"Die göttliche Ordnung", Schweiz 2017, 96 Minuten. Regie: Petra Volpe, Darsteller: Marie Leuenberger, Maximilian Simonischek, Rachel Braunschweig u.a. Kinostart in Deutschland: 3. August
Der Kampf ums Frauenwahlrecht in der Schweiz
Anhand der Geschichte der jungen Hausfrau Nora erzählt der Film "Die göttliche Ordnung" vom Kampf ums Frauenwahlrecht in der Schweiz. Frauen wurden wie "unmündige Kinder behandelt", so Regisseurin Petra Volpe. Bis sie 1971 endlich wählen durften.
Erst seit 1971 dürfen Frauen in der Schweiz wählen - und der Weg dorthin war schwierig. Denn Frauen wurde über das Eherecht systematisch der Zugang zu vielen Bereichen des Lebens vewehrt.
"Diese Erfahrung hatten viele Frauen gemacht, dass sie nicht arbeiten durften, dass sie kein Bankkonto eröffnen konnten, dass sie eigentlich wie unmündige Kinder behandelt wurden", sagt Regisseurin Petra Volpe, die den Kampf der Schweizerinnen um das Wahlrecht in ihrem Spielfilm "Die göttliche Ordnung" nachzeichnet. Im Mittelpunkt steht Nora, eine junge Hausfrau und Mutter aus einem Dorf in Appenzell. Sie setzt sich für das Frauenwahlrecht ein und gewinnt schließlich selbst unter den züchtigen Dorfdamen viele Mitstreiterinnen.
Eine Atmosphäre von bedrückender Biederkeit
Sie habe sich große Mühe gegeben, die damalige Zeit möglichst authentisch zu zeigen, so Volpe im Deutschlandfunk Kultur. "Diese Biederkeit, die man im Film sieht, die trägt wahnsinnig viel bei zu der Atmosphäre von Unterdrückung, zu dieser Atmosphäre von Beengung oder diesem Gefühl, als wäre man unter so einer Käseglocke, wo die Zeit still steht."
Viele Frauen hätten sehr positiv auf den Film reagiert, sagt Volpe. "Das hat mich immer besonders gefreut in der Schweiz, dass viele Zuschauerinnen aufgestanden sind und gesagt haben, genau so war das." Ein weiteres Erfolgsgeheimnis des Films ist der Regisseurin zufolge, dass der Film keine Schwarz-Weiß-Welt zeigt, in der die Männer die Täter und die Frauen die Opfer sind. "Sondern der Film zeigt auch auf, wie die Männer irgendwie in dieser Welt kleingehalten werden." (uko)
Das Interview im Wortlaut:
Susanne Burg: Der 7. Februar 1971 ist in der Schweiz ein historisches Datum: Es ist der Tag, an dem die Schweizer für das Frauenstimmrecht stimmten. Das Land war damit eine der letzten Demokratien, in denen Frauen das Recht zur Wahl bekamen. Die Filmregisseurin Petra Volpe hat den Weg bis dahin zu einem Spielfilm verarbeitet: Er heißt "Die Göttliche Ordnung" und läuft am Donnerstag bei uns in den Kinos an. Und ich freue mich, dass Petra Volpe bei uns im Studio ist. Guten Tag!
Petra Volpe: Guten Tag! Ich freue mich sehr, hier zu sein!
Burg: Also, wie ich schon sagte: 1971 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Sie waren da gerade ein Jahr alt, können sich also wahrscheinlich nicht mehr direkt an den Kampf um die Wahl erinnern. In welcher Form haben Sie denn die Auswirkungen der Entscheidung in Ihrer unmittelbaren Umgebung zu spüren bekommen? Sie sind ja in der Schweiz aufgewachsen, wollte ich dazu noch sagen.
