Special Olympics

Besonders begabt

Von Wiebke Keuneke · 05.06.2016
Marco Stüber ist leidenschaftlicher Sportler. Seine Königsdisziplin ist der 50-Meter-Lauf. Im Oktober 2014 holte er den dritten Platz bei den Special Olympics in Düsseldorf, bei den Olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Behinderung. Reporterin Wiebke Keuneke hat ihn begleitet.
Marco: "Und du hast dir extra heute Zeit genommen, um mich mal unter die Lupe zu nehmen?"
Wiebke: "Finde ich gut, dass du Zeit hattest heute. Guck mal hier sieht man dann immer unsere Stimmen. Siehst du das?"
Marco: "Wo?"
Wiebke: "Da diese kleinen Striche, die dann immer so, wenn ich jetzt hier so ohhhh dann wird’s lauter, dann sieht man den Strich, wie er immer größer wird und wenn wir ganz leise sprechen, dann ist der Strich ganz kurz. Jetzt sag mal laut was."
Marco: "Halloooo!"
Wiebke: "Super. Gehen wir mal wieder rein, ist zu kalt, oder."
Ich habe Marco Stüber schon einmal beim Lauftraining besucht. Daher kennen wir uns. Heute – drei Tage vor den Special Olympics in Düsseldorf – besuche ich ihn dort, wo er lebt. In einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Weil Marco geistig behindert ist, muss seine Mutter ihr Einverständnis geben. Deshalb ist sie am ersten Aufnahmetag dabei.
Wiebke: "Was macht ihr denn hier gerade?"
Marco: "Wir haben den Koffer schon eingepackt."
Wiebke: "Und was hast du eingepackt?"
Marco: "Zehn Unterhosen, sechs Unterhemden, sechs Socken, T-Shirts, Sportanzug, zwei Turnschuhe, eine Bettunterlage, Windeln…"
Mutter: "Ok, das schneiden wir raus." (lacht)
Mutter: "Marko hat eigentlich ne angeborene Muskelschwäche, ungeklärte Ursache. Leider sind nicht nur seine Muskelzellen von der Erkrankung betroffen, sondern auch die Hirnzellen, sodass die Entwicklung auch verzögert ist."
Marco: "Aber nicht alles rausschneiden, oder?"
Wiebke: "Ne, versprochen, ich lass Vieles drin, aber wenn du so drauf fasst, dann ist das wie als würde jemand mit dem Hammer auf den Kopf hauen.
(Marco lacht.)

