Spezialistin für schwierige Rollen

Von Noemi Schneider |
Ob auf Bühne oder Leinwand - Sandra Hüller ist dafür bekannt, sich ihre Rollen sorgsam auszuwählen. Was für ein Glück für die Berlinale, auf der sie in diesem Jahr sowohl in "Über uns das All" als auch in "Brownian Movement" ungewöhnliche Frauen verkörpert. 2006 wurde die Schauspielerin mit dem Silbernen Bären für ihre Rolle der an Epilepsie erkrankten Michaela Klinger in "Requiem" ausgezeichnet, womit sie sich als eine der deutschen Charakterdarstellerinnen etablierte. 2010 wurde sie von der Zeitschrift "Theater heute" zur Schauspielerin des Jahres gekürt.
Szene aus dem Film: "Über uns das All"
" - Er würde es nicht tun!
- Wir haben den Fall sehr genau untersucht und es gibt keine Anzeichen darauf, dass der Tod ihres Mannes kein Selbstmord war.
- Mein Mann hatte nicht vor, aus dem Leben zu scheiden, der stand kurz davor,
es ist auch egal, das geht Sie überhaupt nichts an, aber der wollte sich nicht
umbringen, der hätte das einfach nicht getan, verstehen Sie das nicht?
- Frau Sabel, wir haben im Portemonnaie Ihres Mannes den Kasselzettel eines
Baumarktes gefunden, er hat den Schlauch und das Klebeband in einem Baumarkt hier in der Stadt gefunden, einen Tag, bevor er gestorben ist.
- Das, das macht doch überhaupt keinen Sinn! "

Martha Sabel kann es nicht fassen, Ihr Ehemann Paul hat sich das Leben genommen und sie muss feststellen, dass sie den Menschen, von dem sie glaubte, alles zu wissen, überhaupt nicht gekannt hat.

Martha Sabel ist die Hauptfigur in Jan Schomburgs Film "Über uns das All", der in der Panorama Sektion der Berlinale seine Premiere feiert, verkörpert wird sie von der Schauspielerin Sandra Hüller, die außerdem noch in einer ganz anderen Rolle in dem Film "Brownian Movement" der niederländischen Regisseurin Nanouk Leopold im Forum zu sehen ist. Was hat sie an diesen beiden Frauenfiguren gereizt?

Hüller: "Mich hat interessiert, wie die beiden mit den Aufgabenstellungen, die ihnen das Leben da gibt, umgehen. Also wie die Martha mit dem Verlust ihres Ehemanns und ihres ganzen Lebenskonstruktes umgeht, fand ich spannend und wie sie mit Trauer umgeht, oder eben nicht umgeht und bei der Charlotte ging es um ein Prinzip, was wir da erforschen wollten, oder um eine philosophische Frage die sehr viel mit Liebe zu tun hat und Freiheit darin.

Charlotte, die Hauptfigur in "Brownian Movement", ist eine verheiratete Ärztin, die mit Mann und Kind in einer liebevollen Beziehung lebt, eine scheinbar ganz normale Frau, die alle zu kennen glauben. Doch Charlotte hat eine besondere Vorliebe, von der niemand etwas ahnt: In einer angemieteten Wohnung hat sie Sex mit fremden Männern.

Hüller: " "Wir haben die überhaupt nie pathologisiert, die Figur, muss ich dazu sagen. Mir ging's nie um ne Störung und Nanouk auch nicht, sondern wir haben das vollkommen wertfrei und auch außerhalb irgendeines medizinischen Kontexts gesehen, sondern wir haben einfach diese Frau gesehen, die hat sich einen Raum genommen und darin tut sie etwas, was sie will, und das hätte auch was anderes sein können, so war das für mich zumindest immer. Jetzt in dem Fall ist es eben Sex mit Männern, die jeder einen bestimmten Makel haben, jeder einen unterschiedlichen, und das war natürlich wichtig, um dann zu sehen, wie die Gesellschaft oder die Welt um sie herum damit umgeht, ihr Ehemann oder eben ihr Arbeitgeber oder die Ärztekammer und so weiter."

Nachdem Charlottes Doppelleben aufgeflogen ist, macht sie eine Therapie, die jedoch wenig Licht ins Dunkel bringt.

Szene aus dem Film: "Brownian Movement"
" - Was wollten Sie von diesen Männern? Was konnten Sie Ihnen geben?
- Ich denke, ich denke, ich sollte es nicht sagen. Ich sollte nicht alles erzählen.
Das macht es nur schlimmer. "Brownian Movement" ist ein Film, in dem sehr wenig geredet wird, der viel über Stimmungen, Blicke, Gestik und Mimik transportiert und seine Hauptfigur Charlotte niemals erklärt. Ein Film über eine fassungslose Umwelt, eine eigenartige Frau und einen Mann, der bei ihr bleibt. In "Über uns das All" liegt der Fall genau umgekehrt, hier ist Sandra Hüller die fassungslose Frau, die verzweifelt nach Antworten sucht, die mit dem Doppelleben ihres Mannes Konfrontierte, die verstehen will und inmitten von Trümmern sitzt. Werden einem da die eigenen Beziehungen nicht unheimlich?

Hüller: "Nee, mir wird nicht unheimlich, im Gegenteil, das wird viel offener, freier und klüger, hab ich das Gefühl. Ich hab das Gefühl, mit jedem Schritt, den ich da im Geiste mache, mit diesen Figuren zusammen, werde ich auch ein freierer Mensch und ein offenerer."

Die Schauspielerin Sandra Hüller macht jetzt erst mal Pause. Kann Sie das Festival dann auch genießen, schafft sie es, ins Kino zu gehen?

Hüller: "Nein, das schaff ich nicht, ich hab den Eröffnungsfilm geschafft und sonst, ich bin grad Mutter geworden und bin eigentlich eher zu Hause, also ich dürfte heute mal raus (lacht)."