Spielfilm über pädophilen Mann ausgezeichnet

Von Bernd Sobolla · 23.01.2012
Im Mittelpunkt des Films "Michael" steht ein pädophiler Mann und ein von ihm entführter Junge. Der kühl inszenierte, aber aufwühlende Film von Regisseur Markus Schleinzer bewegt sich jenseits von Voyeurismus und Boulevard-Sensation. Er kommt jetzt ins Kino.
Der Mann, Ende 30, fährt einen unscheinbaren Wagen in die Garage eines kleinen Hauses am Rande einer Stadt. Hinter dem Auto geht das Garagentor runter, kurz darauf schließen auch die Jalousien unter leisem Surren. In der Küche wird das Essen zubereitet, dann geht er in den Keller. Dort bleibt er vor einer großen blauen Tür stehen, schließt auf, schiebt die Verriegelung zurück – und öffnet die Tür.

Aus dem Film: "Na komm! Jetzt komm! ... Na, komm!"

In der nächsten Einstellung sitzen der Mann und ein etwa 10-jähriger Junge am Tisch und essen. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Gesprochen wird in dem Film "Michael" kaum. Ja, man weiß noch nicht einmal, wer eigentlich Michael heißt. Ist es der Mann oder der Junge? Aber Namen spielen bei der Geschichte ohnehin keine Rolle. Regisseur Markus Schleinzer hat weder versucht, den Entführungsfall von Natascha Kampusch nachzuspielen, noch das Drama um die Familie Fritzl von Amstetten. Vielmehr hat er diese Fälle nur als Ausgangspunkt benutzt, um das Drama eines pädophilen Mannes zu erzählen.

Markus Schleinzer: " Ich habe mir gesagt, ... ich will nicht ... etwas finden, was ich so interessant oder spannend finde, dass ich das für mein "Kunstschaffen" benutzen oder letztendlich missbrauchen würde. Weil das reale Leid gehört den realen Opfern. (...) Und habe mir (...) eine Hauptfigur gesucht, die letztendlich, und das ist vielleicht das Erschreckende, auch nichts anderes will als die meisten von uns. Der will ja auch eine Beziehung haben, der will ja auch glücklich sein, der will ja auch Liebe haben. (...) Weil wie ist das, wenn man ein Pädophiler ist? (...) Wahrscheinlich mit acht, neun, zehn, elf, zwölf Jahren, wenn man bemerken muss, dass die Leute, auf die man reflektiert, immer das gleiche Alter behalten. Und man selber aber älter wird. (...) Das muss schrecklich sein, eine Jugend, eine Pubertät zu überstehen, als bereits sich selbst erkennender Mensch mit pädophilen Neigungen." "

So baut der Mann im Film ein Gebilde äußerlicher Normalität auf, um das Martyrium des gefangenen Jungen zu verschleiern; bzw. jenseits seiner sexuellen Neigung ist er für seine Umwelt völlig unscheinbar: Ein pünktlicher, arbeitsamer Versicherungsangestellter, von dem die Schwester glaubt, er habe eine Freundin in Deutschland, und die anderen nur wissen, dass er freundlich grüßt. Und der eines Tages am Rande einer Gokart-Rennbahn für den Jungen im Keller einen "Spielkameraden" sucht.

Aus dem Film: "Aber mein Papa sagt, ich darf selber fahren, wenn ich größer bin. / Ja, bei der darf man erst ab 1.50 Meter fahren. / Mein Papa sagt, vielleicht in zwei Jahren. / Ich kenne eine, wo man schon früher fahren darf. / Ich habe zu Hause ein Auto mit einer Fernbedienung, mit dem kann ich auch ganz schnell fahren. / Super, so eins habe ich auch."

Sind Schauspieler meist daran interessiert, außergewöhnliche Charaktere zu spielen, so gibt es auch Gefahren. Dann nämlich, wenn eine Rolle ungewollt zum Image mutiert. Romy Schneider blieb für viele immer Sissi und Anthony Perkins zeit seines Lebens ein Psychopath. So ist es verständlich, dass Michael Fuith keineswegs sofort "Michael" spielen wollte.

Michael Fuith: "Im ersten Moment wollte ich das natürlich nicht spielen. Wie ich dann aber das Drehbuch gelesen habe, habe ich gefunden, das war für mich der einzige richtige, intelligente Zugang zu dem Thema. (...) Und ich habe dann mit den Recherchen begonnen, und das Erste, was mir aufgefallen ist, war natürlich das Schweigen aller Menschen. (...) Das Schweigen der Täter, der Opfer, der Familienmitglieder. Sozialtherapeuten und Psychologen haben sogar Schwierigkeiten zu helfen, weil, alle schweigen zu dem Thema. Und das hat so einen Schutzmantel für die Täter kreiert. (...) Und das hat mich so geärgert. (...) Habe ich mir gedacht: Ich will dem gern ein Gesicht geben. Dass man das auch außerhalb der Boulevardpresse, außerhalb der Schlagzeilen sich ansehen kann, darüber reden kann. (...) Und da habe ich die Zähne zusammengebissen und habe gesagt: 'Okay, das will ich machen!'

Wortkarg und blass, zurückhaltend und auf Ordnung bedacht, verleiht Michael Fuith seiner Filmfigur eine überzeugende Ambivalenz. Zudem wirkt die Soundcollage aus Alltagsgeräuschen wie eine Glocke, die die Charaktere mit der Außenwelt nicht verbindet, sondern sie von ihr trennt. Und ganz im Innern zeigt Regisseur Markus Schleinzer den missbrauchten Jungen, setzt den sexuellen Missbrauch jedoch nie visuell, sondern nur assoziativ in Szene. Vor allem schildert er einen Mann im Gefängnis seiner eigenen Emotionen. Ein kühl inszenierter, aber aufwühlender Film jenseits von Voyeurismus und Boulevard-Sensation.

Aus dem Film: "Da schau her! Weißt du, was das ist? Das ist dein Brief. Deine Eltern wollten ihn nicht mal lesen. Und du sollst keine mehr schreiben. (...) Die wollen nichts mehr von dir wissen. (...) Und sie haben gesagt, du sollst brav sein und tun, was ich sage."


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