Spitze oder Schlusslicht

Von Almuth Knigge · 21.08.2008
Man kann dem Nordosten vieles vorwerfen, nur eines nicht - er sei Mittelmaß. Kein anderes Bundesland bricht statistisch gesehen so häufig Rekorde, negative und positive, wie Mecklenburg-Vorpommern. Vom Wirtschaftswachstums-Sorgenkind entwickelte es sich zum Wachstums-Wunderkind, aber auch die Regionen mit den schlechtesten Zukunftschancen liegen in Mecklenburg-Vorpommern.
Das Land zahlt seine Schulden zurück, doch nirgendwo ist der Lohn niedriger als hier - und nirgendwo haben die Menschen weniger Geld zur Verfügung. Mecklenburg-Vorpommern will auch Gesundheitsland Nummer Eins werden, Wellness an der Küste boomt - doch nur für die Gäste. Betrachtet man die Bevölkerung, so stellt man erschreckend fest, dass die Menschen im Nordosten die geringste Lebenserwartung und die meisten Volkskrankheiten in Deutschland haben - aber immer weniger Ärzte, die sie behandeln. Und auch bei bislang weniger untersuchten Phänomenen sind die Menschen im Nordosten spitze: Sie heiraten am häufigsten - lassen sich aber auch am meisten wieder scheiden.

"Mecklenburg."

Vorpommern.

"Hier ein graues Dorf,
dort ein brauner Acker,
wäre das nicht prima Futter
für den Schaufelradbagger,
Strukturanpassungsmaßnahmen-Murks,
das Schicksal Mecklenburgs."


Objekt des Spotts und der Häme, für Liedermacher und Einwohner gleichermaßen.

"Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir die letzten sind."

Mit den wenigsten Cabrios.

"Obwohl wir hier das beste Wetter haben.""

Dafür die Autos aber bundesweit auch das geringste Durchschnittsalter haben.

"Welche Preisklasse haben sie denn, die neuen Autos. Das sind bestimmt nicht viele große dabei. Das geht wohl eher nach Kleinwagen."

Die allerdings auch immer öfter stehen bleiben müssen, denn in Mecklenburg-Vorpommern wurden 2008 auch die meisten Fahrverbote verhängt.

"Dazu kommt natürlich, dass auch der Alkoholkonsum hier ein Spitzenreiter ist und diesmal wirklich ein vorderer Platz. Und vor diesem Hintergrund sieht die Welt manchmal auch ganz anders aus."

"Man pflanzt sich dort fort
auch wenn die Zukunft schlecht aussieht,
jedes Baby ein neues NPD Mitglied,
deswegen Flugverbot für den Klapperstorch
über Mecklenburg."


"Wir haben natürlich in der Statistik Auffälligkeiten."

"Die steile Küste ist auch das einzig steile,
Mecklenburg ist lateinisch für Langeweile,
oh Mecklenburg, oh Mecklenburg."


Vorpommern.

"Zum Beispiel die dicksten Männer, und auch von der Lebenserwartung hinken wir noch ein bisschen hinterher. Aber das ist genau der entscheidende Punkt. Man muss sich ehrgeizige Ziele setzen, wie zum Beispiel beim Thema Gesundheitsland, um an der Stelle auch ansetzen zu können. Wir sagen ja nicht, dass wir es sind, sondern wir wollen uns auf den Weg begeben. Und ich glaube, da muss man mit den Gegensetzen leben und an den Schwächen auch arbeiten."

Mecklenburg-Vorpommern, das Land der Extreme.

"Wir sind ja auch gestartet - muss man sagen - mit ganz schlechten Vorraussetzungen. Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land, das über die Wiedervereinigung immense Strukturbrüche zu verkraften hatte. Ich will nur mal eine Zahl nennen:
Wir hatten in der Landwirtschaft insgesamt 200.000 Menschen, die da beschäftigt waren, mit Baubrigaden, mit Kindergärten, die ja zum Teil durch die Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaftet wurden. Wir haben heute in der Primärproduktion noch 20.000 Menschen. Jetzt kann sich jeder mal überlegen: Ich behaupte, das ungefähr 100.000 Menschen innerhalb weniger Jahre arbeitslos geworden sind.