Berührung mit dem Mikrofon

Die Frage, was ich wegschneiden soll, um niemanden vorzuführen, wird mich bei dieser Sendung begleiten, wie bei keiner anderen. Die Aussage über den Inhalt des Koffers – samt Windel – darf ich aber dann doch drin lassen. Das gehört ja zu Marco dazu, sagt seine Mutter. Genauso wie seine Neugier. Mir wird bewusst, wie selbstverständlich die Menschen, die ich sonst interviewe, akzeptieren, dass ich das Mikrofon halt und sie es nicht berühren dürfen. Aber für Marco ist das alles ungewohnt und aufregend.
Marco: "Jetzt zeige ich dir das mal."
Mutter: "Aber nicht mit den Händen ran, das stört."
Wiebke: "Wenn du drauffasst, kann man deine Stimme nicht mehr hören. Wir müssen uns vielleicht darauf einigen, dass du hier immer reinsprichst, aber es nicht in die Hand nimmst, ok?"
Marco: "Ok."
Wiebke: "Dass das rot blinkt, das ist immer ein gutes Zeichen. Das ist gut, dann kannst du mich dran erinnern, wenn es nicht rot blinkt, dann habe ich vergessen es anzuschalten."
Mutter: "Dann nimmt es auf."
Wiebke: "Anfassen geht gar nicht."
Mutter. "Das gibt Geräusche."
Wiebke: "Bist du eigentlich aufgeregt vor Düsseldorf?"
Marco: "Ja, ich kann schon kaum schlafen und du auch?"
Wiebke: "Ja, ich bin auch schon ein bisschen aufgeregt."
Der Tag vor der Abreise nach Düsseldorf ist noch ein ganz normaler Arbeitstag für Marco. Er arbeitet in einer Spielzeugwerkstatt in Kreuzberg. Marco und seine vier Arbeitskollegen sitzen an großen Holztischen und haben verschiedene Aufgaben. Ich darf Marco über die Schulter sehen, wie er bunte Berliner Miniatur Fernsehtürme aus Holz in Tüten einpackt. Dabei unterhält er sich mit seiner Lieblingskollegin Marina, die ihn wieder einmal davon überzeugen will, sie zum Singletreff zu begleiten.
Marina: "Marco, du bringst mich völlig durcheinander."
Marco: "Bist du verliebt, Marina?"
Marina: "Aber nicht in dich, in jemand anders."
Marco: "Ich möchte aber, dass du mein Freund bist."
Marina: "Ja, aber da kriegst du ne Partnerin und da kannst du alles mögliche machen, mit ihr ausgehen, mit ihr Essen gehen, mit ihr ins Kino gehen, mit ihr tanzen gehen."
Marco: "Und schmusen!" (alle lachen)
Marina: "Da ist auch Liebe dazu und was anderes noch dazu. Bei Marco ist das so, dass er mehr will als die Frauen, langsam angehen wollen, und Marco ist ja so ein schneller Typ, weil um das Sex so geht. Marco muss langsam machen, dass er Gefühle kriegt, aber kriegt er nicht, wenn er immer so viel zu schnell macht bei die Frauen, Marco!"

Aufregende Zugfahrt nach Düsseldorf

Erzählerin: Der Tag der Abreise ist gekommen. Susanne Wittig ist die Trainerin der Gruppe und wartet schon am Bahnsteig. Neben Marco sind auch seine Teamkollegen Fabian, Jürgen, Henri, Martina, Sabrina, Christa und Alan mit von der Partie. Alan Lehmann wird die gesamte Zugfahrt über schlafen. Marco ist dafür zu beschäftigt.
Marco: "Hallo Mutti, wir fahren schon. Vier Stunden und 20 Minuten."
Mutter: "Ihr habt wahrscheinlich schlechten Empfang"
Marco: "Wir haben guten Empfang."
Mutter: "Alles klar, mein Süßer, dann eine schöne Fahrt."
Marco: "Wenn wir angekommen sind, ruf ich nochmal an."
Mutter: "Tschüss, mein Süßer."
Marco: "Tschüss."
Susanne: "Hast du deinen ganzen Proviant schon aufgegessen."
Marco: "Ja."
Susanne: "Wir sind noch nicht mal zwei Stunden gefahren."
Marco: "Aber fast. Ich vermisse schon meinen Ordner."
Die Koffer von Marco und seinen Sportlerkollegen sind bereits zuvor nach Düsseldorf geschickt worden. Das macht die Zugfahrt unkompliziert. Aber in Marcos Koffer ist auch der schwere Ordner, der für ihn so wichtig ist. Marco hat sich alle Seiten der Homepage von den Special Olympics ausdrucken lassen und in dem Ordner abgeheftet. Es beruhigt ihn ungemein, immer wieder das Programm zu lesen, in dem steht, was auf ihn zukommt.
Marco: "Ziemlich traurig bin ich jetzt. Ich hoffe nicht, dass es ausgepackt wurde."
Bei so viel Anspannung greift Marco wieder zum Telefon.
Marco: "Oh, ich habe nen guten Empfang hier."
Susanne: "Aber du musst jetzt nicht alle fünf Minuten deine Mama anrufen?"
Marco: "Nein, aber vielleicht … Oh, jetzt ruft sie an! Hallo, Mutti!...Ja, wir kommen jetzt langsam an, halbe Stunde, dann sind wir da. 12 Uhr 16 kommen wir an! Heute Abend ruf ich wieder an! Tschüss!"

