Spirale des Verderbens

Vorgestellt von Hans-Ullrich Pönack · 09.04.2008
Der brillante Thriller "Tödliche Entscheidung" erzählt von einem Familiendrama. Es beginnt damit, dass die Söhne den Juwelierladen ihrer Eltern überfallen. Dabei gibt es Tote. "Der rote Baron", der die Geschichte des deutschen Jagdfliegers Manfred Freiherr von Richthofen erzählt, ist die naive Heldenverklärung eines Uniformträgers.
"Tödliche Entscheidung"
USA 2007, Regie: Sidney Lumet, Hauptdarsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, ab 16 Jahren, 117 Minuten

Der Titel klingt nach einem deutschen Allerweltstitel, der aber inhaltlich stimmt. Der Originaltitel ist aber auch nicht ohne: "Before The Devil Knows You´re Dead". Er basiert auf einem irischen Trinkspruch, der da sinngemäß lautet: "Wir sind alle Sünder. Und als Sünder sollte man schon im Himmel angekommen sein, bevor der Teufel merkt, dass man tot ist!" Das Drehbuch stammt von Kelly Materson, einer Theater- und Drehbuch-Autorin aus New Jersey. Dies hier ist ihr 1. Originaldrehbuch.

Der Regisseur ist ein Altmeister aus Hollywood, der 2005 den "Oscar" für "sein Lebenswerk" bekommen hat: Sidney Lumet, Jahrgang ´1924, also mit 83 Jahren einer der ältesten aktiven Filmemacher in den USA ist. Dessen Bestenliste Klassefilme umfasst wie "Die 12 Geschworenen" (1957, "Goldener Berlinale Bär"); "Ein Haufen toller Hunde" (1965); "Der Anderson Clan" (1971, mit Sean Connery); "Serpico" (1973, Al Pacino); "Mord im Orient-Expreß" (1974, Albert Finney); "Hundstage" (1975, Al Pacino); "The Verdict - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" (1982, Paul Newman); "Family Business" (1989, Sean Connery, Dustin Hoffman); "Der Manchurian Kandidat" (2004 mit Meryl Streep) und zuletzt "Find Me Guilty" (Berlinale 2006, Vin Diesel), der hierzulande unlängst mit dem deutschen Zusatztitel "Der Mafiaprozess" als DVD herauskam.

Eigentlich ist alles gar nicht so schlimm geplant. Da ist dieses kleine Juweliergeschäft am Stadtrand. Mit der älteren Verkäuferin. Maske aufsetzen, rein, sie ein wenig einschüchtern, das Glitzerzeugs und die Dollars greifen, ´raus, und weg. Das ist es. Die sind versichert, es gibt keine Opfer und eigentlich auch keine Verlierer. Eigentlich. Andy Hanson ist ein erfolgreicher Unternehmensberater, der viel Geld verdient, aber auch ständig ausgibt. Und noch mehr für seinen kostspieligen Lebensstil - Drogen, junge Ehefrau, Reisen - benötigt. Bruder Hank ist notorisch blank, auch nicht ganz "so helle", der geborene Loser, kann kaum die Unterhaltszahlungen für seine Tochter aufbringen.

Der Überfall als Hoffnung auf kommende, fortwährende paradiesische Privatverhältnisse. Das Problem: Bei dem Juweliergeschäft handelt es sich um das Geschäft der eigenen Eltern. Aber wie gesagt, es ist ja alles "felsenfest" geplant. Doch dann befindet sich nicht die alte Verkäuferin im Laden, sondern die Mama. Und die denkt gar nicht daran, klein beizugeben. Wehrt sich. Die schreckliche Folge: zwei Tote. Und der ganze schöne Coup entwickelt sich fortan immer mehr zum Albtraum-danach bzw. -drumherum.

