Spezialitäten

Weizenkleber für die Kinder

Spieß in veganer Imbiss-Stube aus dem Fleischersatz Seitan
Dönerspieß aus Fleischersatz Seitan © dpa picture alliance / Uwe Zucchi
Von Udo Pollmer · 22.02.2014
Auf der Suche nach Alternativen zu Fleisch wird neben Soja zunehmend Weizeneiweiß in Kindergärten und Schulen angeboten. Wie nahrhaft ist das sogenannte Seitan, wie das Produkt mit dem asiatisch klingenden Namen heißt?
Vegetarische und vegane Kost findet immer mehr Fürsprecher. Am konsequentesten wird sie dort gefordert, wo die Gäste am wenigsten ausbüchsen können - in Kindergärten und Schulen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung macht sich stark für zwei Veggie-Mittagessen pro Woche in baden-württembergischen Schulkantinen und sie schlägt vor, auch mal neuartige Nahrungsmittel anzubieten wie Seitan. Das sind Fleischimitate synthetisiert aus Weizeneiweiß, auch Weizenkleber oder Gluten genannt.
Seitan wird gern als traditionelle buddhistische Spezialität umworben, die seit Jahrtausenden in Asien als Fleischersatz hoch im Kurs stünde. Doch in den typischen Reiskulturen Asiens hatte der Weizen nie einen hohen Stellenwert. Niemand wäre auf die Idee gekommen, aus gutem Mehl die nahrhafte Stärke auszuwaschen, um aus dem kläglichen Rest ein Surrogat herzustellen. Obendrein ist der ausgelaugte Weizenkleber minderwertig. Bei seiner Gewinnung geht die essentielle Aminosäure Lysin verloren. Er kann also nie und nimmer Fleisch ersetzen.
Schnapsidee kurbelt Produktion an
"Seitan" ist eine moderne Wortschöpfung, sie wird dem japanischen Diätguru Oshawa zugeschrieben, der diesen Begriff vor gut 50 Jahren geprägt hat. Allerdings nicht für Fleischersatz, sondern für eine Art "Soja"-Soße aus Weizen. Die Idee, mit dem Eiweiß nicht nur Sojasoße sondern auch Fleisch zu imitieren, stammt wohl aus den USA. Weizeneiweiß war ein billiges Abfallprodukt der Stärkeindustrie und dies hat offenbar die Erfindung beflügelt. Das erste Fleischimitat soll um 1974 in Massachusetts angeboten worden sein. Bis zu diesem Zeitpunkt war Weizenkleber ausschließlich im Schweinetrog gefragt.
Inzwischen kurbelt eine echte Schnapsidee die Produktion von Gluten an. Es ist die Gewinnung von Bioethanol aus Weizen. Auch dabei bleiben beachtliche Mengen an Kleber übrig. Heute nutzen den Rückstand natürlich nicht nur Schweinemäster und Schulkantinen, sondern vor allem die Bäcker. Sie setzen Weizengluten dem Mehl zu, um besonders große und luftige Brötchen zu backen. Darüber hinaus erwiesen sich die Kunden von Low-Carb-Broten als dankbare Entsorger. Bei Low Carb wird ein Teil des Mehles durch billiges Gluten ersetzt. Und natürlich lässt sich das Futtermittel auch Sportlern andrehen, denen der Sinn nach "Veggie"-Eiweißdrinks steht.
Darmentzündung als Folge
Die zunehmende Verwendung von Gluten hat Folgen. Die bekannteste ist die Zöliakie - eine üble Darmentzündung. Natürlich wird Weizenmehl seit jeher zu Lebensmitteln verarbeitet. Aber: es wurde immer gründlich fermentiert - egal ob Pasta, Lebkuchen oder Brot. Lange Teigführungen, klassischer Sauerteig oder die Lufttrocknung der Pasta boten der Teigflora reichlich Gelegenheit, das Eiweiß aufzuspalten und damit bekömmlich zu machen. Leider sind solche Verfahren unwirtschaftlich und damit passé. Dennoch hört man immer wieder von Zöliakie-Patienten, die ein echtes Sauerteigbrot problemlos vertragen, denn hin und wieder gibt es Bäcker, die noch richtiges Brot backen.
Die Zunahme der Zöliakie in der Bevölkerung spiegelt die wachsende Beliebtheit dieses Rohstoffs in unfermentierter Form wider. Dabei ist zu beachten, dass intaktes, also nicht fermentativ abgebautes Gluten wie Seitan nicht nur den Darm angreift, sondern auch ohne sichtbare Darmschäden zu hinterlassen, schwere neurologische Krankheiten verursachen kann. Die bekannteste ist die Gluten-Ataxie, eine Lähmung der Beine. Aber auch andere neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen, ja selbst Fälle von Parkinson werden auf Weizengluten zurückgeführt.
Vielleicht liegt die Zukunft des Weizenklebers nicht in Kindermägen. Schon Henry Ford hat vor 100 Jahren aus Gluten einen unverwüstlichen Kunststoff für seine Autos hergestellt. Da lag es nahe, heute den kleinen Schritt zu wagen, und daraus statt Fleischersatz gleich biologisch abbaubares Plastik zu gewinnen. Das wär doch was für umweltfreundliche Einkaufstüten? Vorausgesetzt das vegane Plastik verstört nicht die Fische im Meer. Mahlzeit!
Literatur
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