Das sind Strukturbrüche, wie sie Deutschland noch nie erlebt hat. Und das zu überstehen ist zuerst einmal eine große Leistung der Menschen, und am Ende spiegelt sich das in der Entwicklung wieder. Ich bin der Meinung, auf lange Sicht hin haben wir gute Möglichkeiten, uns auch zu einem geachteten Land in Deutschland - auch mit guten Daten - zu entwickeln. Mit Verlaub, schaue ich mir die wirtschaftliche Entwicklung an, dann erregen wir schon erhebliches Erstaunen in Deutschland."

Die Mecklenburger und Vorpommern sind Spitze. Zumindest was die Zuwächse ihrer Wirtschaft in den vergangenen Monaten, die Erzeugung von Ökostrom, die Sauberkeit ihrer Umwelt, die Tourismus-Entwicklung, ihre Heiratsfreudigkeit oder auch die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten betrifft.

"Die Natur hat uns ausgestattet mit einer hervorragenden Landschaft, die Ostseeküste, die 2000 Seen, drei Nationalparks. Das eignet sich hervorragend für eine touristische Entwicklung. Und da muss ich mit aller Bescheidenheit sagen, sind wir ja eine Region, die ihresgleichen in ganz Europa sucht. Wir haben tatsächlich eine Hardware hier, die für die Tourismusbranche ganz entsprechende Highlights bietet."

Aber auch bei der Arbeitslosigkeit, beim Bruttoinlandprodukt, bei der Höhe der Bruttolöhne und beim verfügbaren Haushaltseinkommen brechen die Menschen im Nordosten regelmäßig alle Negativrekorde in Deutschland. Die niedrigste Industriedichte Deutschlands hat die unverbrauchteste Natur, aber auch mit die höchste Arbeitslosigkeit zur Folge. Diese wiederum zieht die geringsten Haushaltseinkommen nach sich. Was gleichzeitig zu den niedrigsten Spareinlagen und Konsumausgaben führt. So was kommt von so was. Warum - kann man an Gützkow erklären:

Gützkow kennen Reisende praktisch nur vom Durchreisen. Vor allem jetzt, da die neue Umgehungsstraße den Stadtkern von Autoverkehr verschont. Also gibt es nicht mehr allzu viele Gützkower, die sich durch Verkehrslärm belästigt fühlen könnten.

"Es ist eben kein Leben mehr im Ort."

Gützkow liegt in Ostvorpommern. Irgendwann einmal, in einer frühen Zeit, da hat Gützkow, das damals natürlich noch nicht Gützkow hieß, eine Blütezeit erlebt, weil die natürlichen Gegebenheiten für Fischfang, Jagd und Ackerbau prächtig waren.

In der Kleinstadt, die heute natürlich Gützkow heißt, leben 2700 Einwohner - Tendenz fallend - und weil hier viel Landschaft, wenig Menschen, viele Schulden und wenig Geld zusammen kommen, kann man an Gützkow Mecklenburg-Vorpommern sehr gut erklären.

Wer durch Gützkow Richtung Usedom reist, der nimmt als erstes und letztes einen großen Verbrauchermarkt war. Dieser Verbrauchermarkt ist einer der Hauptlieferanten für die Gützkower Tafel, die zweimal in der Woche Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt. Im Sommer ist es schwierig alle zu versorgen. Die Touristen kaufen die Läden leer - es bleibt kaum etwas übrig.

Frau Siebert, Frau Kleinert und Frau Dumian beziehen selber Hartz IV, haben bei der Tafel einen Ein-Euro-Job und auch keine Hoffnung, dass es je etwas anderes für sie geben wird.

"Wir haben ja auch nicht groß Fabriken oder so. Bei uns ist das ja alles mehr auf Touristen aus. Auf der Insel, überall, im Sommer, wenn die Touristen da sind, dann werden die Leute eingestellt. Die können an jeder Imbissbude arbeiten, dann kriegen die Leute ja auch Arbeit über den Sommer. Aber wir haben ja nur überwiegend Tourismus. Wir haben ja keine großen Fabriken, in denen wir arbeiten können, so etwas ist hier ja gar nicht groß vorhanden."