Ein außergewöhnlicher, ein ganz exzellenter, ein brillanter Thriller. Als Familiendrama, das immer und immer und immer böser wird, aus dem Ruder läuft in Sachen Ausloten der menschlichen Abgründe. Lumet inszeniert Shakespeare. Der Königshof ist die Familie, der wütende Vater tritt als Rache-Patriarch auf, dessen Schmerz über den Verlust der Frau ihn wahnsinnig-wütend ausflippen lässt. Nicht wissend, dass er die eigenen Söhne jagt.

Dabei geht es hier um vergleichsweise "normale Menschen", aus der weißen amerikanischen Mittelschicht. Also handelt es sich hier weder um die "geborenen Kriminellen" mit ihrer ständigen, elektrisierenden kriminellen Energie noch um die "typischen Kinoschurken", denen man ihre Hässlichkeit bereits von weitem ansieht. "Menschen wie du und ich" verstricken sich durch Gier in eine unaufhörliche und nicht mehr zu bremsende Spirale des Verderbens. Mit viel "Dr. Jekyll, Mr. Hyde"-Geschmack aus der Wohlstandsecke.

Das kommt außerordentlich spannend, grausam-aufregend, hochgradig atmosphärisch und psychologisch stimmig wie stimmungsvoll rüber: Menschen, die sich nicht mehr unter Kontrolle haben; die ihr moralisches Schutzschild völlig zerstören, die den Teufel in sich "gewähren" lassen.

Natürlich funktioniert der Film deshalb so überzeugend, weil die Akteure so überragend mitwirken: Der geniale und innerhalb kürzester Zeit bereits zum zweiten Male zu bestaunende 41-jährige "Oscar"-Preisträger Philip Seymour Hoffman ("Capote", 2006, zuletzt "Der Krieg des Charlie Wilson") beweist erneut seine darstellerische Ausnahmequalität in Sachen Ausdruck: Er ist in Körpersprache, Mimik, Bewegung, Sprache ein überragendes, ein geradezu phänomenales Naturtalent. Er ist für mich inzwischen der Orson Welles der Gegenwart.

An seiner Seite beeindrucken und laufen ebenfalls zur spielerischen Höchstform auf: Ethan Hawke ("Oscar"-Nominierung als Denzel-Washington-Partner in "Training Day", 2001; "Before Sunset" und "Before Sunrise", 2004 bzw. 1995) als schwacher Bruder Andy sowie der "König der Felsen-Seele" Albert Finney (Julia Roberts Anwalt-Chef in "Erin Brockovich") als Vater, Witwer und Rache-Satan. Wie das hier zusammengefügt wird, besitzt brillante Thriller-Seelen-Klasse; ist durchweg spannungsgeladen wie kraftvoll und faszinierend. "Tödliche Entscheidung" zählt zu den besten, zu den Muss-Filmen in dieser Kino-Saison!

"Der rote Baron"
Deutschland 2007, Regie: Nikolai Muellerschoen, Hauptdarsteller: Matthias Schweighöfer,
Lena Headey, Axel Prahl, ab zwölf Jahren, 120 Minuten


Der Filmemacher Nikolai Müllerschön wurde 1958 in Stuttgart geboren und lebt seit Jahren im kalifornischen Venice. Von ihm stammen (wenig erinnerungswürdige) Kinofilme wie "Operation Dead End" (1986) oder "Desperate - verzweifelt" bzw. TV-Filme "Im Sog des Bösen" (1995). Mit seiner neuen Großproduktion, Budget rd. 18 Millionen Euro, entstand - vorwiegend in Prag - eine fürchterlich naive Heldenverklärung eines deutschen Uniformträgers von Anno dunnemal: Manfred Freiherr von Richthofen (1892 - 1918) gilt als berühmtester deutscher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. In wenigen Jahren schoss er über 80 Feindflugzeuge ab und wurde hochdekoriert. Weil er sein Flugzeug provokant-rot anstreichen ließ, handelte er sich den Beinamen "Der Rote Baron" (und auch "Der Rote Teufel") ein. Wegen seiner militärischen Erfolge stieg der populäre Adlige zum Idol und Propaganda-Held des Kaiserreichs auf.

