Spenden und CO2-Kompensation

Kommentar: Gute Taten sind kein Ablasshandel

04:36 Minuten
Ein Mann fährt bei Sonnenaufgang mit einem Lastenfahrrad über einen Feldweg.
Das Auto auch mal stehen lassen und aufs Rad steigen: nichts als Heuchelei? © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Ein Kommentar von Barbara Bleisch · 07.04.2024
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Wer ab und an aufs Schnitzel verzichtet oder für ein Klimaprojekt spendet, handelt sich schnell einen Vorwurf ein: Alles nur moderner Ablasshandel, um das Gewissen zu beruhigen. Der Vorwurf ist falsch, meint Barbara Bleisch.
Manchmal komm ich mir vor, als lebten wir noch immer im Zeitalter der Reformation: Ständig wird auf den Ablasshandel geschimpft, als würden uns nach wie vor Kleriker auflauern, die mit unserem schlechten Gewissen gutes Geld verdienen. Wer nach seinem Tod nicht im Fegefeuer schmoren wollte, dem wurde – je nach Vergehen – der Kauf eines sogenannten Ablassbriefes nahegelegt. Das Geschäftsmodell florierte, und die Kassen der Kurie füllten sich.

Das Geschäft mit dem schlechten Gewissen

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Wer heute gegen den modernen Ablasshandel wettert, nimmt denn auch nicht länger raffgierige Mönche ins Visier. Dafür echauffiert man sich lauthals über den modernen Weg, möglichst tadellos durchs Leben zu kommen: Die WM-Spiele in Katar schauen und dafür für Amnesty International spenden; massenhaft Klamotten kaufen, und Ausrangiertes schön brav in die Altkleidersammlung legen; um die Welt jetten, aber die Flugreisen artig CO2-kompensieren. Das Geschäft mit dem schlechten Gewissen – floriert es nicht wie anno dazumal?
Zwar hofft heute wohl kaum einer mehr, sich auf diese Weise einen Platz im Paradies zu sichern. Aber lassen wir uns nicht nach wie vor weismachen, die weiße Weste lasse sich käuflich erwerben? Ganz nach dem Motto des Dominikanermönchs Johann Tetzel: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt!“

Ablasshandel: eine unzutreffende Analogie

So verbreitet die Analogie mit dem Ablasshandel scheinen mag, so unzutreffend ist sie. Das beginnt schon bei der Frage, wen wir wegen vermeintlichen Ablasshandels ins Visier nehmen.
Manchmal werden mit diesem Vorwurf Unternehmen bedacht, die CO2-Zertifikate anbieten. Tatsächlich wurden in jüngster Zeit in dieser Branche grobe Missstände aufgedeckt. Aber eine an sich taugliche Idee lächerlich zu machen, weil einige unsauber wirtschaften, greift zu kurz. Ansonsten könnten wir bald alle Banken schließen.
Meist richtet sich die Kritik des Ablasshandels in erster Linie aber an die Adresse jener, die ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollen, indem sie Zertifikate kaufen, eine Spende tätigen oder zur Altkleidersammelstelle marschieren. Wissen wir doch längst: Wer ethisch konsumieren will, konsumiert vor allem weniger; wer das Klima schonen will, verzichtet möglichst ganz auf Flugzeug und Auto.

Ein Ausdruck von Anstand und Respekt

Dennoch ist der Vorwurf des Ablassglaubens fehl am Platz: Die Absolution erteilt den Konsum- und Reiselustigen heute nämlich keiner mehr. Wer moralisch integer ist, gesteht sich ein, dass wir am Ende des Tages vor uns selbst geradestehen müssen. Sich dessen bewusst zu sein und hie und da sein Gewissen zu befragen, scheint mir nicht bigott, sondern Ausdruck von Anstand und Respekt. 
Zumal es in vielen Bereichen nicht möglich ist, unserer Verstrickung zu entgehen, indem wir unser Verhalten ändern. Wer zum Beispiel in Deutschland wohnt, hat einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck, allein wegen der uns umgebenden Infrastruktur. Die meisten nutzen Mobiltelefone, in denen Rohstoffe stecken, die unter menschenverachtenden Bedingungen abgebaut wurden. Und wie viele Konsumgüter werden nach wie vor unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen gefertigt? 

Spenden ist nicht heuchlerisch

Nicht immer allerdings steht eine Alternative zur Verfügung oder ist der komplette Verzicht möglich. Wer sich dann bemüht, mit einer Kompensation oder einer Spende zumindest ein bisschen abzufedern, dass wir von einer schädlichen und ungerechten Weltordnung profitieren, ist nicht heuchlerisch – zumindest solange nicht, als man sich gleichzeitig bemüht, das Unrecht, so gut es eben geht, zu unterlassen.
Der Vorwurf des Ablasshandels dient aber allzu oft nur einem Zweck: jene herabzuwürdigen, die sich redlich bemühen, anständiger durchs Leben zu gehen.
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