Munition im Briefkasten
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Pfingsten fand die SPD-Politikerin Viviana Weschenmoser drei Patronen in ihrem Briefkasten. Angst habe sie keine gehabt. Doch der Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke sei eine Warnung, dass die Gesellschaft wieder mehr aufeinander Acht geben müsse.
Julius Stucke: Was wäre, wenn es freiwilliges, ehrenamtliches Engagement nicht gäbe? Manches in diesem Land würde auf der Strecke bleiben. Es ist aber so, dass viele, die sich engagieren für ein offenes, tolerantes Land und die sich vor allem in der Flüchtlingshilfe engagiert haben und engagieren, dass die bedroht werden, unter Druck gesetzt werden. Politiker und Politikerinnen sind betroffen und auch Menschen jenseits der Parteipolitik. Das ist schon länger so, aber nachdem mit Walter Lübcke ein Mensch erschossen wurde, schaut man natürlich noch mal mit anderen Augen darauf.
Politiker besser schützen – das ist eine Forderung, die nun auf den Tisch kommt. Kommunalpolitiker und jenseits der Politik engagierte Menschen kennen diese Forderung vermutlich schon länger. Sie hatten nach Pfingsten drei Patronen in Ihrem Briefkasten. Hat Ihnen das Angst gemacht?
Viviana Weschenmoser: Nein, mich hat das eher irritiert, denn diesen Patronen war keine andere Information beigefügt.
Stucke: Und hat sich dieses Gefühl geändert, nachdem was nun Stück für Stück im Fall Walter Lübcke diskutiert und besprochen wird?
Weschenmoser: Es hat auf jeden Fall die Perspektive verändert. Die Wahrnehmung, dass sich aus Worten Taten bilden und dass sich dieses Verhalten immer stärker in unserer Gesellschaft breitmacht, sollte alle warnen und mahnen, dass jetzt der Zeitpunkt da ist, dringend dagegen vorzugehen und sich der Frage zu stellen: Wie können wir wieder mehr aufeinander Acht geben, wie kehren wir zurück zu einem respektvollen Umgang miteinander?
Stucke: Ich habe in einem Interview mit Ihnen gelesen nach diesem Fall, dass Sie danach auch deshalb keine Angst hatten, weil Sie sich auch gut aufgehoben und gut betreut gefühlt haben bei der Polizei nach diesem Fall, auch nicht über so was wie Polizeischutz nachgedacht haben, sondern da ganz gelassen waren.
Hat dieses Vertrauen bei Ihnen aber Kratzer, wenn Sie so Diskussionen verfolgen, die es jetzt ja auch gibt über rechte Tendenzen und Gruppen auch innerhalb von Sicherheitsbehörden?
Weschenmoser: Diese Diskussion gab es ja jetzt bedauerlicherweise schon lang, wenn nicht gar sogar schon immer, und die Diskussionen müssen einfach breiter geführt werden und aus dem Diskussionsniveau herausgehoben in einen Level oder in einen Bereich, dass dagegen aktiv vorgegangen wird.
"Auf dem rechten Auge blind" darf kein Satz mehr sein, der ständig fällt in Deutschland. Wir müssen uns endlich bewusst machen, dass Radikalisierung in allen Personen- und Berufsgruppen stattfinden kann. Dass es dafür aber Vermeidungsstrategien gibt, ist auch kein Geheimnis, und die anzuwenden gilt ab heute.
Innenministerium müsse mit "harter Hand" durchgreifen
Stucke: Jetzt ist das natürlich ein Satz, der häufiger fällt. Also ich meine, es ist rund zehn Jahre her, dass dieser Satz ganz häufig fiel, zum Beispiel als der Nationalsozialistische Untergrund aufgeflogen war, vor nicht mal zehn Jahren. Da kamen alle diese Rufe ganz laut, jetzt kommen sie wieder. Vielleicht kommen sie immer nicht lange laut genug.
Was, würden Sie sagen, konkret müssen wir ändern, damit das jetzt nicht wieder zu so einer Floskel wird, die jetzt kommt und dann vielleicht in fünf Jahren, wenn wieder was passiert, schon wieder?
Weschenmoser: Das ist ein ganz klarer Auftrag ans Innenministerium, hier mit harter Hand und eisernem Willen durchzugreifen an den Stellen, die behördlich organisiert sind.
Ich habe aber auch schon in verschiedenen Interviews gesagt, das müsste jetzt die Sternstunde aller Landeszentralen für politische Bildung sein, von ehrenamtlichen Organisationen und Strukturen, die sich einem rassismusfreien, einem vielfältigen Deutschland widmen. Die müssen in die Bildungseinrichtung eingeladen werden, die müssen dorthin, wo Menschen miteinander leben, wo sie sich begegnen, um endgültig zu vermitteln, welche gesellschaftlichen Werte wir hervorheben und welche null Toleranz bei uns erfahren.
