Spiegel des Selbst und der Welt

Von Gregor Wossilus · 01.01.2006
Hollywood reagiert auf die Kinokrise mit Altbewährtem wie "Mission Impossible 3" mit Tom Cruise. Der deutsche Regisseur Tom Tykwer hat Patrick Süskinds Erfolgsroman "Das Parfüm". Andreas Dresens "Sommer vorm Balkon" kommt schon im Januar ins Kino. Alles in allem ein spannendes neues Kinojahr.
Mag sein, dass immer noch illegal Filme kopiert werden, dass viele Leute lieber zu Hause DVDs gucken, als ins Kino zu gehen. Aber dass das Filmangebot 2005 schlecht war, wie manche maulen, das stimmt nicht. Inhaltlich war das vergangene ein vielseitiges Kinojahr. Das große Problem vom Kino heutzutage: Das Konsumverhalten von jungen und alten Kinogängern. Es verändert sich ständig und gravierend, Kinokarten sind in Bezug aufs Portemonnaie Konkurrenten von Playstation-Spielen, Mp3-Player und DVDs geworden.

Zu Hause ersetzt die heimische Surroundsound-Anlage den großen Kinosaal ... und schützt vor Popcorn knabbernden Quasselstrippen auf dem Kinosessel nebenan. Eine neue Situation, auf die die internationale Filmwirtschaft reagieren muss. In seiner Not reagiert Hollywood auf zwei Arten: Zum einen mit Altbewährtem und Etabliertem.

Tom Cruise' neuester Actionstreifen "Mission Impossible 3" wurde Ende November in Shanghai abgedreht, starten soll er im Mai 2006. Diese Paramount-Produktion ist nur eine von vielen Fortsetzungen mit denen Hollywood Kasse machen will. "X-Men 3" sowie "Underworld: Evolution" sind neue Produkte bereits erfolgreicher Comic-Superhelden-Filmserien! Eine altbekannte Serie will das Warner Brothers Studio wieder beleben mit "Superman returns".

Johnny Depp kehrt in "Fluch der Karibik 2" zurück. Wolfgang Petersen hat ein Remake des Katastrophenthrillers "Poseidon Inferno" gedreht.

Eröffnet wird der Blockbuster-Reigen allerdings mit der Verfilmung von Dan Brown´s Bestseller "Der Davince Code" Mitte Mai. In der Hauptrolle Tom Hanks.

Sehr viel interessanter ist neben diesem Trivialkino der unverhältnismäßig hohe Anteil an neuen thematisch kontroversen Filmen aus der Traumfabrik. Das ist der zweite Weg Hollywoods aus der Krise, denn man kann dem Publikum eine gewisse Müdigkeit am inhaltsleeren Effektspektakel nicht absprechen.

Aber dieser Überdruss schaufelt nun eine Lücke für inhaltlich unbequemes, provokantes, politisches Kino frei. Hier hat Produzent und Schauspieler George Clooney die Nase vorn. Er überzeugte US-Kritiker gleich mit zwei Filmen: Seine jüngste Regiearbeit "Good night and good luck" blickt kritisch auf die Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära, gerade mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Als Schauspieler liefert George Clooney in Stephen Gaghans "Syriana" eine Glanzleistung ab.

Der Film dreht sich um die Erinnerungen des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer, der in Nahost eingesetzt wurde. Eine schonungslos kritische Betrachtung amerikanischer Geheimdienstaktivitäten und der Korruption im internationalen Ölgeschäft. Für viele US-Kritiker ist "Syriana" der beste amerikanische Film seit langem, bei uns Ende Februar im Kino.

Regie-Altmeister Steven Spielberg schickt bereits im Januar "München" ins Rennen, im Mittelpunkt die Verfolgung der Olympia-Attentäter von 1972 durch den israelischen Geheimdienst.

Sam Mendes beschreibt in seinem Golfkriegsdrama "Jarhead" das zermürbende Warten auf den Krieg. Ang Lee´s "Brokeback Mountain" handelt von Homosexualität unter Cowboys, und mit "Lord of war" kommt im Februar eine Satire über Nicolas Cage als Waffenhändler in unsere Kinos.

2006 bietet also inhaltlich spannendes US-Kino, das mit einem Fokus auf den Zustand der Menschheit stellenweise gepaart mit historisch brisanten Begebenheiten zu unterhalten sucht. Eine Rechnung, die bisher in den Staaten aufging, zum Beispiel ist "Syriana" gemessen an seinen geringen Produktionskosten ein riesiger Kassenhit.

In jedem Fall scheinen die großen Studios erkannt zu haben, dass sie ihren Zuschauern in diesen wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten ambitioniertere, aktuellere Stoffe bieten müssen. Das reine triviale Effektspektakel reicht nicht mehr.

Wie schon im vergangenen Jahr spielen auch 2006 große reale Persönlichkeiten im Kino eine Rolle. Besonders empfehlenswert sind "Walk the line" und "Capote". Zwei Mal großes Schauspielerkino mit Joaquin Phoenix als Country-Legende Johnny Cash sowie Philip Seymour Hofman als Schrifsteller Truman Capote, der an der Entstehung seines größten Werkes "In cold blood" fast zerbricht...

Das deutsche Kino setzt 2006 vor allem auf Literaturverfilmungen. Im März kommt mit "Die Wolke" ein deutsches SuperGau-Drama basierend auf dem Buch von Gudrun Pausewang in unsere Kinos. Hauptdarstellerin Paula Kalenberg.

Erfolgsregisseur Tom Tykwer hat Patrick Süskinds Erfolgsroman "Das Parfüm" als deutsch-spanisch-französische Koproduktion verfilmt, Oskar Roehler versuchte sich an Michel Houellebecqs "Elementarteilchen".
Der vielversprechendste deutsche Film kommt schon in der ersten Januarwoche ins Kino. In "Sommer vorm Balkon" erzählt Andreas Dresen die Geschichte zweier Freundinnen, die gemeinsam den Sommer im Herzen Berlins verbringen.

Alles in allem verspricht es ein spannendes Kinojahr 2006 zu werden. Gemessen an den kommenden Filmen scheint vor allem das amerikanische Kino aus der Krise zu lernen. Es konzentriert sich mehr auf seine Kernfunktion: Spiegel unseres Selbst und unserer Welt zu sein, und vom Leben in all seinen Facetten aufregend zu erzählen.

Und danach freut man sich dann auch am Ende des kommenden Jahres auf Zerstreuung durch das High-Tech-Märchen "Casino Royal" mit Daniel Craig als neuem James Bond.