Als vor kurzem der Ministerpräsident seinen Rücktritt ankündigte, tat er das mit einem zufriedenen Blick auf seine Amtszeit.

"Zu meiner Entscheidung hat sicherlich beigetragen, dass Mecklenburg-Vorpommern nach schwierigen Jahren des Strukturwandels auf einem guten Weg ist. Unser Land ist in den letzten zehn Jahren ein deutliches Stück vorangekommen, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 1991, unser Wachstum liegt über dem bundesdeutschen Schnitt, und im verarbeitenden Gewerbe sind wir seit mehreren Jahren an der Spitze der Zuwachsraten."

Das stimmt - und auch wieder nicht. Hohe Steigerungsraten in der bundesdeutschen Statistik ergeben sich in erster Linie allein durch das niedrige Ausgangsniveau - so interpretieren Experten die Jubelzahlen aus Schwerin.

Auch die Finanzministerin, eine kunstsinnige Frau, ist zurückhaltend mit ihrer Euphorie über das Ostseeküstenwunder - von einer blühenden Wüste will sie gleich gar nicht sprechen. In ihrem Büro hängt eine private Sammlung von Kunststücken, darunter auch die Radierung einer chilenischen Künstlerin - eine Figur, die mit ausgestreckten Armen an einer Klippe steht.

Finanzministerin am Abgrund, witzelt Sigrid Keler, wohl wissend, dass ihr als Finanzchefin eine kleine Sensation gelungen ist. 2006 musste das Land erstmals keine neuen Schulden mehr aufnehmen, 2007 ebenfalls, und 2008 kann man sogar schon Schulden zurückzahlen. Das ist nur noch Sachsen und Bayern gelungen - aber abhängen will sie das Bild trotzdem nicht.

"Wir stehen nach wie vor am Abgrund."

Denn keine neuen Schulden, das weiß auch das normale Milchmädchen, heißt nicht, dass man gar keine Schulden mehr hat. 2019 läuft der Solidarpakt aus. Bis dahin muss der Osten den Anschluss an den Westen geschafft haben. Die Landeshaushalte der neuen Länder werden dann um ein Drittel kleiner sein als heute. Kein Solidarpakt mehr - und das Geld von der EU läuft schon vorher aus. Bis dahin muss also die Landschaft zum Blühen gebracht werden

"Ja, ja. In den vier Legislaturperioden die wir jetzt haben, haben wir fast elf Milliarden Euro Schulden angehäuft, das ist eine Riesensumme."

Für deren Rückzahlung man ungefähr 100 Jahre brauchen wird. Deshalb bleibt die Ministerin auf dem Teppich und das Bild an der Wand. Denn die Finanzexpertin, die bald in Rente geht, weiß auch, dass der Erfolg bitter erkauft wurde.

Die gute Laune und Zufriedenheit über die positiven Entwicklungen ist bei den Menschen im Land noch nicht angekommen. Die Zahl der Privatinsolvenzen steigt - und ist schon lange an der Spitze der Bundesrepublik. Leben mit Schulden - das ist für viele Privathaushalte im Land bitterer Alltag. Sozialkaufhäuser, Möbelbörsen, Suppenküchen und Kleiderkammern haben sich in Mecklenburg-Vorpommern längst zu festen Säulen des Unterhalts entwickelt.

Die jüngste Statistik, gerade mal ein paar Tage alt: Trotz guter Konjunktur sind die Ausgaben für die Sozialhilfe gestiegen. Auch hier liegt Mecklenburg-Vorpommern wieder an der Spitze - mit 194 Euro pro Kopf. Immer öfter muss auch Grundsicherung im Alter bezahlt werden. Auch Änne Buschmann gehört dazu. Was zum Leben übrigbleibt ist nicht besonders viel. Für die letzten zehn Tage im Monat sind es noch 18 Euro.

