SPD-Politiker Voscherau kritisiert „Funktionärsdemokratie“
Der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau, hat sich für einen Mitgliederentscheid über den kommenden Kanzlerkandidaten der SPD ausgesprochen. Jedes SPD-Mitglied sei sofort in der Lage, sich für einen Kandidaten zu entscheiden, sagte Voscherau. Es gebe keinen Grund dafür, dass diese Entscheidung nur von 400 Bundesparteitagsdelegierten getroffen werden könne.
Marcus Pindur: Die SPD wird derzeit schwer gebeutelt. In der wöchentlichen Forsa-Umfrage verharrt die Partei seit zwei Wochen beim Rekordtief von 22 Prozent bei der Sonntagsfrage. Nun mag sich da der verzweifelte Genosse Mut zusprechen, es kommt nicht darauf an, die Umfragen zu gewinnen, sondern die Wahlen. Da ist man da auch schon bei der nächsten Frage. Mit wem will man die nächsten Wahlen gewinnen? Der Parteichef Beck hat zwar das erste Zugriffsrecht, aber Kurt Beck hat durch seine Taktiererei mit der Linkspartei bei vielen Sozialdemokraten Vertrauen verspielt. Wir sprechen jetzt mit jemanden, der die SPD lange von innen kennt, dem ehemaligen Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau. Guten Morgen, Herr Voscherau!
Henning Voscherau: Guten Morgen!
Pindur: Wie lange bleibt denn Kurt Beck noch Parteivorsitzender?
Voscherau: Oh, ich glaube, noch lange. Er ist ein sehr standfester, bodenständiger und ja wirklich bei den einfachen Leuten sehr verankerter Mann, und er wir das durchstehen.
Pindur: Auch wenn man standfest ist, muss man gleichzeitig erfolgreich sein. Sollte er denn Kanzlerkandidat werden Ihrer Ansicht nach?
Voscherau: Ich halte sehr viel davon, solche Entscheidungen nicht begackern, wenn sie noch nicht reif sind, sondern wirklich im Herbst erst zu treffen. Die Bundestagswahl ist Herbst 09. Wir haben noch Zeit und Kurt Beck. Ich traue Kurt Beck, dass er dann denjenigen Vorschlag macht, der der Partei und dem Land am meisten nützt, und nicht einen Vorschlag aus Eigeninteresse.
Pindur: Wenn ich jetzt mal in Ihrem Bild vom Gackern bleibe, dann ist der Hühnerstall aber schon in voller Aufregung in der SPD. Es wird allenthalben darüber diskutiert. Jetzt ist das Mittel des Mitgliederentscheides wieder hervorgekramt worden. Wie stehen Sie dazu?
Voscherau: Das halte ich ganz unabhängig von dieser jetzigen Kalamität für eine sehr erwägenswerte Veränderung. Denn, sehen Sie mal, unsere Parteiendemokratie, etwas böse könnte man sagen, unsere Funktionärsdemokratie, unsere Apparatschikdemokratie in Deutschland alle Parteien betreffend leidet ja doch an galoppierender Auszehrung. Und natürlich kann man einzelne Staatsämter, die Nominierung für einzelne Staatsämter durch die Mitglieder selber machen lassen, statt durch sieben Strippenzieher und 110 Delegierte.
Pindur: Sie sind der Ansicht, eine Befragung der Mitglieder wäre ein geeignetes Mittel, diese Frage, die berühmte K-Frage, die Kanzlerfrage, für die SPD zu entscheiden?
Voscherau: Ja, aber natürlich. Ich bin in der Lage, innerhalb von einer Sekunde mich zwischen Beck, Steinmeier und Steinbrück und wem auch sonst noch zu entscheiden. Und da bin ich keine Ausnahme, sondern jeder der, wie viel Sozialdemokraten gibt jetzt noch, in Deutschland 650.000 ist in der Lage, sofort hinter einem dieser Namen ein Kreuzchen zu machen. Es besteht überhaupt kein Grund, warum das nur 400 Bundesparteitagsdelegierte können sollten. Aber wie gesagt, das hat alles mit der aktuellen Lage gar nichts zu tun. Der Meinung bin ich schon sehr lange.
Pindur: Aber da folgt die Frage, für wen entscheiden Sie sich zum Beispiel, und wann soll das entschieden werden? Denn wenn man sich über einen weiteren Zeitraum als so zerstritten präsentiert, dann ist das auch kein guter Start in den Wahlkampf für einen Kandidaten Beck oder irgendeinen Kandidaten?
