Showküche zu inszenieren, werden die Frauen nun gerne abgelichtet - hübsche Exotinnen eben.
Auch ich drängle mich bis zu Sarah Henke durch, eine gebürtige Südkoreanerin in Niedersachsen aufgewachsen, frage sie, was es braucht, um ganz oben mitzuspielen:
"Ich glaube wir Frauen müssen den Männern einfach zeigen, dass wir es halt auch drauf haben. Das ist Punkt eins. Und es gibt halt viel weniger Frauen in der Spitzengastronomie, weil auch A viel weniger den Beruf ergreifen und ich denke, es ist immer noch ein Thema Familie und Zeit haben, weil wenn die Familienplanung auf Programm steht, dann ist es schwierig zu vereinbaren. Es gibt einige Frauen, die beweisen, dass es geht – aber das ist ein großer Spagat."
Sarah Henke ist jetzt 36 Jahre alt, verlobt, hat aber keine Kinder. In ihrem Beruf hat sie gelernt zu verzichten. 2014 hatte sie sich als Küchenchefin im Arosa-Hotel auf Sylt schon mal einen Stern erkocht– dafür sah sie ihren Verlobten nur alle zwei-drei Wochen, weil es in der Gastronomie selten mal ein freies Wochenende gibt.
Erfolg kommt mit Verzicht, sagt Sarah Henke. Jahrelang hat sie neben der Küche so gut wie keine Freizeit gehabt, Freunde kaum gesehen und Orte - Portugal, Wolfsburg, Sylt - für Jobs gewechselt wie andere Schuhe. Nach Hobbys gefragt, fällt ihr im Interview nichts ein.

Kinder und Küche - geht gar nicht

Wenn Kinder kommen, dann lässt meistens die Frau den Job ruhen - aus finanziellen Gründen. Krasse Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es in fast allen Branchen. Doch der Kochberuf ist besonders schlecht entlohnt: In der Ausbildung bekommen Azubis je nach Lehrjahr zwischen 600 bis 800 Euro. Später dann nach ein paar Berufsjahren rund 2000 Euro im Monat, Köchinnen liegen 100 Euro darunter. Eine Familie allein davon zu ernähren ist schwierig.
In der Sternekategorie sieht das allerdings anders aus.
Auf dem Teller ist Hummer auf grünem Apfelgelee mit Kaviar angerichtet. Im Restaurant St. Hubertus in St. Kassian zaubert Sternekoch Norbert Niederkofler diese und andere Köstlichkeiten für seine Gäste. Undatierte Aufnahme.
Sterneküche: Hummer auf grünem Apfelgelee mit Kaviar © dpa / Udo Bernhart
Ich recherchiere in der aktuellen Ausgabe des Branchenblatt "Rolling Pin", einem österreichischen Gastromagazin, in dem alle Gastronomen inserieren, die eine Stelle zu besetzen haben. In der Spitzengastronomie hängt das Gehalt vor allem vom Namen und dem Arbeitsort ab - die Sternegastronomie funktioniert ähnlich wie die Filmbranche nach eigenen Gesetzen.
Online sind derzeit 1800 Jobs in Hotelerie und Gastronomie ausgeschrieben, hinten im Heft zähle ich knapp 40 Seiten Anzeigen.
"Okay, gesucht wird für alle Bereiche - Restaurantleiter, Servicekräfte, Jungköche, Küchenchefs. Die meisten Anzeigen sind von Hotels in Österreich und Deutschland. Hier ist Tim Raue, sucht für sein neues Restaurant im Arosa auf Sylt Personal - leider keine Gehälter angegeben. Schuhbecks sucht Koch im Partyservice, leider auch nichts zum Verdienst. Hier: Gehobenes Alpenhotel sucht Küchenchef - 3500 Euro Brutto als Einstiegsgehalt."
Die Anzeigen bewegen sich bestenfalls im mittleren Niveau, keine Sternekategorie wird inseriert. Denn die meisten Spitzenköche und –köchinnen werden persönlich um- und abgeworben und mit deutlich höheren Gehältern gelockt: Diejenigene, die in der Ein- bis bis Zwei-Stern Liga spielen, lese ich bei meiner Netzrecherche im Spiegel, liegen deutlich darüber: um die 50 000 Euro Jahresgehalt. Dreisterner können bis zu 150 000 Euro brutto bekommen.

