Spekulationsgeschäfte im Rathaus

Von Jan Uwe Stahr · 10.11.2008
Immer öfter wurden kurzfristige Geldgeschäfte an internationalen Finanzmärkten abgeschlossen, statt sich an langfristige Kredit-Zinsen der Hausbanken zu binden. "Aktives Schuldenmanagement" heißt diese moderne Strategie, mit der sich eine wachsende Zahl von Städten von ihren Schuldzinsen befreien wollten. Im nordrhein-westfälischen Hagen zum Beispiel hat man sich kräftig verspekuliert. Das niedersächsische Salzgitter dagegen hat mit seinem Schuldenmanagement bisher nur gute Erfahrungen gemacht.
Eine verkehrsberuhigte, gepflegte Innenstadt, schicke Shopping-Center, ein großzügiges neues Rathaus: Die Stadt Hagen in Nordrheinwestfalen. Doch der schöne Schein trügt. Die 195.000 Einwohner-Stadt hat gewaltige Geldprobleme, gehört seit Jahren zur Spitzengruppe der hochverschuldeten Kommunen. Der einstmals florierenden Industriestadt am Rande des Ruhrgebietes kamen in den letzten 20 Jahren viele Unternehmen abhanden und noch mehr Einwohner. Die Steuereinnahmen sanken dramatisch, die Ausgaben dagegen stiegen. Und damit die Schulden. Um sich von der erdrückenden Last zumindest ein wenig zu befreien, setzte die bedrängte Stadt auf ein sogenanntes "aktives Schuldenmanagement". Legte ihr geliehenes Geld in spekulativen Derivaten auf dem Finanzmarkt an, um es dort zu vermehren. Doch die Sache geht schief: Hagen verzockt sich gewaltig, versinkt noch tiefer im Schuldensumpf.

Frau: "Was ich denke, finde ich das ungeheuerlich, dass da 50 Millionen glaube ich, verspekuliert werden. Und ich hab gehört, dass der Oberbürgermeister auch darauf aufmerksam gemacht worden ist."
Mann: "Also ich bin der Meinung, da ist falsch gewirtschaftet worden. Also jeder einzelne, der hier was zu sagen hat, an der Spitze, der würde mit seinem Geld nicht so umgehen."

Die Hagener Bürger sind sauer auf ihre Stadtverwaltung und die Politiker, die mit ihrem "aktiven Schuldenmanagement", den gewaltigen Schuldenberg um weitere 50 Millionen Euro erhöhten, anstatt ihn abzubauen.

Mehlmann: "Wir haben zurzeit über eine Milliarde Schulden und wir häufen im Moment jeden Tag ungefähr 300.000 Euro zusätzlich an Schulden an."

... sagt Ralf Mehlmann von der Wählervereinigung Bürger-für-Hagen und zeigt auf die Homepage der Wählervereinigung. Unablässig dreht sich dort eine Schuldenuhr, zeigt für jeden ablesbar, den aktuellen Hagener Schuldenstand an. Mehlmann ist ein ehemaliges SPD-Mitglied. Er und seine Mitstreiter wurden von frustrierten Bürgern in den Stadtrat gewählt, die den Filz aus Politik und Verwaltung für die immer weitere Verschuldung verantwortlich machen. Von den riskanten Derivat-Geschäften der Stadtkämmerei erfuhren die Hagener Stadtverordneten am 14. Dezember 2006, auf einer Sondersitzung beim Oberbürgermeister.

Mehlmann: "Die sagten, sie hätten ein Derivatgeschäft aufgenommen und das wäre nicht so besonders gut gelaufen."

Zu diesem Zeitpunkt war der sogenannte "Spread-Ladder-Swap" schon mit 35 Millionen Euro im Minus. Auf Nachfragen erfuhren die Stadtverordneten dann, dass sich das Spekulationsgeschäft aber auch noch viel schlechter entwickeln konnte. Denn ...

Mehlmann: "Erstens: Es gab kein Kündigungsrecht von Seiten der Stadt, aber von Seiten der Deutschen Bank. Zweitens: Auf diesem Vertrag stand groß: Diese Vereinbarung hat ein unbegrenztes Risiko für die Stadt. - Als wir das das erste Mal gehört haben, im Dezember vor einem Jahr, haben wir es gar nicht glauben wollen, dass jemand so etwas unterschreibt. Ein 'unbegrenztes Risiko', also es hätten 200 Millionen, 500 Millionen, eine Milliarde, es war ein unbegrenztes Risiko, das stand da so drauf."