Voscherau: Das stimmt. Aber schauen Sie, das eigentliche inhaltliche Problem dieser Avancen an die Linkspartei in Hessen durch Kurt Beck und Andrea Ypsilanti ist ja die Frage, führen die beiden im Ergebnis vielleicht ungewollt die Partei zurück in die Zeit vor dem Godesberger Programm, und wird Kurt Beck der Erich Ollenhauer des jetzigen Jahrzehnts. Das kann ja nicht der Zweck der Übung sein. Und darüber muss inhaltlich gestritten werden, ebenso wie man schon in der Zeit von Schröder und Müntefering viel ehrlicher über die Widerworte des Ex-Vorsitzenden Lafontaine hätte inhaltlich streiten sollen. Da wäre der vielleicht nie abgegangen.
Pindur: Das hieße aber, die SPD müsste sich hinter die Erfolge der letzten Jahre stellen?
Voscherau: Ja natürlich.
Pindur: Die Agenda 2010, die zählt dazu, der Abbau der Arbeitslosigkeit ist ja teilweise auch auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Aber davon sieht man ja nichts, ganz im Gegenteil. Die SPD scheint sich ja von diesen Positionen zu verabschieden.
Voscherau: Sehen Sie, die SPD ist, meiner Meinung nach jedenfalls, eine sehr sympathische Partei. Und das Herzblut der Hunderttausenden Mitglieder der Sozialdemokratie wird nicht vergossen über erfolgreiche Wirtschaftspolitik, sondern über erfolgreiche Sozial-, Gesundheits-, Bildungspolitik. Die Erfolge, die Schröder erzielt hat, verbanden sich innerhalb großer Teile der SPD mit schlechtem Gewissen. Und wenn das so ist, so albern es war, dann rühmt man sich auch der Ergebnisse nicht.
Pindur: Was heißt das denn aber dann im Endeffekt für die strategische Situation der SPD, wenn sie an einer solchen Erosion der eigenen Werte erliegt?
Voscherau: Tja, es ändert sich gar nichts. Die Amtszeit von Helmut Schmidt war durch dieses schlechte Gewissen gekennzeichnet, und es ist ihm am Ende schlecht bekommen. Die Amtszeit von Gerd Schröder war dadurch gekennzeichnet, es ist ihm am Ende schlecht bekommen. Franz Müntefering hat ja wohl irgendwann gesagt, wenn man bei dem Thema, was war es noch, nachgibt, spricht bei uns alles zusammen. Und es ändert sich nie was. Wir haben die Psychologie gerechter Verteilung bis hin zur Umverteilung, und wer sich dafür zuständig fühlt, die Frage zu beantworten, wie die Ressourcen dafür erwirtschaftet werden sollen, wird argwöhnisch beäugt. Da ist eine Schieflage in dem Selbstgefühl.
Pindur: Herr Voscherau, Sie sprechen jetzt aber de facto Ihrer eigenen Partei die Regierungsfähigkeit ab?
Voscherau: Einer solchen Grundhaltung spreche ich die Regierungsfähigkeit ab, und die Regierungsfähigkeit muss dann durch den jeweiligen Kanzlerkandidaten, die Bundesregierung, die Bundestagsfraktion contre coeur großer Strömungen in der Mitgliedschaft erzwungen werden. Und so schaukelt sich langsam ein Konflikt auf, ein emotionaler Konflikt, eine Entfremdung auf, und so es gibt am Ende so einer Kanzlerschaft einen Knall. Haben wir jetzt zweimal erlebt. Gut ist es nicht.
Pindur: Welcher Kandidat könnte das Ihrer Ansicht nach denn sein?
Voscherau: Man braucht einen Kandidaten, der weiß, worauf es in der Globalisierung strukturpolitisch ankommt, um die Wirtschaft nach vorn zu bringen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Arbeitslosigkeit zu senken, das Steueraufkommen zu erhöhen und gleichzeitig die Fähigkeit hat, das Herz der Partei zu erreichen. Das ist ja zuletzt Willy Brandt gelungen, und die Partei mitzunehmen und ihr das schlechte Gewissen zu nehmen. Diese Kombination brauchen wir, und die ist schwer zu finden.
Pindur: Die ist in der Tat schwer zu finden, aber die wird andererseits jeder der zur Verfügung stehenden Kandidaten für sich in Anspruch nehmen wollen, sowohl Kurt Beck als auch Steinbrück und Steinmeier.
Voscherau: Das stimmt.
Pindur: Wer soll es denn dann sein?
