Spielfilm: "Schau mich nicht so an"

Uisenma Borchu hinterfragt Geschlechterrollen

Uisenma Borchu
Uisenma Borchu © Deutschlandradio / Norbert Wassmund
Regisseurin Uisenma Borchu im Gespräch mit Patrick Wellinski · 11.06.2016
Für ihren prämierten Debütfilm "Schau mich nicht so an" hat Regisseurin Uisenma Borchu auch das Drehbuch geschrieben und sie spielt eine der Hauptrollen. Im Interview spricht Borchu über alleinerziehende Frauen, Identitätssuche und den Kampf, den Film zu realisieren.
Patrick Wellinski: Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "Schau mich nicht so an", der nächste Woche in unsere Kinos kommt, und ich konnte vor der Sendung mit der Regisseurin Uisenma Borchu über ihr Debüt sprechen. Guten Tag, Frau Borchu!
Uisenma Borchu: Hallo!
Wellinski: "Schau mich nicht so an", da sind Sie nicht nur Regisseurin, Hauptdarstellerin, sondern auch Drehbuchautorin und Cutterin. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie alle Rollen in Ihrem Debütfilm übernehmen wollten?
Borchu: Ich glaube, das kam aus der Lust und Leidenschaft heraus, dass ich wusste, das wird jetzt mein Abschlussfilm, und ich möchte einfach so viel wie möglich aus mir herausholen, aber ich habe trotzdem vorher versucht, natürlich mit Leuten zusammenzuarbeiten, aber man hat so wenig Zeit. Dann denkt man sich, ja, wie macht man das am besten, ah, na ja, das kommt eh jetzt gerade herausgesprudelt, und diese Energie merkt man. Ich habe dann genau gewusst, das ist jetzt, was der Film will, also 100-prozentiger Einsatz, Kraft von mir.
Wellinski: Ich dachte auch vielleicht, dass bei einem so autobiografischen Zugang zum Thema, über den wir gleich sprechen werden, dass man da, wenn man so ganz viele Rollen auch hinter der Kamera übernimmt, die größtmögliche Kontrolle an dem Stoff hat.
Borchu: Ja, die Kontrolle nimmt man erst mal so an, aber ich glaube, der Film hat so viel gewonnen, weil wir oder weil ich auch so viel Kontrolle abgegeben habe dann beim Dreh, gerade weil wir improvisiert haben, keine Dialoge standen fest. Gerade wenn du dann abgibst und so einen Kontrollverlust zulässt, gewinnst du aber auch sehr viel.

"Sie war für mich eine Inspiration"

Wellinski: In "Schau mich nicht so an" geht es um Hedi, eine junge Frau, die in München wohnt, die verliebt sich in Iva, eine alleinerziehende Mutter. Was war die Grundidee hinter "Schau mich nicht so an", woher kam der Plot?
Borchu: Ich habe die letzten Jahre mich sowieso immer mit Frauen beschäftigt, auch in meinem Dokumentarfilm vorher, und dann habe ich Catrina Stemmer kennengelernt, und sie war für mich eine Inspiration, und wir gemeinsam haben alleinerziehende junge Mütter, weil wir selbst auch Mütter sind, beobachtet, und da habe ich festgestellt, dass es da noch so ganz schwierige Unterschiede gibt zwischen Frauen, wie sie sich sozial verhalten in der Gesellschaft, vor allem, wenn sie mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben.
Wellinski: Diese Hedi, die Sie spielen, das ist schon eine sehr faszinierende Person, vor allem, weil sie nicht so leicht zu fassen ist. Was ist das für eine Figur, wie würden Sie Hedi beschreiben?
Die beiden Hauptdarstellerinnen aus "Schau mich nicht so an" von Uisenma Borchu
Die beiden Hauptdarstellerinnen aus "Schau mich nicht so an"© "Schau mich nicht so an" / Filmstill
Borchu: Hedi ist eine starke Figur, eine starke Frau, die aus dem Schatten des typischen Fraudaseins tritt. Trotzdem würde ich sie als Alphatierchen bezeichnen, weil sie noch diesen Druck nicht händeln kann und vor allem, weil sie noch nicht… weil sie sich einfach sehr stark wehrt und ihre innere Schwäche nicht zulässt, nicht kennt, sich nicht selbst kennt würde ich sagen.
Wellinski: Sie hat auch etwas sehr Dominierendes, wie sie mit anderen Menschen umgeht, also Menschen, die sie auch sehr nah an sich ranlässt, aber Menschen, auch so One-Night-Stands, die sie nur ganz kurz kennenlernt. Woher diese Dominanz, aber auch dieses, ich sage es auch mal, dieses Manipulierende?
Borchu: Ja, ich glaube, sie ist da sehr impulsiv und reagiert einfach aus dem Moment heraus. Wenn sie Lust verspürt, jemanden zu bumsen, dann macht sie es einfach, und wenn sie denkt, das ist jetzt falsch, und du nervst mich, dann nervst du mich halt ab. So. So ist ihre Laune.
Wellinski: Ihnen war, so hatte ich das Gefühl, eine starke Körperlichkeit in Ihrem Film wichtig, also nicht nur, dass man viele Leute nackt sieht, sondern es gibt auch Sex, es geht auch viel um das Thema Sex, um Körperlichkeit – warum war Ihnen gerade dieser Moment an Ihrem Film wichtig?
Borchu: Wir haben das gar nicht so geplant, du, die nächste Szene werde ich jetzt nackt sein oder so, sondern aus dieser Improvisation heraus habe ich dann als Hedi, denke ich, einfach entschlossen, mich nackt zu präsentieren, weil es ganz unterbewusst so gelenkt war, dass die Nacktheit an sich der Menschen etwas Pures, etwas Ehrliches, aber auch sehr Verletzendes bedeutet, und es hat zur Ästhetik gepasst – äußerlich.