Der Film beschreibt Krieg als sportähnliches Duell. "Hat Spaß gemacht", rufen sich deutsche Flieger nach einem gelungenen Luftkampf zu, und dermaßen ungefiltert erlebt man auch die Szenerie: Wie eine Art "Abenteuerurlaub mit Feindberührung" ("Cinema") werden schneidige junge Uniform-Burschen ausgestellt; mal auf dem Landeplatz bei "ihren Maschinen", mal zum Entspannen beim Cocktail im Puff, mal bei "ritterlichen Gesprächen", mal mit der Krankenschwester Käte (Lena Headey), die wie ein Modell von heute traurig (z.B. im seidenen, nabelfreien Pyjama) an der Front herumstolziert und für den "gefühlten Pessimismus des Krieges" zu personifizieren ist.

Im Grunde ist Krieg - so gar nicht einmal "ohne", signalisiert der Film. Na gut, es gibt hier und da Verluste, Tote, gewiss, aber vor allem ist doch das Fliegen und Abschießen von anderen im Grunde ein Mordsvergnügen. (Wie in der Spielothek oder am Computer heute.) Aber weil hier eben alles thematisch verwurstet werden muss, kriegt der sympathische Freiherr schließlich, nachdem er viele Kontrahenten abgeschossen, sprich totgeschossen hat, moralisches Fracksausen.

Käte zeigt ihm das Lazarett mit den (schlimm) verwundeten Land-Soldaten, und das lässt ihn aufhorchen: Vielleicht ist ja Krieg doch nicht so fein, wie er glaubte. Also wechselt er seine Sicht- und Denkweise. Wird zum alibihaften, unglaubwürdigen Kriegsgegner. Und wenn er dann nicht trotz großer Beschädigung (freiwillig) wieder in den Kampf geflogen und selbst abgeschossen worden wäre, wer weiß, vielleicht wäre aus dem Adels-Bübchen noch so ein richtig-engagierter Pazifist geworden, sagt der Film. Ein blöder Film. Fahrlässig, reaktionär, viele (Unterhaltungs-) Seiten bedienen wollend und dabei mit einem Panoptikum von lächerlichen Soldaten-Figuren aufwartend: Gestelzte Dialoge ("Piloten sind wie Götter"; "Preußen jammern nicht"), verlogene Beruhigungsmotive mit idyllischer Landschaft, viele "spannende" Nahaufnahmen der Fighter und eine unerträglich pathetische Musik tragen dazu bei, dass das hier ärgerlich, langweilig, aufgesetzt, unreif und politisch-gefährlich wird und wirkt.

Der mit 23 eigens rekonstruierten Flugzeugmodellen und an die 400 computer-generierten Tricksequenzen in englischer Sprache hergestellte Potpourri-Streifen schwankt - schließlich winkt der filmische Weltmarkt - unentschlossen-dämlich wie entsetzlich langweilend zwischen Hochglanz-Epos, Action-Epos und lächerlichem Herz-Schmerz-Melodram. Keine Figur ist "zu fassen", näher erklärt, beleuchtet, tiefer angegangen. Man erlebt einen abendfüllenden "Kameradschaftsabend" mit ziemlich plump-arroganten Flieger-Jüngelchen wie Voss (Til Schweiger), Sternberg (Maxim Mehmet) und Lehmann (Hanno Koffler). Während der ständig naiv-staunende, kindlich-kindisch auftretende, blauäugige "Blond-Held" Matthias Schweighöfer ("Kammerflimmern", 2004; demnächst neben Tom Cruise in "Valkyrie") eher ein albernes Manfredchen als einen ernstzunehmenden, fragenden, kritischen Vernunft- bzw. einen echten Gefühlsmenschen darbietet.

Von Glaubwürdigkeit jedenfalls keine Spur. Hier sind ausschließlich dumpfe Show-Verführer ziemlich undifferenziert, gedankenlos und nicht ungefährlich am Werkeln und Wirken; vor wie vor allem auch hinter der Kamera: Ein Schund-Film.