Voscherau: Na ja, jeder von denen, wenn sie es machen, hat natürlich die Notwendigkeit, dass die ganze Partei ihn aus vollem Herzen unterstützt. Und das ist nicht nur eine Verantwortung an die Nummer eins und den Kandidaten, das ist eine Verantwortung an jeden Abgeordneten, an den Herrn Sprecher des Seeheimer Kreises, der sich immer so lautstark äußert, und auch an Menschen wie Ottmar Schreiner und Andrea Ypsilanti. Jeder muss mithelfen, statt rechthaberisch zu gackern.
Pindur: Aber Sie springen jetzt nicht für Kurt Beck in die Bresche?
Voscherau: Ich warte auf seinen Vorschlag.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch! Wir sprachen mit Henning Voscherau, dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister, über die derzeitige Situation der SPD und die Kanzlerfrage.
Henning Voscherau: Guten Morgen!
Pindur: Wie lange bleibt denn Kurt Beck noch Parteivorsitzender?
Voscherau: Oh, ich glaube, noch lange. Er ist ein sehr standfester, bodenständiger und ja wirklich bei den einfachen Leuten sehr verankerter Mann, und er wir das durchstehen.
Pindur: Auch wenn man standfest ist, muss man gleichzeitig erfolgreich sein. Sollte er denn Kanzlerkandidat werden Ihrer Ansicht nach?
Voscherau: Ich halte sehr viel davon, solche Entscheidungen nicht begackern, wenn sie noch nicht reif sind, sondern wirklich im Herbst erst zu treffen. Die Bundestagswahl ist Herbst 09. Wir haben noch Zeit und Kurt Beck. Ich traue Kurt Beck, dass er dann denjenigen Vorschlag macht, der der Partei und dem Land am meisten nützt, und nicht einen Vorschlag aus Eigeninteresse.
Pindur: Wenn ich jetzt mal in Ihrem Bild vom Gackern bleibe, dann ist der Hühnerstall aber schon in voller Aufregung in der SPD. Es wird allenthalben darüber diskutiert. Jetzt ist das Mittel des Mitgliederentscheides wieder hervorgekramt worden. Wie stehen Sie dazu?
Voscherau: Das halte ich ganz unabhängig von dieser jetzigen Kalamität für eine sehr erwägenswerte Veränderung. Denn, sehen Sie mal, unsere Parteiendemokratie, etwas böse könnte man sagen, unsere Funktionärsdemokratie, unsere Apparatschikdemokratie in Deutschland alle Parteien betreffend leidet ja doch an galoppierender Auszehrung. Und natürlich kann man einzelne Staatsämter, die Nominierung für einzelne Staatsämter durch die Mitglieder selber machen lassen, statt durch sieben Strippenzieher und 110 Delegierte.
Pindur: Sie sind der Ansicht, eine Befragung der Mitglieder wäre ein geeignetes Mittel, diese Frage, die berühmte K-Frage, die Kanzlerfrage, für die SPD zu entscheiden?
Voscherau: Ja, aber natürlich. Ich bin in der Lage, innerhalb von einer Sekunde mich zwischen Beck, Steinmeier und Steinbrück und wem auch sonst noch zu entscheiden. Und da bin ich keine Ausnahme, sondern jeder der, wie viel Sozialdemokraten gibt jetzt noch, in Deutschland 650.000 ist in der Lage, sofort hinter einem dieser Namen ein Kreuzchen zu machen. Es besteht überhaupt kein Grund, warum das nur 400 Bundesparteitagsdelegierte können sollten. Aber wie gesagt, das hat alles mit der aktuellen Lage gar nichts zu tun. Der Meinung bin ich schon sehr lange.
Pindur: Aber da folgt die Frage, für wen entscheiden Sie sich zum Beispiel, und wann soll das entschieden werden? Denn wenn man sich über einen weiteren Zeitraum als so zerstritten präsentiert, dann ist das auch kein guter Start in den Wahlkampf für einen Kandidaten Beck oder irgendeinen Kandidaten?
Voscherau: Das stimmt. Aber schauen Sie, das eigentliche inhaltliche Problem dieser Avancen an die Linkspartei in Hessen durch Kurt Beck und Andrea Ypsilanti ist ja die Frage, führen die beiden im Ergebnis vielleicht ungewollt die Partei zurück in die Zeit vor dem Godesberger Programm, und wird Kurt Beck der Erich Ollenhauer des jetzigen Jahrzehnts. Das kann ja nicht der Zweck der Übung sein. Und darüber muss inhaltlich gestritten werden, ebenso wie man schon in der Zeit von Schröder und Müntefering viel ehrlicher über die Widerworte des Ex-Vorsitzenden Lafontaine hätte inhaltlich streiten sollen. Da wäre der vielleicht nie abgegangen.