"Er steht für die Härte des Mannes"

Wellinski: In diese Beziehung dieser beiden Frauen kommt ein Mann, das ist der Vater von Iva oder der Großvater der Kleinen von Iva, der wird gespielt von Sepp Bierbichler. In dem Moment, wo er reinkommt, so als Figur in diese Zweierkonstellation, spielt der Film auch so mit unterschiedlichen Familienkonstellationen hatte ich das Gefühl, weil er ist ja nicht nur der Vater von Iva, er wird auch zum kurzzeitigen Liebhaber von Hedi. Was passiert da?
Borchu: Ich glaube, er steht für die Härte des Mannes, aber auch für die Frustration, dass man zurück auf das Leben blickt und dass man viele Fehler sieht, aber man kann sie einfach nicht mehr einholen, und wie kommt man damit zurecht. Ihm tut das, glaube ich, sehr weh, dass er das mit seiner Tochter so macht, aber er kann einfach nicht mehr zurück. Aus diesem Gefühl heraus denkt er sich sowieso, was soll ich machen, da kann ich jetzt einfach nur weiterleben, und plötzlich kommt dann Hedi, eine junge Frau, die ihn irgendwie sexuell, aber vor allem auch, vielleicht auch an seine Tochter erinnert.
Wellinski: Wie kriegt man eigentlich jemanden wie Sepp Bierbichler dazu, in einem Studentendebüt mitzumachen?
Borchu: Monatelanges Belabern. Ich habe ihn damals auf der Buchlesung in Bayern getroffen. Er war mit Mittelreich unterwegs, sein sehr, sehr wichtiges und schönes Buch, und ich habe dann ihm das Buch gegeben und meine Dokumentarfilme, und ich habe gesagt, bitte durchlesen. Er hat sich dann nach ein, zwei Wochen gemeldet und meinte, das musst du mir jetzt noch mal erklären, was du da vorhast.
Wellinski: Weil es auch eine sehr extreme Rolle ist, auch für ihn. Also es geht nicht um die Nacktheit, man muss sich auch schon zeigen, und er spielt ja auch in dem Sinne mit nichtprofessionellen Darstellern zusammen. Wie war das denn – Sie haben schon Improvisation erwähnt während der Dreharbeiten –, wie haben Sie diese Atmosphäre erlebt?

"Wir drehen so wie die alte Schule"