Herr Lehmann kehrt um

Uhrzeiten und jegliche Art von Ordnung sind für Marco sehr wichtig. An der Hotelrezeption in Düsseldorf packt er sogleich alle Listen ein, die er finden kann: Zimmerpreise, Speisekarten, Servicenummern. Noch am gleichen Tag macht sich die Gruppe um Marco auf zur Eröffnungsfeier in der größten Veranstaltungshalle Düsseldorfs. Und mit ihnen strömen mehr als 5000 Athleten anderer Sportvereinen in ihren bunten Trikots herbei. Zu viel Trubel für Herrn Lehmann. Bereits vor der Halle.
Susanne: "Die Situation ist, dass der Alan, wie befürchtet, Angst hat in diese große Halle zu gehen und dann ist da auch nichts mehr zu machen. Er will es auch nicht versuchen, obwohl er so einen wunderschönen Ohrenschutz dabei hat. Aber das ist halt auch oft bei Menschen mit Down-Syndrom, dass sie sich nicht mehr abbringen lassen von ihrer Meinung und er will am liebsten jetzt nach Hause."
Wiebke: "Alan, wie geht es dir denn jetzt grade?"
Alan: "Ich bin nervös. Weil ich Angst habe. Schwitzen. Ohren abfliegen!"
Wiebke: "Du hast Angst, dass dir die Ohren abreißen, weil es so laut ist?"
Alan: "Ja! Ich habe Angst. Ich will das nicht."
Susanne: "Aber wenn du die Ohrenschützer aufsetzt, dann hörst du nichts mehr."
Alan: "Nein, nein, nein, nein – ohne mich. Oh nein, ich gehe nicht."
Susanne: "Ist alles gut, Du musst nicht rein. Alles gut!"
Alan: "Ich will ins Hotel zurück."
Susanne: "Ja."
Trainerin Susanne kann nur schlecht verbergen, dass sie traurig ist. Sie hätte sich für ihre Gruppe gewünscht, dass sie die pompöse Eröffnungsfeier alle gemeinsam erleben können – das schweißt zusammen. Doch noch wichtiger ist ihr, dass es Herrn Lehmann gut geht. Andreas, der andere Betreuer geht mit ihm zurück ins Hotel. Alle anderen fiebern der großen Zeremonie entgegen.
Sabrina: "Super, ich habe noch nie so viele Sportler auf einmal gesehen. Gefällt mir richtig gut!"
Fabian: "Wir sind aufgeregt."
Marco: "Wo sitzt denn du? Wo sitzt denn du?"
Wiebke: "Ich sitze eine weiter hinter euch."
Marco: "Ja, aber das muss…das muss richtig eingeordnet werden, die Sitzplätze."
Wiebke: "Sitzen wir genauso, wie es in der Mappe vorgesehen war?"
Marco: "Ja. Wir sitzen hier! In einer ganzen Reihe. Eigentlich müsste die Reihe jetzt so stimmen."
Wiebke: "Das heißt, du hast deinen Ordner mitgebracht?"
Marco: "Ja!"

