"Speer und Er"

Moderation: Eckhard Roelcke · 06.05.2005
Anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes präsentiert die ARD einen Dreiteiler über das Leben von Hitlers Architekten und Rüstungsminister Albert Speer. Dabei wird das selbst entworfene Bild Speers in Frage gestellt. Denn Speer habe sich nach 1945 neu erfunden, so Filmemacher Heinrich Breloer.
E. Roelcke: ... und er meint damit den vierteiligen Dokumentarfilm, der in der kommenden Woche in der ARD ab dem 9. Mai gezeigt wird. Am Telefon ist nun der Filmemacher, der Dokumentarfilmer Heinrich Breloer. Herr Breloer, man debattiert, in dem man Thesen diskutiert, neue Thesen diskutiert. Mit welchen Thesen entfachen Sie denn die Debatte um Albert Speer neu?

Breloer: Filme sind ja keine Thesen, Spielfilme auch nicht. Sie könnten daraus abgeleitet werden. Wir laden die Zuschauer ein, in einer Suchbewegung, die der Film macht - wir machen da kein Behauptungs- und Ergebnisfernsehen - diesem Leben noch einmal zu folgen, diesem Leben, dass Albert Speer in seinen genialen Autobiographien so wunderbar hingeschoben und hingefälscht hat, so eine Art Engel, der aus der Hölle kam und man kann nun mit einem sympathischen jungen Mann erleben, wie er in die Nähe Hitlers gerät, zum größten Baumeister des Dritten Reiches aufsteigt, wie er schließlich Rüstungsminister wird, wie er seine Strafe bekommt, 20 Jahre abbüsst und dann noch einmal eine neue Karriere startet und sich jetzt nun endgültig seinem Wunsch entsprechend in das Buch der Geschichte einträgt, nicht als Architekt, nicht als Rüstungsminister, sondern als Bestseller-Autor.

All das wird immer wieder konfrontiert mit Dokumenten und daraus ergeben sich sehr, sehr viele Fragen an diesen Mann, die ich auch an die Forschung weitergebe - ich bin ja kein Historiker - oder an die Kollegen, die den Fall nun diskutieren. Nur eines ist sicher, dieses geschönte Bild des Albert Speer, dass er in Millionenauflage auf der ganzen Welt verbreitet hat, von sich und von Hitler, diesen Speer, den er nach 45 neu erfunden hat, um weiterleben zu können, der sollte und kann glaube ich, so nicht weiter überleben.

Roelcke: Also kein Behauptungsfilm, kein Thesenfilm, aber neue Fragen, die gestellt werden? Welche Fragen sind das?

Breloer: Das sind die Fragen im Zentrum erst mal nach dem Geheimnis der Verführbarkeit. Wo steigt ein junger Mensch ein, der vielleicht eine Garage gebaut hat und noch mal ein kleines Haus, ein Architektenassistent bei einem berühmten Architekt, dem es also gut geht, Millionärssohn, warum steigt der 1930 in diese Partei ein, begibt sich in die Nähe des Führers und lässt sich Schritt für Schritt in große Verbrechen verwickeln und wird selbst einer der großen Kriegsverbrecher?

Das muss man versuchen herauszubekommen, in dem man die Menschen beobachtet, in dem man mit ihnen privat ist in diesen Szenen. Wie war das Leben am Obersalzberg? Wie war das Verhältnis Speer und Hitler? Dann Fragen wie: Was hat er verschwiegen? Was können wir zeigen?

Seine Verantwortlichkeit für das Konzentrationslager Dora, aber schon früher, als Künstler, denn seine These war ja, "Ich bin der verführte Künstler", der aber letztlich nur, weil er zufällig neben Hitler stand (…), der Rüstungsminister, und "da zeigte der so auf mich und dann habe ich es halt gemacht, aber nur mein Amt ausgeführt, nichts Böses gemacht". Aber wir sehen in dem Film: Schon als Künstler, als Architekt, gründet er mit der SS Konzentrationslager. Er kreditiert die Lage als Generalbauinspektor von Berlin und die SS zahlt mit Steinen zurück, denn der Bedarf war enorm.

