Spiegel der Seele und Maske des Selbst

18.03.2013
Gesichter können sprechen. Aber die Mimik kann auch erstarren. Dann wird sie zur Maske, hinter der der Mensch sich versteckt. Der Kunsthistoriker Hans Belting erzählt in diesem reich bebilderten Sachbuch, was Gesichter in der Malerei über den Mensch in seiner Zeit zu berichten wissen.
Gesichter schreiben Geschichte und Geschichte spiegelt sich in Gesichtern. Hans Belting begreift das Gesicht als Schauplatz, da sich in ihm Geschichte spiegelt. In seinem brillant geschriebenen Buch "Faces" wendet er sich Gesichtern aus ganz verschiedenen Zeiten zu.

Der Exkurs reicht von der Steinzeit über die Renaissance bis in die Gegenwart, wobei stets das Ziel verfolgt wird, Gesichter zum Sprechen zu bringen. Das gelingt Belting, da er es versteht, sich auf Gesichter einzulassen und ihnen so ihre Geheimnisse entlockt.
Belting gliedert sein umfangreiches Material in drei große Kapitel: "I. Gesicht und Maske in wechselnden Ansichten, II. Porträt und Maske. Das Gesicht als Repräsentation, III. Medien und Masken. Die Produktion von Gesichtern". Ausgehend von der Herkunft des Wortes Gesicht verweist er zunächst darauf, "dass ein ‚Ge-sicht’ jenes ist, das vom Betrachter gesehen wird".

Mit einem Gesicht lässt sich Politik machen. So wurde das Porträt des chinesischen Parteiführers Mao Tse-tung zunächst zur Staatsikone, bevor Andy Warhol es zu einem Pop-Idol machte, indem er das Konterfei des Politikers zum Ready-made werden ließ.

Wer ein Gesicht betrachtet, will sich ein Bild machen. Aber wie kann das gelingen, da doch jedes Gesicht zur Maske werden kann? Durch Mimik kann der Mensch sein Gesicht zur Maske werden lassen. Er beherrscht die Kunst, sich zu verstellen. Wenn er weint, muss er nicht traurig sein. Und lacht er, dann kann ihm sehr wohl zum Heulen zu mute sein. Das Gesicht ist ein Inszenierungsort, eine Art Theater, das seine Pforten erst mit dem Tod schließt. Erstarrt das Gesicht zur leblosen Maske, dann hört es endgültig auf, sich in Szene zu setzen. Die Totenmaske ist die "letzte" Maske, die man dem Gesicht abnimmt.

Vom Gesicht als Maske unterscheidet Belting die Maske, die vor dem Gesicht getragen wird. Gesicht und Maske sind Bilder, wobei entweder die Haut oder ein lebloses Material zum Bildträger wird. Mit dem Aufkommen des Porträts übernimmt das Bild eine Stellvertreterposition. Es wird zum Statthalter einer abwesenden Person, die im Porträt verkörpert werden soll. Doch das erweist sich als schwierig, da der Mensch nicht nur Masken tragen, sondern auch Rollen spielen kann. Das Porträt als Interpretation eines Gesichts zeigt nicht nur ein Gesicht, sondern im Bild spiegelt sich auch die Zeit, in der es entstanden ist.

Dies zeigt Belting sehr überzeugend an verschiedenen Porträts und dem "Blicktausch", denn das Porträt stellt jemanden dar, der genauso blickt, wie der Betrachter. Die Kunst der Porträtmalerei besteht darin, etwas Belebtes so überzeugend auf einen unbelebten Bildträger zu übertragen, dass das Bild einen lebendigen und zugleich auch einen wahrhaftigen Eindruck hinterlässt. Antonello da Messina malte Porträts mit bewegter Mimik.

Kenntnisreich und mit beeindruckender Sicherheit begibt sich Hans Belting in seinem reich bebilderten Buch auf Gesichtsexkursionen. Da er ein überaus kluger Erzähler ist, folgt man ihm gern. Seine Bildbetrachtungen, die auf ein umfangreiches Bildmaterial zurückgreifen, sind anschaulich und spannend zugleich. Dieses Buch setzt Maßstäbe, ein Standardwerk, an dem man nicht mehr vorbei kommt.

Besprochen von Michael Opitz

Hans Belting: Faces - Eine Geschichte des Gesichts
C.H. Beck Verlag, München 2013
343 Seiten mit 120 Abbildungen, davon 60 in Farbe, 29,95 Euro