SPD-Politik

Gut für das Land, schlecht für die Partei

Ein Wahlstand der SPD
Ein Wahlstand der SPD © imago stock&people
Von Joachim Riecker · 27.04.2016
Die SPD habe mit ihrer Politik zwar mehr Mut gezeigt als CDU und CSU, doch wird sie dafür von den Wählern abgestraft, meint der Journalist Joachim Riecker. Und er sagt: Das Dilemma ist, die SPD weiß nicht, wie sie in der Gunst der Wähler wieder an Ansehen gewinnt.
Das Leben ist ungerecht, auch in der Politik. Wäre das Leben gerecht, würde die SPD bei Wahlen und in Meinungsumfragen einen Höhenflug erleben und nicht immer weiter abstürzen. Denn keine andere Partei hat sich in den vergangenen 15 Jahren um das Gemeinwesen so verdient gemacht.
Erst hat sie Deutschland mit einer Reihe von Sozial- und Steuerreformen aus der Krise geführt – und anschließend mit der Einführung des Mindestlohns wieder etwas für die soziale Gerechtigkeit getan.
Während die Union bei Themen wie Wettbewerbsfähigkeit oder Leistungsgerechtigkeit gerne große Sprüche macht, dann aber meist davor zurückschreckt, den Menschen etwas wegzunehmen, hat die SPD mit der Agenda-Politik immerhin den Mut gehabt, auch mal in Besitzstände einzugreifen. Sicher ist sie hier und da über das Ziel hinausgeschossen.

SPD hat Anhänger nicht überzeugt

Doch ganz falsch kann diese Politik nicht gewesen sein, denn sonst ginge es Deutschland heute nicht so gut, sonst hätte sie ihre Kritiker nicht widerlegt. Erst all die neoliberalen Wissenschaftler und Interessenvertreter, die behaupteten, die Sozialreformen der Schröder- und Müntefering-Zeit würden nicht weit genug gehen. Und dann auch diejenigen, die behaupteten, der Mindestlohn würde im großen Stil Arbeitsplätze vernichten.
Was ist der Dank? Es ist gibt ihn nicht. Das Dilemma der SPD besteht darin, mit einer Politik erfolgreich gewesen zu sein, die den Grundüberzeugungen vieler ihrer Anhänger bis heute widerspricht. Und das tun sie so kurios wie paradox und trotzig, dass sie bereitwillig die Aussage bestätigen, rotgrüne Agenda-Politik sei gut für das Land gewesen, aber schlecht für die Partei.
Und es geht ja weiter. Derzeit zerreiben sich die Sozialdemokraten in der Flüchtlingspolitik zwischen ihrem humanitären Anspruch und den Ängsten vieler Wähler.
Soll die SPD also wieder einmal ihren Vorsitzenden austauschen? Konsequent wäre es ja, so wie die widerstreitenden Flügel der Partei mit Sigmar Gabriel hadern. Er holte sie aus dem Stimmungstief der letzten Bundestagswahl, führte sie in die große Koalition, aber dann konnte er sich trotz seiner starken Stellung im Kabinett nicht als überzeugende Alternative zur Kanzlerin profilieren.

Sigmar Gabriel führt durchs Tal der Tränen

Nur haben die Sozialdemokraten schon viele prominente Genossen ins Rennen geschickt. Ihr Dilemma hat es aber nicht gelöst, eine Politik zu formulieren, hinter der die eigene Partei steht, die in der Gesellschaft ankommt und zudem erfolgversprechend ist. Auch Programmkommissionen, Think-Tanks und Leitanträge haben sich daran abgearbeitet. Irgendwann gerät der häufige Personalwechsel an der Spitze zur Nachlassverwaltung.
Sigmar Gabriel wird seine Partei daher noch eine Weile durch das lange Tal der Tränen führen müssen. Mit der Konsequenz einer griechischen Tragödie bewegt sich die SPD auf ein Debakel bei der nächsten Bundestagswahl zu – und Rettung ist einstweilen nirgendwo in Sicht.
Die Arbeiter gehen zur sozialdemokratisierten CDU oder zur rechtspopulistischen AfD, die Linksliberalen haben ihre Heimat längst bei den Grünen gefunden und für die jungen Aufstrebenden ist auch die FDP wieder eine Alternative.

Innovation und Gerechtigkeit als Motto

Doch das Schöne an der Politik ist ja, dass nach jedem Untergang der Wiederaufstieg folgen kann – siehe Grüne, Linke und FDP. Wenn Angela Merkel irgendwann geht oder gehen muss, werden viele Wähler merken, dass die CDU unter ihrer Führung zu einer inhaltlich leeren Hülle geworden ist.
Sollte sich die SPD bis dahin wieder auf das Motto besinnen, mit dem sie einst gegen Helmut Kohl gewonnen hat, könnte irgendwann das Comeback gelingen. "Innovation und Gerechtigkeit" hieß es – und es hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren.

Joachim Riecker, ist als freier Autor in Berlin u. a. für "Neue Zürcher Zeitung", "Der Tagesspiegel", "Politico", "Bild am Sonntag" und die Körber-Stiftung tätig. Zudem hat er mehrere Sachbücher veröffentlicht.

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