SPD unterstützt Hollandes Forderung nach Ergänzung des Fiskalpakts

Moderation: Jörg Degenhardt · 15.05.2012
Nach Ansicht des SPD-Politikers Gernot Erler wird es beim heutigen Besuch des neuen französischen Präsidenten François Hollande bei Bundeskanzlerin Angela Merkel vor allem darum gehen, atmosphärische Spannungen abzubauen. Hätte die Kanzlerin im Wahlkampf Hollande nicht eine Begegnung verweigert, könnten sie sich jetzt auf Inhalte konzentrieren, so der SPD-Fraktionsvize.
Jörg Degenhardt: Heute sehen Sie sich zum ersten Mal offiziell, Angela Merkel und François Hollande. Die deutsche Kanzlerin und der neue französische Präsident. Die Christdemokratin und der Sozialist. Das wird schon interessant, wenn man bedenkt, dass Frau Merkel im Wahlkampf den Verlierer unterstützt hat. Jetzt aber will sie Sarkozys Nachfolger mit offenen Armen empfangen, und das muss sie auch, denn der Euro braucht Paris und Berlin gleichermaßen, um nicht zu scheitern.
Was dürfen wir von den beiden verlangen? Dazu jetzt Fragen an Gernot Erler, Außenpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen Herr Degenhardt!

Degenhardt: Erst die Amtseinführung, dann der erste Besuch in Berlin – in Paris schauen sie mit Spannung auf die Begegnung mit der Kanzlerin. Mit welchen Erwartungen schauen Sie auf das Rendezvous?

Erler: Ja, mich interessiert, wieweit die Belastung bleiben wird, die erzeugt worden ist vor dieser Begegnung, ohne Not, denn das war schon ungewöhnlich, wie die deutsche Bundeskanzlerin mit diesem Kandidaten umgegangen ist, ihm eine Begegnung verweigert hat. Das hat es bisher noch nicht gegeben.

Degenhardt: Aber beide werden als sehr pragmatisch, als bodenständig geschildert. Kann das den Umgang zwischen den beiden erleichtern?

Erler: Ja, wenn diese Anfangsprobleme überwunden worden sind, ist alles möglich, würde ich mal sagen. Vor allen Dingen: Der Druck ist ja so ungeheuer, der von außen kommt, dass dieser Motor wieder anläuft, dieser deutsch-französische Motor, der ja eine große Tradition hat. Wenn man mal zurückschaut, wir hatten bisher eigentlich immer so produktive Paarungen zwischen, auch interessante Paarungen_ Helmut Schmidt - Giscard d'Estaing, Helmut Kohl - François Mitterrand, Gerhard Schröder - Jacques Chirac – jedes Mal ist die Beziehung vorangekommen.

Und nun, bei der Beziehung von Frau Merkel mit Sarkozy, mit Nicolas Sarkozy, ist eigentlich diese Beziehung, diese positive, profaniert worden. Schon sichtbar an diesem etwas spöttischen "Merkozy"-Wort. Und leider ist zum ersten Mal seit längerer Zeit auch wieder der Unmut der anderen Europa geschürt worden. Die haben in dieser Zusammenarbeit eine Art egoistisches Machtkartell und auch so eine Art Rendezvous zum Machterhalt gesehen. Auch um eben diese eigenen Vorstellungen von Sparpolitik, von Antikrisenpolitik durchzusetzen, und das ist eine Belastung.

Degenhardt: Hollande ist gerade ins neue Amt gewählt worden. Merkels Partei hat letzten Sonntag eine wichtige Wahl verloren. Begegnen sich die beiden heute auf Augenhöhe?

Erler: Ich glaube, sie werden es versuchen, aber wenn es jetzt um die Sach-, Streitthemen geht, hat Hollande zweifellos einen Vorteil, weil nicht nur die Konstellation, die Sie gerade angesprochen, auch die Tatsache, dass es ja in Europa einige Wahlentscheidungen in letzter Zeit gegeben hat, und dabei ist mehrfach Sparpolitik abgewählt worden beziehungsweise gescheitert. Zum Beispiel in den Niederlanden, zum Beispiel in Rumänien, natürlich in Griechenland und letztlich auch in Frankreich. Und das kann natürlich François Hollande einbringen jetzt in die Gespräche mit der Bundeskanzlerin und kann sagen: Schau, das ist keine sehr erfolgreiche Politik und ich hab nicht vor, eine solche von vornherein zum Scheitern verurteilte Politik weiterzumachen. Wir müssen einen Weg finden, da rauszukommen. Seine Forderung ist ja eben, diesen Fiskalpakt mit einem entsprechenden Wachstums- und Beschäftigungspakt zu ergänzen.

