Die Ausstellung im Spielzeugmuseum Nürnberg ist vom 16. November 2017 bis zum 6. Mai 2018 zu sehen.
Heile Welt im Puppenhaus

Puppenhäuser sind eigentlich ein Spiegel der Wohn- und Lebenskultur ihrer Zeit. Nun zeigt eine Ausstellung in Nürnberg, dass die bewegte Zeit der Proteste 1968 sich in den Puppenhäusern nicht abbildet, wie die Kuratorin Karin Falkenberg schildert.
Die Ausstellung "Traumhäuser Baujahr 1968" im Nürnberger Spielzeugmuseum zeigt das Spannungsfeld zwischen Politik und Puppenhaus. Darin verdichtet sich vor allem ein Wunschbild, nach dem sich viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch gesehnt haben. "In den Puppenhäusern findet 1968 nicht statt, und genau daran haben wir angesetzt bei der Ausstellung", sagt die Kuratorin Karin Falkenberg im Deutschlandfunk Kultur. "Die haben schon die heile Welt widergespiegelt." Das Spannende sei, dass die Puppenhäuser die Proteste und Demonstrationen der Zeit nicht wiederspiegelten, sondern dies völlig ausblendeten.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Beim Wort "Puppenhaus", da fällt mir natürlich sofort Strindberg ein und "Nora", dieses berühmte Stück, es heißt ja in Gänze "Nora oder ein Puppenheim". Ein Puppenhaus, das ist die heile Welt, mit schönen Möbeln in ordentlich aufgeräumten Zimmern, guten Menschen, die nett zueinander sind, ihre Kinder zudecken und also an einem heimeligen Ort ein ruhiges Leben führen. Wir wissen, auch aus "Nora", dass es damit schnell vorbei sein kann, wenn die Wirklichkeit einbricht ins Puppenhaus. In Nürnberg, im dortigen Spielzeugmuseum, da wird heute eine Ausstellung der Presse und ab morgen dem Publikum präsentiert, die zeigt Puppenhäuser von 1968. Karin Falkenberg leitet das Spielzeugmuseum in Nürnberg und hat die Ausstellung mit kuratiert. Schönen guten Morgen!
Karin Falkenberg: Guten Morgen!
von Billerbeck: Was ist denn das Typische der Puppenhäuser aus den 60er-Jahren?
Falkenberg: Die 60er-Jahre-Puppenhäuser sind noch sehr stark im Design an die Fünfziger angelegt. Sie sind eher zart in der Farbigkeit, sie haben ganz klare Linien, ein schnörkelloses Design, sind oft sehr hell gemacht, haben Flachdächer. Sie tendieren schon ein bisschen dahin, den Traum vom schönen Leben widerzuspiegeln. Es sind immer kleine, fein eingerichtete Häuschen, wie Sie gerade eingangs sagten, auch sehr perfekt eingerichtet, und sie sind eine Art Gegenwelt auch zu dem, was im Nationalsozialismus auch stilistisch noch modern war. Es war alles hell, es war leicht, es war freundlich, es war fröhlich gestaltet.

Barbie-Puppe "Live Action Christie2", Kalifornien/Hawthorne, Taiwan, 1971.© Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum / Marie Theres Graf
von Billerbeck: Nun hat Ihre Ausstellung ja den Titel "Puppenhäuser 1968". Inwieweit spiegeln denn die Puppenhäuser ihre Zeit?
Falkenberg: Im Prinzip gar nicht, und das ist das Spannende daran. In den Puppenhäusern findet 1968 nicht statt, und genau daran haben wir angesetzt bei der Ausstellung. Wir haben uns angeguckt, wie sehen denn eigentlich diese kleinen Häuser aus, in den 60er- und dann später in den 70er-Jahren, und ist da überhaupt etwas passiert. Es ist tatsächlich viel drin passiert, aber nicht das Thema 1968. '68 ist ja im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland verbunden mit Studentenprotesten, mit Schülerprotesten, mit Demonstrationen, mit Friedensdemonstrationen. All das ist im Puppenhaus nicht widergespiegelt.
Aber was man daran entdecken kann, ist die tatsächliche Wohnwelt gespiegelt im Kleinen, und zwar fast lupenrein. Wenn Sie sich diese Puppenhäuser im Spielzeugmuseum anschauen, da ist nichts verändert. Die haben wir so, wie wir sie damals angekauft haben oder wie sie damals angekauft wurden, aufbewahrt und zeigen sie jetzt erstmals, 70er- und 60er-Jahre-Puppenhäuser, der Öffentlichkeit. Da ist nichts verändert, da ist nichts übertapeziert, da sind keine anderen, neuen Möbel reingestellt, und das ist das Besondere.