"Ich bin ja so aufgewachsen, aus nichts oder wenig viel zu machen."

Änne Buschmann ist 73 Jahre alt, hat zwei Kinder, drei Enkel und eine Urenkelin. Die Wohnung: Anderthalb Zimmer, sanierte Platte. Der Fahrstuhl funktioniert, es ist sauber. Was will man mehr. Nach allen Abzügen bleiben meist nicht mehr als 190 Euro zum Leben. Die alte Dame gibt sich alle Mühe, ihre Würde zu bewahren. Gaby Schlösser ist 20 Jahre jünger und muss mehr mit ihrem Alltag kämpfen.

"Mein Rentenbescheid sieht so aus: Nach den neuesten Berechnungen würde ich 763 Euro bekommen."

Damit gilt die 55-jährige, gelernte Kellnerin und Mutter zweier Söhne zumindest als armutsgefährdet. Das ist jeder, der über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Das sind zurzeit 865 Euro. Gaby Schlösser liegt drunter. Empfindet sie sich als arm?

"Ja, sehr arm, ganz arm. Also, von dem Niveau, was man sich aufgebaut hat, ist nichts mehr vorhanden."
Was vom Leben bleibt?

"Nichts, nicht viel, gar nichts. Also, von dem, was ich mir mal vorgestellt habe, auch als Frau: Wenn ich nicht tatsächlich die Kraft hätte, auch mal rauszugehen und mich ehrenamtlich zu beschäftigen und da Bestätigung zu kriegen - dann wäre gar nichts, dann würde man... , ja."

Frau Siebert und Herr Grabow kennen solche Geschichten. Sie hören sie jeden Tag.

"Die Menschen die merken noch nichts hier, die haben auch nicht mehr Geld im Portemonnaie - auch wenn gesagt wird, es entwickelt sich gut. Aber es sagt ja auch jeder, wir haben das niedrigste Pro-Kopf Einkommen. Und wir haben auch immer viele Meldungen, die bei der Tafel auch was haben möchten. Also, der Aufschwung ist nicht angekommen."

"Aber es kommt ja nichts, hier bei uns kommt nichts an. Nee, wir sehen irgendwie keine Steigerung oder dass gesagt wird, es wird mal ein bisschen was, ihr kriegt mehr Geld, oder so."

Eine Studie hat kürzlich ergeben, dass sich in Vorpommern in den letzten Jahren so etwas wie eine Kultur der Armut entwickelt hat. Eine Lebenssituation, die tradiert wird. Wer noch arbeitet, erhält kaum mehr Geld als ein Hartz-IV-Empfänger.

Die Anzahl der sogenannten Aufstocker ist auch hier am größten: Menschen also, die Vollzeit arbeiten, aber dennoch zusätzliche Hilfe vom Staat benötigen. Der Nordosten ist und bleibt wohl noch einige Zeit das Land mit den geringsten Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmer.

Auf die Haushalte gerechnet, muss eine Familie in Mecklenburg-Vorpommern mit 2685 Euro monatlich im Durchschnitt auskommen. Auch das ist im Bundesvergleich Negativrekord. Von dem Einkommen stammen 52 Prozent aus Erwerbseinkünften, was wiederum der niedrigste Wert in Deutschland ist. Der Rest sind Sozialleistungen. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass Mecklenburger und Vorpommern die schlechtesten Sparer sind. Nur 112 Euro legt ein Haushalt im Durchschnitt auf die hohe Kante.

Allerdings sparen die Mecklenburger, das nur nebenbei, am meisten Wasser. Mit 86 Kubikmetern Wasser je Einwohner liegt der Wert deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von 488 Kubikmetern pro Kopf. Allerdings: Die Ursache dafür war neben der Sparsamkeit der privaten Hausbalte vor allem die geringe Anzahl von Industriebetrieben, die für ihre Produktion viel Wasser benötigen.

"Mecklenburg, Mecklenburg, Mecklenburg."

