Spielerischer Umgang mit Tradition

Von Christian Geuenich · 05.12.2007
In der internationalen Kunstszene werden die Kölner Künstlerzwillinge Gert und Uwe Tobias als Shooting Stars gefeiert: Ihre revolutionären Holzschnitt-Werke seien eine "kraftvolle und unbekümmerte Verquickung von Traditionellem und Aktuellem", lobte Ende Oktober die Jury und zeichnete das Duo mit dem Cologne-Fine-Art-Preis aus. Jetzt ist ihre Holzschnitt-Kunst im renommierten Museum of Modern Art (MoMa) in New York ausgestellt.
Uwe: "Also jeder arbeitet an seinem Holzschnitt, und wir schauen uns gegenseitig über die Schulter und unterhalten uns über das, was da gerade entsteht. Im Grunde ist es ein gemeinsamer Topf, und von dort ausgehend entstehen dann eben die Arbeiten, die wir gemeinsam unterschreiben. Und am Ende des Tages ist es unerheblich, wer das gemacht hat, wenn das in einer Ausstellung zu sehen ist."

Das Atelier von Gert und Uwe Tobias liegt in einem Hinterhof in Köln-Braunsfeld. Die beiden 34-jährigen Künstlerzwillinge mit den schwarzen Haaren und den etwas melancholisch blickenden braunen Augen grüßen freundlich, sehen aber etwas erschöpft aus nach den aufwändigen Vorbereitungen für ihre Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art.

"'Stolz', den Begriff benutzen wir eigentlich gar nicht, aber das war überraschend, und das ist auf jeden Fall eine Ehre, fast schon da Arbeiten zu haben, im Moma. Das kann man sich normalerweise gar nicht vorstellen, man denkt an sowas gar nicht","

sagt Gert Tobias. Im Atelier, das man über eine ehemalige LKW-Verladerampe betritt, ist es kühl. Deshalb tragen die Brüder Winterjacke und Mütze. Trotz des Erfolgs sind beiden erstaunlich gelassen. Abheben?

Gert: ""Ich wüsste nicht, wohin ich abheben soll."

In der hinteren Ecke des Ateliers liegt ein riesiger 4 Mal 2, 70 Meter großer farbiger Holzdruck, den die beiden extra für die MoMA-Ausstellung angefertigt haben. Unter der durchsichtigen Folie kann man drei Figuren erkennen, aus denen vor allem eine hautfarbene Fratze hervorsticht. Die langgezogene, fast tropfende Narrennase und die geschwungenen Hörner wirken fast wie eine Karnevalsmaske.

"Wenn man jetzt so die maskenartigen Gesichter sieht, dieses Groteske, da ist ja immer ein stückweit Humor mit dabei, und auch bewusst."

sagt Uwe Tobias, der bärtige, kräftigere der beiden. Sein Bruder nickt zustimmend, und es scheint so, als wäre das Künstler-Duo fast immer einer Meinung.

Aufgewachsen sind Gert und Uwe Tobias auf einem Bauernhof im rumänischen Neustadt am Rande der Karpaten als Siebenbürger Sachsen. Der Vater, ein leidenschaftlicher Fußballfan, benennt seine Söhne nach "Uwe Seeler und Gerd Müller" und arbeitet in einem Traktorenwerk, die Mutter als Säuglingsschwester.

Uwe: "Das waren drei Generationen auf einem Hof, also von der Oma bis zum Cousin, und wir hatten eine behütete, schöne Kindheit, viel Natur. Die Situation in Siebenbürgen oder in Rumänien für uns Kinder war eben eine andere als für die Erwachsenen. Wir haben von diesem ganzen kommunistischen System nicht so viel mitbekommen und durften eben auch eine deutsche Schule besuchen."

Im Alter von 12 Jahren sind Gert und Uwe Tobias dann mit ihrer Familie nach Rüsselsheim gezogen, weil ihre Eltern ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen wollten. Ein erstes Kunstinteresse wurde bereits durch ihren Kunstlehrer an der dortigen Schule geweckt. Während des Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig haben sie sich dann unter anderem mit Laubsägearbeiten beschäftigt.