In jedem großen Haus, in jeder Wohnung wurde renoviert, wurde umgestaltet, wurde neue Tapete aufgebracht et cetera. In den Puppenhäusern ist man zurückversetzt genau in diese Zeit der 60er- und 70er-Jahre, und das wiederum war die Zeit, aus der die Studenten auch gekommen sind, die dann auf die Straße gegangen sind, und die Schüler, die gelebt haben in genau diesem Umfeld, in diesem, wie Sie es auch gesagt haben, heimeligen und gemütlichen Zuhause.
Perfekte Wohnungen
von Billerbeck: Also genau das, aus dem sie geflohen sind?
Falkenberg: Auch genau das, aus dem sie geflohen sind. Und das ist wiederum das Spannende. Es sind die perfekten Wohnungen, und wir haben in der Ausstellung ein Kommunenzimmer als Kontrast gestaltet, das dann ja völlig anders ist. Es ist hell, es ist weiß, es sind nur ein paar Che-Guevara-Plakate an den Wänden, es hängt Janis Joplin an den Wänden.
Es sind Schallplatten auf dem Boden verteilt, es ist ein bunt angemaltes Radiogerät mit hintendran auch so ein Symbol dafür, dass Jugendliche sich ihre Welt für sich selbst angeeignet haben. Es ist etwas, was es heute in der Form gar nicht mehr gibt, weil die Industrie ja sehr schnell reagiert auf jeglichen Wunsch auch von Jugendlichen. Aber damals war es noch ein Schritt, sich diese Welt der Erwachsenen für sich selbst zurecht zu gestalten.
von Billerbeck: Fragen wir noch mal nach den Puppenhäusern aus den Sechzigern, aus den Siebzigern. Was hatten die denn für eine Funktion?
Falkenberg: Die haben schon die heile Welt widergespiegelt. Das kann man ganz deutlich sagen. Wenn Sie sich in die 60er-Jahre zurückversetzen, die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs war ja voll da, das waren die Eltern dieser Zeit. Und die Kinder, die dann nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, die hatten plötzlich einen gewissen Wohlstand, und natürlich wollten die Eltern gern sich auch abgrenzen von all dem, was davor war. Und das hat ja wiederum die 68er-Bewegung mit in Schwung gebracht.
Denn es wurde vieles tabuisiert, was im Nationalsozialismus passiert ist. Und da haben die Jugendlichen nachgefragt und haben auf einmal Diskussionen angestoßen und waren auf den Straßen und wurden unangenehm und aufdringlich in der Wahrnehmung der Erwachsenen. Die Puppenhäuser selbst, wie gesagt, spiegeln das perfekte Hintergrundleben, das Innenleben.
Interviews als Klammer
von Billerbeck: Sie zeigen also im Spielzeugmuseum in Nürnberg einerseits die heile Welt der Puppenhäuser und andererseits die Wirklichkeit damals Ende der Sechziger, indem Sie eine Kommunenwohnung aufbauen. Und man kann die dann auch benutzen?
Falkenberg: Man kann die auch benutzen. Man kann sich reinsetzen. Und was die Ausstellung dann verbindet mit den Puppenhäusern, ist unsere sogenannte Bürgerausstellung. Wir machen immer Ausstellungen, in die wir unsere Besucher auch sehr stark mit einbeziehen. Das sind in diesem Fall über 40 Interviews mit Personen aus Nürnberg, aus der Umgebung, wobei das im Prinzip in ganz Deutschland stattfinden könnte. #
Und diese Menschen der Zeit um '68, die in dieser Zeit Jugendliche und junge Erwachsene waren, die haben uns von ihrem Lebensgefühl 1968 erzählt und finden damit die Klammer von den Puppenhäusern zur tatsächlichen Realität, zu all den Protesten, zu den Demonstrationen, die dann auch entsprechend in der Ausstellung zu sehen sind, mit Fotos, mit Pressefotografien, mit Fotografien aus den Universitäten.
von Billerbeck: Karin Falkenberg war das, Direktorin und Mitkuratorin der Ausstellung "Puppenhäuser von 1968". Wird heute der Presse gezeigt, morgen kann das Publikum strömen nach Nürnberg ins Spielzeugmuseum. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.