Die große Eröffnungsfeier

Erzählerin: Nach Bundesländern sortiert, sitzen die Sportler auf den Rängen und verfolgen gespannt die Bühnenshow. Trommelgruppen, Kinderchöre, Fantasiefiguren auf Stelzen und das flackernde olympische Feuer – all das steigert die Vorfreude auf den großen Moment: die offizielle Eröffnung.
Marco: "Wo bleibt die Fahne?"
Wiebke: "Welche Fahne denn eigentlich?"
Marco: "Na, wo das Ganze jetzt endlich eröffnet wird?"
Wiebke: "Du, kannst du mal erklären, was gerade passiert?"
Susanne: "Also, was halt nicht im Programm steht … ne, Marko, is ja komisch, dass Starlight-Express vom Musical ein Ausschnitt gezeigt wird, live auf Rollschuhen. Aber im Programm steht, etwas ganz anderes, ne Marko! Was müsste jetzt eigentlich kommen?"
Marco: "Die Fahne von Olympia …"
Susanne: "Die besonders große Fahne, ne?"
Marco: "Ist nicht da! Haben Sie wahrscheinlich noch nicht."
Moderator: "Berlin und Brandenburg?"
Alle: "Jaaaaa!"
Marco: "Wir waren richtig laut, als wir aufgerufen wurden! Aber jetzt geht´s noch weiter."
Moderator: "Jetzt kommt er, der große Moment, bitte schön, Ulla Schmidt …"
Schmidt: "Ich erkläre die Special Olympics Düsseldorf 2014 offiziell für eröffnet!"
Alle: "Jäääää!"
Marco: "Jetzt sind die Special Olympic Spiele eröffnet."
Marco: "Morgen früh noch mal kurz vorm Wettkampf meine Muttichen anrufen."
Wiebke: "Und hast Du die heute schon angerufen?"
Marco: "Nee, heute darf ich nicht, morgen erst wieder, jaja."
Marco und seine Mutter haben Tage verabredet, an denen er sie anrufen darf. Als ich das höre, muss ich kurz schlucken. Aber für seine Mutter ist es eine Verschnaufpause und für Marco vermutlich der beste Weg um zu lernen, Aufregung auch mal alleine auszuhalten. Schließlich habe ich seinen Drang, alle seine Erlebnisse gleich zu teilen, selbst auf der Reise erfahren. Mein Kopf brummt von seinen vielen Fragen. Es ist fast Mitternacht, als ich die Trainerin Susanne in ihrem Hotelzimmer zum ersten Mal alleine sprechen kann.

Von den Schwierigkeiten mit den Sportlern

Susanne: "Also man ist dann schon körperlich sehr erschöpft. Wenn man sich dann ins Bett legt und eigentlich schlafen möchte und irgendeine Tür auf dem Flur geht im Hotel ... dann ist man dann doch noch immer so aufm Sprung, ob das einer von unseren Sportlern ist, ob irgendwas ist. Und da haben wir so Klebchen an die Türen dran gemacht, mit Blümchen und Sternchen damit die Sportler auch erkennen können, wo wir sind! Weil: Manche können ja auch nicht lesen. Und gerade bei Alan, das beruhigt den total. Der weiß jetzt ganz genau, wo mein Zimmer ist. Is ja neben ihm. Der Alan klopft dann morgens, wenn er wach ist. Das klappt auch super gut. Und abends auch: Da bringen wir ihn natürlich ins Bett, das genießt er."
Wiebke: "Was gehört zu Alans Ins-Bett-geh-Ritual?"
Susanne: "Wirklich alles! Gemeinsames Ausziehen. Eventuell, dass er sich dann duscht, dass man aber dabei bleibt. Schlafanzug anziehen. Ihn ins Bett legen. Und alles zurecht legen. Und: Den Fernseher an! Ein bestimmter Sender, der muss dann laufen. Und das macht er dann aber auch selber kurz vorm Einschlafen aus."
Wiebke: "Und wie ist es bei Marco mit Ins-Bett-Gehen?"
Susanne:" Marco – bis zur Tür bringen. – Für Marco ist, glaube ich, viel wichtiger ne Verabredung für morgens zu treffen, ne Uhrzeit. Und dann stellt er sich selber den Wecker, das macht er alles selbst. Aber für den ist wirklich wichtig zu wissen, wenn er ins Bett geht, wie es am nächsten Morgen weiter geht. Das braucht er als Abschluss. Und dann geht er eigentlich direkt ins Bett. Marco braucht ... also der braucht auch viel Schlaf. Und gerade hier ist es sehr anstrengend für ihn."