Gert: "Und irgendwann durch ein Ausprobieren kam es dazu, dass wir ein Fragment von einem ausgesägten Holzstück eingewalzt und auf Papier abgedruckt haben. Und da sahen wir ein Potential - oder Interesse - weiterzuarbeiten."

Gert und Uwe Tobias haben den traditionellen Holzschnitt modernisiert. Sie legen das Papier nicht auf die Druckvorlage - sie stempeln ausgesägte, mit Farbe eingewalzte Schablonen auf das am Boden liegende Papier. Aus den kleinformatigen "Puzzle-Teilen" entsteht so ein großes Ganzes. Die Künstler spielen mit geometrischen Formen, symbolischen Figuren, spukhaften Fantasy-Fabelwesen und comicartigen oder popkulturellen Elementen. Die für einen Holzdruck mitunter ungewöhnliche Größe und die kraftvollen, intensiven Farben zeigen:

Uwe: "Auch ein altes Medium oder ein tradiertes Medium kann sehr aktuell sein."

Lange Zeit haben die Künstlerzwillinge auch zusammen gewohnt. Seit einem Jahr leben sie in unterschiedlichen Stadtvierteln, jeder mit seiner Freundin - und Uwe Tobias seit sechs Monaten auch mit einer kleinen Tochter.

Uwe: "Ich habe eine tolle Freundin, die mir den Rücken ein bisschen freihält - in dieser Phase jetzt das letzte halbe Jahr, wo ich wirklich viel zu tun hatte. Ich kann einen Teil meiner Arbeit auch zu Hause machen. Und was verändert das? Im Großen nichts. Ich wachse jetzt so allmählich in die Vaterrolle rein, das ist ja erstmal ein Kennenlernen."

Seit ihrer ersten Ausstellung in Köln vor drei Jahren, die auf Anhieb ein riesiger Erfolg war, können die Künstlerzwillinge von ihrer Kunst leben. Schon der Titel "Come and see before the tourists will do - The Mystery of Transylvania" zeigt, wie die Brüder mit den Dracula-Klischees ihrer Heimat spielen und sie augenzwinkernd in einen neuen Kontext rücken. In diesen Werken sind verschnörkelte folkloristische Ornamente aus dem siebenbürgischen Brauchtum und Blumenmuster aus alten Stickereibüchern neben Totenschädeln, Fledermausflügeln oder anderen Gruselklischees zu finden. Eingerahmt werden die Bilder der "transsilvanischen Reihe" von gedruckten Titeln diverser Dracula-Trash-Filme.

Gert: "Aber die Ikonografie ist immer so gewesen, dass wir Fragmente nur zum Teil übernommen haben, aus Stickereien, aus Bemalungen von irgendwelchen Schränken - also was man halt so unter Folklore kennt - und das transformiert haben in eine Sprache und ein Vokabular, das unseres ist."

Denn auch wenn sich Versatzstücke der siebenbürgischen Volkskunst wie ein roter Faden durch ihr Gesamtwerk ziehen, eine nostalgische Hommage an die Heimat sei ihre Kunst keineswegs, sagen die beiden. Eine klare Botschaft gebe es ohnehin nicht. In der Kunstszene werden Gert und Uwe Tobias bereits als Shooting Stars gefeiert. Da stellt sich natürlich die Frage, welche Ziele und Erfolge denn nach einer Ausstellung im renommierten Museum of Modern Art überhaupt noch bleiben:

Uwe: "Wenn ich es in 20 Jahren immernoch hinkriege mit meinem Bruder zusammen. Dass sich die Arbeit bis dahin so weiterentwickelt, wie sie es die letzten drei Jahre getan hat. Dass wir noch Spaß an der Arbeit haben und wir nicht vergessen worden sind - dann sind wir erfolgreich."

Gert: "Dem würde ich auch zustimmen."