Da schon schiebt er sich dann, als der Krieg beginnt, mit seiner Transportflotte schwer in den Krieg hinein, baut an der Durchgangsstrasse 4 eine Art wandelndes Konzentrationslager im Osten, um die Ölquellen in Bakut zu erschließen. Er ist schon lange, viel früher, an den Verbrechen beteiligt, als er uns das erzählen wollte. Und dann als Rüstungsminister ist er der Chef von dem Konzentrationslager Dora, in Nordhausen, dort wo die V2 in den Höhlen gebaut wird, diese Science Fiktion Szenen, wo die großen Raketen in der Tiefe des Bergwerkes von Sklaven gefertigt werden, und er ist beteiligt am Ausbau des Lagers Auschwitz, wie es in der Akte heißt, zur Sonderbehandlung und das konnte doch nur heißen, zur Ermordung.

Und dann sagt er uns noch '69 im Fernsehen, hat also die Kraft Joachim Fest, seinem Biographen, live im Fernsehen zu sagen, er habe Auschwitz nicht gekannt. Das sei ihm erst nach dem Krieg bewusst geworden, was dort geschehen war: "Glauben Sie mir, das Geheimnis kannte ich nicht wörtlich, dass Hitler vor uns allen hütete".

Und das war ja im Grunde auch einer der Tricks, mit denen er '69 unter anderem seinen Erfolg hatte, dass viele das als eine Art Entlastungsnazi für viele andere - die nun von uns damals den 68ern gefragt wurden, "Wo wart ihr denn im Dritten Reich? Was habt ihr denn gewusst?" Dann sagten sie, "Sehen Sie, wenn der Freund des Führers, der Rüstungsminister - der hat es nicht gewusst, guck mal, wie der das beschreibt. Woher sollte ich das gewusst haben? Wir hatten alle nur eine Ahnung." Das war nicht unbeliebt, als er mit diesen Thesen auftrat.

Roelcke: Wenn dieses Material, dass Sie jetzt in diesem Vierteiler neu entfalten, wenn dieses Material bei den Nürnberger Prozessen bekannt gewesen wäre, hätte das zu einem Todesurteil für Albert Speer geführt?

Breloer: Es war eh ganz knapp. Ihm war es gelungen, die Millionen Fremdarbeiter, die ja hier verheizt wurden in der Panik der Niederlage, am Ende skrupellos Zehntausende, das alles auf den (…) zu schieben, der für die Beschaffung zuständig war, der gehängt wurde. Wir konnten die Protokolle sehen, die so genannten Bill Papers, die wir aus New York rübergeholt haben aus dem Nachlass des Richters Biddel und sahen, wie knapp die Entscheidung war. Noch in der Nacht vor der Urteilsfindung, war noch eine Todesstrafe ausgesprochen worden und dann ist ein Richter umgefallen. Man weiß noch gar nicht ganz warum, und so kam man zu 20 Jahren.

Aber summa sumarum, wenn die das gewusst hätten, was wir heute wissen - und das sind ja auch nur erste Ergebnisse, vielleicht geht ja die Forschung noch weiter - dann hätten sie gar nicht nach ihren eigenen Spielregeln anders gekonnt, als auch Albert Speer am Strick aufzuhängen.

Roelcke: Wie hat das denn Albert Speer nach dem Krieg hinbekommen, sein Bild so zu schönen, so zu inszenieren? War das eine Leistung von ihm, oder war das ein Versäumnis der Gesellschaft, die das auch gerne so angenommen hat?

Breloer: Da kommen, bei dieser interessanten Frage, sehr viele Faktoren zusammen: Wie viel hat er verdrängt? Wie viel hat er in dem Schock der Niederlage vergessen, einfach weggeschoben? Sie haben einen blutigen Traum von Größe und Macht geträumt, er und sein Freund Hitler. Sie haben geglaubt, für Jahre jenseits aller Schranken der Zivilisation Völker überrennen, ausrotten zu können. So ist das, wenn man große Reiche macht. Er hat ihn ja für Alexander den Großen gehalten, seinen Freund Hitler, oder für Friedrich den Großen, unter dem hat man es ja nicht getan und dann war das auch eingeschlossen, dass bei der Gründung großer Reiche Völker zu verschwinden haben.