Anspannung vor dem Wettkampf

Aber diese Nacht verläuft ruhig – und der Morgen beginnt für Marco so, wie am Vortag angekündigt.
Susanne: "Guten Morgen!"
Marco: "Hallo!"
Susanne: "Die Tina holt zwar den Kaffee, aber du gehst erst duschen. Und wenn du rauskommst aus der Dusche, hast Du Kaffee. Das ist doch mal richtige Service, oder?"
Marco: "Und dann können wir schön danach in Ruhe frühstücken."
Susanne: "Genau. Um halb neun wird der Raum auch leerer sein. Wollen wir mal ins Bad gehen, Marco?"
Susanne: "Soll ich Dir das höher stellen, die Brause. Ja, ne? Dann entschuldige,
Marko. Haben wir ein bisschen zu tief gestellt."
Marco: "Ja."
Susanne: "So und jetzt kannste ...noch ein Stück, warte mal. Ja, so !"
Marco: "Oh, schöööön."
Beim Frühstück in der Hotellobby merke ich, dass die Anspannung wächst, es gibt nur ein Gesprächsthema unter den Sportlern: die bevorstehenden Qualifikationsläufe. Während die meisten eher in sich gekehrt sind und ab und an die Trainerin mit organisatorischen Fragen löchern, kompensiert Marco seine Aufregung mit dem ein oder anderen Schabernack. Doch nicht jeder findet Marcos aufgekratzte Stimmung am Morgen zu Kaffee und Brötchen prima – es kommt zu kleineren Streitereien zwischen den Sportlern. Aber spätestens auf dem Sportplatz sind die Kabbeleien vergessen.
Marco: "Sport frei für alle!"
Wiebke: "Marco, hier bist du, bist du aufgeregt?"
Marco: "Nein, nicht so…ach."
Wiebke: "Worauf wartest du denn jetzt?"
Marco: "Dass endlich jetzt mal der Aufruf ist, ey, wenn sie eins, eins, neun, zwei aufrufen, dann muss ich da vorne, wo die Bank ist hier in diese Reihe hinsetzten, kannste du dabei sein...Siehste jetzt hat sie die Liste in der Hand und sie gibt jetzt die Liste weiter und da sind die Ehrenamtlichen."
Marco: "Jetzt hör zu." (Startschuss fällt in der Ferne)
Wiebke: "Wie ist das, wenn du den Schuss hörst?"
Marco: "Dann erschrecke ich mich immer. Naja wird schon."
Helfer: "Marco Stüber mit der Nummer eins, eins, neun, zwei."
Marco: "Der Startschuss, wie immer. Wir gehen jetzt erstmal dahin. Bisschen bin ich ja aufgeregt, aber geht ja alles gut."
Marco: "Aber der Startschuss wird jetzt laut." (flüstert)
Helfer: "Und die sieben wäre dann der Marco."
Marco: "Es geht um die Finale morgen. Perfekt, es geht los! Machst du ein bisschen leiser?"
Helfer: "Mach ich für dich...ruhig, bisschen ausschütteln, locker, wunderbar."
Marco: "Jetzt rutscht die Einlage auch noch…noch nicht!! Ich brauch noch nicht die Ohren zu halten."
Helfer: "Nein, nein, ich pass auf."
Marco: "Aber gleich halte ich die Ohren zu."
Helfer: "Ja, alles gut. Auf die Plätze, wieder alle vor zur Linie, fertig los!"

Lauf mit Hindernis

Marco nimmt die Finger aus den Ohren und läuft los. Ausgerechnet jetzt rutscht seine Hose – mit einer Hand muss er sie festhalten. Im Ziel warten Ehrenamtliche, die jeden einzelne Läufer in Empfang nehmen. Auch ich warte dort auf Marco.
Marco: "Ja. Puh. Habt ihr geguckt? Also morgen ist die Finale. Nehmt ihr das alles auf dem Video?"
Helfer: "Ja, damit wir dann die Zeit genau auswerten können."
Marco: "Da ist ein Kassenbon rausgekommen."
Helfer: "Das ist unser Protokoll."
Marco: "Kannst du mir das Protokoll mal zeigen, von meiner elf zweiundneunzig."
Helfer: "Vierzehn, vierzehn bist du gelaufen."
Marco: "Jetzt jetzt jetzt…und stop."
Helfer: "Fünfter."
Marco: "Und wo schickt ihr das hin?"
Helfer: "Das bewahren wir auf."
Marco: "Und dann steht es auf den ..."
Helfer: "Urkunden genau."
Wiebke: "Für die Urkunden brauchen sie die Bons, deswegen müssen sie die aufheben."
Marco: "Tschüss, wann sehen wir uns?"
Helfer: "Morgen wieder."
Susanne: "Super Marco und wie war's?"
Marco: "Gut, aber die Hose hat gerutscht."
Susanne: "Das hatten wir schon so oft gemacht, zusammenschnüren."
Marco: "Aber jetzt heute nicht. Ich hab die Ohrenstöpsel vergessen."
Susanne: "Marco, die sind aber wirklich lauter hier, hast du vollkommen Recht und trotzdem hast du es geschafft. Wir haben halt ganz oft geübt, dass er schon losrennt, während er die Finger aus den Ohren nimmt. Also eben sah es so aus, als ob er erst die Finger aus den Ohren genommen hat und dann losgerannt ist und deswegen wird er ein paar Sekunden verloren haben, aber das ist halt so. Aber du bist in der Bahn geblieben, super."