Pindur: Das hieße aber, die SPD müsste sich hinter die Erfolge der letzten Jahre stellen?
Voscherau: Ja natürlich.
Pindur: Die Agenda 2010, die zählt dazu, der Abbau der Arbeitslosigkeit ist ja teilweise auch auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Aber davon sieht man ja nichts, ganz im Gegenteil. Die SPD scheint sich ja von diesen Positionen zu verabschieden.
Voscherau: Sehen Sie, die SPD ist, meiner Meinung nach jedenfalls, eine sehr sympathische Partei. Und das Herzblut der Hunderttausenden Mitglieder der Sozialdemokratie wird nicht vergossen über erfolgreiche Wirtschaftspolitik, sondern über erfolgreiche Sozial-, Gesundheits-, Bildungspolitik. Die Erfolge, die Schröder erzielt hat, verbanden sich innerhalb großer Teile der SPD mit schlechtem Gewissen. Und wenn das so ist, so albern es war, dann rühmt man sich auch der Ergebnisse nicht.
Pindur: Was heißt das denn aber dann im Endeffekt für die strategische Situation der SPD, wenn sie an einer solchen Erosion der eigenen Werte erliegt?
Voscherau: Tja, es ändert sich gar nichts. Die Amtszeit von Helmut Schmidt war durch dieses schlechte Gewissen gekennzeichnet, und es ist ihm am Ende schlecht bekommen. Die Amtszeit von Gerd Schröder war dadurch gekennzeichnet, es ist ihm am Ende schlecht bekommen. Franz Müntefering hat ja wohl irgendwann gesagt, wenn man bei dem Thema, was war es noch, nachgibt, spricht bei uns alles zusammen. Und es ändert sich nie was. Wir haben die Psychologie gerechter Verteilung bis hin zur Umverteilung, und wer sich dafür zuständig fühlt, die Frage zu beantworten, wie die Ressourcen dafür erwirtschaftet werden sollen, wird argwöhnisch beäugt. Da ist eine Schieflage in dem Selbstgefühl.
Pindur: Herr Voscherau, Sie sprechen jetzt aber de facto Ihrer eigenen Partei die Regierungsfähigkeit ab?
Voscherau: Einer solchen Grundhaltung spreche ich die Regierungsfähigkeit ab, und die Regierungsfähigkeit muss dann durch den jeweiligen Kanzlerkandidaten, die Bundesregierung, die Bundestagsfraktion contre coeur großer Strömungen in der Mitgliedschaft erzwungen werden. Und so schaukelt sich langsam ein Konflikt auf, ein emotionaler Konflikt, eine Entfremdung auf, und so es gibt am Ende so einer Kanzlerschaft einen Knall. Haben wir jetzt zweimal erlebt. Gut ist es nicht.
Pindur: Welcher Kandidat könnte das Ihrer Ansicht nach denn sein?
Voscherau: Man braucht einen Kandidaten, der weiß, worauf es in der Globalisierung strukturpolitisch ankommt, um die Wirtschaft nach vorn zu bringen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Arbeitslosigkeit zu senken, das Steueraufkommen zu erhöhen und gleichzeitig die Fähigkeit hat, das Herz der Partei zu erreichen. Das ist ja zuletzt Willy Brandt gelungen, und die Partei mitzunehmen und ihr das schlechte Gewissen zu nehmen. Diese Kombination brauchen wir, und die ist schwer zu finden.
Pindur: Die ist in der Tat schwer zu finden, aber die wird andererseits jeder der zur Verfügung stehenden Kandidaten für sich in Anspruch nehmen wollen, sowohl Kurt Beck als auch Steinbrück und Steinmeier.
Voscherau: Das stimmt.
Pindur: Wer soll es denn dann sein?
Voscherau: Na ja, jeder von denen, wenn sie es machen, hat natürlich die Notwendigkeit, dass die ganze Partei ihn aus vollem Herzen unterstützt. Und das ist nicht nur eine Verantwortung an die Nummer eins und den Kandidaten, das ist eine Verantwortung an jeden Abgeordneten, an den Herrn Sprecher des Seeheimer Kreises, der sich immer so lautstark äußert, und auch an Menschen wie Ottmar Schreiner und Andrea Ypsilanti. Jeder muss mithelfen, statt rechthaberisch zu gackern.
Pindur: Aber Sie springen jetzt nicht für Kurt Beck in die Bresche?
Voscherau: Ich warte auf seinen Vorschlag.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch! Wir sprachen mit Henning Voscherau, dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister, über die derzeitige Situation der SPD und die Kanzlerfrage.