Mälzer, Schubeck, Lafer - Im Fernsehen kochen fast nur Männer

Der Michelin-Stern ist also auch eine gute Basis für Gehaltsverhandlungen. Und wer erst einmal in der oberen Liga spielt, bekommt Folgeaufträge, vor allem in der Werbung. Ich zappe mich durchs Fernsehprogramm.
"Hallo und herzlich Willkommen zur leckersten Sendung Deutschlands: Tim Mälzer kocht!"
Jeden Tag laufen Kochshows - auf allen Sendern. Ich sehe Tim Mälzer, daneben gibt es noch Frank Rosin, Alfons Schubeck, Christian Rach, Johann Lafer, Stefan Henssler. Koch-Stars, die im Fernsehen viel Geld verdienen. Sarah Wiener und Lea Linster sind die weiblichen Ausnahmen.
In der Küche bespricht Haya Molcho mit ihrem Souschef die Details für das Abendmenü. In einer ihrer Küchen - genau genommen. Die israelische Spitzenköchin betreibt nun sechs, bald sieben, acht, neun gehobene Restaurants: Sie heißen allesamt Neni, die Anfangsbuchstaben ihrer vier Söhne. Es war eine bewusste Entscheidung, die Fäden selbst in die Hand zu nehmen.
Gerade hat sie ein Neni in München aufgemacht - Paris, Amsterdam und London sind als nächstes dran.
Ehrlicherweise muss man aber auch wissen: Ihr Gastroimperium hat sie erst aufgebaut, als ihre Kinder schon aus dem Gröbsten raus waren. Haya Molcho ist jetzt 63.
Kinder sind sicher ein Hindernis, sagt sie. Aber nicht für immer.
"Ich habe gesagt: Okay, ich wollte so gerne Kinder. Ich werde eine Mutter von vier Söhne sein. Natürlich habe ich immer Feste gefeiert, bei uns im jüdischen Glauben gibt es Bar Mizwa – da gibt es genug Feiern, wo ich für 2-300 Leute gekocht habe. Da begann schon Mutter und Feste. Und als der Nadif, der Jüngste, 13 war habe ich mit Catering-Unternehmen angefangen - und mir Namen gemacht. Und dann ging es schon los mit dem ersten Lokal am Naschmarkt."
Ich treffe die Unternehmerin mit israelischen Wurzeln in Berlin, wo ihr Restaurant Neni im obersten Stockwerk des Bikini-Hauses nahe dem Kurfürstendamm liegt. Es dominiert viel Glas. Das Restaurant hat ein eigenes Gewächshaus und eine offene Küche – letztere ist für sie nicht nur ein gestalterisches Detail, sondern Teil einer Kultur:
"Ein großer Fehler unserer Generation war, die Mutter in der Küche zu verstecken. Die Frau in Westeuropa wurde nie respektiert. Bei mir im Orient ist das etwas anderes. Es wird mehr respektiert, die Küche, das gemeinsame Essen."
Wenn Haya Molcho in der Restaurantküche wie jetzt gerösteten Blumenkohl mit Tomatenkernen und Auberginen im Holzofen macht, will sie gesehen werden. Anerkennung sei der Schlüssel dafür, dass mehr Frauen diesen Beruf ergreifen, sagt sie.
"Wenn Köchinnen zu mir kommen, werden sie eher bevorzugt, weil ich mehr Frauen in der Küche haben will. Ich bin viel im Fernsehen, schreibe Bücher, rede darüber. Es ist eigentlich nur reden reden reden – Frauen bestärken, dass sie es machen. Mehr kannst du nicht machen."
Haya Molchos wilde Locken tanzen, wenn sie Tomaten reibt, Koriander zupft, Auberginen schneidet – ihre Arbeit muss sie keine Sekunde für ihre Gedanken unterbrechen. Multitasking, das ist weiblich, findet sie. Und trotzdem fehlt gerade Frauen das Selbstbewusstsein, das, was sie zu Hause ohnehin tun, als Beruf zu ergreifen.
In Israel, sagt sie, gebe es das Problem nicht, dort gebe es viel mehr Köchinnen, aus einem simplen Grund.
"In Israel machen die Frauen Militär, es gibt Frauen, die den Männer sagen, was sie machen sollen. Die Gleichberechtigung kannst Du nicht mit Europa vergleichen, weil wenn ich beim Militär bin, dann kann mir der Mann nicht sagen, was ich machen soll."