Mitläuferin Christa gewinnt Gold

Die Trainerin Susanne nimmt Marco in den Arm, reicht ihm aus seinem Turnbeutel eine Flasche Wasser. Die Startnummer muss so schnell wie möglich von Marcos Trikot entfernt werden, denn er ist davon genervt. Während Susanne die Nadeln öffnet, erzählt sie, was die anderen der Gruppe gemacht haben.
Susanne: "Christa, unsere Älteste ist ja auf für 50 Meter und sie ist losgerannt als auf der anderen Seite geschossen wurde für einen anderen Lauf und sie ist aber Gott sei dank nicht disqualifiziert worden."
Im Gegenteil – Christa darf nochmal starten. Mit Erfolg.
Christa: "Meine Schwester is det…Hallo, Marianne? Tach
Marianne! Ich habe gewonnen! Als erste Stelle!
Marianne: "Was hast Du gewonnen?"
Christa: "Ich habe gewonnen mit 50 Meter Lauf, als erste Stelle."
Marianne: "Das is ja Wahnsinn!"
Christa: "Ja, als erster Stelle sogar! Ich hab' Goldmedaille bekommen!"
Marianne: "Das is jadoll."
Christa: "Als erster Stelle in Düsseldorf! Ich habe ein Shirt gekooft, als Gewinner, als Erster! Schöne Grüße an meine Geschwister alle, dass ich gewonnen habe! Wir gehen essen jetzt – tschüss, Marianne!"
So viel Freude wirkt nicht nur ansteckend sondern macht auch hungrig. Neben den Sportplätzen ist in einer großen Turnhalle das Mittagessen für die Sportler aufgebaut. Alle stehen schon in einer langen Schlange und warten, dass es losgeht.
Susanne: "Marco kuschelt gerade mit dem Helfer, den er noch nie gesehen hat und ist ganz vernarrt glaube ich… der macht das sicherlich nicht zum ersten Mal. Die ehrenamtlichen Helfer sind auch super, unglaublich, kriege ich jedes Mal Gänsehaut."
Helfer: "Wir sind nur Helfer. Jetzt könnt ihr rein! Auf geht’s!"
Susanne: "Willst du Spaghetti Bolognese oder Gemüselasagne?"
Marco: "Gemüsesalagne und dann irgendwann noch..."
Susanne: "Nee, es gibt nur ein Gericht, Marco, und da brauchen wir auch leider nicht groß diskutieren."
Marco: "Dann nehme ich erstmal Salagne. So."
Marco: "Ich wollte mich nochmal bei den Organisatoren herzlich bedanken."