Im Stadtrat entschloss man sich, die Notbremse zu ziehen für das missglückte Geschäft mit der Deutschen Bank. In Form eines sogenannten "Caps" – einer nachträglichen Risikobegrenzung. Die Bank willigte ein, gegen eine Gebühr von über zehn Millionen Euro. Die Stadtkämmerin, die das gigantische Verlustgeschäft vor drei Jahren einfädelte, wurde abgelöst, wechselte zur Stadtverwaltung nach Aachen. Nun muss der neue Stadtkämmerer, Christof Gerbersmann, gegen das Schuldenmonster kämpfen.

Gerbersmann: "Wir haben das Geld nicht, um die Zinsen zu bedienen und müssen für diese Zinsen dann wieder neue Kassenkredite aufnehmen und dadurch rollt der Schneeball immer schneller."

Bereits Mitte der 90er-Jahre habe die Stadt deshalb angefangen, die Zinskosten durch ein aktives Schuldenmanagement – also mit Hilfe von Spekulationsgeschäften - zu drücken, sagt der 43-jährige Kämmerer, ein studierter Landschaftsplaner mit Bankerfahrung.

Gerbersmann: "Und bis zum Jahre 2005, 2006 ist das auch mit großem Erfolg hier betrieben worden. Es sind über zwölf Millionen Euro an Zinsbelastungen gespart worden. Im Jahre 2005 hat man dann zwei Derivatgeschäfte abgeschlossen mit der Deutschen Bank, die sich nicht so entwickelt haben wie damals von der Stadt Hagen, aber auch von Seiten der Deutschen Bank prognostiziert."

Immer neue Derivate wurden der Stadt zum Kauf angeboten. Komplizierte Finanzprodukte, mit denen die Banken weltweit handelten. Und die - wie man inzwischen weiß – dazu beitrugen, die Welt in eine unglaubliche Finanzkrise zu stürzen. Die Stadt Hagen versucht ihre verlorenen 50 Millionen Euro von der Deutschen Bank zurückzuklagen.

"Wir fühlen dort uns von der Deutschen Bank nicht ausreichend und korrekt beraten."

... sagt Kämmerer Gerbersmann. Doch die Richter sahen das anders. Zumindest in der ersten Instanz.
Hagen ist nicht allein. Viele Städte und Gemeinden sind beim Kampf gegen die immer erdrückenderen Schuldenlasten zu einem aktiven Schuldenmanagement übergegangen. Haben sich an den Finanzmärkten mit Derivaten eingedeckt, um damit ihre Zinskosten zu drücken. Und sind damit auf die Nase gefallen. Einer der immer wieder davor gewarnt hatte, ist Eberhard Kanski. 47 Jahre alt, studierter Volkswirt und Finanzexperte beim Bund der Steuerzahler in Düsseldorf.

Kanski blättert in seinen Unterlagen. Zieht einen Artikel hervor. "Die Rathausspekulanten" lautet die Überschrift. ..........

Kanski: "Da hab ich geschrieben: Man reibt sich die Augen, die eher zurückhaltenden Stadtkämmerer haben in großer Zahl das glatte Börsenparkett für ihre Städte entdeckt, doch handeln die kommunalen Kassenwarte nicht mit klassischen Aktien, sondern mit wesentlich komplizierteren Finanzprodukten. Man kauft und verkauft Zins-Swaps, Caps und Floors, Cross-Currency Swaps. Doch diese Finanzprodukte sind hochspekulativ, einer Wette vergleichbar. Und wer das schon mal gemacht hat, weiß, dass man nicht unbedingt gewinnt."

Eberhard Kanski legt seinen Artikel zur Seite. Er stammt bereits aus dem Sommer 2006. Damals schien die Welt der Finanz-Derivate noch in Ordnung

Kanski: "Ich bin damals sehr beschimpft worden für den Artikel. Der Fachverband der Kämmer, der hat mich dann eingeladen, der hat mich dann aufgefordert, ich sollte diesen Vorwurf von Rathaus-Spekulation zurücknehmen. Ich hab's nicht gemacht und ich hab gesagt, lasst uns mal zwei Jahre warten. Jetzt haben wir das Dilemma: Hagen hat Millionen Verluste, Dortmund, der Rhein-Kreis Neuß, die Stadt Neuss, Mainz, Würzburg – also ne Reihe von großen Gebietskörperschaften, Städten in Deutschland haben Millionen Verluste und versuchen die jetzt durch Klagen wieder reinzuholen."