So wenig die Politik offenbar dagegen tun kann, so sehr ist das alles doch von politischer Bedeutung. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass sich in solchen Gegenden "dirty industry" ansiedelt, also Gewerbe, das man sonst nirgendwo haben will und das allein damit werben kann, wenigstens ein paar Arbeitsplätze zu schaffen.

Ein paar Kilometer von Gützkow entfernt Richtung Norden soll ein Kohlekraftwerk entstehen, gut 30 Kilometer Richtung Westen will ein Holländischer Investor die größte Ferkelzucht Europas aufbauen. Eine Alternative könnte die Gesundheitswirtschaft sein - der Ministerpräsident auf Werbetour:

"Wir haben ein sehr bekömmliches Klima, eine intakte Natur, 1300 Kilometer Ostseeküste, sauberes Wasser, Moor, Sole, Heilkreide. Mecklenburg-Vorpommern ist ein Gesundheitsland mit langer Tradition. Man kann ja den Start der Gesundheitswirtschaft rund 200 Jahre zurückdatieren, in Heiligendamm wurde das erste deutsche Seebad gegründet. Zu diesen natürlichen Voraussetzungen kommt die strategische Entscheidung der Landesregierung, diesen Bereich besonders zu fördern."

Ein Gesundheitsland mit kranken Bürgern - und wenig Hausärzten. Hausbesuch auf Usedom

"Na, wie geht Ihnen das so?"

"Na, gut nicht, Herr Doktor…"

"Wieso nicht? Was plagt Sie denn?"

"Die Erkältung so sehr, und es will nicht besser werden."

Seit morgens um acht ist Uwe Rülow auf der Insel unterwegs zu seinen Patienten. 20 werden es an diesem Tag sein – zwölf Stunden ist er unterwegs, knapp 100 Kilometer ist er am Ende des Tages gefahren.

"Na, da müssen wir wohl mal schärfere Geschütze auffahren."

Uwe Rülow gehört zu einer seltenen Gattung, Er ist jung gerade 35 Jahre alt - und Allgemeinmediziner in Mecklenburg-Vorpommern. Zweimal in der Woche macht der Doktor Hausbesuche. Nach den Sprechstunden in seiner Praxis in Bergen kommen oft noch Stunden dazu, die er mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt ist. 40-Stunden-Woche? Ein Traum.

"Das spielt sich eher so in dem Rahmen um 60 Stunden ab, und es wird mehr als weniger. Und dann fängt es auch manchmal an, belastend zu werden."

Die meisten seiner Patienten spiegeln die demografische Entwicklung des Landes wieder. Sie sind alt, sie sind krank - und wohnen oft allein in einem aufgegeben Flecken des Landes.
Betrachtet man die ganze Bevölkerung, dann ist es noch ein langer Weg bis zum Ziel.

Die Uni Greifswald hat in einer aufwändigen Langzeitstudie den Gesundheitszustand der Bevölkerung untersucht. Ergebnis: Die Menschen im Nordosten rauchen am häufigsten, 33,3 Prozent der Bevölkerung, trinken den meisten harten Alkohol. Deshalb sterben im Nordosten auch so viele Menschen an alkoholbedingten Krankheiten.

Auf 100.000 Einwohner gerechnet verloren im vergangenen Jahr im Nordosten 34 Frauen und Männer ihr Leben durch die Folgen des Suffs, so die Techniker Krankenkasse. 1m Bundesdurchschnitt waren es 18. Dass die Mecklenburger und die Vorpommern auch am meisten erkältet sind - geschenkt. Eine andere Auffälligkeit hat die Mediziner um Prof. Wolfgang Hoffmann überrascht:

"Wir haben die Bevölkerung mit den meisten Gallensteinen. Also, es gibt noch ein Indianervolk in Nordamerika, die haben mehr, aber ansonsten hat weltweit niemand so viele Gallensteine wie wir, hat Herr Völzke mit seinem Ultraschall festgestellt."

Die Menschen im Nordosten haben auch die geringste Lebenserwartung. Frauen werden im Durchschnitt 81,5 Jahre und Männer 74,8 Jahre alt. Und noch etwas.

