SPD-Politiker: Leichenschändung ist keine Folter

Moderation: Hanns Ostermann · 27.10.2006
Die Leichenschändungen von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan dürfen nach Ansicht des SPD-Politikers Rainer Arnold nicht mit den Folterungen im US-Gefängnis Abu Graib verglichen werden. Die Skandalfotos aus dem amerikanischen Foltergefängnis hätten eine ganz andere Dimension, sagte Arnold, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages.
Hanns Ostermann: Der Skandal weitet sich aus. Gestern sind weitere Fotos aufgetaucht, die widerliche Szenen zeigen: Deutsche Soldaten brüsten sich in Afghanistan mit Totenschädeln. Da kommt noch mehr, so die düstere Prognose von Hans-Christian Ströbele von den Bündnisgrünen. Der Bundesverteidigungsminister hat noch eine weitere Front, an der er - zurzeit jedenfalls - unter Hochdruck arbeitet: Was darf die deutsche Marine vor der Küste des Libanon und was nicht? Da gibt es Ungereimtheiten, so scheint es. Über beide Themen sprechen möchte ich mit Rainer Arnold von der SPD. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Arnold.

Rainer Arnold: Schönen guten Morgen.

Ostermann: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Schneiderhan, geht auch bei den neuen Fotos, die jetzt aufgetaucht sind, aus dem Jahr 2004, von Einzelfällen aus. Sind Sie davon auch überzeugt?

Arnold: Ich glaube schon, dass er da im Prinzip Recht hat. Bei einer Organisation mit 255.000 Soldaten, wobei jeweils 80.000 im Jahr neu reinkommen und 80.000 gehen, haben wir natürlich - auch wenn es zehn Fälle sind - immer noch Einzelfälle und kein Massenphänomen. Das heißt aber nicht, dass man damit dieses Problem verniedlichen darf. Wir müssen schon überlegen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Ostermann: Na ja. So mancher spricht jetzt schon von einem deutschen Abu Ghraib. Das mag überzogen sein. Und trotzdem: Wie groß ist der Schaden für das Ansehen Deutschlands? Ganz abgesehen davon, die Lage für die Soldaten in Afghanistan selbst wird ja immer schwieriger?

Arnold: Also das Ansehen Deutschlands, aber vor allen Dingen auch das Ansehen der Truppe leidet natürlich unter diesen Vorgängen. Und insofern ist es wirklich völlig unentschuldbar. Die Soldaten, die dies getan haben, haben unserem Land geschadet, haben aber auch ihren Kameraden im Einsatz ganz erhebliche zusätzliche Sorgen bereitet.

Ostermann: Wo ist jetzt unmittelbar der Hebel anzusetzen?

Arnold: Ich weiß nicht, ob es einfache Antworten gibt. Wenn ich mal die Vorgänge der letzten Jahre allesamt Revue passieren lasse, dann sehe ich ein paar Gemeinsamkeiten. Nämlich: Überall wurde die Würde des Menschen nicht so geachtet, wie es sich gehört und auch in unserer Verfassung steht. Und überall scheint es auch so was wie eine Gruppendynamik zu geben. Bei dem Ersteren ist es, glaube ich, schwierig. Möglicherweise spiegelt sich dort auch Veränderung in der Gesellschaft, in der Schwellen auch verschoben werden, gerade bei dieser jungen Generation, auch bei der Truppe wider. Und ich glaube auch nicht, dass man dies einfach im Seminar lernen kann, wenn es nicht tief verankert ist. Bei der Frage Gruppendynamik und merken die Führer etwas vom schlechten Geist in einzelnen Truppenteilen, dort, glaube ich, muss man ernsthaft ansetzen. Das hat dann schon was mit Ausbildung, vor allen Dingen auch mit Kontrolle, auch mit stetigem Weiterlernen, vor allen Dingen der Soldaten in der Feldwebellaufbahn zu tun, die ja da immer ganz dicht dran sind.

Ostermann: Ich verstehe das gut, was Sie sagen, denn wir haben überhaupt keine Ahnung, mit welchen Schwierigkeiten die Soldaten vor Ort selbst zu tun haben. Das sind ja auch unmenschliche Verhältnisse, unter denen sie zum Teil arbeiten. Trotzdem: In Großbritannien sorgte das Ganze für erhebliches Aufsehen. Bei den Amerikanern - ich habe Abu Ghraib auch genannt. Was wäre, wenn Hans-Christian Ströbele mit seinen Befürchtungen Recht hätte? Dass es Hunderte von Fotos gäbe?

Arnold: Also niemand kann ausschließen, dass Soldaten im Einsatz auch Fotos machen. Und niemand kann ausschließen, dass hier auch Dämlichkeiten begannen werden. Man darf dies aber wirklich nicht mit Abu Ghraib vergleichen. Dort wurden Menschen wirklich gefoltert. Das hat eine ganz, ganz andere Dimension, auch in der Gesamtlage, auch in der Lage, dass eine Regierung eine bewusste Grauzone, eine rechtliche, geschaffen hat mit Gefängnissen und Folterungen, wie es die Bush-Administration tut. Das ist in Deutschland ja überhaupt nicht der Fall. Und deshalb, ich bitte Sie wirklich, diesen Vergleich kann man so nicht suchen. Deutsche Soldaten haben die Totenruhe und damit die Würde der Menschen schändlich verletzt und das muss auch geklärt werden.