Die Sportler unter sich

Mein Blick schweift durch die volle Turnhalle. Tausende von geistig behinderten Sportlern haben an den Tischen Platz genommen, essen, lachen und erzählen sich von ihren Erfolgen. Ich frage mich, warum ich in meinem normalen Alltag so wenige geistig behinderte Menschen sehe, geschweige denn mit ihnen in Kontakt bin.
Susanne: "Was das Schönste ist an diesen Special Olympics, du siehst überall diese ganze besonderen Menschen. Und Du siehst auch unglaublich viel Menschen mit Down-Syndrom, wo ich nicht weiß, wie lange man die noch sehen wird. Und das ist so schön, Irgendwann wirst du kaum noch Menschen mit Down-Syndrom sehen, weil durch die Früherkennung, leider, können ja dann diese Kinder oder Embryos abgetrieben werden. Das tut mir im Herzen weh, wenn ich mir vorstellen, dass man sie irgendwann kaum noch sieht. Und das ist hier so schön, dass du sie überall siehst. Und was auch hier so besonders ist – und da krieg ich jetzt auch Gänsehaut: Bei den Special Olympics die ganze Woche ist einfach so ein Ausnahmezustand die Stadt; und man ist unterwegs mit seinem Sportverein und wird nicht schräg angeguckt. Wenn wir sonst in Berlin irgendwo hinfahren mit unserem Verein, wenn wir zum Beispiel Weihnachtsfeier machen auf der Bowlingbahn oder so – in der U-Bahn, überall: Wir werden angeguckt! Und das hier so schön bei den Special Olympics: Da guckt keiner. Weil so viel können die ja gar nicht gucken, die nicht-beeinträchtigten Menschen."
Marco: "Hallo Mutti! Ich habe den dritten Platz belegt heute …"
Mutter: "Haste ne Medaille?"
Marco: "Ja! – Bronze!"
Mutter: "Bronze-Medaille! Toll!"
Marco: "Das müssen wir echt mal feiern."
Mutter: "Du, wir wollten eigentlich morgen telefonieren. Oder hättest du heute Abend anrufen können, aber denn ist gut jetzt. Toll, super, wünsche ich dir weiterhin viel Spaß!"
Marco: "Äähm … Wollen wa ma ein bisschen uns unterhalten?"
Marco: "Ich melde mich am Freitag erst wieder, ok?"
Mutter: "Ich denke morgen?"
Marco: "Ach so! Ja! Donnerstag."
Mutter: "Allet klar!"
Marco: "Dann melden wir uns Donnerstag wieder?"
Mutter: "Jut, viel Spaß noch!"
Marco: "Viel Spaß noch, auch für dich! Tschüss! – Siehste: Mutti hat aufgelegt!"

Riesenfreude über den dritten Platz

Marco ist stolz – und glücklich. Und ich stelle fest: Ich bin es auch. Stolz auf die Sportler, stolz auf Marco und glücklich dabei gewesen zu sein. Sonst geht es ja doch immer nur um den ersten Platz: um höher, weiter, schneller. Bei den Special Olympics kommt jeder Teilnehmer in ein Finale. Jeder und jede soll und darf sich als Gewinner fühlen. Hier lag das Glück ganz woanders – und irgendwie ist es auf mich übergesprungen.
Marco: "Dritter Platz, dritter Platz."
Susanne: "Super!"
Marco: "Dritter Platz bin ich!"
Helfer: "Da bist du richtig, du darfst noch ein bisschen höher!"
Susanne: "Es ist so schön. Der dritte, Marco! Super!"
Marco: "Bronze…den dritten Platz."
Susanne: "Den dritten Platz, da hat sich das Training, komm mal her ich muss dich umarmen, da hat sich das Training gelohnt. Ich bin sehr stolz und Marco der kommt ja wirklich jeden Mittwoch, egal was ist, Marco kommt immer, auch wenn man ihn dann beim Training manchmal besonders motivieren muss, aber er kommt jeden Mittwoch zum Training."
Marco: "Dritter Platz. Wollen wir das heute Abend mal feiern? Alle zusammen?"
Susanne: "Ja!"
Helfer: "Und die Arme noch oben und jetzt wird gefeiert!"
Lied: "Ich kann alles schaffen, wenn ich nur will, nehm' mein Herz in die Hand und auf Richtung Ziel. Ich geb' mein Bestes, volle Kraft voraus. Ich hab keine Angst und nichts hält mich auf: Ich gewinn, ich gewinn, egal ob ich letzter, zweiter oder erster bin."