Spitzenathleten in der Corona-Krise

Trainieren ohne Ziel

05:12 Minuten
Sebastian Brendel trägt ein Kanu und ein Paddel
Sport kennt keinen Stillstand - auch nicht in Zeiten von Corona. Kanu-Olympiasieger Sebastian Brendel beim Training. © picture alliance/dpa/Andreas Gora
Von Caroline Kuban · 29.03.2020
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Nach der Absage der Olympischen Sommerspiele in Japan und anderer Wettkämpfe haben Sportler keine Auszeit: Sie müssen in Form bleiben - und trainieren unter erschwerten Bedingungen.
Es ist sonnig und sehr kalt an diesem Morgen an der Havel in Potsdam West. Wenig Menschen sind unterwegs, alleine oder zu zweit, mit Kind oder Hund. Hin und wieder läuft ein Jogger an den verwaisten Bootsstegen vorbei. Der Kanute Sebastian Brendel steht in langer Trainingshose und Daunenjacke am Ufer und schaut nachdenklich auf das Wasser. Nächste Woche hätten die Wettkämpfe begonnen.
Die Entscheidung des Internationale Olympische Komitees (IOC) hat ein bisschen den Druck genommen, aber viele Unsicherheiten bleiben, sagt der dreimalige Olympiasieger: "Die Stimmung ist natürlich ein bisschen angespannt derzeit, weil keiner so richtig weiß, was mit dem Sport passiert. Erstmal sind alle Termine, alle Wettkämpfe, Qualifikationen abgesagt bis einschließlich Juni, von daher trainieren wir gerade ein bisschen ohne Ziel."

Ausnahmen für Top-Athleten

Und dabei sind die Trainingsbedingungen für ihn als Brandenburger noch recht gut, meint Brendel. Denn die Landesregierung hat Ausnahmeregelungen beschlossen für die Top-Athleten, das Team Tokio. "Es ist gerade schwierig, in den einzelnen Ländern ist es unterschiedlich, manche Sportler können sich gar nicht frei bewegen, einige können noch ganz normal trainieren, so ist es auch in Deutschland an den Olympiastützpunkten, am Ende entscheiden immer die Kommunen, die Bürgermeister, ob die Einrichtungen offen bleiben. Das Nachwuchstraining wurde eingestellt komplett, aber wir dürfen uns weiter vorbereiten und darüber sind wir natürlich sehr froh."

Routine verloren

Viel ungünstiger sieht es für die Kölner Turnerin Sarah Voss aus. Nach ihrem Sieg im Mehrkampf letztes Jahr bei den Deutschen Meisterschaften und dem siebten Platz am Schwebebalken bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart, wollte sie bei den Olympischen Spielen richtig durchstarten. Doch wochenlang kann die 20-Jährige jetzt nur noch in ihren eigenen vier Wänden trainieren.
Sarah Voss beim Sprung
Die Turnerin Sarah Voss nahm Anfang März noch am American Cup im US-Bundesstaat Milwaukee teil.© picture alliance/dpa/ZUMA Press/Melissa J. Perenson
Den Beschluss des IOC begrüßt sie dennoch: "Ich finde auf jeden Fall das ist eine richtige Entscheidung, auch wenn bei mir ein weinendes Auge dabei ist, denn wir haben jetzt absolut keine Möglichkeiten, die Turner vor allem, in irgendwelche Trainingshallen zu gelangen oder an irgendwelchen Trainingsstätten zu trainieren, und deswegen hab ich jetzt das Problem, dass ich keine Routine mehr habe."

Übungsfolgen im Kopf abgespult

Um wenigstens Kraft und Kondition zu bewahren, geht Voss joggen und fährt Fahrrad. Und sie trainiert auf einer Art Mini-Schwebebalken, der eigentlich für Kinder gedacht ist und den sie sich in ihren Garten gestellt hat. Zwei Meter lang, leicht verbreitert und aus Kunststoff.
"Als gesagt wurde, dass die Trainingshalle geschlossen wird, haben wir ein paar Sachen mitgenommen, so Kleinigkeiten: Handstand-Klötzchen oder eben diesen kleinen Balken, der mir aber nicht wirklich erlaubt, viel zu machen. Man kann so ein paar kleine Grundelemente darauf machen, aber er ist halt auch nicht mit einem fünf Meter langen und knapp ein Meter 20 hohen Balken zu vergleichen." Dazu kommt das Mentaltraining, in dem sie ihre Übungsfolgen an den unterschiedlichen Geräten im Kopf immer wieder abspult.

Größere Motivation

Voss hat viel erreicht im vergangenen Jahr: Dreifache Deutsche Meisterin, Mehrfachfinale, Balkenfinale. Sie hat Wettkampf-Erfahrung, das richtige Alter und die nötige Sicherheit. Jetzt hofft sie auf 2021. "Ich bin wirklich gespannt darauf, ob das alles so funktioniert, aber natürlich ist es seit Kindheitstagen ein Traum, und den Traum verfolge ich auch weiterhin, auch wenn es jetzt ein Jahr in die Ferne rückt. Das motiviert ja noch mehr, um noch mehr Schwierigkeiten aufzubauen, Selbstsicherheit aufzubauen und eben voll anzugreifen."

Paddeltraining nur im Einer

Auch die Kanuten haben sich monatelang gequält, sind topfit. Diese Form ein Jahr lang zu halten, wird schwierig, sagt Brendel. Normalerweise wäre er jetzt drei bis vier Mal täglich auf dem Wasser. Dazu intensives Training im Kraftraum. Aktuell ist er froh, wenn er ein- bis zweimal pro Tag trainieren kann. Statt harten Belastungsfahrten steht jetzt wieder Grundlagentraining auf dem Programm.
"Paddeltraining können wir nach wie vor umsetzen, zurzeit natürlich nur im Einer, Mannschaftsboot wird zurzeit nicht gefahren, und ich hab für mich beschlossen, dass ich Krafttraining zuhause mache, also da die Gefahr einer Ansteckung minimiere. Ich hab mir in der Tiefgarage ein paar Geräte reingestellt, eine Matte, und kann so ein paar Übungen machen. Liegestütze, Freihantelziehen, Hock-Streck-Sprünge, alles was man gut zuhause machen kann, wir gehen laufen, das ist der Notfallplan gerade, aber reicht hoffentlich, um sich fit zu halten."

Zeit mit den Kindern

Vielleicht können ja auch seine beiden Kinder etwas dazu beitragen, die zurzeit zu Hause sind und bespaßt werden wollen. "Vormittags steht immer Schule auf dem Plan, darum kümmert sich meine Frau, und nachmittags versuchen wir, sie im Garten zu beschäftigen. Wir haben jetzt geplant, ein Hochbeet zu bauen, was so halbfertig ist, das gehen wir noch an. Und einfach immer Beschäftigung suchen, Spiele suchen und dann kriegt man die Zeit auch gut rum."
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