Ehrenamt kostet viel Kraft
Stucke: Sie engagieren sich ja schon länger für Geflüchtete, auch schon vor dem Sommer 2015. Als aber auch die großen Diskussionen darüber kamen, wie haben Sie es erlebt? Gab es Drohungen und Druck für Ihr Engagement schon immer? Hat sich das entwickelt?
Weschenmoser: Ja, auf lokaler Ebene haben wir ein wunderschönes Bündnis. Das sind die Weltbürgerinnen und Weltbürger Horb, die sich vor langer Zeit schon formiert haben, um den integrativen Gedanken in der Kommune zu stärken. Ursächlich war das sicherlich auch, weil eher Vorsicht, eher Unwissen und eventuell auch Abneigung zu einzelnen Personengruppen bestanden. Dieses klitzekleine Beispiel hat für unsere Kommune gezeigt, wie einfach es ist, sich zu begegnen, kennenzulernen und dann in einen guten Umgang miteinander zu kommen.
Ich habe während der, sagen wir, Flüchtlingswelle durchaus üble Anfeindungen bekommen, die einerseits schriftlich in den sozialen Medien waren, andererseits aber auch diesen digitalen Raum verlassen haben, face to face. Das war das erste Mal, dass ich mir dachte, hoppla, da hat sich echt was verändert, dass man sich so übel angeht, wo man sich nicht kennt, nicht unter Freunden ist und sich danach nicht mal entschuldigt. Das war mir auch neu.
Stucke: Wie viel Kraft kostet Sie das, gegen diesen Druck, gegen diese Drohung, gegen das, was Sie beschreiben, was für Sie neu war, weiterzumachen?
Weschenmoser: Ich glaube, ich kann das stellvertretend für viele, wenn nicht gar die meisten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sagen, das ist Ehrenamt, und das ist immer zusätzlich zu allem, was der Alltag bereithält, das alleine ist schon ein Kraftakt, aber ein wunderschöner.
Gesellschaft gestalten und mitmachen, das ist eine sehr befriedigende und erfüllende Aufgabe. Wenn dann allerdings sich Bereiche auftun, die einen persönlich sehr nahe gehen, die einen auch verletzen, dann ist es zwar anstrengend, aber ich empfehle wirklich allen, sich Strategien bereitzulegen, in die Supervision zu gehen mit Freunden, mit der Familie, drüber zu sprechen, abzulegen. Natürlich gibt es auch für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker die Möglichkeit, Organisationen anzurufen und dort um Hilfe zu bitten. Energie kostet es so oder so, aber es lässt sich auch damit umgehen.
Unterstützung für ehrenamtliche Helfer
Stucke: Von den Menschen, die Sie kennen, die so engagiert sind, haben Sie das Gefühl, im Großen und Ganzen machen die jetzt weiter und sagen, jetzt erst recht, oder ist da schon einiges, was gerade kaputt geht und was vielleicht verloren geht an Engagement, was wir aber in diesem Land dringend brauchen?
Weschenmoser: Doch, da ist viel verlorengegangen auf der Strecke. Die Supervision hat nicht weit genug gereicht beziehungsweise die Informationslage dazu war brüchig. Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, nicht nur aus der Migrationshilfe, sondern auch in der Lebensrettung, überhaupt auch bei den ganzen Lebensrettungsorganisationen, die haben sich überfordert, überrollt, und dann, wenn es hart auf hart kam, auch alleingelassen gefühlt.
Das ist ausgesprochen bedauerlich. Auch hier gilt es dringend zu justieren und denen, die sich bereit erklären, sich für die Gesellschaft einzusetzen, die Möglichkeit geben, das auch in einem guten und angenehmen Umfeld zu tun. Es geht mal was schief, das ist keine Frage, aber das muss schnell und nachhaltig aufgeräumt werden.
Stucke: Wie viel Mitschuld geben Sie auch Politikern auf Bundesebene, gar nicht denen vielleicht von Parteien, die weit rechts stehen, aber auch denen in der Regierung, die sehr lange viel und fruchtlos diskutiert haben über so was wie Asylpolitik und man den Eindruck hatte, es geht gar nicht mehr um Menschen bei diesen ganzen Diskussionen, es ging immer wieder um die Frage, wer nimmt welche zwei, drei Menschen von irgendwelchen Booten auf – all diese Diskussionen, haben die in Ihren Augen Mitschuld an dem, was wir gerade auch erleben?
Weschenmoser: Mitschuld ist ein schwieriger Begriff. Das möchte ich umbenennen. Ich möchte lieber sagen, alle Menschen, die die Möglichkeit haben, schnelle Veränderung zu ermöglichen, Leben zu retten, sollten das als ihre Pflicht verstehen und das auch ohne Umschweife zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.