SPD-Verteidigungspolitiker Arnold warnt vor Grundsatz-Debatten über Afghanistan

Rainer Arnold im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Die Taliban beabsichtigten mit Angriffen auf die Bundeswehr in Afghanistan, dass die deutsche Politik die politische Unterstützung in der Heimat völlig verliere, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Er befürworte weiter den Einsatz am Hindukusch.
Jan-Christoph Kitzler: So langsam nähert er sich an das K-Wort. Anfang November hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg noch von kriegsähnlichen Zuständen in Afghanistan gesprochen. Am vergangenen Osterwochenende sagte er nun, man könne mit dem Blick auf die Lage am Hindukusch durchaus umgangssprachlich vom Krieg reden – mit der Betonung auf umgangssprachlich. Dabei ist die Umgangssprache vermutlich gar nicht angemessen, am Karfreitag waren drei Bundeswehrsoldaten in einem Hinterhalt getötet worden; insgesamt haben am Hindukusch schon 39 Soldaten ihr Leben gelassen. Und wie immer bei diesen traurigen Ereignissen: Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr geht wieder los. Dazu sagte der Verteidigungsminister am Sonntag:
[O-Ton zu Guttenberg]
Soweit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Darüber spreche ich jetzt mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Hat denn der Verteidigungsminister recht mit dem, was gerade zu hören war?

Arnold: Er hat sicherlich damit recht, dass wir uns nicht nach solchen tragischen und traurigen Ereignissen wie am Karfreitag immer wieder neue grundsätzliche Debatten an den Hals hängen. Wir wissen, dass Afghanistan gefährlich ist, unsere Gedanken sind bei den getöteten Soldaten, auch bei den afghanischen Soldaten und deren Familien, aber die Taliban wollen ja gerade, dass die deutsche Politik die Unterstützung in der Heimat völlig verliert. Und wenn wir jetzt mal nach solchen Debatten grundsätzlich diskutieren, machen wir sogar deren Arbeit. Und insofern, Afghanistan war richtig und bleibt auch nach den traurigen Ereignissen richtig und notwendig für die Menschen in Afghanistan, aber auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit.

Kitzler: Aber trotzdem brauchen wir in der Debatte natürlich mehr Ehrlichkeit – gehört zu dieser Ehrlichkeit nicht auch, dass man sagt, es wird weitere Opfer geben?

Arnold: Ich bin schon der Auffassung, dass es keinen absoluten Schutz gibt. Der Einsatz ist gefährlich, die deutschen Soldaten haben Aufträge, die eben außerhalb des Camps stattfinden, den Kontakt zu der Bevölkerung halten, viele Dinge klären, besprechen, zivile Aufbauprojekte mithelfen zu koordinieren; dazu müssen sie raus, dabei sind sie gefährdet. Das macht keinen Sinn, wenn sie nur in schwer geschützten Fahrzeugen sitzen bleiben und nicht aussteigen können. Deshalb gehört es in der Tat zur Ehrlichkeit, der Einsatz hat ein hohes Risiko eben im Bereich Kundus. Kundus ist allerdings nicht ganz Afghanistan. Wir haben den Fall Sabat (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll), wir haben den Masar-e Scharif, ein Umfeld, in dem wir eine relative Stabilität haben, in denen auch der zivile Aufbau durchaus vorangeht.

Kitzler: Die Frage ist ja auch, ob die Bundeswehrsoldaten die richtigen, die nötigen Mittel haben für ihren Einsatz – nicht nur der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hat kritisiert, dass unsere Bundeswehrsoldaten nicht richtig ausgerüstet sind. Stimmen Sie dem zu?

Arnold: Ich stimme dem im Grundsatz nicht zu. Ich bin auch sehr kritisch, wenn ehemalige Generale jetzt immer die schlauen Ratschläge geben, wenn sie in der Pension sind. Aber wir wissen natürlich schon, dass es ein paar Bereiche gibt, wo Defizite vorhanden waren, vor allen Dingen im Bereich der Hubschrauber. Dies würde in der Tat helfen, es ist allerdings so, die deutsche Wirtschaft konnte die bestellten Kampfhubschrauber Tiger nicht liefern. Ich hätte mir schon vor über einem Jahr gewünscht, dass man Lösungen zusammen mit anderen ISAF-Staaten anstrebt, dass Deutschland hier im Norden verstärkt wird mit Hubschraubern. Jetzt ist es allerdings so, die Amerikaner werden ja mit bis zu 2000 zusätzlichen Soldaten in die Unruheprovinz Kundus kommen und die bringen selbstverständlich auch die notwendigen Hubschrauber mit. Das heißt, dieses Problem ist geklärt. Ansonsten sollten wir nicht so tun, als ob eine andere Ausstattung letztendlich Anschläge mit Sprengsätzen mit Selbstmordattentätern verhindern könnte.