Rund 700 Kommunen in Deutschland zockten mit im großen Finanzkasino. In glanzvollen Prospekten, Fachzeitschriften und Fachseminaren für Kämmerer wurden die Derivate als moderne Instrumente für das aktive kommunale Schuldenmanagement von den Banken beworben. Auch halbstaatliche Banken, wie zum Beispiel die WestLB, lockten Kommunen mit ihren Steuergeldern aufs glatte Börsenparkett. Inzwischen klingt die damalige Werbebotschaft vom "Sorglos-Paket" wie ein Hohn. Nicht nur Beratungskunden der Banken sind durch missglückte Spekulationsgeschäfte in große Schwierigkeiten geraten. Auch die Banken selbst. Denn der jahrelange Aufwind auf den internationalen Finanzmärkten hat sich gedreht. Ist zum Krisen-Orkan geworden. Mit gefährlichen Auswirkungen auch für die bei den Städtkämmerern so begehrten Zins-Swaps.

Kanski: "Swaps funktionieren immer dann, wenn wir eine normale Börse haben, wenn der langfristige Kapitalmarktzins höher ist als der kurzfristige Kapitalmarktzins. Nun haben wir heute eine sogenannte inverse Zinskurve, die beiden Zinssätze Lang und Kurz sind in etwa gleich hoch, da klappt es dann mit den Swaps an den Weltbörsen nicht mehr. Und wer diese Wetten geschlossen hat, der verliert heute regelmäßig. Ich wage die Prognose, dass noch viel mehr Städte in Deutschland Verluste, Millionen-Verluste mit Swaps machen werden."

Eberhard Kanski hält die meisten kommunalen Kämmereien schlichtweg für überfordert, sich auf den turbulenten Finanzmärkten eine unabhängige Zinsmeinung zu bilden. Der Bund der Steuerzahler fordert deshalb von den Stadtkämmerern unmissverständlich: Finger weg von spekulativen Geldgeschäften!

Es gibt aber auch Städte in Deutschland, die trotz weltweiter Finanzkrise nicht auf ihr "aktives Schuldenmanagement" verzichten wollen. Zum Beispiel die niedersächsische Stahlstadt Salzgitter. Mit ihren 106.000 Einwohnern und einer viertel Milliarde Schulden.

Hubrig: "Einen Swap … Okay. Und wie lange können Sie das halten? Okay.. ja ... hmm ... das auch richtig so, okay. Vielen Dank Tschüs."

Freitagmittag. Das Wochenende naht. Doch in der Kämmerei der Stadt Salzgitter wird noch konzentriert gearbeitet. Nicole Hubrig, sitzt in ihrem Büro. Telefoniert, tippt Zahlen in ihren Computer. Die Mitarbeiterin der Stadtkämmerei ist auf der Suche nach einem günstigen Millionen-Kredit. Bis um 11 Uhr 15 müssen die Banken ihre Angebote abgegeben haben. Für einen Kredit über rund 2,3 Millionen Euro.

Hubrig: "Also wir schreiben einmal den Kredit aus, die variable Finanzierung, und darüber legen wir ein Derivat, womit wir dann den Festsatz bezahlen, für sechs Jahre ist dies."

Mit einem sogenannten "Zins-Swap" kann man am Finanzmarkt einen schwankenden gegen einen Festzinssatz eintauschen. Schon seit einigen Jahren setzt die Stahlstadt Salzgitter auf solche und andere Derivatgeschäfte. Finanzderivate sind eine komplizierte Materie - aber sie helfen dem Stadtkämmerer Geld zu sparen beim Schuldenmachen. Kämmerer Ekkehard Grunwald zeigt mit dem Zeigefinger auf ein Blatt Papier mit zwei gezackten Kurven.

Grunwald: "Das ist die Zinsstrukturkurve von 1974 bis 2006. Und als ich im Jahr 2000 in die Stadt Salzgitter kam, habe ich mir das Kreditportfolio angeschaut und habe festgestellt, dass – bis auf eine kleine Ausnahme - wir immer Festzinskredite in der Stadt abgeschlossen haben."