MeToo in der Gastrobranche? 100 Prozent Betroffene

Vorbilder sichtbar machen – das ist die Idee des "Feminist Food Club", der vor einem Jahr in Berlin gegründet wurde. Dem Verein können nur Frauen, die in oder rund um die Gastro-Branche arbeiten, beitreten. Inzwischen hat das Netzwerk rund 700 Mitglieder.
Ich treffe ein Clubmitglied im Café - die vegane Köchin Sophia Hoffmann. Sie hat sich mit der veganen Küche eine frauenfreundliche Nische geschaffen. Sexuelle Übergriffe, so weiß sie, sind in der Branche absolut üblich.
"Ich glaube, dass wir auf jeden Fall die Gastronomie auch in der Me-Too-Debatte berücksichtigen müssen – und ganz ehrlich: Ich kenne keine Frau, die die klassische Ausbildung durchlaufen hat und das nicht erfahren hat. Entweder in verbaler oder in körperlicher Form. Kenne ich nicht. Da ist die Quote glaube ich bei 100 Prozent."
Beim Feminist Food Club engagiert sie sich, weil es sie nervt, dass alle nur auf die Sternegastronomie starren, in der Frauen und Minderheiten kaum Chancen haben, und wo es außerdem ausbeuterisch und aggressiv zugeht.
"Das nervt nicht nur, mich macht das wütend, dass es immer noch Leute gibt wie Tim Raue, ich nenne da auch gern Namen, die als mysogene Choleriker bekannt sind und belobhudelt werden und am internationalen Tablett rumgereicht werden. Wenn du so mit Mitarbeitern umgehst und das stolz vor Kamera – es macht mich schon stutzig diese Diskrepanz, dass sowas noch gesellschaftsfähig ist. Das muss zu einem gesellschaftlichen No Go werden."
Für sie gibt es genügend andere Vorbilder zur Orientierung: Gerade in der jungen Food-Szene-Bewegung gehören Frauen derzeit zu den wichtigsten Treibern: als Craftbeer-Sommeliere, Food-Start-Up-Gründerinnen, sie haben Dinner-Clubs, Blogs oder Streetfood Stände und Catering-Unternehmen.
Trotzdem hört und sieht man wenig von ihnen, auch nicht auf Gastro-Messen und Talks, auf denen Hoffmann viel unterwegs ist. Beim ersten Treffen hat der Feminist Food Club daher eine Liste mit potentiellen weiblichen Gesprächsgästen aus der Gastronomie erstellt.

"Manches finde ich einfach affig"