Kitzler: Auch der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe, der immer sehr nahe an der Truppe war, sieht Ausrüstungsmängel. Die Frage ist, gibt es überhaupt genug Expertise in der Bundeswehr, diese Debatte wird ja nicht erst seit gestern geführt?

Arnold: Ja, die Frage ist natürlich berechtig, weil nicht wir als Verteidigungspolitiker sollten und müssen definieren, was die Soldaten in Afghanistan brauchen, sondern das muss in der Tat der militärische Sachverstand tun und auf den müssen wir uns ein Stück weit verlassen. In der Vergangenheit war es so, wenn die führende Generalität Anforderungen für den Einsatz gestellt hat, vor allen Dingen Anforderungen, die dem Schutz der Soldaten dienen, hat der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss auch immer die Mittel dazu bereitgestellt. Die Expertise muss bei der Bundeswehr vorhanden sein und wir müssen uns auch ein gutes Stück weit darauf verlassen können.

Kitzler: Sie haben von den Mitteln des Wehretats gesprochen – jetzt ist ja gerade eine drastische Kürzung eingetreten im neuen Haushalt. Wie passt das zusammen mit den Anforderungen einer besseren Ausrüstung?

Arnold: Also diese Kürzungen sind in der Tat ein sehr, sehr ernsthaftes Problem und ich hab noch nie erlebt, dass über Nacht die Koalitionspolitiker diesen wichtigen Etat so gerupft haben, ich hab auch noch nie erlebt, wie ein Verteidigungsminister dies klaglos hat über sich ergeben lassen. Herr von zu Guttenberg hat dazu überhaupt nichts gesagt, er hat sich nicht gewehrt. Das ist eine sehr ernsthafte Situation. Die wird er nur bestehen können, wenn nicht bei der Ausrüstung gespart wird, sondern wenn die Bundeswehr nochmals eine Strukturreform macht. Bei der Einsparung muss es dann auch um Personal und Umfänge gehen und es geht natürlich immer darum, das wirklich Wichtige zu priorisieren, und das wirklich Wichtige ist all das, was die Soldaten im Auslandseinsatz brauchen, ganz besonders was ihr Leben schützt.

Kitzler: Kommen wir noch mal kurz zur Strategiefrage: Auch die SPD hat ja im Februar der neuen Afghanistan-Strategie zugestimmt, kurz gesagt will Deutschland mehr ausbilden und weniger kämpfen in Afghanistan. Ist das überhaupt realistisch angesichts der neuen Bedrohungslage?

Arnold: Es war schon immer so, dass sich die Bundesrepublik und die deutschen Soldaten nicht aussuchen konnten, ob sie kämpfen oder nicht. Der Gegner, dort die Terroristen, die Aufständischen, drängen einem eben gegebenenfalls den Kampf auch auf und die Bundeswehr muss ihn aufnehmen, darf nicht nur ausweichen, sonst werden die Aufständischen in den Distrikten die Oberhand behalten. Aber ich muss nochmals daran erinnern: Kundus ist nicht ganz Afghanistan. Deutschland hat die Verantwortung für den gesamten Norden und hier gibt es sehr viele Distrikte, die relativ stabil sind, und selbstverständlich kann man in denen auch verstärkt ausbilden. Und für Kundus bleibt das auch richtig, in Kundus fehlen 1500 Polizisten. Nur wenn es gelingt, die auszubilden, in Kundus in der Fläche zu stationieren, hat man eine Chance, diesen Distrikt auch stabiler zu bekommen.

Kitzler: Es gibt ja nicht nur Widerstand bei den Taliban, sondern auch bei den Bündnispartnern in Afghanistan: Präsident Hamid Karzai will sein Veto gegen weitere NATO-Operationen einlegen, wenn die Stammesführer nicht zustimmen. Kann man überhaupt die afghanische Bevölkerung gewinnen, wenn immer die Falschen getroffen werden?

Arnold: Also eines ist sicherlich richtig, dass Karzai versucht, sich mit den Stammesältesten zu arrangieren und zu versöhnen. Ob das noch gelingt, ist eher zweifelhaft. Er hat viel Vertrauen verspielt und es war wohl so, dass die amerikanische alte Regierung unter Bush zu lange die schützende Hand über ihn gehalten hat. Die jetzige Administration in den Vereinigten Staaten übt Druck auf ihn aus und es ist natürlich eine zwiespältige Sache: Afghanistan ist ein souveräner Staat, wir sind dort, die afghanische Regierung zu unterstützen. Und auf der anderen Seite muss man Karzai natürlich immer wieder sagen, unsere Hilfe ist nicht unkonditioniert, die ist schon an Bedingungen geknüpft, dass seine Regierung auch ihre Hausaufgaben erledigt, dass er zum Beispiel entschlossener gegen die Korruption vorgeht.

Kitzler: Und so dauert die Debatte auch über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan an. Darüber sprach ich mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank dafür!

Arnold: Danke auch!