Volpe: Ja, ich bin Schweizerin, wie man hört. Ja, die Auswirkungen davon: Es ist eher so, dass man noch immer diesen Geist spürt, der auch damals geherrscht hat, dass die Schweiz halt eher ein konservatives Land ist, und ganz besonders die Geschichte um das Frauenstimmrecht, das wurde in der Schweiz dann doch sehr unter den Teppich gekehrt. Das war sehr beschämend auch schlussendlich, dass wir das so spät gekriegt haben, quasi eine der ältesten Demokratien der Welt, und das wurde nicht gelehrt in der Schule. Also, wir haben nichts gelernt über die hundertjährige Geschichte der Frauenbewegung in der Schweiz, die wirklich über 100 Jahre dafür gekämpft hat, dieses Stimmrecht zu kriegen. Das musste ich dann alles in der Recherche erarbeiten.
Das Dorf als Metapher für die Schweiz
Burg: Und man sieht ja in Ihrem Film auch, wie hart noch vor der Wahl darum gerungen wurde. Im Zentrum steht bei Ihnen Nora Ruckstuhl, eine Hausfrau und Mutter, die in einem kleinen Schweizer Dorf lebt. Warum haben Sie gerade die Geschichte in ein Dorf verlegt?
Volpe: Für mich ist das Dorf auch eine Metapher für die Schweiz. Man kann doch sagen, dass insgesamt die Schweiz, selbst wenn es Städte gibt, die etwas progressiver sind, ist die Schweiz doch ein eher konservatives Land. Also, die ganze Schweiz hat das Stimmrecht den Frauen erst 1971 gegeben, und ich fand es interessant, eine Hauptfigur zu haben, die quasi einen Weg geht, die eine Entwicklung macht, die so mitten in ihrem Leben steckt und noch kein Bewusstsein dafür hat, was die große Politik oder quasi die Verweigerung des Stimmrechts für die Frauen mit ihr zu tun hat, und langsam das versteht, weil das für mich auch etwas ist, was den Film nicht nur historisch macht, sondern irgendwie auch aktuell. Denn auch heute kann jede Bürgerin und Bürger für sich feststellen, wie sehr Politik und das Private zusammenhängt und sich dafür entscheiden, irgendwie aufzustehen und sich für etwas einzusetzen oder gegen etwas zu kämpfen.
Burg: Bei ihr beginnt es ja alles so, dass sie eigentlich unzufrieden ist und wieder arbeiten möchte, und sie bespricht das mit ihrem Mann Hans, gespielt von Max Simonischek, und ihr Mann ist sofort ziemlich dagegen.
Das ist eine Unterhaltung, die noch mal vor Augen oder Ohren führt, wie die Diskussionslinien in dieser Hinsicht damals verliefen. Also der Mann sagt, ich will das auch nicht. Wie haben Sie sich eigentlich in die Zeit noch mal eingedacht, um solche Dialoge auch glaubwürdig scheinen zu lassen?
"Fünf-vor-zwölf-Frauen" in Verruf
Volpe: Ich habe einfach sehr viel recherchiert und die Zeit sehr ernst genommen, und es ist schlussendlich … Also das Argument, was er sagt, was sollen denn meine Kollegen denken, wenn meine Frau arbeiten geht, das ist etwas, das kannte ich auch noch von meinen Eltern. Ich weiß, mein Vater, ihm war das auch ein bisschen nicht ganz recht, dass meine Mutter dann wieder arbeiten ging, weil es hat ihn irgendwie als Mann beschämt, dass er die Familie nicht erhalten kann.
Also, ich konnte da quasi aus meiner eigenen Erfahrung schöpfen und dann wirklich auch viel Recherche, und ich habe viel studiert auch, wie die Leute gesprochen haben, was sie für Worte benutzt haben, und das waren auch die Argumente damals. Zum Beispiel, es gab so einen Begriff "Fünf-vor-zwölf-Frauen", das heißt Frauen, die fünf vor zwölf nach Hause kommen und eine Dose Ravioli aufmachen. Das wollte man nicht. Man wollte keine Fünf-vor-zwölf-Frauen.