Borchu: Ich glaube, das war auch der Grund, warum Sepp sich darauf eingelassen hat, weil er keinen Bock hat auf typisches Filmset, Getue und das Warten. Ich habe gesagt, wir drehen so wie die alte Schule, wie man es aus Neorealismus oder Nouvelle Vague kennt: Kein Licht, kein gar nichts, wir konzentrieren uns nur auf die Substanz des Filmemachens, und ich schreibe dir auf gar keinen Fall vor, was du zu tun hast. Da hätte er mir eh einen Vogel gezeigt. Dann haben wir einfach diese Energie … dadurch, wenn wir mit Sepp gespielt haben, als Laie und als Profi, ich glaube, da entsteht dann noch mal eine ganz andere Energie. Ein Glück ist er ja selbst jemand, der sich nicht so ernst nimmt und der dann einfach sagt, na ja, mal schauen, was du bringen kannst, biete mir mal was an. Diese Sicherheit habe ich von ihm gespürt, habe ich von Catrina auch gespürt und vor allem auch mit Sophia, die uns natürlich auch sehr viel vertraut hat.
Wellinski: Sie haben schon den Look des Films erwähnt, dass Sie den eher quasi hinten anstellen wollten, aber was war Ihnen denn wichtig, wie wollten Sie, dass Ihr Abschlussfilm aussieht?
Borchu: Roh und unfertig, ungeschliffen, vielleicht auch so wie die Frauen selbst. Ich meine, man erwartet sowieso von uns Menschen, dass wir immer so perfekt sind, wissen, was wir wollen, und vor allem im Film in Deutschland ist es noch viel schlimmer, glaube ich, und da war einfach eine ganz große Lust, da mal was Unfertiges hinzuschmeißen, aber nicht unfertig in dem Gefühl. Das ist was ganz anderes. Die Ästhetik, die wir uns überlegt haben, die sollte halt etwas von früher haben und sehr cineastisch. Ich bin auch froh, dass ich den Film mit Sven Zellner als Kameramann machen durfte, weil er da natürlich ein großartiges Auge für hat, für diese Bilder.
Wellinski: Der Look ändert sich in dem Film, finde ich, nur an zwei Stellen, an der Klammer des Films, die eben nicht mehr in München spielt, sondern in der Mongolei. Das ist ja eine Klammer, die den Film auch auf eine ganz andere Ebene hängt, weil was hat es mit dieser Klammer in der Dramaturgie auf sich?
Borchu: Ich glaube, das ist der ewige Kontrast, den ich auch selbst in meinem Leben gespürt habe. Immer dieses hin und her, Deutschland, Mongolei, Deutschland, Mongolei, oder bist du deutsch, bist du mongolisch. Das ist ja auch so eine Identitätssuche der Hedi, und das habe ich mit ihr gemeinsam. Daher wollte ich das auch im Film immer wieder zeigen: Wir sind da in Europa, wir sind aber auch wieder gedanklich oder spirituell in der Mongolei, und wenn da Menschen verwirrt sind, dann ist das schon so eine Art von Gefühl, was ich auch mein ganzes Leben hatte.
Wellinski: Kommt vielleicht daher auch der, wie ich finde, sehr schöne Titel "Schau mich nicht so an"? Er ist ja wie so eine Aufforderung an den Zuschauer – schau mich nicht so an, wie du einen normalen Film quasi ansehen würdest, schau mich anders an.
Borchu: Ja, ich glaube, ich denke schon, ja. Schau endlich mal vielleicht mit einer ganz anderen Erwartung hin.

"Zu radikal, zu sexuell, 90 Minuten Frauen will ja kein Schwein sehen"

Wellinski: Erwartung ist ja, da das ja ein Abschlussfilm ist von der Münchener Filmhochschule… wie schwer ist es denn, gerade so einen Film zu machen? Er unterscheidet sich ja schon von so einem Coming-of-Age-Film, den man so gerne dreht als Abschlussfilm. Da kann man noch was erzählen von Jugend. Das ist ja schon anders.
Borchu: Ich glaube, es ist ziemlich einfach, so einen Film zu machen, wenn man einfach sich freilässt, frei von Konventionen, frei von du musst jetzt noch ein Jahr warten, bis du die Filmförderung bekommst, vielleicht kannst du da noch mal… Ich meine, ich habe eine Absage bekommen. Ich meine, der Grund, warum sie mich nicht gefördert haben, lag daran, dass ich eine Frau bin – das ist ganz klar. Zu radikal, zu sexuell, 90 Minuten Frauen will ja kein Schwein sehen.
Wellinski: Wurde das so explizit gesagt?
Borchu: Ja, es war einer der Begründungen, und vor allem Regisseurin und Darstellerin geht natürlich auch nicht. Also als ob ich es erfunden hätte. Das hat man ja überall. Dann wird man natürlich sauer. Ich glaube, für mich stand das fest, ich werde es so oder so machen, egal, was die Leute sagen, weil die Energie war da. Ich glaube, so möchte ich auch weiterhin Filme machen, ansonsten können die Leute selbst ihre Filme machen, die Redakteure und so weiter, dann können sie halt sehen, wo sie bleiben.
Wellinski: Aber nicht frustriert sein, sondern daraus neue Kraft schöpfen.
Borchu: Ja, genau. Es ist halt auch nur das Filmemachen. Das kann man auch nicht so ernst nehmen.
Wellinski: Ist das denn Ihre Idee vom Kino, dass dann immer auch so ein sehr starker persönlicher Moment drin ist, also fast schon die klassische Autorensicht auf das Kino. Ist das so Ihre Traumvorstellung oder die Idealvorstellung?
Borchu: Solange ich irgendetwas zu bieten habe oder denke, das ist ein Gefühl, das ich filmisch ausdrücken kann, ich glaube, dann werde ich es auch weiterhin machen. Ich meine, ich schreibe jetzt auch an meinem Nächsten. Es hat natürlich auch sehr viel mit mir zu tun. Das reizt mich, solange es, denke ich, sinnvoll ist.
Wellinski: Bis dahin haben wir aber noch Ihr Debüt "Schau mich nicht so an". Nächsten Donnerstag in den deutschen Kinos. Vielen Dank für den Besuch der Regisseurin Uisenma Borchu. Vielen Dank, dass Sie da waren!
Borchu: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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