Spiegelbild seines Lieblingsfeindes

Rezensiert von Carsten Hueck |
Der Filmemacher Michael Moore ist einer der schärfsten Kritiker von George W. Bush. Er polarisiert mit seinen Filmen und Statements die amerikanische Öffentlichkeit wie kein Zweiter. Zugleich ist er in seiner ideologischen Verbissenheit und manipulativen Machart seiner Filme das genaue Spiegelbild Bushs, wie der Publizist Jesse Larner in seiner Moore-Biografie herausstellt.
Spätestens seit seiner Rede bei der Oscar-Verleihung 2003 ist Michael Moore weltberühmt: ein dicker Mann mit unansehnlichem Bart, in einen Smoking gezwängt, beschimpft vom Podium herab den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Michael Moore durfte diesen Moment als Höhepunkt seiner Karriere begreifen. Die öffentlichen Reaktionen auf den Filmemacher als politischen Aktivisten waren und sind zwiespältig.

Moore, als politisches „enfant terrible“ im konservativen Amerika gehasst und gehypt zugleich, polarisiert. Und ist damit ein ergiebiger Stoff für eine Biographie. Jesse Larner hat sie geschrieben: „Die Akte Michael Moore“. Der Autor – politischer Publizist, versierter Kenner amerikanischer Verhältnisse und bekennender Liberaler – setzt sich darin vor allem mit der öffentlichen Figur Michael Moore auseinander. Es geht ihm darum, die Rolle des Filmemachers auf der Bühne der Politik, vor dem Horizont der amerikanischen Gesellschaft, transparent zu machen.

Larner, der sich selbst der Linken zurechnet, zeichnet Moores Werdegang vom Aspiranten auf das Priesteramt bis zum streitbaren Oscar-Preisträger kritisch nach. Michael Moore, so Larner, ist eine Marke, von Moore selbst seit den 70er Jahren strategisch entwickelt. Der Dokumentarfilmer, weithin gesehen als Spaßmacher mit Mission, ist in den Augen des Autors vielmehr Missionar, der den Spaßfaktor nutzt, um seine Predigten an den gemeinen Mann zu bringen. Einer, der behauptet, im Besitz der Wahrheit zu sein – und der keine Meinung gelten lässt, die von seiner eigenen abweicht.

Larner beschreibt, wie Moore wohlkalkuliert Skandale inszeniert, sich als unerschrockenen Einzelkämpfer stilisiert, der tollkühn gegen riesige Konzerne, Rassismus und Machtapparate antritt. Deutlich, doch ohne sich dem Lager der Moore-Hasser anzubiedern, beklagt Larner, dass Moore bei seinen Aktivitäten oft sehr lax mit der Wahrheit umgeht. Die Moral, die er bei anderen einklagt, bringt er selber nicht auf. Beispielsweise im Film „Roger & me“ von 1989. Mit ihm wurde Moore zum ersten Mal von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.

Die Rahmenhandlung besteht darin, dass der Filmemacher vergeblich versucht, den Chef von General Motors, Roger Smith, vor die Kamera zu bekommen, um ihn zur Firmenpolitik des Konzerns zu befragen. Da das nicht gelingt, entsteht das Bild eines arroganten Kapitalisten. Tatsächlich aber gibt es Zeugen dafür, dass Michael Moore sein Interview bekommen hat – nur passte diese Tatsache nicht zu der Aussage, die er mit seinem Film machen wollte.

Jesse Larner untersucht Moores Filme akribisch und kann belegen, dass Abkoppelung der Bilder von der Realität und verzerrende Bearbeitung des Materials eine für Moore typische Vorgehensweise ist. Aufgrund eigener Aussagen des Filmemachers sowie zahlreicher Interviews mit dessen Mitarbeitern, Freunden und Kritikern entsteht ein Bild, das den besonders hierzulande kultigen Michael Moore als Spiegelbild seines Lieblingsfeindes George W. Bush erscheinen lässt: als paranoiden Manipulator mit großem Sendungsbewusstsein, dessen Botschaften nicht besonders differenziert sind. Wie Bush hält auch Moore fest an einer starren ideologischen Identität, agiert populistisch und pflegt das eigene Image. Der eine als Cowboy, der andere als Kind der Arbeiterklasse.

Doch zollt Larner Michael Moore für sein politisches Engagement durchaus Respekt. Er würdigt, dass Moore mit seinen provokativen Attacken der einzige populistische Demagoge ist, dem es gelingt, permanent das Monopol der rechtsgerichteten US-Medien herauszufordern.

Larner teilt auch Michael Moores inhaltliche Kritik an der Politik der Republikaner und großer Konzerne. Doch für ihn heiligt der Zweck nicht die Mittel. Er analysiert sehr detailliert Michael Moores Filme, Publikationen und Reden. Und zieht den Schluss, dass Moore mit seinen Werken beim Publikum eher einen Pawlowschen Reflex als eine reflektierte Auseinandersetzung hervorrufen will.

Engagiert, mitunter etwas langatmig, liefert Larner eine breite und tiefgehende Analyse der Verhältnisse, die Moore zu dem werden ließen, was er heute ist. Er gibt informativ Einblick in politische Konstellationen, Parteiengeschichte und kollektives Bewusstsein der USA. Larner ist nicht polemisch. Er argumentiert moralisch, dabei keineswegs naiv. Moores Verdienste streicht er heraus, seine Schwächen benennt er klar und konsequent.

Jesse Larner deutet Michael Moore nicht psychoanalytisch, sondern weitgehend aus seiner Arbeit heraus. Der Filmemacher als Privatperson kommt in Larners Buch nicht vor. Es ist tatsächlich eine „politische Biographie“. Sie fasst zusammen, was bislang über Michael Moore gesagt und gestritten worden ist. Ihr Vorzug besteht darin, dass sie nicht aus der Position eines Bewunderers oder Gegners geschrieben ist. Es ist eine aufklärerische Biographie im besten Sinne. Sie appelliert an die Fähigkeit der Leser, selbstständig zu denken. Und verweigert, Moral mit zweierlei Maßen zu messen.


Jesse Larner: „Die Akte Michael Moore“. Eine politische Biographie
Übersetzt von Regina Schneider
Berlin, Schwartzkopf & Schwartzkopf
315 Seiten, 19,90 Euro