Burg: Und Nora, Sie beschreiben dann, wie sie so langsam so ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass man ja auch vielleicht für die eigenen Rechte eintreten kann. Sie findet auch ein paar Verbündete im Dorf, aber auch harte Widersacher sind da, aber mit den Verbündeten fährt sie dann mal nach Zürich und nimmt an einer Demonstration teil und nimmt auch an einem Workshop teil, wo es dann um die Erkundung der eigenen Sexualität geht. Dieser Workshop erinnert sehr an einen Hippie-Workshop und ist bestimmt auch verankert in der 68er-Bewegung. Wie viel dieser 68er-Bewegung kam denn dann auch auf dem Land an? War das Tatsache dann nur eine Sache, die in Zürich ja auch dann mit einiger Verspätung kam?
Volpe: Es war schon eher in den Städten. Also es gab solche Workshops in der Schweiz tatsächlich, etwas später allerdings, glaube ich, erst so 75, aber es passt trotzdem in die Geschichte rein, und solche Workshops haben sicher nicht auf dem Land stattgefunden. Die Frauenbewegung in der Schweiz war dann irgendwann auch sehr gespalten, weil die älteren Damen haben 100 Jahre gekämpft, die haben das ganz anständig gemacht, um zu beweisen, dass sie ganz vernünftige Bürgerinnen sind, haben sie immer Petitionen und Motionen eingereicht und haben sich quasi an die Regeln gehalten, und die jungen Feministinnen haben dann so Ende 60er-Jahre, Anfang 70er gesagt, fuck this, das hat überhaupt nichts gebracht, wir müssen viel aggressiver und kämpferischer sein. Es gab dann auch eine große Demonstration 69, da waren die älteren Frauenstimmrechtsvereine ganz dagegen, und die jungen sind auf die Straße und haben gesagt, es muss dieses Stimmrecht her. Also, es gab da auch eine Spaltung, und die Ideen darüber, wie man diesen Kampf führen soll, ist sehr auseinandergegangen.
Unter einer Käseglocke, wo die Zeit stillsteht
Burg: Als Sie vorhin sagten, Sie haben auch recherchiert, wie die geredet haben, was das Vokabular war, das andere ist ja, wie sie ausgesehen haben. Also die Frauen im Film tragen die Kleidung der Zeit, das ist sehr vage formuliert. Die Räume sind häufig, in denen sie sich bewegen, eng, häufig gibt es auch so ein, zwei Lichtquellen nur, es ist jetzt nicht hell und leuchtend. Bis zu welchem Grad wollten Sie diese Zeit rekreieren beziehungsweise ein Bild von der Zeit, das wir heute haben?
Volpe: Wir haben uns große Mühe gegeben, diese Zeit wieder aufleben zu lassen. Wir wollten nicht die Zeit in so einer stilisierten Form zeigen und eben auch nicht eine Idee zeigen, die wir heute über diese Zeit haben, sondern wir haben wirklich tausende von Fotos angeguckt, und ich habe ganz viel Archivmaterial studiert, um zu gucken, wie die Leute sich bewegt haben, wie sie gesprochen haben. Meine Kostümbildnerin hat ganz viel Kontakt gehabt mit privaten Leuten, die ihr ihre Fotoalben eröffnet haben zum Gucken, wie waren die Leute angezogen, was waren die Farben. Wir wollten diese Biederkeit, die man im Film sieht… die trägt wahnsinnig viel bei zu der Atmosphäre von Unterdrückung, zu dieser Atmosphäre von Beengung oder diesem Gefühl, als wäre man unter so einer Käseglocke, wo die Zeit still steht. Die Schweizerinnen, also das hat mich immer besonders gefreut in der Schweiz, dass viele Zuschauerinnen aufgestanden sind und gesagt haben, genau so war das, ich kann mich erinnern, dass wir da was getroffen haben, was authentisch auch ist.