"Also der erste Schritt ist einfach mal eine Öffentlichkeit zu schaffen. Mit dieser Liste einfach diesen Mythos aus der Welt zu schaffen, dass es keine geeigneten Frauen für ein Panel gibt. So können wir sagen, wir haben hier 400 Leute auf der Liste stehen."
Female Empowerment – damit ist es aber wohl nicht getan. In der Branche muss sich grundlegend etwas ändern, findet Sophia Hoffmann. Sie muss nachhaltiger und sozialer werden, die Ausbeutung des Personals muss aufhören, familienfreundlichere Arbeitszeiten müssen her. Und – ganz wichtig – wir brauchen eine Rückbesinnung:
"Am Ende des Tages sollte man sich immer überlegen: Worum geht es eigentlich? Es geht ums Essen! Und diese ganze Maschinerie, die dahintersteckt, manches finde ich einfach affig und albern und sehe da auch keine Connection mehr."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Frauenabend bei der Food Week 2017© Tina Hüttl
Die Food Week ist inzwischen das wichtigste Food-Festival in Deutschland - seit 2014 präsentieren sich hier Köche, Gastronomen, Food-Entrepreneure, Manufakturen und Marken eine Woche lang in Berlin. Neben Foodies und Gourmets, die dafür bezahlen, sind viele Medienvertreter geladen. Auf dem Food-Festival wurde den Frauen in der Gastronomie ein ganzer Abend gewidmet, damit es nicht wie bei der Michelin-Sterneverleihung läuft: Nur Männer bestreiten die Show und die Küche. Die Organisatorin Alexandra Laubrinius und ihr Team haben sich den Abend unter dem Motto "Frauenwirtschaft" ausgedacht:
"Wir haben festgestellt, wir hatten zu wenig Frauen in den letzten Jahren. Lasst uns einen Abend machen, der nur den Frauen gewidmet ist. Witzigerweise mussten die Frauen dazu erst überzeugt werden, da mitzumachen. Ich musste auch viel mit ihnen sprechen, in welche Richtung man das inhaltlich drehen kann, dass das nicht nur als reiner Quotenabend wahrgenomen wird."
Die Idee: Sechs internationale Spitzenköchinnen kreieren zusammen ein Menü, jede einen Gang. Die Veranstalter proben gerade die letzten Lichteffekte - ein seit Jahrzehnten verlassenes Kaufhaus wurde in ein temporäres Restaurant verwandelt, die Küche mitten in die entkernte Kaufhalle gestellt, ringsherum werden die Gäste an langen Tischen sitzen.

Frauenförderung auf der Food Week

Womit die Veranstalter nicht gerechnet haben: Viele Köchinnen, die angefragt wurden, sagten ab. Nicht so die Thüringer Köchin Maria Groß:
"Das, was wir von Männern absolut lernen müssen, immer noch, ist Netzwerken. Dieses Trommeln um nichts, das kann man echt von Jungs lernen. Das machen die bei ganz vielen Dingen. Wenn Du das erstmal kapiert hast, dann sagst Du bei so einer Veranstaltung sofort: Ja. Weil es geht um Präsenz um sichtbar machen und nicht um Klischees."
An diesem Abend ist sie für den dritten Gang zuständig: ein Lachs-Tartar mit einer Nocke Limonensorbert und Kräutersalat - sie mag es bodenständig, auch in ihrem Gartenlokal "Bachstelze" in Erfurt ist das ihr Stil.
Maria Groß ist jetzt 39, das Kochen war für sie zuerst nur ein Nebenjob, um ihr Philosophiestudium zu finanzieren. Dann jedoch tauschte sie Uni gegen Kochlehre und der Ehrgeiz packte sie.
Bereits bei ihrer ersten richtigen Anstellung als Küchenchefin im Kaisersaal in Erfurt schaffte sie etwas, was für eine Frau - noch dazu in einem kulinarisch eher weniger bekannten Bundesland wie Thüringen - eigentlich nicht vorgesehen war: einen Michelin-Stern. Eine doppelte Sensation.
"Da muss man ganz ehrlich sagen, dass war auch mein Vorteil als Frau. Wenn es schon so viele von uns geben würde, wäre mir das Glück so nicht wiederfahren."
Der Stern katapultierte Groß in die Koch-Bundesliga, sie bekam Anfragen vom Fernsehen, anderen Häusern.
Drei Jahre hielt sie durch, neben dem Gourmet-Restaurant war sie als Küchendirektorin auch für den riesigen Bankettsaal zuständig - mit Bällen und Empfängen für bis zu 1000 Leute.
"Die, die inhaltlich mit mir an vorderster Front waren, das waren fünf Leute. Mit denen schmeißt du den ganzen Laden. Da ist unter anderem auch ein Azubi dabei, den habe ich für immer vergrault, dem habe ich aktuell ein Jobangebot gemacht – aber ich glaube, den habe ich zu sehr gequält."
Köchin bereitet in einer großen Schale Tartar zu
Maria Groß mit Lachstartar© Tina Hüttl
Man kann sie sich gut vorstellen: Maria Groß, die eher klein, aber kräftig ist. Mitte 30 war sie damals und ohne Angst, den Männern Anweisungen zu geben, lauter, härter als sie zu reden und zu sein.
"Du hast eine Menge Druck. Und wenn Du das Fressen für 200, 300 Leute schicken musst oder auch nur für 20, dann muss es auf den Punkt sein. Dann kannst Du nicht mit jedem drittklassigen Koch diskutieren - oh mir tut mein Auge weh, oh mein Ellbogen, oh meine Oma ist gestorben. Ich kann mich ja nicht permanent auf die Bühne stellen und zu Gästen sagen: Kommt morgen wieder. Gastronomie hat so eine schnelle zeitliche Rückkopplung. Das kann keiner nachvollziehen, der nicht aus der Gastro kommt. Und daher kommt dieses unmenschlich Militärische, was für einen Aussenstehenden sehr, sehr gewalttätig aussieht – und es ist auch so zum Teil."