Ostermann: Was darf die Bundeswehr vor der Küste des Libanon? Auch dieses Thema sorgt derzeit für hitzige Diskussionen. Erinnern wir uns doch mal ganz kurz an das, was die Kanzlerin, was Angela Merkel noch am 13. September feststellte:

"Der Kontrollraum ist von der Küstenlinie bis in eine Reichweite von 50 Seemeilen gesichert. Es gibt keine ausgeschlossenen Gebiete für die deutschen Schiffe. Und die Frage, die mal die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt hat, ob eine Sechs-, Sieben-Meilen-Zone ist, die wir nicht betreten können, kann man mit einem ganz klaren Nein beantworten: Wir können den gesamten Bereich befahren, wie das erforderlich ist."

Stimmt das auch heute noch, Herr Arnold?

Arnold: Im Prinzip stimmt es, ja. Die Situation war allerdings, als wir das Mandat beschlossen haben, so, dass die Detailregelungen in New York überhaupt noch nicht fertig waren. Die wurden verhandelt, solange die Schiffe unterwegs waren. Richtig ist, dass der Kontrollraum uneingeschränkt ist. Es gilt aber auch für unterschiedlich definierte Zonen, gelten unterschiedliche Regeln des Befahrens. Wir dürfen aber überall fahren. Allerdings, man muss daran erinnern, nicht einfach nach eigenem Ermessen, sondern unsere Aufgabe ist, den Libanon bei der Wahrung seiner Souveränitätsrechte an der Küste zu unterstützen. Und deshalb wurden unterschiedliche Regeln definiert. Und daher kommt jetzt auch die neue Debatte über Sechs-Meilen-Zone.

Ostermann: Wurde der Bundestag denn, als er das Mandat erteilte, getäuscht? Das behauptet jedenfalls die FDP.

Arnold: Ich habe das damals nicht so empfunden, weil mir bewusst war, dass dieser Detailplan überhaupt noch nicht fertig ist. Und ich habe mich auch zusammen mit meiner Arbeitsgruppe immer bemüht, die Details und den Verhandlungsstand zu erfahren. Und wir wissen auch jetzt - und die Bundesregierung hat dies ja selbst mitgeteilt, es ist ja nicht irgendwo recherchiert worden, sondern das kommt aus einem öffentlichen Protokoll der Bundesregierung -, wir wissen jetzt auch sehr genau, was für die Sechs-Meilen-Zone gilt.

Ostermann: Und was gilt konkret für diese Sechs-Meilen-Zone? Dass der Libanon in Entscheidungen mit einzubeziehen ist oder wie hat man sich das konkret am Ort des Geschehens vorzustellen?

Arnold: Also für die Sechs-Meilen-Zone gilt eine besondere Regelung, die bedeutet: Die deutschen Schiffe dürfen auf Aufforderung des Libanons einfahren, sie dürfen allerdings auch einfahren, wenn sie einen besonderen Verdacht beim einzelnen Schiff haben, dass dort Schmuggelware drauf ist, dieses Schiff dürfen sie auch innerhalb der Sechs-Meilen-Zone verfolgen - müssen dort nicht einmal die Libanesen fragen, sondern müssen dies nur mitteilen. Und im Übrigen zeigt sich jetzt offensichtlich in der Praxis, dass dort innerhalb weniger Wochen auch Vertrauen aufgebaut wurde zwischen den Akteuren vor Ort der libanesischen Marine und der deutschen, dass solche Abfragen in eine Dauererlaubnis oder eine zeitlich befristete Dauererlaubnis dann auch gemündet ist. Also operativ, würde ich sagen, ist dies überhaupt kein Problem. Politisch hat die FDP als Opposition natürlich die Möglichkeit, das alles zu hinterfragen. Aber operativ funktioniert es offensichtlich schon sehr gut.

Ostermann: Für Irritationen sorgte auch, dass israelische Kampfflugzeuge ein deutsches Kriegsschiff überflogen und dabei in die Luft geschossen haben sollen. Wie bewerten Sie diesen Zwischenfall, zu dem es verschiedene Versionen gibt?

Arnold: Ich weiß es auch nicht, wie ich ihn bewerten soll. Ich hätte hier auch eine Reihe Fragen, weil ich zwei Varianten sehe. Die eine ist: Auch Israel muss lernen, mit diesem neuen Mandat der Vereinten Nationen umzugehen, es muss sich einrütteln. Die zweite Variante wäre allerdings: Die israelische Armee handelt ja gelegentlich gern sehr, sehr autonom, möglicherweise auch nicht abgestimmt mit der Regierung. Und ich glaube schon, dass man dem israelischen Partner sehr deutlich sagen muss, dass es in keiner Weise akzeptabel ist. Habe allerdings auch den Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung auf ihren diplomatischen Wegen das Richtige mit aller Deutlichkeit tut.

Ostermann: Das heißt, der Bundesverteidigungsminister oder die Kanzlerin müssten nicht vehementer in Israel vorstellig werden?

Arnold: Also es macht ja keinen Sinn, wenn dieses Vorstelligwerden in der Öffentlichkeit und via Medien geschieht. Diplomatie funktioniert anders, indem die Menschen miteinander sprechen und die Amtsträger auf beiden Seiten. Und ich kann nur nochmals sagen: Meine Beobachtung ist, die Bundesregierung macht das gut und richtig - auch mit dem korrekten Nachdruck.