"Die Frauen waren sehr dankbar um diesen Film"
Burg: Das wollte ich Sie gerade fragen, wie die Reaktionen jetzt eigentlich in der Schweiz waren.
Volpe: Ja, die waren sehr … Also wir sind ein kleines Box-Office-Wonder quasi, die sind die Wonder Women der Schweiz. Die Frauen waren sehr dankbar um diesen Film, habe ich gemerkt. Der Film zeigt ja auch die verschiedenen Arten, wie die Frauen vom Eherecht benachteiligt wurden, und diese Erfahrung hatten viele Frauen gemacht, dass sie nicht arbeiten durften, dass sie kein Bankkonto eröffnen konnten, dass sie eigentlich wie unmündige Kinder behandelt wurden, und endlich wurde das mal thematisiert, auch der Skandal da drum. Deswegen, glaube ich auch, war der Film erfolgreich, weil die Frauen in die Kinos gegangen sind mit ihren Männern, und ich glaube, ein Geheimnis des Erfolgs bei diesem Film ist vielleicht auch, dass der nicht so eine Schwarz-Weiß-Welt auftut, wo die Männer die Täter sind – im Gegenteil, also die Hauptantagonistin ist eine Frau – und quasi die Frauen ein Opfer, sondern der Film zeigt auch auf, wie die Männer irgendwie in dieser Welt kleingehalten werden.
Burg: Der Hans, ihr Ehemann, ist ja auch sehr unentschieden, und man merkt so seinen inneren Kampf, den er auch austrägt mit diesem Thema, dafür zu sein, aber gefangen zu sein in der eigenen Sozialisation quasi, und ein Satz heißt zum Beispiel: "Frauen in der Politik, das ist gegen die göttliche Ordnung." Da denkt man auch noch mal, wow, das Ganze ist 46 Jahre her, sind wir eigentlich seitdem weit gekommen oder längst nicht weit genug?
Volpe: Definitiv nicht weit genug meiner Meinung nach. Also, es ist ja ein Originalzitat dieser Antistimmrechtspropaganda, dass die sehr stark auch von Frauen angeführt wurde, und ja, da wurde mit Gott argumentiert, und das ist ein Wahnsinnsargument: Also man lehnt sich nicht nur gegen die männliche Ordnung auf, sondern gegen die göttliche Ordnung als Frau, und das sind ja Dinge, die man heute noch kennt. Also, es wird mit Natur argumentiert, was die natürliche Rolle der Frau ist, was die natürliche Rolle des Mannes ist. Das sind nicht Sachen, die wir nicht mehr kennen, und die alle irgendwie gesagt haben, das ist totaler Quatsch, sondern solche Argumente schwirren ja heute noch rum. Also, das ist das eine. Das andere ist eben Thema Lohngleichheit, Thema Care Gap, Thema Altersvorsorge und so weiter. Da sind wir ja… Thema Politikerinnen, Thema Quote in Politik und in den oberen Etagen der Unternehmen.
"Warum sollen wir nicht 50 Prozent vom Kuchen haben?"
Burg: Oder im Film!
Volpe: Oder im Film, genau, auch in der Filmbranche. Ich bin auch bei Pro Quote Regie, weil ich das sehr unterstütze, wo es einfach ganz klar eine statistisch belegbare Benachteiligung von Frauen gibt. Also man muss gar nicht emotional argumentieren. Man kann einfach Zahlen angucken und sagen, okay, was tun wir dagegen, weil es ist offensichtlich: Wir sind 50 Prozent oder sogar mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. Warum sollen wir nicht 50 Prozent vom Kuchen haben?
Burg: Und einen historischen Einblick in den Kampf erst mal nur ums Frauenstimmrecht, den gibt der Spielfilm "Die göttliche Ordnung", der kommt am Donnerstag bei uns in die Kinos. Die Regisseurin Petra Volpe – vielen Dank für Ihren Besuch!
Volpe: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.