Degenhardt: Wenn ich das weiterdenke, was Sie gerade beschrieben haben, Herr Erler, diese Verschiebung in Europa, eigentlich weg auch von der Linie der Kanzlerin, kann man dann sagen, vielleicht etwas zugespitzt heute mit dem Gespräch mit Hollande beginnt so etwas wie die Sozialdemokratisierung der Kanzlerin auf europäischer Ebene?

Erler: Ja, das ist ein interessanter Gedanke ... So könnte man es vielleicht beschreiben. Allerdings eben mit einer großen Belastung beim Start, die völlig unnötig war. Man stelle sich mal vor, wenigstens die Kanzlerin hätte ihre Sympathien für Sarkozy zum Ausdruck bringen können und hätte aber sich normal verhalten, indem sie ein Gespräch schon vorher mit Hollande gemacht hätte, dann wäre dieser Start heute eindeutig einfach und die Aufmerksamkeit würde sich sofort als erstes auf die Inhalte richten.

So ist bei der Vorgeschichte das Dumme, dass die ganze Aufmerksamkeit sich jetzt auf Verhaltensweisen richten wird: Wie wird sie die Arme öffnen, wie Sie gesagt haben, wie wird die erste Begegnung sein, wie freundlich wird Hollande sein? Er wird sehr freundlich sein, wie ich ihn kenne. Und das ist ja eigentlich für Europa das weniger Wichtige, wenn man das mal vergleicht mit der Dramatik, die wir im Augenblick haben, auch wenn wir nach Griechenland gucken, da müsste eigentlich jetzt so schnell wie möglich dieser Motor wieder anspringen, aber ich höre schon aus dem Kanzleramt, es sei ein erstes Kennenlernen-Treffen, auch ein interessantes Wort für eine internationale Begegnung. Also es wird heruntergenommen die Erwartung, weil man weiß, es wird heute gar keine Entscheidungen geben.

Degenhardt: Was ist denn aus Ihrer Partei zu hören zum schon erwähnten Fiskalpakt? Angela Merkel will ja an diesem Fiskalpakt festhalten, sie will ihn nicht aufweichen. Sie braucht dafür im Bundestag auch die Zustimmung Ihrer Partei, der SPD. Hollande ist gegen diesen Fiskalpakt beziehungsweise in der jetzigen Form ist er dagegen. Da stecken Sie doch auch als SPD in einem gewissen Zwiespalt.

Erler: Na ja, also, er hat, glaube ich, diese Ankündigung, alles wieder neu aufrollen zu wollen, so nicht aufrechterhalten, sondern er hat dann auch im Wahlkampf schon mehrfach von einer notwendigen Ergänzung des Fiskalpakts gesprochen. Und das ist doch sehr nahe an dem, was die Sozialdemokraten in Deutschland fordern. Wir haben ja immer gesagt, wir wollen eben nicht eine Art Kaputtsparen, wir haben in Automatik auch noch, sondern wir brauchen logischerweise auch in diesen Ländern, die besonders stark von der Krise erfasst sind, Wachstumsprozesse, damit überhaupt Schulden abgebaut werden können, damit die Fähigkeit dafür überhaupt da ist.

Und wir wollen eben dadurch nicht in eine tiefere Verschuldung gehen, sondern zum Beispiel so etwas mobilisieren wie die Finanztransaktionssteuer oder auch die Bestände nutzen, die etwa in den europäischen Struktur- und Ausgleichsfonds bisher noch nicht genutzt wurden. Das wären beides Mittel, die nicht zu einer höheren Verschuldung führen würden, sondern die man mobilisieren kann für solche Wachstumspakte.

Degenhardt: Das heißt, die SPD wird dem Fiskalpakt, so wie er jetzt vorliegt in Berlin, dann auch nicht zustimmen?

Erler: Wir haben klare Erwartungen an die Bundesregierung geäußert. In welchem Kontext wir da zustimmen können. Und die Kanzlerin hat ja inzwischen ein Stückchen beigedreht und gesagt, natürlich sei sie auch für Wachstum, nur soll das eben nicht zur höheren Verschuldung führen. Das ist so weit nicht mehr entfernt. Die Frage ist, was macht sie denn mit dem, was wir konkret vorschlagen? Wir bleiben nicht im Allgemeinen, sondern haben konkrete Vorstellungen geäußert, wie, welche Mittel eigentlich zur Verfügung stehen, um eine solche Wachstumsstrategie als Ergänzung hier auf den Weg zu bringen.

Degenhardt: Hollande und Merkel, ein Rendezvous mit Folgen? Heute kommt der neue französische Präsident nach Berlin. Darüber habe ich mit Gernot Erler gesprochen. Vielen Dank, Herr Erler, für das Gespräch.

Erler: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
François Hollande
Francoise Hollande© picture alliance / dpa Ian Langsdon