Und dann, als er aufwachte 1945, der Krieg war verloren, die Leichen lagen da, die KZs wurden gefunden, da wollte er so nicht dabei gewesen sein. Nur als Künstler vielleicht, ein wenig, dann als Mahner und dann zum Schluss als Retter Deutschlands und vielleicht hatte er in dem Schock auch Teile abgespalten. Ich darf Ihnen sagen, als ich ihn '81 kennen lernte, diesen freundlichen, sympathischen ganz ehrlich wirkenden Herrn, hatte man das Gefühl, wenn er über den Speer vor '45 sprach, redet er wie über eine andere Person, " Ja, er hätte es wissen müssen, Sie haben Recht...", zu der er fast gar keine gefühlsmäßige Verbindung hatte, so mit Schrecken und Erbleichen, was der alles getan haben könnte.

Und dann ist aber auch viel Absicht dabei. Wenn man sieht, wie er im Gefängnis ab den frühen 50ern anfängt, sein Leben aufzuschreiben, auf kleinen Papieren, zum Teil Toilettenpapier, Luftpostpapier, das rausschmuggelt. Da ist schon die Absicht da: "Ich habe meinen sehnlichsten Wunsch, in die Geschichte einzugehen verpasst als Architekt", das sind Ruinen, die sind nicht gebaut, "als Rüstungsminister habe ich es verpasst, aber jetzt als Bestseller-Autor" - den plante er nämlich, den großen Coup, "werde ich es schaffen". Und da fing er an, seine Legenden aufzuschreiben und als Meister der Auslassung und Kleinverdrehung sein Leben so hinzustellen, dass er, wie Siedler das einmal sagte - "Ja, Sie sind der Engel, der aus der Hölle kam" - das war das Image.

Roelcke: Heinrich Breloer, wir sprechen über Ihren neuen Film "Speer und er". Soweit hätte ich dieses Gespräch auch mit einem Historiker wahrscheinlich führen können, doch Sie sind kein Historiker, der Bücher schreibt in erster Linie oder Artikel veröffentlicht, Sie sind Filmemacher, Dokumentarfilmer. Sie können die Geschichte konkret in Bildern, mit Bildern darstellen. Erleichtert das die Arbeit, Ihre Arbeit als Aufklärer?

Breloer: Es ist ja ein ganze andere Art von Arbeit - das ist auch das Missverständnis, dass ich jetzt höre, das hier oder da ein Historiker sagt, da fehlt aber das, da fehlt aber das... Sie müssen auswählen, es ist ja eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, mit diesem Paar, dem Liebespaar Hitler und Speer, die eine ganz besondere Beziehung haben und sie müssen für diese Szenen, wenn die beiden miteinander über das Weltreich träumen, wenn sie träumen, begeistert vor den Modellen eines großen, gewaltigen Germania Berlin stehen, eine Kuppel mit 300 Meter Höhe fast und 180.000 Menschen, die Volkshalle, dann muss man mit künstlerischen Mitteln, in dem man, wie Sie sagen, Bilder dafür findet, versuchen, diese Geschichte so möglichst nachvollziehbar zu erzählen.

Eine Suchbewegung eben und nicht eine Art Behauptungsfernsehen, das jetzt alle Fakten runterlässt. Dafür muss man Bilder finden, eine Dramaturgie finden, den Rahmen finden - das ist der Nürnberger Prozess, in dem erzählt er jetzt sein Leben, während der Prozess abläuft. Das ist Teil 1, Teil 2 - und Sie ihm fast nahe auf die Spur kommen, aber eben doch nicht alles finden, weil die Greif- und Suchtrupps ja nur wenige Monate Zeit hatten, Material für die Anklage zu finden. Wie er sich da rausstiehlt und die Rückblenden zeigen dem Zuschauer, was das Gericht hätte wissen können. Und wie geschickt er sich herauslügt. Das ist also in erster Linie eine künstlerische Aufgabe.