Kredite mit festen Zinssätzen und langen Laufzeiten, ausgegeben zumeist von einer Hausbank. Das war der klassische Kommunal-Kredit. "Schon seit Julius Caesars Zeiten" scherzt Grunwald. Der gelernte Bankkaufmann und Jurist tippt mit dem Finger auf die rote Linie in der Zinsstruktur-Kurve. Sie zeigt die variablen Zinssätze. Schwingt über die Jahre auf und ab, ebenso wie die blaue Kurve, die der Festzinsen. Allerdings liegt die rote Linie fast immer unter der blauen. Und das bedeutet: Kredite mit kurzen Laufzeiten sind – zumindest über die Jahre betrachtet - meistens billiger. Aus dieser Erkenntnis hat Ekkehard Grunwald für Salzgitter die Konsequenzen gezogen. Weg vom klassischen Kommunalkredit hin zum gemanagten Kurzzeitkredit

Grunwald: "Das bedeutet, dass wir uns ganz bewusst dafür entschieden haben, Tag für Tag uns um unsere Verbindlichkeiten und Schulden zu kümmern. Und eben wegzugehen von der tradierten Handlungsweise, dass man einen Kredit für zehn Jahre fest aufnimmt und sich dann aber auch zehn Jahre nicht mehr darum kümmert, ob die Zinsstruktur nicht zu optimieren wäre oder anzupassen wäre."

Der mögliche Spareffekt beim "aktiven Schuldenmanagement" wird erkauft, durch ein erhöhtes Risiko. Verschätzt sich der Kämmerer bei der Zinsentwicklung, kann der Kurzzeitkredit plus der Swap aber auch teurer werden als angenommen. Auch Ekkard Grunwald und seinem Team ist das schon passiert. Dennoch: Spekulations-Pleiten, wie in Hagen oder anderen Städten, seien in Salzgitter ausgeschlossen, sagt Kämmerer Grunwald. Denn bei der Umstellung auf das "aktive Schuldenmanagement" habe man ganz klare Handlungsanweisungen definiert, zusammen mit den Experten von der Deutschen Bank.

"Wenn ein Geschäft uns angeboten würde oder wurde, in dem der Satz steht, das theoretisch das Zinsrisiko in der Höhe unbegrenzt ist. Also, dass wir rein theoretisch zehn, fünfzehn, zwanzig Prozent Zinsen zahlen müssen, dann ist das ein klarer Verstoß gegen unsere Bedingungen. Das Geschäft wird bei uns nicht abgeschlossen."

Nicht gespart hat man in Salzgitter bei der fachlichen Schulung des Kämmerei-Teams in Sachen Derivate.. Auch die Ratsmitglieder im Finanzausschuss wurden auf spezielle Workshops geschickt. Jeder soll in der Lage sein: Risiken und Chancen beim Schuldenmanagement zu beurteilen. Denn Kämmerer Grunwald legte von Anfang an großen Wert auf Transparenz bei seinen Spekulationsgeschäften. Der Erfolg gibt ihm recht – zumindest bisher: Über 4,5 Millionen Euro an Zinszahlungen konnte die Kämmerei der Stadt ersparen. Allerdings, räumt Ekkehard Grunwald ein, habe man sich von der bisherigen Schulden-Strategie wegen der anhaltenden Krise am Finanzmarkt verabschiedet. Die bisherigen Drei-Monats-Kredite sind nun zu teuer.

"Wir sind dann umgeswitcht auf die Tagesgeld-Finanzierung und liegen dann natürlich mit dem Tagesgeld wieder weit unten drunter und haben da eben wieder profitiert, also da muss man mal seine Entscheidung revidieren und sich neu orientieren."

Von einer Kreditklemme merke die Stadtkämmerei auch in diesen turbulenten Zeiten nichts, sagt Grunwald. Die Banken leihen der Stadt inzwischen noch lieber ihr Geld als anderen Banken.

Zurück im Büro von Nicole Hubrig.

Hubrig: "Hubrig. Hallo Herr Wenderla, ich würde dann gern den Swap mit Ihnen abschließen. Ja , mmmh, ... Die Zinsen machen wir dann über Abbuche ..."

Sachbearbeiterin Nicole Hubrig hat den Millionen-Kredit und den Zins-Swap für das niedersächsische Salzgitter unter Dach und Fach. Im nordrhein-westfälischen Hagen dagegen, wo man so schlechte Erfahrungen mit seinem "aktiven Schuldenmanagement" machen musste, sind dem Stadtkämmerer jegliche Derivate-Geschäfte bis auf weiteres verboten.