"Die Mecklenburg-Vorpommer sind die größten Fischmuffel. Unser durchschnittlicher Fischkonsum pro Jahr liegt unterhalb des bundesdeutschen Durchschnitts."

In keinem anderen Flächenbundesland im Osten Deutschlands wird pro Haushalt so wenig Fisch eingekauft wie im Nordosten, so das Fischinformationszentrum in Hamburg. Mit einer durchschnittlichen Einkaufsmenge von 10,3 Kilogramm pro Haushalt liegt Mecklenburg- Vorpommern unter dem Bundesdurchschnitt.

Viel schlimmer aber - im Nordosten ist auch die Suizidrate am höchsten. Frau Siebert, Frau Kleinert und Frau Dumian wissen, woran das liegt: Hartz IV.

"Und was man dann mit uns nachher gemacht hat, das war, was viele Menschen auch in den Wahnsinn getrieben hat. Viele sind in der Nervenklinik, haben nicht mehr durchgesehen, die kamen mit all dem nicht mehr klar."

Allerdings hat Mecklenburg-Vorpommern auch die höchste Heiratsquote. Doch wie versprochen, so gebrochen. Bei den Scheidungen nimmt Mecklenburg-Vorpommern unter den Ländern in Ostdeutschland den absoluten Spitzenplatz ein. Pro Jahr trennen sich im Nordosten 10,2 Paare auf 1000 bestehende Ehen gerechnet.

"Da zerbricht man sich den Kopf, und das macht einen fertig. Und dadurch kommen diese ganzen... Wenn man hört, wie viele Leute sich scheiden lassen, wo es nur noch Zank und Streit gibt... Das sind diese Geldsachen. Das wird immer schlimmer, das wird immer schlimmer...."

"Mecklenburg, Mecklenburg, Mecklenburg."

Dafür kann man sich nach so einem zumeist schmerzvollen Schnitt im Nordosten besser aus dem Weg gehen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es den meisten Platz zum Leben. Mit 74 Einwohnern pro Quadratkilometern hat das Bundesland die geringste Einwohnerdichte. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen müssen 530 Menschen im Durchschnitt einen Quadratmeter Landesfläche teilen.

Nicht nur die Bevölkerungsdichte, auch der Ausländeranteil ist mit 1,7 Prozent bundesweit am niedrigsten. Knapp 39.000 ausländische Bürger leben hier. Trotzdem bricht das Land bei der Einbürgerung ausländischer Bürger wiederum alle Rekorde. 400 Ausländer bekommen pro Jahr im Land die deutsche Staatsbürgerschaft. Das ist gemessen an der geringen Ausländerzahl bundesweit Spitze.

"Ham die da überhaupt schon Strom,
braucht die Bundeswehr nicht noch ein Bombodrom,
wie wärs mit Mecklenburg, Mecklenburg."


In diesem Rest der Welt obwaltet also Erstaunliches - Bitternis und Schwärze, Triumphe, Extreme. Das Land flach, die Sprache platt, die Segel gestrichen, keine Rechnung beglichen, dichtete einst Hermann Kant zum Spaß. In einem Reiseführer, der herausgegeben wurde, um dem Land kurz nach der politischen Wende zwecks Aufblühens mehr Reisende zuzuführen, schrieb er aber auch - nach eigener Aussage gegen wenig Geld und mit umso mehr Überzeugung:

"Die Leute, die dort wohnen, sind so unterschiedlich wie Leute überall, und sie haben dennoch Gemeinsamkeiten. Wer ihre Bedächtigkeit als Trägheit missversteht, begeht eine Dummheit, wer ihre Sprechpausen als Denkpausen deutet, bringt sich in Schwierigkeiten."

"Ich finde das gut, weil: Wer möchte schon gerne mittelmäßig sein."

"Gute Nacht Mecklenburg,
Mecklenburg, Mecklenburg, Mecklenburg.
Ich möchte mich bei allen Mecklenburgern entschuldigen,
das ist ein ganz hervorragendes Bundesland, was sie da haben,
aber meine Karriere ist mir wichtiger,
auf Wiedersehen."