Die Gastronomie ist menschenfeindlich, nicht frauenfeindlich

Groß hat den "Algorithmus der Männer" übernommen, wie sie selbst sagt. Eine andere Chance, in der Spitzengastronomie zu überleben, hat sie nicht gesehen. Der Druck ist zu hoch, der Rhythmus wahnwitzig – wer das über Jahre macht, der isoliert sich zwangsläufig.
"Du bist ein isoliertes, armes Arschloch und wenn du wirklich eine tiefe emotionale Krise hast, dann bist du allein. Weil deinen Partner hast du in der Regel auch vergrault. Und wenn du ein Chef bist, dann bist du raus aus diesem Sozialgefüge. Wenn du noch so mittendrin bist, bist noch Teil des Teams. Du wirst zu Parties eingeladen, über dich werden nicht nur Witze gemacht, sondern du darfst Witze auch über die anderen machen. Aber als Chef ändert sich das ja alles. Und dann kannst du es nur noch kompensieren mit Auszeichnungen."
Ihr Fazit: Die Spitzengastronomie ist nicht frauenfeindlich, sondern menschenfeindlich. Wer oben mitspielen will, muss hart zu sich und anderen sein. Und das ist für sie der wirkliche Unterschied zwischen Männern und Frauen: Den Männern fällt ihr Psychopatentum nicht auf - sie schmücken sich damit!
Maria Groß hat vermutlich sehr weiblich reagiert: nach drei Jahren zog sie die Reißleine. Sie kündigte, machte Pause, suchte sich ein eigenes Lokal. Die Bachstelze, ein Ausflugsrestaurant mit hundertjähriger Kastanie im Garten und einem Publikum, das Kaffee, Kuchen, Bier und Bratwürste gewohnt war.
Sie fand einen Kompromiss: Bratwürste gibt es immer noch, unten und tagsüber. Abends aber kocht sie gehoben auf. Doch auf Sterne-Niveau zu arbeiten, das mag sie nicht mehr.
Maria Groß, die Spitzenköchin aus Thüringen, hat ihren Michelin-Stern inzwischen verloren. Sie sieht das entspannt. Männer würden dem Ruhm wohl eher nachtrauern. Sie freut sich darüber, dass nun wieder andere Dinge in ihrem Leben Platz haben.
"Wenn du nie lernst deinen Selbstwert aus anderen Dingen zu nehmen, die dich glücklich machen, hast du ein Riesenproblem. Und ich glaube schon, dass gerade berufliche Präsenz bei Männern immer noch viel elementarer ist, als bei uns Frauen. Oder sagen wir mal so: Eine Zahnarztfrau, man macht zwar Witze darüber, aber die ist gesellschaftlich eher toleriert als ein Mann, der nichts macht und den ich finanziere."
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